Jacob Grimm
1785 - 1863
Von der Poesie im Recht
1815
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§. 1.[Eingang über verbindung der poesie mit dem recht.]Es ist wol auch einmal erlaubt, das recht unter den gesichtspunkt der poesie zu fassen und aus der einen in das andere lebendiges zeugnis geltend zu machen. einen solchen versuch fordert und verlangt jetzo zumal unser deutsches alterthum, in welchem sich von beiden, beinahe aus gleichen zeiten reiche und wichtige denkmäler und nach den mannichfaltigen landstrichen, die der germanische stamm erfüllt hat, begegnen. welcher andere besäsze gleich ihm eine solche menge, einen so groszen hausrath gesammelter gesetze und rechtsbräuche und hätte sie von der frühe an bis in die mitte, von seinen völkerschaften an bis auf einzelne gemeinheiten, ja örter, in schrift und buch aufzuweisen? in ganz Europa, ausgenommen das römische recht, ruhet kein anderes mehr auf breitem, festem grund, als unser vaterländisches; weniger ausgebildet zur kunst, wie jenes, eigentlich niemals gelehrt geworden noch wissenschaftlich gepflegt mit kraft und nachdruck, steht es aber auch viel handfester, sinnlich treuer und in seiner reichhaltigen jugend da. man hat als einen hauptzug der nation längst anerkannt diese anhänglichkeit an dem väterlichen, dieses langsame und ihr schwer ankommende ablassen davon; wir würden sonst nimmermehr eine poesie übrig haben, die an alter und werth allein neben der griechischen genannt werden mag. und noch heut zu tag haben sich sitte, spruch und gewohnheit der landeseinwohner nicht so ganz weder von der alten sage, noch von der frischen natur des alten gesetzes entfernen können; in mund und weise unseres gemeinen mannes tilgen sich manche spuren noch nicht aus, die zum trotz dem langen zwischenraum mit dem wege des alterthums zusammentreffen. selbst der ganzen sprache sämmtlicher schatz bietet die merkwürdigsten mittel an hand, vieles verschollen und verloren geschienene bleibt noch aus ihr zu lösen. nach der alten wahrheit stärkt die mütterliche erde zu allen dingen; eine lange thörichte zeit hatte uns geübt und beinahe gewöhnt, dasjenige zu verwahrlosen, was mitten bei und neben uns geblieben war, woraus die treuen augen unserer guten ehrlichen vorfahren hervorzublicken und die frage an uns zu thun scheinen: ob wir sie endlich auch wieder grüszen wollen? |