BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Grimm

1785 - 1863

 

Von der Poesie im Recht

 

1815

 

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§. 13.

[Beweis aus ehrlichkeit.]

Die ausgezeichnete, strenge ehrlichkeit des alten rechts soll durch verschiedene andere beispiele bezeugt werden.

Nordische und angelsächsische gesetzgeber befahlen goldne ringe und armbänder mitten auf die heerstrasze zu befestigen; kein wanderer rührte sie an oder nahm sie mit sich fort 1).

Wie wurde auf die heiligkeit des hausfriedens gehalten! es galt für den gröszten schimpf, wenn einer wider willen des eigenthümers in dessen haus drang und sich da zu heerd und tische setzte. wer nur einen stein dem andern über das dach warf, that ihm eine beleidigung an 2).

Ehrenrührige reden wurden an dem glied, das sie ausgesprochen hatte, an lippen und zunge gebüszt. die injurienstrafe heiszt noch im nordischen und sächsischen recht: läppegiäld, lippengeld, mundgeld. der missethäter musz sich selbst auf den mund schlagen und hinterrücks aus dem gericht gehen, nicht als ein ehrlicher mann. auf dem rücken muste der diebschilling gebracht werden 3). allein früherhin war jene lippenstrafe noch viel rauher und bestand in ausreiszen der verläumderischen zunge und vernähen der beiden lippen. hierüber zwei unverwerfliche Zeugnisse des höchsten alterthums. Florus (IV, 12.) hat aufbewahrt, wie nach der Teutoburger schlacht die erbosten Deutschen grausam an den überwundenen Römern gehandelt, vor allem an den glattzüngigen Sachwaltern 4), wodurch sie betrogen und um das ihre gebracht worden waren: ‚aliis oculos, aliis manus amputabant, unius os sutum, recisa prius lingua, quam in manu tenens barbarus: tandem, inquit, vipera sibilare desiste!‘ und nun eine erzählung der Edda 5); Loki wettete mit einem zwerg, jeder um sein haupt, aber Loki verlor. da wollte er sein haupt lösen und bot busze, jedoch der gegner wollte nicht, sondern bestand auf dem vertrag fest. als nun der zwerg sich bereitete Lokis haupt abzuhauen, sprach dieser: (mit einem ganz ähnlichen vorwand, wie der richter gegen den fleischschneidenden juden) ‚du hast mein haupt, aber nicht meinen hals.‘ da stand der zwerg ab, nahm aber kneif und ahle und nähte dem wort- und treufälligen Loki die beiden lippen aneinander. als hernach der faden oder riemen (dem die poesie eine eigene benennung ertheilt 6)) mit gewalt aufgerissen worden war, hatte und behielt Loki wie mit einer säge zerrissene lippen.

Neben aller strenge der strafen wurden zucht und anstand gehütet. das nordische peinliche recht hat folgenden spruch 7): ‚ey må kona stegla eller hängia a green; madrin a stegel och koni undi griut.‘ männer werden gerädert und aufgehängt, frauen unter der erde lebendig begraben.

Nach Kanuts angelsächsischem gesetz ist die frau, welche die vom mann gestohlenen Sachen unter ihrem Schlüssel verschlieszt, schuldig, ja selbst das in der wiege dabei liegende kind; als hätte es schon das unrecht nicht ruhig leiden sollen: ‚hit wäs ärdyson, that that cyld, the läg on tham cradele, theah hit näfre metes ne abite, that tha gytseras letan efen scyldige and hit gewittig wäre; ac ic hit forbeode‘ 8).

Dies führt uns auf die sogenannte haussuchung (diebsuchen, salisuchen). männer ausgekleidet und im bloszen hemd traten in das verdächtige haus ein und spähten nach dem gestohlnen gut. ‚tå äiga ther at ganga i skyrtum einum oc lausgyrdir‘ 9). oder wie es das westgothländische recht bestimmt: baarfusz, über die knie aufgeschürzt. das ist das, was die institutionen (IV, tit. 1. §. 4.) requisitio rei furtivae secundum veterem observantiam nennen, aber gewisz war der germanische brauch noch weniger aus dem altrömischen recht entlehnt worden, als dieses hierin aus dem griechischen. die stellen des Plato und Aristophanes 10) beweisen, dasz auch bei den Griechen schon wer seinem entwendeten gut in einer verdächtigen wohnung nachspüren wollte (dies hiesz φωρᾶι) nacket und entgürtet hineintreten muste (γυμνὸς καὶ ἄζωστος). die ursache war, damit die suchenden männer selbst nicht etwa unter ihrem gewand etwas mit hineintragen und hernach einen unschuldigen des diebstahls zeihen möchten, die Römer hatten den gebrauch und als dieser bereits untergegangen war, lange noch den technischen ausdruck furtum per lancem et licium concipere 11), wobei das licium (binde, gürtel) klar, die lanx (schale, wagschale) aber etwas dunkel ist, weil Festus (v. lance et licio) deutlich enthält: qui furtum ibat quaerere in domo aliena licio cinctus (d. h. blosz begürtet, sonst nackend) intrabat lancemque ante oculos 12) tenebat propter matrumfam. aut virginum praesentiam.

Der ehrliche name des freien mannes forderte mithin überall die gröszte vorsicht und den gebrauch aller möglichen reinheit, um einen geargwohnten flecken auf ihn bringen zu können. gegenüber steht die behandlung, welche unfreien, unehrlichen widerfuhr und das zeigt sich nirgends auffallender als in ihrem währgeld, d. h. der ihren anverwandten gebührenden busze, wenn man einen solchen umgebracht hatte.

‚Zwei wollenhandschuh, sagt der Sachsenspiegel III, 45. und ein mistgabel ist des tagwerken busz, sein wergelt ein berg vol weizens 13). pfaffenkinder und unehlicher busze: ein fuder heus, als zwen jährige ochsen ziehen mögen. spielleuten und allen die sich zu eigen geben: der schatten eines manns. kämpfern und ihren kindern: der blick (schein) von einem kampfschilde gen der sonnen. dieb- und raubverwirkten: zwen besem und eine scheer.‘

Nach dem alemannischen landrecht 14): ‚wer den spielleuten zu leide that und genug thun sollte, stellte sich gegen die sonne vor die wand und sie schlugen den schatten. geschah die beleidigung von einem kind, so muste es einen schild ansehen, worauf die sonne schien.‘

Noch characteristischer schreibt das nordische recht vor 15): ‚nu warder lekare dräpin, tha böte arwa hans thriggia jamlanga gambla qwigu och köpa hanum nya handska, och nya skoa och smyria badhe. tha skal han taka qwighuna och ledan upa hög och halan i hand arwa lekarens sätia, tha skal bondin tillhugga med gisl thre hugg; far han haldit, hawi at botum sinum, slipper hanum qwighan, tha slippe hanum alder faghnader.‘

Alles dergleichen war kein scherz und spott, sondern ernsthafte meinung, dasz niederträchtigen leuten mit solcher busze wirklich die gebühr geschehe; ungestraft sollte man sich auch an ihnen nicht vergreifen. man wird überhaupt die nach den verschiedenen ständen verschiedene rechtliche bestimmung in so manchen verhältnissen, wo jetzo völlige gleichheit eingetreten ist, tief in den begriff von ehre und schande eines volks, das auf sich etwas hält, verwachsen finden.

 

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1) vorrede des Grottasaungr s. 16. Suhms fabelzeit 2, 185. 

2) Wiarda zum salischen gesetz s. 356. not. d. 

3) Siebenkees I, 51. ibique cit. hierher gehören die strafen des schandpfahls, schimpflicher kleidung und aufzüge. 

4) etwa wie in unsern zeiten die volksmäszige wuth sich auf die französischen zöllner und mauthbedienten richtete. 

5) Dämisaga 59. [Snorra Edda p. 133.] 

6) nämlich vartari d. i. lippenreisser, von var, vör lippe und Ulfil. tairan, angelsächsisch täran (tear) reissen, zehren, zerschneiden. 

7) Stjernhook s. 356. die frau soll man nicht radflechten oder hängen an den baumast; der man auf das rad, die frau untern sand. 

8) leges Cnuti 74: ‚es war ehdem, dasz das kind, das lag in der wiege, obschon es nie speise noch gegessen, dasz es die geitzigen eben so schuldig sein lieszen, als ob es mitwissend (der schuld) wäre; aber ich verbiete das.‘ – nur ist der grund des veränderten gesetzes offenbar der falsche. 

9) norweg. ges. de furto cap. 6. ingredi debent uno ind usio tecti et discincti. cf. jus provin. suec. cap. 13. si vero quis alicujus domum suspectam habeat, quasi res furtiva eo delata sit, is comitantibus cum sex viris investigari illam legitime desiderabit. 

10) Plato de legib. lib. 12. Aristoph. νεφ. [nubes, Wolken] 497 – 499. die worte sind angeführt z. b. von den commentatoren des Festus. vergl. Aristoph. βατρ. [ranae, Frösche] 1402, wo von der haussuchung eines gestohlenen hahns halben die rede. vergl. auch Bek in nubes pag. 209. 210. 

11) Gellius n. a. XI, cap. ult. und XVI, 10. 

12) Scaliger fragte schon: wie einer mit der lanx ante oculus habe suchen können? (s. Schulting zu Cajus II, 10. §.2.) vielleicht verwechselt Festus dies entkleiden beim eintritt ins diebhaus mit dem verhüllen und zudecken der in ein frauengemach eintretenden fremden männer. diese nahmen auch eine lancem ante oculus. [vgl. Savigny gesch. des röm. rechts III, p. 667. 716.] 

13) hiervon anderswo umständlicher. Vredus in der Flandria vetus p. 440. hat aus einem französischen gewohnheitsrecht folgendes: ‚quicunque scurram (spielmann) hospitaverit plus quam una nocte, si in crastino abscedere noluerit, poterit eum dominus in aquam projicere absque forefacto‘ (forfait). 

14) c. 397. [Schwabensp. ed. Schilter cap. 305.] vgl. Joh. Müllers Schweitzergeschichte III. buch. 2tes cap. not. 43. 

15) lex Westrogoth. tit. de caede cap. 7. lex Ostrogoth. c. 18. §. 1. ‚wird ein spielmann erschlagen , so soll man büszen seinem erben eine dreijährige kuh, ihm neue handschuh und schuh kaufen und beide schmieren. dann die kuh (das westgothländische recht schreibt noch eine unbändige und mit geschornem und geöhltem schwanz vor) nehmen, auf einen hügel führen und ihren schwanz in die hand des spielmannserben geben. dann soll der mann mit der peitsche der kuh drei hiebe schlagen; kann sie der erbe halten, so ist die kuh sein; entgeht sie ihm, so entgeht ihm damit aller vortheil.‘