BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Joseph von Eichendorff

1788 - 1857

 

Gedichte in zeitlicher Folge

 

1830

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Mondnacht.

 

Es war, als hätt' der Himmel

Die Erde still geküßt,

Daß sie im Blüthen=Schimmer

Von ihm nun träumen müßt'.

 

Die Luft ging durch die Felder,

Die Aehren wogten sacht,

Es rauschten leis die Wälder,

So sternklar war die Nacht.

 

Und meine Seele spannte

Weit ihre Flügel aus,

Flog durch die stillen Lande,

Als flöge sie nach Haus.

 

Entstanden um 1830, Erstdruck 1837

__________

 

 

Sehnsucht.

 

Es schienen so golden die Sterne,

Am Fenster ich einsam stand

Und hörte aus weiter Ferne

Ein Posthorn im stillen Land.

Das Herz mir im Leib entbrennte,

Da hab' ich mir heimlich gedacht:

Ach, wer da mitreisen könnte

In der prächtigen Sommernacht!

 

Zwei junge Gesellen gingen

Vorüber am Bergeshang,

Ich hörte im Wandern sie singen

Die stille Gegend entlang:

Von schwindelnden Felsenschlüften,

Wo die Wälder rauschen so sacht,

Von Quellen, die von den Klüften

Sich stürzen in die Waldesnacht.

 

Sie sangen von Marmorbildern,

Von Gärten, die über'm Gestein

In dämmernden Lauben verwildern,

Palästen im Mondenschein,

Wo die Mädchen am Fenster lauschen,

Wann der Lauten Klang erwacht

Und die Brunnen verschlafen rauschen

In der prächtigen Sommernacht. –

 

Entstanden um 1830/31, Erstdruck 1834

__________

 

 

Schöne Fremde.

 

Es rauschen die Wipfel und schauern,

Als machten zu dieser Stund'

Um die halbversunkenen Mauern

Die alten Götter die Rund'.

 

Hier hinter den Myrthenbäumen

In heimlich dämmernder Pracht,

Was sprichst du wirr wie in Träumen

Zu mir, phantastische Nacht?

 

Es funkeln auf mich alle Sterne

Mit glühendem Liebesblick,

Es redet trunken die Ferne

Wie von künftigem, großem Glück! –

 

Entstanden um 1830/31, Erstdruck 1834