Adolf von Düring
1880
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Die Canterbury-Erzählungen
Fragment V
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Erzählung des Freisassen.Vers 727 - 1614
Im Britenland, Armorika genannt,War einst ein Ritter, der, in Lieb' entbranntFür eine Dame, treu und dienstbereit | |
730 | Gar manche Arbeit, manche FährlichkeitUm sie bestand, bevor er sie errang.Denn da aus edlem Hause sie entsprang,Und zu den schönsten Frau'n auf Erden zählte,Es ihm aus Furcht an der Entschließung fehlte,Ihr seinen Kummer, seine Noth zu klagen;Bis sie zuletzt sein würdiges Betragen,Sein sanfter Sinn und sein ergeb'ner WilleSo innig rührte, daß sie ihre stilleGewogenheit ihm länger nicht verhehlte, |
740 | Und ihm zum Gatten und zum Herrn erwählte– Soweit die Männer ihrer Weiber Herrn. –Der Ritter aber schwur von Herzen gern,Um möglichst segensreich mit ihr zu leben,Sich seiner Herrschaft gänzlich zu begeben,Ihr Tag und Nacht gehorsam stets zu sein,Ihr niemals Grund zur Eifersucht zu leih'n,Und ihr zu folgen willig und geduldig,Wie ein Verliebter seiner Dame schuldig,Wenn er nur vor der Welt, wie sich's gebühre, |
750 | Dem Namen nach die Oberherrschaft führe.Und, sich bedankend, sprach sie demuthsvoll:Herr! wenn ich solchen Antheil haben sollAm Regiment durch Deine Gunst und Huld,So soll auch Krieg und Streit durch meine Schuld– Wenn's Gott gefällt – uns nimmerdar entzwein.Ich schwöre Dir, ein folgsam Weib zu sein,So lange, wie zu athmen mir beschieden!“Und Beide lebten ruhig und in Frieden.Genossenschaft – das bleibt stets wahr, ihr Herr'n! – |
760 | Besteht nur unter Freunden, insofernSich Einer weiß dem Andern anzupassen.Es will die Liebe sich nicht meistern lassen.Sobald der Liebesgott den Zwingherrn sieht,Regt er die Schwingen, sagt Ade, und flieht.Ein freies Ding ist Liebe, wie der Geist;Und ihre Freiheit liebt das Weib zumeist.Doch Zwang und Knechtschaft sind ihr höchst verhaßt,Wie dieses – denk' ich – auch auf Männer paßt.Wer in der Liebe nur Geduld behält, |
770 | Der hat den größten Vortheil von der Welt.Als höchste Tugend ist Geduld zu preisen,Denn sie bezwingt – so sagen uns die Weisen –Was unbesiegbar selbst der Strenge gilt.Es ist nicht gut, wenn man stets schimpft und schilt.Zu dulden lernet! – Denn, auf Seligkeit!Gern oder ungern müßt ihr's mit der Zeit.Es hat kein Mensch auf Erden je gewandelt,Der unrecht nicht gesprochen und gehandelt.Wein, Zorn, Konstellationen, Krankheit, Leid |
780 | Und Wechsel der GemüthsbeschaffenheitVeranlaßt Manchen, lästerlich zu sprechen;Doch jedes Unrecht darf der Mensch nicht rächen,Und mit der Zeit lernt Mäßigung der Mann,Der sich bezwingen und beherrschen kann.Weßhalb zum eignen Besten der erprobteUnd weise Ritter ihr Geduld gelobte.Sie aber schwur, er sollte keinen FleckenAn ihr für nun und nimmermehr entdecken.Seht! solch ein Demuthsbund ist weisheitsreich. |
790 | Sie kor zum Knecht ihn und zum Herrn zugleich,Zum Knecht der Liebe und zum Herrn im Haus.Wie? schließt denn Knechtschaft nicht die Herrschaft aus?Knechtschaft? – O, nein! nur Herrschaft ist gemeint,Wenn Liebe mit der Ehe sich vereint;War doch nach Liebeswahl und Recht und BrauchDie Herzgeliebte für ihn Gattin auch.Als ihm zu Theil geworden war dies Glück,Nahm er sein Weib mit in sein Land zurück,Wo unweit Penmark sein Besitz gelegen, |
800 | Und lebte dort in Fröhlichkeit und Segen.Beschreiben kann uns nur, wer selbst vereh'licht,Die Lust, das Glück, die Ruhe, die beseeligtSo Mann als Weib im heil'gen Ehestand.Mehr als ein Jahr vergnügt vorüber schwand,Bis der erwähnte Ritter dieser Dame– Arviragus von Cairud war sein Name –Nach England zog, dem Reiche der Bretonen,Daselbst ein Jahr lang oder zwei zu wohnen,Um Waffenruhm und Ehre zu gewinnen; |
810 | Denn solche Arbeit war sein stetes Sinnen.Zwei Jahre blieb er – wie mein Buch sagt – dort.Nun wendet von Arviragus mein WortSich hin zu seinem Weibe Dorigene;Sie schickte manchen Seufzer, manche ThräneDem heißgeliebten, fernen Gatten nach– Wie solches stets ein edles Weib vermag. –Sie trauert, fastet, jammert, wacht und klagt,Von Sehnsucht und Verzweiflung so geplagt,Daß ihr das ganze Weltall war zuwider. |
820 | Die Freunde sahen, wie der Schmerz sie niederZu drücken schien, und sprachen Tag und NachtIhr tröstend zu nach bester Kraft und Macht,Sich grundlos nicht bis auf den Tod zu quälen.Sie ließen es an keinem Troste fehlen,Indem sie Alles thaten und ersannen,Was passend schien, die Schwermuth zu verbannen.Nur nach und nach – das weiß man allgemein –Gelingt durch lange Arbeit es, dem SteinFiguren oder Zeichen einzugraben. |
830 | Wie manchen Trost sie ihr daher auch gaben,Es währte lange, bis er Eindruck machte,Und Hoffnung und Vernunft so weit erwachte,Daß sie sich ihrer Sorgen mehr entschlugUnd minder wild und aufgeregt betrug.Doch hätte nicht Arviragus danebenIhr Kunde seines Wohlergehns gegebenUnd brieflich rasche Rückkehr ihr versprochen,So hätte Kummer ihr das Herz gebrochen.Die Freunde sahen ihre Sorgen flieh'n, |
840 | Und baten sie, bei Gott, auf ihren Knie'n,Durch Lust und Spiel mit ihnen im VereinSich von den düstern Grillen zu befrei'n.So fügte sie, da man ihr unbestrittenZum Besten rieth, sich endlich ihren Bitten.Da nun ihr Schloß nicht weit vom Meere stand,Ging sie mit ihren Freunden oft zum StrandUnd schaute von dem hohen FelsenriffeHinab und sah die Barken und die Schiffe,Bald hier- bald dorthin durch die Fluthen steuern. |
850 | Doch schien es ihre Schmerzen zu erneuern,Denn zu sich selber sprach sie oft: O, weh!Bringt keines von den Schiffen, die ich seh',Mir meinen Herrn zurück, damit mein HerzGenesung finde von dem bittern Schmerz?“Oft in Gedanken blickte sie dann wiederVom steilen Ufer in die Tiefe niederZur grauenhaften, schwarzen Felsenwand;Bis sie, von Furcht und Schauer übermannt,Nicht mehr der Kraft der eignen Füße traute. |
860 | Dann, in das Gras sich niedersetzend, schauteSie voller Jammer auf das Meer hinausUnd brach erseufzend in die Worte aus:Allew'ger Gott! der Du mit VorbedachtDie Welten lenkst durch Deines Willens Macht,Nichts Eitles – sagt man – schufen Deine Hände.Doch diese grausig schwarzen FelsenwändeSind die Gebilde der Verwirrung nur;Kein schönes Werk, an welchem wir die SpurVon Deiner weisen Schöpferhand gewahren. |
870 | Wie konntest Du so unbedacht verfahren?Denn keine Nahrung finden Mensch und ThierIn Süd und Nord, in Ost und Westen hier.Sieh, lieber Herr! es nützt zu Nichts: fürwahr,Es bringt den Menschen Tod nur und Gefahr;Denn sicher fielen hunderttausend LeuteDen unverständ'gen Felsen schon zur Beute.Doch ist der Mensch der Schöpfung höchste Zier;Du schufst ihn ja als Ebenbild von Dir;Und da die Menschen Du nach allem Schein |
880 | So innig liebst, wie kann es möglich sein,Daß Mittel der Zerstörung Du erdacht,Die Gutes nimmer, Schaden stets gebracht.Daß alle Sachen nur zum Besten dienen,Beweisen die Gelehrten. – Aber ihnenWill ich das Disputiren überlassen.Ich kann es nicht begreifen und erfassen.Mein Schluß ist nur: Gott, welchem Wind und WetterGehorchen muß, sei meines Herrn Erretter!O, möchte Gott die schwarzen Felsenmassen |
890 | Zur Höllentiefe niedersinken lassen,Die stets mit Angst um ihn mein Herz beschweren!“– So sprach sie unter jammervollen Zähren.Die Freunde sahen, daß am MeeresstrandSie nur Verdruß anstatt Vergnügen fand.Drum wählten sie zum Spielplatz andre Stellen.Sie führten sie zu Flüssen und zu Quellen,Und suchten sie an andern schönen PlätzenDurch Tanz und Schach und Brettspiel zu ergötzen.Einst gingen sie mit Tagesanbeginn |
900 | Zu einem nah geleg'nen Garten hin,Zu welchem Lebensmittel und ProviantMit weiser Vorsicht sie vorausgesandt,Und spielten dort, bis niedersank die Sonne.Der sechste Tag war's in dem Mond der Wonne,Es hatte Mai durch sanfte RegenwetterFrisch aufgemalt die Blumen und die BlätterIm ganzen Garten, der durch Kunst und KraftDer Menschenhand so schön und zauberhaftGeschaffen war, das nur dem Paradies |
910 | Er sich an Pracht allein vergleichen ließ.Der Blüthen Duft, der Blumen reicher FlorRief Munterkeit und heit'ren Sinn hervorIn jeder erdgebor'nen Brust, der GramUnd Krankheit die Empfindung nicht benahm;So voller Schönheit war er, voller Frische.Gesang und Tanz begann sogleich nach Tische;Doch theilnahmlos stand Dorigene da,Erseufzend, klagend, denn ihr Auge sahNicht den als Tänzer in der Männerschaar, |
920 | Der ihr Gemahl und Herzgeliebter war.Indessen faßte sie sich nach und nach,Die Sorge schwand und Hoffnung wurde wach.Vor ihr schwang unter andern sich im TanzEin Junker, der an jugendfrischem GlanzUnd schmuckem Anzug – meiner Meinung nach –Weit heller strahlte als der Maientag.Es sang und tanzte nimmer wohl ein MannSo schön wie er, seitdem die Welt begann.Auch war er – will man eine Schilderung |
930 | Von ihm entwerfen – weise, stark und jung,Vom Glück begünstigt tugendhaft und reichUnd wohlbeliebt und hochgeehrt zugleich.Die Wahrheit zu gesteh'n, war überdiesDer lust'ge Junker, der Aurelius hieß,Der Venus Diener, und verliebt war erSeit langer Zeit in Dorigene mehrAls in sonst irgendwelche Frau; doch wußteSie nichts von seiner Neigung, und so mußteEr, ohne seine Noth gesteh'n zu dürfen, |
940 | Den Trank der Wehmuth ohne Becher schlürfen.Dies trieb ihn zur Verzweiflung, denn sein LeidenVermocht' in Liedern er allein zu kleidenAls allgemeine Klage, daß er liebe,Doch seine Neigung unerwidert bliebe.Hierüber schrieb er manche Laiche nieder,Rondeau's und Klagen, Virelais und Lieder:Er dürfe nimmer seine Sorge nennen,Er müsse schmachtend in der Hölle brennen,Ihm bringe noch, wie Echo um Narciß, |
950 | Verschmähte Liebe seinen Tod gewiß!Nur so verblümt, wie hier erzählt, gestandEr ihr die Leiden, die sein Herz empfand;Obschon er sich nach junger Leute Brauch,Die Freiheit nahm, in Tanz bisweilen auchMit solchen Blicken auf sie hinzuseh'n,Wie Männer thun, die um Erhörung fleh'n.Indeß sein Zweck blieb ihr ganz unverständlich.Doch, eh' das Fest vorbei war, führt' ihn endlichDes Zufalls Gunst in ihre Nachbarschaft, |
960 | Und da sie ihn als brav und tugendhaftSeit langen Jahren kannte, so begannSie ein Gespräch mit ihm, in welchem dannAurelius, seinem Ziele nach und nachStets näher rückend, diese Worte sprach:Madam“ – rief er – beim Schöpfer dieser Welt!Wär' all Dein Leiden dadurch abgestellt,So hätte sich für Dich AureliusAn jenem Tage, als ArviragusDas Meer durchschiffte, gern den Tod gegeben! |
970 | Ich weiß zu wohl, umsonst ist mein Bestreben,Mein einz'ger Lohn – ist ein gebroch'nes Herz!Laß, edle Frau, Dich rühren meinen Schmerz!Ein Wort von Dir vernichtet oder rettet.Ach! wollte Gott, ich läg' vor Dir gebettetIn meinem Grab! Nicht weiter kann ich sprechen,Hab' Mitleid, Süße, soll mein Herz nicht brechen.“Sie blickte nieder auf AureliusUnd frug: Ist das Dein Wille und Entschluß?Zuerst, Aurelius, konnt' ich's nicht verstehn, |
980 | Doch jetzt“ – sprach sie – beginn' ich's einzuseh'n.Indeß – bei Gott, dem Herrn von Seel' und Leib! –Ich werde nie als ungetreues WeibIn Worten oder Werken mich erzeigen,Und dem ich mich verbunden, bleib' ich eigen.Betrachte dies als letzte Antwort Du!“Indessen scherzend fügte sie hinzuUnd sprach: Aurelius! – bei dem Herrgott droben! –Ich will Dir dennoch Liebe zugeloben,Weil Du so flehentlich darnach begehrt hast. |
990 | Sieh'! an dem Tag, an dem Du weggekehrt hastAus der Bretagne alle FelsenriffeSo gründlich Stein um Stein, daß keine SchiffeDaselbst mehr scheitern, und die Küste reinVon allen Klippen ist und jedem Stein,Will ich Dich mehr als jede KreaturAuf Erden lieben! – Dieses ist mein Schwur.Denn das wird – weiß ich sicher – nie geschehen.Laß solche Thorheit aus dem Sinn Dir gehen.Weßwegen reizt Euch Männer nur ein Weib, |
1000 | Das einen Gatten hat, der ihren LeibGenossen hat, so oft es ihm behagte?“Schwer seufzte nun Aurelius und fragte:Bleibt denn kein einz'ger Hoffnungsschimmer mein?“Sie sprach: Bei Gott, der mich erschaffen! – Nein!“Sobald Aurelius dieses Wort vernahm,Sprach er zu ihr in seinem Herzensgram:Madam! durch solch' unmögliches GebotTreibt ihr mich jählings in den grausen Tod!“Und mit den Worten ging er von ihr fort. |
1010 | Bald kehrten Freunde, welche – hier und dortZerstreut im Garten – dieser letzten SceneNicht beigewohnt, zurück zu Dorigene;Und rasch begann von Neuem Spiel und Tanz.Und als erloschen war der Sonne Glanz,Die längst sich hinterm Horizont verkrochen,Das heißt, nachdem die Nacht hereingebrochen,Ging froh und heiter Jedermann nach Haus.Jedoch Aurelius nehm' ich davon aus,Der heimwärts zog mit sorgenvollen Sinnen. |
1020 | Er hoffte kaum, dem Tode zu entrinnen,Ihm zu erkalten schien bereits das Herz,Und seine Hände hob er himmelwärts,Und warf in wilder FieberphantasieSich zum Gebete nieder auf die Knie.Vom Weh' getrübt war des Verstandes Licht,Und was er sagte, wußt' er selber nicht;Doch sprach er so, und klagte jammervollSein Leid der Göttin und zunächst Apoll:Du Gott der Sonne!“ rief er – Reichsverweser |
1030 | Der Pflanzen, Bäume, Blumen und der Gräser,Der allen, nach dem Standpunkt, den du nimmst,Die Dauer und die Blüthezeit bestimmst,Bald hoch, bald niedrig Deine Herberg' wählend.Auf mich, Aurelius, wirf in meinem Elend,Dein Gnadenauge! Sonst bin ich verloren!Mein Liebchen, Herr! hat mir den Tod geschworen!Drum zeige Du, da jeder Schuld ich ledig,Dich meinem todeskranken Herzen gnädig!Denn wahrlich, Phöbus, sie nur ausgenommen – |
1040 | Kann Deine Hülfe mir am Besten frommen.Drum nimm in Gnaden meinen Rathschlag an,Wodurch und wie mir Rettung werden kann.Lucina, deine Schwester, diese hehreUnd segensreiche Königin der Meere,Die – ob Neptun darüber zwar regiert –Als Obergöttin doch den Scepter führt,Beseelt – wie Du es weißt – das heiße Streben,Durch Deine Gluth zu leuchten und zu leben;Drum folget sie beständig Deiner Spur. |
1050 | Und so bestrebt das Meer sich von NaturDer Göttin nachzufolgen, die zumalDas Meer beherrscht, wie Flüsse breit und schmal.Darum, Herr Phöbus! lautet so mein Flehen:Thu' dieses Wunder, sonst muß ich vergehen!Wenn Ihr Geschwister Euch in nächster ZeitIm Bild des Löwen gegenüber seid,So mache, daß sie eine Hochfluth bringe,Die mindestens fünf Faden überspringeBretagnens allerhöchste Felsenwände, |
1060 | Und nicht vor Ablauf von zwei Jahren ende.Dann darf ich sprechen: ›Halte mir Dein Wort,Verehrte Frau! – Die Felsen sind jetzt fort!‹Für mich, Herr Phöbus, dieses Wunder thu'!Heiß' sie nicht schnellern Laufs zu geh'n, als Du!Ich sage dieses: Deine Schwester bitte,Mit Dir zwei Jahre lang in gleichem SchritteZu bleiben. Dann wird steter VollmondscheinUnd Tag und Nacht beständig Springfluth sein.Doch will sie nicht in dieser Art gewähren, |
1070 | Mir meine theure Herrin zu bescheeren,So bitte sie, jedwede FelsenwandHinab zu senken in ihr dunkles Land.Tief in die Erde, dort, wo Pluto wohnt,Da mich sonst nimmer ihre Liebe lohnt!Barfuß nach Delphi will ich, Phöbus wallenZu Deinem Tempel! – Von den Wangen fallen,Sieh', meine Zähren – und erbarme Dich!“Mit diesem Worte sank er jämmerlichIn Ohnmacht nieder, und lag lange Zeit, |
1080 | Bis ihn sein Bruder, dem sein HerzeleidBekannt war, aufhob und zu Bette trug.Hier lag der Aermste jammervoll genug,Und mag – statt meiner – nun in seiner NothSelbst wählen zwischen Leben oder Tod.Arviragus, des Ritterstandes Blume,War heilen Leibes unter großem RuhmeMit würd'gen Mannen wieder heimgekehrt.Welch' Glück ist, Dorigene, Dir bescheert,Da Dir im Arme wieder wohlgemuth |
1090 | Dein frischer Ritter, Held und Gatte ruht,Der Dich mehr lieb hat, als sein eig'nes Leben!Sich grillenhaftem Argwohn hinzugeben,Ob zu ihr Jemand während seiner ReiseVon Liebe sprach, lag nicht in seiner Weise;Er plagte sich mit solchen Grillen nicht.Er denkt nur an Vergnügen, tanzt und ficht.Und so verlass' ich ihn in Lust und Glück,Und kehre zu Aurelius zurück.Sehnsüchtig, elend und gequält, litt schwer |
1100 | Aurelius zwei Jahre lang und mehr,Bevor den Fuß er auf den Boden setzte.Kein andrer Trost in dieser Zeit ihn letzte,Als solcher Zuspruch, welchen der gelehrte,Vertraute Bruder seinem Leid gewährte.Denn sicherlich mit keiner KreaturSprach er ein Wörtchen von der Sache nur.Verschlossen trug im Busen er sein Weh,Wie Pamphilus für seine Galathee.Von Außen freilich schien die Brust zwar heil, |
1110 | Doch tief im Herzen stak der scharfe Pfeil;Und in der Heilkunst – das ist Jedem klar –Sind inn're Wunden immer von Gefahr,Wenn an den Pfeil man nicht gelangen kann.Wehklagend sah's der Bruder heimlich an,Bis es zuletzt in ihm begann zu tagen;Und wie die jungen Schüler darnach jagen,In allen Winkeln und in allen EckenVon fremden Künsten etwas zu entdecken,Was wunderbar erscheinet und belangreich, |
1120 | So fiel ihm ein, daß er ein Buch in FrankreichZu Orleans sah, wo er sein Studium trieb,Das die natürliche Magie beschrieb;Denn heimlich hatte dies sein Kamerad– Zu jener Zeit ein Rechtsbaccalaureat –Obschon es in sein Fach nicht schlug, besessenUnd eines Tags auf seinem Pult vergessen.Viel stand im Buch von den OperationenDer achtundzwanzigfachen MondmansionenUnd andre Thorheit; doch was drin gelehrt, |
1130 | Ist heute kaum noch eine Fliege werth;Denn uns zu schützen weiß vor IllusionDie heil'ge Kirche durch den Glauben schon.Und als er dieses Buches sich entsann,Fing froh das Herz in ihm zu hüpfen an,Und zu sich selber sprach er still: Ich heileJetzt meinen Bruder in ganz kurzer Weile.Denn Wissenschaften giebt es – das steht fest –Durch die sich manches Wunder machen läßt,Wie's jene Taschenspieler schlau verstehen. |
1140 | Man hat an Festen – hört' ich – oft gesehen,Wie sich ein großer Saal auf ihr GebotMit Wasser füllte, auf dem dann ein BootIn jener Halle kam einher geschwommen.Bald sah man einen grimmen Löwen kommen,Bald Blumen, wie sie auf den Wiesen prangen,Bald roth und weiß am Weinstock Trauben hangen,Und bald aus Kalk und Steinen ein Kastell;Und auf Geheiß schwand Alles wieder schnell.So trug sich's zu nach allem Augenschein. |
1150 | Drum sollte – schließ' ich – aufzufinden seinIn Orleans ein alter Mitstudent,Der die natürliche Magie noch kenntUnd noch vertraut ist mit den Mondmansionen,Soll Gegenliebe meinen Bruder lohnen!Denn wohl mag ein Gelehrter es versteh'n,Daß durch ein Trugbild scheinbar untergeh'nAuch der Bretagne schwarze FelsenriffeUnd ab und zu am Ufer zieh'n die Schiffe.Und währt der Spuk nur einen Tag bis zwei, |
1160 | Sind meines Bruders Schmerzen auch vorbei,Dann muß sie halten, was sie ihm versprach,Und thut sie's nicht, so trifft sie Schimpf und Schmach.“Was soll ich davon sprechen breit und lang?Zum Bett des Bruders lenkt' er rasch den GangUnd gab ihm solchen guten Trost und Rath,Nach Orleans zu geh'n, daß in der ThatSein Bruder aufsprang und sofort von dannenVoll Hoffnung zog, die Schwermuth zu verbannen.Und als sie auf Entfernung von vielleicht |
1170 | Ein bis zwei Stunden jene Stadt erreicht,Sprach, höflich grüßend, sie ein junger Mann,Der dort spazierte, auf Lateinisch anUnd redete verwunderlicher Weise:Ich kenne schon den Grund von Eurer Reise.“Und theilte drüber, eh' nur einen SchrittSie weiter gingen, ihnen Alles mit.Nun stellte der Bretone manche Frage,Betreffend die Bekannten alter Tage.Doch ihm ins Auge manche Thräne kam, |
1180 | Als er von Allen nur den Tod vernahm.Von seinem Pferde sprang Aurelius dannUnd schleunig führte sie der WundermannZu sich ins Haus und sorgte dort aufs BesteFür Trank und Speise nach der Wahl der Gäste.Fürwahr, Aurelius fand so wohl bestelltNoch keinen Haushalt auf der ganzen Welt.Der Meister wies ihm Abends vor dem MahlIn Park und Wald des Wildes reiche Zahl.Da sah er Hirsche mit Geweihen steh'n, |
1190 | So mächtig, wie kein Auge je geseh'n.Da sah er hunderte zerfleischt von Hunden,Vom Pfeil durchbohrt und blutend aus den Wunden.Dann war's vorbei, und statt der wilden ThiereSah er auf schönem Flusse Falkoniere,Sah nach dem Reiher ihre Falken fliegen,Sah auf dem Plane Ritter sich bekriegen.Dann wies sich ihm als größter HochgenußIm Tanze seine Dame noch zum Schluß,Mit der er selber tanzte, wie er dachte. |
1200 | Und als der Meister, der dies Werk vollbrachte,Sah, daß es Zeit war, schlug er in die Hände,Und – Lebewohl! – der Zauber war zu Ende.Doch aus dem Haus entfernten sie sich nimmer.In seinem Studio- oder BücherzimmerErblickten sie die ganze Zauberei,Dort ruhig sitzend, immer nur selbdrei.Der Meister seinen Junker herbefahlUnd frug: Wie steht's um unser Abendmahl?Fast eine Stunde – denk' ich – schon enteilte, |
1210 | Seit ich dazu den Auftrag Dir ertheilte,Und ich mit diesen würd'gen Herren inMein Bücherzimmer eingetreten bin.“Herr!“ – sprach der Junker – wenn es Euch gefällt,Speist Ihr sogleich. – Die Tafel ist bestellt!“Wohlan“ – sprach er – geh'n wir zum Abendbrod!Ein wenig Ruhe thut Verliebten Noth.“Berathen ward, nachdem getafelt war,Sodann zunächst des Meisters Honorar,Wenn felsenrein zu kehren er die Küste |
1220 | Von der Garonne bis zur Seine wüßte.Er machte Schwierigkeiten, und er schwur;So Gott ihm helfe! ungern thät' er's nur,Und tausend Pfund sei wahrlich kaum genug.Aurelius, dem das Herz vor Freude schlugEntgegnete: Pfui, über tausend Pfund!Die ganze Welt, der Erde weites Rund,Wollt' ich drum geben, wären sie nur mein!Der Handel gilt! Wir kamen überein!Ich werde redlich zahlen – auf mein Wort! |
1230 | Jedoch – kein Aufschub und Verzug hinfort!Nicht länger als bis morgen halt' uns auf!“Nein!“ – sprach der Meister – nimm mein Wort darauf!“Und als Aurelius bald zu Bette ging,Ihn süßer Schlaf die Nacht hindurch umfingMit Hoffnungsträumen künft'ger SeligkeitNach seiner Arbeit, seinem Herzeleid;Am nächsten Tag, sobald der Morgen da,Sich gradeswegs auf nach ArmorikaAurelius und der Zaubermeister machten, |
1240 | Und stiegen ab, wo sie zu bleiben dachten.Dem Buche nach geschah's im frost'gen, kaltenDecembermond – ich hab's genau behalten. –Phöbus, gealtert und wie Messing fahl,Der schimmernd einst den glühend gold'nen StrahlZur heißen Zeit des Sommers abgesandt,Nunmehr schon tief im Bild des Steinbocks stand,Und schien dort trübe – wie gesagt – und matt.In keinem Garten blieb ein grünes Blatt;Nichts hatte Regen, Frost und Schnee gespart. |
1250 | Am Feuer sitzt mit seinem DoppelbartJanus und trinkt aus Büffelhörnern Wein,Vor sich das Fleisch vom scharfbezahnten Schwein,Und Noël!“ ruft ein jeder lust'ge Mann. –Aurelius thut Alles, was er kann,Den Meister zu bewirthen und zu ehren;Doch Eile blieb sein dringendstes Begehren:Er müsse schleunigst heilen seinen Schmerz;Wo nicht, durchstäch' er mit dem Schwert sein Herz!Der kluge Mann, der seinen Kummer theilte, |
1260 | Sich Tag und Nacht mit aller Kraft beeilte,Um auszurechnen seine beste Zeit;Das heißt: zur Täuschung die Gelegenheit,Daß mittelst einer Phantasmagorie– Ich weiß zwar nicht, ob die AstrologieDen Ausdruck kennt – sie und ein Jeder meine,Aus der Bretagne seien Fels und SteineIns Meer gesunken oder sonst verschwunden.Und endlich war die Zeit herausgefundenFür diese bösen und verruchten Possen, |
1270 | Die aus verfluchtem Aberglauben sprossen.Die Tafeln von Toledo nahm zur Hand er,Wohl corrigirt; und keinen Fehler fand erIn seinen Wurzeln, seinen Umlaufsjahren,Ob sie collecte, ob expanse waren.Auch seine Kreise, seine ArgumenteUnd die proportionalen ElementeFür seine Gleichung stimmten auf das Haar.Und durch die achte Sphäre ward ihm klar,Wie weit bereits sich der Alnath dort oben |
1280 | Vom Haupt des Fixsterns Aries verschoben,Der angehört dem neunten Sphärenkreise.Dies calculirt' er auf die schlau'ste Weise;Und als berechnet war das erste Haus,Fand er den Rest durch Proportion heraus.Er wußte, wann und wo der Mond aufging,Termine, Phasen und jedwedes Ding;Er kannte gründlich alle MonomansionenMit ihren Einfluß auf Operationen;Er kannte gleichfalls sonst noch Observanzen |
1290 | Für Täuschungen und solche Firlefanzen,Wie damals sie beim Heidenvolk im Schwange.Er zögerte deßwegen nicht mehr lange,Und scheinbar schaffte seine ZaubereiDie Felsen fort für einen Tag bis zwei.Aurelius, verzweiflungsvoll vor Wehe,Ob er gewinne oder leer ausgehe,Erwartete das Wunder Tag und Nacht;Und als er ohne Hinderniß vollbrachtEs sah und fand, die Felsen waren fort, |
1300 | Warf zu des Meisters Füßen mit dem WortEr sich zur Erde: Laß, o Herr, mich danken,Venus und Euch, daß Ihr den sorgenkrankenUnd leidenden Aurelius habt geheilt!“Und zu dem Tempel eilt er unverweilt,Wo seine Dame war, wie ihm bekannt;Und als dazu Gelegenheit er fand,Begrüßte zweifelsbang und demuthsreichEr seine theure Herrin auch sogleich:Gerechte Frau!“ – sprach der gequälte Mann – |
1310 | Dich fürcht' ich und Dich bet' ich liebend an!Nicht für die Welt würd' ich mich unterfangen,Dich je zu kränken. – Doch soll nicht VerlangenNach Dir das Herz mir auf der Stelle brechen,So muß ich jetzt von meiner Liebe sprechen.Wenn ich nicht sterben soll, muß ich Dir sagen:Du hast mit Schmerzen schuldlos mich geschlagen;Doch läge Dir auch nichts an meinem Leben,Bedenke wohl – Du hast Dein Wort gegeben.Du magst vor Gott dies reuig überlegen, |
1320 | Eh' Du mich tödtest meiner Liebe wegen.Verehrte Frau! Du weißt, was Du versprochen.Doch Gnade nur, statt auf mein Recht zu pochen,Verlang' ich, theure Herrscherin, von Dir.Wozu in jenem Garten Du Dich mirVerpflichtet hast und was Du in die HandMir zugeschworen, ist Dir wohl bekannt.Gott weiß! die höchste Liebe sagtest Du,So unwerth ich derselben bin, mir zu.Madam! ich spreche Deiner Ehre wegen, |
1330 | Nicht weil an meinem Leben mir gelegen.Was Du befohlen hast, das ist gescheh'n.Beliebt es Dir, kannst Du es selber seh'n.Thu', was Du willst! – Doch Deinen Eid bedenke,Ob Tod ob Leben Deine Hand mir schenke,Ich nehme hin, was Du für gut befunden.Jedoch – ich weiß – die Felsen sind verschwunden!“Er eilte fort. – Doch sie blieb staunend steh'n,Mit blutlos blassem Antlitz; vorgeseh'nWar eine solche Falle von ihr nie. |
1340 | Ach, daß mich dieses treffen muß!“ – rief sie.Ich wähnte nicht, daß solche Zauberei,Daß solches Wunder jemals möglich seiZuwider den Gesetzen der Natur!“Und heimwärts schwankt die arme KreaturMit schwerem, durch die Furcht gelähmtem Gang.Sie klagt und weint ein bis zwei Tage lang,– In ihrer Ohnmacht traurig anzuschauen. –Doch wollte Keinem sie den Grund vertrauen;Denn ihr Gemahl war aus der Stadt auf Reise. |
1350 | Und still für sich sprach sie in dieser Weise,Verstörten Blick's mit blassem AngesichteDie Jammerworte, die ich Euch berichte:Ach!“ – rief sie – Dir, Fortuna, gilt mein Klagen!In Fesseln hast Du jählings mich geschlagen,Die zu zerreißen – weiß ich – nur der TodVermögend ist, da mir Entehrung droht;Und zwischen diesen zwei'n muß ich entscheiden.Jedoch viel lieber will ich Tod erleiden,Als meinen Leib durch Schande zu entweih'n, |
1360 | Oder durch Wortbruch sonst beschimpft zu sein.Doch jeder Schmach kann mich mein Tod entheben.Hat es nicht manches edle Weib gegebenUnd manches Mädchen, das den Tod erwählte,Eh' ihren Leib der Schande sie vermählte?Gewißlich! Das bezeugen diese Sagen.“Als Phidon in Athen beim Fest erschlagenVon jenen dreißig Mordtyrannen war,Da ließen der gefang'nen Töchter SchaarSie splinternackt zur Fröhnung ihrer Laster |
1370 | Vor sich erscheinen, daß sie auf dem Pflaster– Gott möge strafen solchen Uebermuth! –Vor ihnen tanzten in des Vaters Blut.Heimlich entrannen voller Furcht und SchreckenDie armen Mädchen, um nicht zu befleckenIhr Jungfernthum und – dem Berichte nach –Ertränkten sie sich in dem nächsten Bach.Es suchten sich in Sparta aus und nahmenEinst die Messenier fünfzig junge Damen,An ihnen ihre Fleischeslust zu stillen. |
1380 | Doch alle widerstanden ihrem Willen;Entschlossen trotzten alle dem GebotUnd gingen lieber freudig in den Tod,Als ihrem Mädchenthume zu entsagen.Warum soll ich denn vor dem Tode zagen?Sieh' den Tyrannen Aristoklides,Der einst geliebt die Maid Stymphalides.Zum Dianatempel floh sie in der Nacht,In welcher man den Vater umgebracht;Und um das Bildniß dieser Gattin schlang |
1390 | Die Arme sie; und selbst durch keinen ZwangZog man sie fort; sie hielt es fest umwunden,Bis durch Gewalt sie dort den Tod gefunden.War diesen Mädchen schmachvoll es erschienen;Der faulen Lust der Männerwelt zu dienen,Sollt' auch ein Weib – so denk' ich – lieber sterben,Als ihren Leib durch Unzucht zu verderben!Was sagt' ich nur vom Weib des Hasdrubal,Die sich den Tod gab bei Karthago's Fall?Sie sieht, das ganze Heer der Römer dringt |
1400 | Zur Stadt hinein, und mit den Kindern springtSie in das Feuer, und freiwillig endetIhr Leben sie, eh' sie ein Römer schändet.Starb nicht Lukretia auch durch eigne Hand,Als ihr Tarquin die Jungfernschaft entwandt?Sie dachte, daß ein Leben sonder EhreUnd guten Ruf die größte Schande wäre.Durch Furcht und Jammer wurden auch die siebenJungfrau'n Milesiens in den Tod getrieben,Damit kein Gallier ihre Unschuld raube. |
1410 | Und tausend von Geschichten – wie ich glaube –Könnt' ich erzählen von der gleichen That.So gab, als umgekommen Abradat,Sein Weib den Tod sich zu derselben Stunde,Und ließ in seine tiefe, weite WundeIhr Blut entströmen mit dem Wort: Nun kannMich fürderhin entehren nie ein Mann!“Was nützt es mehr, Exempel vorzutragen?Wie viele haben lieber sich erschlagen,Als ihres Leibes Schändung zu erleben. |
1420 | Drum besser ist's, mein Leben hinzugebenAls Ehr' und Unschuld. – Dies ist mein Beschluß:Getreu verbleib' ich dem Arviragus,Sollt' ich mein Leben auch mit eignen HändenWie jene Tochter des Demotion enden,Um nicht den Leib durch Schande zu entweih'n!O, Sedasus! mit welcher HerzenspeinLas ich von Deinen Töchtern, die sich alleDen Tod gegeben in dem gleichen Falle.Und tiefes Mitleid rief in mir hervor |
1430 | Die Maid von Theben, die um NicanorSich aus demselben Grunde nahm das Leben.So starb ein and'res Mädchen noch in Theben,Die, von den Macedoniern arg bedroht,Ihr Jungfernthum bewahrte durch den Tod.Was sag' ich von dem Weib des Nicerat,Die makellos blieb durch die gleiche That?So bot dem Alcibiades zu Liebe,Daß nicht sein Leichnam unbestattet bliebe,Sein treues Mädchen sich dem Tode dar. |
1440 | Seht, welch' ein Weib“ – rief sie – Alceste war!Hat nicht Homer Penelope genannt?Kennt ihre Keuschheit nicht ganz Griechenland?Steht nicht von Laodamia geschrieben,Daß sie, nachdem vor Troja's Wall gebliebenProthesilaus, sie sich selbst entleibt?Die edle Portia zu erwähnen bleibt;Sie konnte nicht getrennt von Brutus leben,Dem sie ihr ganzes, volles Herz gegeben.Von Artemisia's strengem Wittwenthum |
1450 | Spricht noch die ganze Barbarei mit Ruhm.Ein Spiegel bleibt, o, Teuta, Königin!Für alle Weiber stets Dein keuscher Sinn.“Ein bis zwei Tage weilte, also klagendUnd mit Gedanken an den Tod sich tragend,Schon Dorigene, bis die dritte NachtArviragus zu ihr zurückgebracht.Der würd'ge Ritter fand sie thränenschwerUnd forschte nach. Jedoch sie weinte mehrUnd mehr und sprach: Ach, daß ich je geboren! |
1460 | Ich habe“ – rief sie – so und so geschworen!“Und gab ihm kund, was ihr bereits vernommen.– Was kann es mir zu wiederholen frommen? –Doch heitern Blick's versetzte drauf ihr MannUnd redete mit Freundlichkeit sie an:Und ist das Alles, Dorigene? Sprich!“Ach, ach!“ – sprach sie – der Himmel schütze mich!Es ist zu viel! und wär' es Gottes Wille.“Nun, Weib!“ – sprach er – laß schlafen das in Stille.Noch heute mag's zum Guten sich gestalten; |
1470 | Doch meiner Treu! Dein Wort sollst Du ihm halten!Denn wie auf Gottes Gnade steht mein Hoffen,So wäre lieber ich zu Tod getroffen,Wie sehr ich Dir in Liebe zugewandt,Als daß Du brächest Ehrenwort und Pfand!Des Menschen Allerhöchstes ist sein Wort!“So sprach er unter Thränen und fuhr fort:Bei Todesstrafe bleibt es Dir verwehrt,So lang' Du athmest und Dein Leben währt,Von Deinem Unglück Jemandem zu sagen; |
1480 | Wie ich mein Leid nach bester Kraft will tragen,Darf man aus keiner Schmerzensmiene jeErrathen können Deines Herzens Weh!“Den Junker und die Zofe rief er dann.Bringt Dorigene“ – sprach er beide an –Sogleich zu dem ihr mitgetheilten Ort!“So nahmen Abschied sie und gingen fort.Doch weder von dem Zwecke, noch dem GrundeErhielten sie von Dorigene Kunde.Der Zufall aber war Aurelius günstig, |
1490 | Und dieser Junker, welcher liebesbrünstigNach Dorigene schmachtete, traf gradeMit ihr zusammen, als auf nächstem PfadeSie durch die Stadt, wie sie Befehl empfing,Mit raschen Schritten nach dem Garten ging.Und zu demselben Garten ging auch er.Er hatte lang' gelauert schon vorher,Ob sie ihr Haus, um auszugeh'n, verlasse,Und traf sie so durch Zufall auf der Gasse.Er grüßte sie vergnügt und guter Dinge |
1500 | Und frug, wohin und welchen Weg's sie ginge?Sie aber sprach mit halb verwirrtem Sinn:Zu jenem Garten schickt mein Mann mich hin,Dir Wort zu halten! – Weh' mir, daß ich's muß!“Verwundert hörte dies Aurelius,Und es begann sein Herz bei ihren KlagenIn tiefem Mitgefühl für sie zu schlagen,Wie für Arviragus dem würd'gen Ritter,Der Wort zu halten ihr befahl, so bitterEr seines Weibes Opfer auch empfand. |
1510 | Und so erwog, von Mitleid übermannt,Aurelius, daß er in dieser LageWeit besser seines Fleischeslust entsage,Als daß er eine Schurkerei vollbringe,Die gegen Anstand, gegen Ehre ginge.Mit kurzen Worten sprach er drum zu ihr:Madam! sag' dem Arviragus von mir,Dieweil ich seinen Edelmuth erkannt,Und so verzweiflungsvoll Dich selber fand,Dieweil er dulden wolle lieber Schmach, |
1520 | Als daß Du brächest, was Dein Wort versprach,So wollt' auch ich weit lieber ewig leiden,Als wie die Liebe stören von Euch Beiden.Empfange, werthe Frau, in Deine HandZurück ein jedes Jawort, jedes Pfand,Das Du zuvor in Deinem ganzen LebenVom Tage der Geburt an mir gegeben.In keiner Weise will ich durch ein WortDich jemals tadeln. – Und so scheid' ich fortVom besten, treusten Weibe, das ich fand |
1530 | Und während meines Lebens je gekannt.– Doch künftig mögen, wenn ihr Wort sie schenken,Die Frau'n zuvor an Dorigene denken. –Nur ohne Furcht! – Gewiß ein Junker kannSo edel handeln, wie ein Rittersmann!“Ihm dankend, fiel sie auf die Kniee nieder,Und eilte heim zu ihrem Gatten wieder,Dem sie, was ihr vernommen habt, erzählte.Doch meiner Treue! wie ihn das beseelteIst mir unmöglich, näher zu beschreiben. |
1540 | Was soll ich länger bei der Sache bleiben?Es lebte fort im seligsten GenußFrau Dorigene mit Arviragus.Kein Zwiespalt trennte Beide fürderhin,Er ehrte sie wie eine Königin,Und ihm getreu blieb sie auf immerdar.Mehr hört ihr nicht von diesem Ehepaar.Den Tag verfluchte, welcher ihn geboren,Aurelius, der all sein Geld verloren.Ach!“ – rief er – ach! daß ich versprochen habe |
1550 | Eintausend Pfund von reinem Gold als GabeDem Philosophen! – Wie schaff' ich es an?Ich bin – das seh' ich – ein verlor'ner Mann!Mein ganzes Erbgut muß ich jetzt verkaufen,Ich bin ein Bettler, muß von dannen laufen,Um meine Sippe hier nicht zu beschämen!Vielleicht jedoch kommt es zum Einvernehmen,Wenn ich versuchen will, ihm vorzuschlagen,Von Jahr zu Jahr die Schulden abzutragenMit bestem Dank für die Gefälligkeit; |
1560 | Dann lüg' ich nicht und halte meinen Eid.“Zum Koffer ging er mit betrübtem Sinn,Und trug sein Gold zum Philosophen hin;Fünfhundert Pfund an Werth war's – wie ich denke –Und bat, daß er die Frist ihm freundlich schenke,Um nach und nach das fehlende zu zahlen.Nicht will ich, Meister!“ sprach er – damit prahlen,Doch hielt ich stets, wozu ich mich verpflichtet,Und sicherlich wird nach und nach entrichtet,Was ich Dir schulde, mag, was will, gescheh'n, |
1570 | Und sollt' ich auch im Hemde betteln geh'n.Jedoch, gewährtest Du auf SicherheitVielleicht zwei Jahre oder drei mir Zeit,Wär' es mir lieb. – Doch willst Du es verweigern,Wohlan! – so muß mein Erbgut ich versteigern!“Der Philosoph gab Antwort ihm indessenAuf diese Weise ruhig und gemessen:Hielt etwa ich an unserm Pakt nicht feste?“Gewiß“ – sprach er – getreulich und aufs Beste!“Und war die Dame, die Du liebst, nicht Dein?“ |
1580 | Nein!“ – rief er sorgenvoll erseufzend – nein!“Aus welchem Grunde? – Wenn Du darfst, sag' an!“Worauf Aurelius den Bericht begannUnd ihm erzählte, was Ihr schon vernommen;Es nützt zu nichts, darauf zurück zu kommen.Er gab ihm kund: wie ritterlich sein LeidArviragus zu tragen sei bereit,Wenn sie ihr Wort nur halte, das sie binde;Wie schmerzlich Dorigene dies empfindeUnd lieber ihrem Leben gleich entsage, |
1590 | Als daß sie sich als schlechtes Weib betrage.Wie unschuldsvoll, da solche ZaubereiSie nie geahnt, ihr Wort gegeben sei.Und da“ – sprach er – ich Mitgefühl empfand,So schickt' ich, ganz wie er sie mir gesandt,Sie ihm freiwillig auch zurück ins Haus.Mehr weiß ich nicht; denn damit ist es aus.“Der Philosoph sprach: Bruder! laß Dir sagen,Ihr Beide habt Euch ehrenwerth betragen,Du als ein Junker, er als Rittersmann! |
1600 | Doch, ohne Sorgen! – auch ein Schreiber kannSo gut wie Ihr beweisen seine Ehre– Und Gott verhüte, daß es anders wäre! –Herr! ich verzichte auf die tausend Pfund,Als ständest Du, soeben aus dem GrundHervorgekrochen, unbekannt vor mir.Nicht einen Pfennig nehm' ich an von DirFür meine Kunst und alle Müh' und Last!Da Du bezahlt für meine Nahrung hast,So ist's genug! – Lebwohl!“ – und mit dem Wort |
1610 | Bestieg er seinen Rappen und ritt fort.Nun aber, Herren! laßt mich Euch befragen:Wer hat sich hier am Edelsten betragen?Was dünkt Euch? – Sprecht! bevor ihr weiter zieht.Ich weiß nichts mehr! – Zu Ende ist mein Lied. |