BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Joseph von Eichendorff

1788 - 1857

 

Gedichte in zeitlicher Folge

 

1839

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Die Nachtigallen.

 

Möcht' wissen, was sie schlagen

So schön bei der Nacht,

'S ist in der Welt ja doch Niemand,

Der mit ihnen wacht.

 

Und die Wolken, die reisen,

Und das Land ist so blaß,

Und die Nacht wandert leise

Durch den Wald über's Gras.

 

Nacht, Wolken, wohin sie gehen,

Ich weiß es recht gut,

Liegt ein Grund hinter den Höhen,

Wo meine Liebste jetzt ruht.

 

Zieht der Einsiedel sein Glöcklein,

Sie höret es nicht,

Es fallen ihr die Löcklein

Ueber's ganze Gesicht.

 

Und daß sie Niemand erschrecket,

Der liebe Gott hat sie hier

Ganz mit Mondschein bedecket,

Da träumt sie von mir.

 

Erstdruck 1839

__________

 

 

Vom Strande.

(Aus dem Spanischen.)

 

Ich rufe vom Ufer

Verlorenes Glück,

Die Ruder nur schallen

Zum Strande zurück.

 

Vom Strande, lieb' Mutter,

Wo der Wellenschlag geht,

Da fahren die Schiffe,

Mein Liebster drauf steht.

Je mehr ich sie rufe,

Je schneller ihr Lauf,

Wenn ein Hauch sie entführet,

Wer hielte sie auf?

Der Hauch meiner Klagen

Die Segel nur schwellt,

Je mehr mein Verlangen

Zurücke sie hält!

Verhielt' ich die Klagen:

Es löst' sie der Schmerz,

Und Klagen und Schweigen

Zersprengt mir das Herz.

 

Ich rufe vom Ufer

Verlorenes Glück,

Die Ruder nur schallen

Zum Strande zurück.

 

So flüchtige Schlösser,

Wer könnt ihn'n vertraun

Und Liebe, die bliebe,

Mit Freuden drauf baun?

Wie Vögel im Fluge,

Wo ruhen sie aus?

So eilige Wandrer

Sie finden kein Haus,

Zertrümmern der Wogen

Grünen Krystall,

Und was sie berühren

Verwandelt sich all,

Es wandeln die Wellen

Und wandelt der Wind –

Meine Schmerzen im Herzen

Beständig nur sind.

 

Ich rufe vom Ufer

Verlorenes Glück,

Die Ruder nur schallen

Zum Strande zurück.

 

Entstanden 1839, Erstdruck 1841