BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Joseph von Eichendorff

1788 - 1857

 

Gedichte in zeitlicher Folge

 

1823

 

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Still in Luft

Es gebart,

Aus dem Duft

Hebt's sich zart,

Liebchen ruft,

Liebster schweift

Durch die Luft;

Sternwärts greift,

Seufzt und ruft,

Herz wird bang,

Matt wird Duft,

Zeit wird lang. –

Mondscheinduft

Luft in Luft

Bleibt Liebe und Liebste, wie sie gewesen!

 

Entstanden 1823 oder früher, Erstdruck 1823, hier Fassung von 1826

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Vergangen ist die finstre Nacht,

Des Bösen Trug und Zaubermacht,

Zur Arbeit weckt der lichte Tag;

Frisch auf, wer Gott noch loben mag!

 

Entstanden 1823 oder früher, Erstdruck 1823, hier Fassung von 1826

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Nachtbilder.

 

I.

[Nachts.]

 

Ich wandre durch die stille Nacht,

Da schleicht der Mond so heimlich sacht

Oft aus der dunklen Wolkenhülle,

Und hin und her im Thal

Erwacht die Nachtigall,

Dann wieder alles grau und stille.

 

O wunderbarer Nachtgesang:

Von fern im Land der Ströme Gang,

Leis Schauern in den dunklen Bäumen –

Wirr'st die Gedanken mir,

Mein irres Singen hier

Ist wie ein Rufen nur aus Träumen.

 

 

II.

[Nachtwanderer.]

 

Er reitet Nachts auf einem braunen Roß,

Er reitet vorüber an manchem Schloß:

Schlaf' droben, mein Kind, bis der Tag erscheint,

Die finstre Nacht ist des Menschen Feind!

 

Er reitet vorüber an einem Teich,

Da stehet ein schönes Mädchen bleich

Und singt, ihr Hemdlein flattert im Wind,

Vorüber, vorüber, mir graut vor dem Kind!

 

Er reitet vorüber an einem Fluß,

Da ruft ihm der Wassermann seinen Gruß,

Taucht wieder unter dann mit Gesaus,

Und stille wird's über dem kühlen Haus.

 

Wenn Tag und Nacht in verworrenem Streit,

Schon Hähne krähen in Dörfern weit,

Da schauert sein Roß und wühlet hinab,

Scharret ihm schnaubend sein eigenes Grab.

 

Erstdruck des Zyklus 1823, hier Fassung von 1826

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In die Höh'!

(Tafellied.)

[Tafellied II: Trinken und Singen.]

 

Viel Essen macht viel breiter

Und hilft zum Himmel nicht,

Es kracht die Himmelsleiter,

Kommt so ein schwerer Wicht.

Das Trinken ist gescheidter,

Das schmeckt schon nach Idee,

Da braucht man keine Leiter,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Chor.

Da braucht man keine Leiter,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Viel Reden ist manierlich:

„Wohlauf? – Ein wenig flau. –

Das Wetter ist spazierlich –

Was macht die liebe Frau? –

Ich danke“ – und so weiter,

Und breiter als ein See –

Das singen ist gescheidter,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Chor.

Das Singen ist gescheidter,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Die Fisch' und Musikanten

Die trinken beide frisch,

Die Wein, die andern Wasser –

Drum hat der dumme Fisch

Statt Flügel Flederwische

Und liegt elend im See –

Doch wir sind keine Fische,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Chor.

Doch wir sind keine Fische,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Ja, Trinken frisch und Singen

Das bricht durch alles Weh,

Das sind zwei gute Schwingen,

Gemeine Welt, ade!

Du Erd' mit deinem Plunder,

Ihr Fische sammt der See,

'S geht alles, alles unter,

Wir aber in die Höh'!

 

Chor.

'S geht alles, alles unter,

Wir aber in die Höh'!

 

Entstanden 1823/24, Erstdruck 1825 unter dem Titel «Trinklied»,

hier Fassung von 1826 unter dem Titel «In die Höh'»