Adolf von Düring
1880
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Die Canterbury-Erzählungen
Fragment V
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Erzählung des Junkers.Vers 9 - 706
Zu Sarra lebte im Tartarenland | |
10 | Ein König, welcher oft in Fehde standMit Rußland; wodurch mancher brave MannZu Tode kam. – Man nannte CambuscanDen edlen König, der zu seiner Zeit,Wie Keiner sonst berühmt war weit und breit. –In jeder Hinsicht von erprobtem Werth,Gebrach ihm nichts, was einen König ehrt,Als daß in anderm Glauben er geboren.Fest hielt er am Gesetz, das er beschworen,Und dabei war er weise, kühn und reich, |
20 | Gerecht und mild und blieb sich darin gleich;Treu seinem Wort, stets ehrenhaft und gutUnd wie der Schwerpunkt stät und fest an Muth;Jung, frisch und stark, voll Lust zu Kampf und Strauß,Wie kaum ein Ritter sonst aus seinem Haus;Von Ansehn schön, vom Glücke reich bedacht,Entfaltete er königliche PrachtAn seinem Hofe, wie kein andrer Mann.Der edle Tartarkönig CambuscanBesaß zwei Söhne – Algarsif der eine, |
30 | Der jüngere Camballo – welche seineGemahlin Elfeta zunächst gebar;Jedoch das jüngste Kind des Königs warEin Töchterlein, mit Namen Canace,Die größte Schönheit. – Aber ich gesteh',Daß mir die Kunst, sowie die Zunge fehlen,Von so erhabnen Sachen zu erzählen.Mein Englisch ist nicht gut genug bestellt.Der erste Redner selber von der Welt,Dem jede Farbe für die Kunst bekannt, |
40 | Brächte die Schilderung kaum zum Theil zu Stand;Der bin ich nicht, ich rede, wie ich kann.Und es geschah, als dieser CambuscanSein Diadem getragen zwanzig Jahr,Daß er, wie jährlich – denk' ich – Sitte war,Ausrufen ließ in Sarra allerwärts,Am letzten Idus würd' im Monat MärzIn diesem Jahre sein Geburtstag sein.Phöbus entsandte seinen hellen Schein,Ganz nah' vom Standpunkt der Exaltation, |
50 | Mars gegenüber, der in der MansionDes Widders stand, dem zornig heißen Bilde.Höchst freundlich war die Witterung und milde.Der Sonn' entgegen sangen DankesliederMit lauter Stimme schon die Vögel wiederBeim Nah'n des Frühlings in dem frischen Grün,Durch sie geschützt fortan, wie's ihnen schien,Vorm scharfen Schwert der kalten Winterzeit.Bediademt, in reichem KönigskleidSaß Cambuscan, von dem die Rede schon, |
60 | In dem Palaste hoch auf seinem ThronUnd feierte sein Fest mit Prunk und Prangen,Wie auf der Welt kein zweites ward begangen.Kaum reichte hin, von aller Pracht zu sagen,Der längste Tag von allen Sommertagen.Doch scheint es mir nur wenig von Belang,Die fremden Schüsseln und jedweden Gang,Sowie die Tafelordnung zu erwähnen.Noch red' ich von den Reihern und den Schwänen,Noch von dem Fleische, das als Leckerbissen |
70 | – Wie alte Ritter mitzutheilen wissen –Im Lande galt, wird's auch von uns verschmäht.Denn keinen Menschen giebt es, dem's geräth,Dies zu beschreiben. – Morgenzeit ist hin,Und da nur Zeitverlust und nicht GewinnEs bringen kann, so eil' ich fortzufahren.Als so drei Gänge aufgetragen waren,Indeß dem Spiel und köstlichem GesangDer Minnesänger, der bei Tisch erklang,Der König lauschte, und vom Adel Alle, |
80 | Ritt durch das Thor urplötzlich in die HalleEin Ritter, der auf einem Rosse saßVon blankem Stahl. – Er trug ein SpiegelglasIn seiner Hand und einen goldnen RingAm Finger, und an seiner Seite hingEin nacktes Schwert. – Und als er näher ritt,Ward in der Halle Jeder stumm; denn mitVerwundrung blickten hin auf die GestaltDes Rittersmanns geschäftig Jung und Alt.Der bis aufs Haupt vom reichsten Panzerhemde |
90 | Umhüllte, plötzlich eingetretne FremdeBegrüßte König, Königin und alleDie Ritter ehrerbietig in der HalleDem Rang gemäß nach höfischem GebrauchIn Wort und Haltung. – Käme selber auchZur Erde wieder aus dem Land der GeisterGawain, der alte Ceremonienmeister,Fürwahr, verbessern könnt' er nicht ein Wort.Der Ritter nahte sich dem Thron sofortUnd gab in seiner Sprache männlich laut, |
100 | Die Botschaft wieder, die ihm anvertraut,Nach Laut und Silbe, ohne jeden Fehler;Es gab durch seinen Vortrag der ErzählerVielmehr den Worten ihren besten Werth,Wie es die Kunstform der Rhetorik lehrt.Doch mir wird, ach! sein Redestil zu sauer.Ich überklimme nicht so hohe Mauer,Doch sag' ich dieses, damit Jeder klarErsehe, was der Sinn der Rede war,Soweit es mein Gedächtniß noch behält: |
110 | Arabiens König, Indiens Herr bestellt“– So hub er an – zu Deinem EhrentagDir Grüße, wie er bestens kann und mag,Und sendet Dir zu dieser FestlichkeitDurch mich – der stets zu Deinem Dienst bereit –Dies Roß von Erz, das leicht, sowie bequemIn Zeit von einem Tage – unter demHier vierundzwanzig Stunden sind gemeint –Ob's regnet, oder ob die Sonne scheint,Wenn Dir's gefällt, nach jedem Ort Dich trägt, |
120 | Wohin Dein Herz zu reiten Neigung hegt,Durch Dick und Dünn, und ohne zu versagen.Es wird auf Wunsch Dich in die Lüfte tragen,Hoch wie der Adler sich im Fluge schwingt.Wohin Du willst, ans Ziel trägt unbedingtDich dieses Roß, und ohne Furcht vor TückenMagst schlafen Du und ruh'n auf seinem Rücken.Es kehrt zurück, berührst Du einen Knopf.Der es gemacht hat, war ein schlauer Kopf,Und wußte durch Constellation von Sternen |
130 | Für das Getriebe Manches zu erlernen,Und kannte manches Band und manches Siegel.Auch halt' ich den Händen einen SpiegelVon solcher Kraft, daß Du mit einem BlickDarin erspäh'st jedwedes Mißgeschick,Das Dir bevorsteht, oder Deinem Reich;Und Freund und Feind erkennst darin Du gleich.Und überher zeigt noch der Spiegel an,Ob, wenn ein schönes Fräulein einen MannIhr Herz geschenkt hat, dieser Falschheit sinne, |
140 | Und was er plane, wen aufs Neue minne;So offenbar wird jede Heimlichkeit.Weßhalb ich jetzt zur lust'gen SommerzeitVon meinem Herrn den Spiegel sammt dem RingeHier Deiner Tochter zum Geschenke bringe,Der edlen Dame voller Trefflichkeit.Der Ring – sofern Ihr's hören wollt – verleihtDie Kraft, daß, wenn am Daumen sie ihn trägt,Auch, falls sie will, in ihre Börse legt,Von jedem Vogel unterm Himmelsdache |
150 | Sie auch sofort verstehen kann die Sprache;Und klar wird ihr der Sinn von ihren Liedern,Und sie kann in derselben Art erwiedern.Auch alle Kräuter, so aus Wurzeln sprießen,Kennt sie und kann mit ihnen Wunden schließen,Wie groß auch deren Tiefe sei und Weite.Und dieses nackte Schwert an meiner SeiteHat solche Kraft, daß, wenn ein Mann es schwingt,Sein Hieb sofort durch jeden Harnisch dringt,Wär' er selbst stärker, als die stärkste Eiche. |
160 | Und, wenn ein Mann verwundet ist vom Streiche,Wird er – sofern es Dir beliebt – nie heil,Falls mit des Schwertes Fläche Du den TheilNicht streicheln willst, wo seine Wunden fließen.Das heißt: die Stelle wird sofort sich schließen,Berührst Du sie mit Deinem flachen Schwert.Das ist die Wahrheit, und der Zauber währt,So lang' das Schwert Du führst in Deinen Händen.“Hier ließ der Ritter seinen Vortrag enden,Ritt aus der Halle dann zum Hof hinein |
170 | Und stieg vom Roß, das ruhig, wie aus SteinGehauen, dastand hell wie Sonnenschimmer.Der Ritter legte dann in einem ZimmerDie Rüstung ab, worauf er in die HalleZur Tafel ging. – Aus kostbarem MetalleWaren die Gaben, nämlich, Schwert und Spiegel,Die durch erwählte Diener unter RiegelIm Hauptthurm zu bewahren man befahl.Der Ring jedoch ward feierlich beim MahlSogleich der Dame Canace verehrt. |
180 | Doch unbeweglich stand das Eisenpferd– Ich fab'le nicht, die Wahrheit spricht mein Mund –Auf seinem Platz, wie festgeleimt am Grund.Von seinem Fleck es Niemand treiben kann;Sie wenden Hebel, Winden, Schrauben an.Vergebens! – Da der Kunstgriff nicht bekannt,So blieb das Roß am Platze, wo es stand,Bis später die Bewegung von dem PferdeDer Ritter zeigte, wie ich melden werde.Es wogte hin und her das Volksgedränge, |
190 | Das Pferd begaffend, das von solcher Länge,So breit und hoch war, aber EbenmaßTrotz aller Kraft und Stärke doch besaß.Vollkommen roßgleich war es, und dabeiVon Blick so feurig, wie die LombardeiMitsammt Apulien nur ein Pferd geboren.Es könne von dem Schweif bis zu den OhrenIn keiner Art verbessern die ErscheinungNatur noch Kunst – so war des Volkes Meinung.Doch galt als größtes Wunder allerwärts, |
200 | Daß gehen könne dieses Pferd von Erz;Ein Feeenspuk erschien dem Volk zumeist es.Doch soviel Köpfe, soviel Sinne“ heißt es,Und eine Meinung kann nicht Jedem dienen.Sie murmelten gleich einem Schwarm von Bienen,Denn ihre Kraft der Einbildung war rege;In alten Liedern fanden sie Belege;Es sei der Gaul ganz gleich dem Pegasus,Dem Flügelrosse, war der Einen Schluß;Doch Andre sagten, es sei Sinon's Pferd, |
210 | Des Griechen, durch das Troja ward zerstört,Wie dies aus alten Büchern man vernommen.Mein Herz“ – sprach Einer – ist stets angstbeklommen.Bewaffnet Volk – so glaub' ich – steckt darinUnd hat die Plündrung unsrer Stadt im Sinn.Mir schien' es gut, wär' Alles erst bekannt!“Und leise sprach, zum Nachbar hingewandt,Ein Anderer: Er lügt! Mir scheint vielmehr,Als ob Magie dabei im Spiele wär',Wie Taschenspieler sie auf Festen zeigen!“ |
220 | So zweifelten und schwätzten sie, wie's eigenDem Pöbel ist in seiner Allgemeinheit,Der stets bei Dingen, die mit größrer FeinheitGemacht sind, als sein schmales Hirn versteht,Auch auf das Schlimmste gern zunächst geräth.In andern Gruppen man vom Spiegel sprach,Der aufbewahrt im starken Thurme lag,Verwundert, daß er solche Dinge künde.Doch kannte dieser oder der die Gründe:Man könne durch die Winkabstellung schlau |
230 | Die Reflexion berechnen ganz genau;Sei doch in Rom ein solches Glas zu seh'n.Vitellon – sagten sie – und AlhazenUnd Aristoteles beschrieben schonDie Perspectiven und die Reflection,Was Lesern ihrer Schriften sei bekannt.Auch an dem Schwert man viel zu wundern fand,Das Kraft besaß, durch jedes Ding zu stechen.Man kam auf König Telephus zu sprechen,Und auf Achilles mit dem Zauberspeer, |
240 | Der heilen konnte, wie verwunden schwer,Ganz in derselben Weise wie das Schwert,Von dessen Kraft soeben Ihr gehört.Sie sprachen über Härtung von MetallUnd die Verfahren, die man überallAnwenden könne, solches fest zu machen.Doch mir sind dieses unbekannte Sachen.Von Canace besprachen sie den RingUnd sagten: solch' ein wunderbares DingVon Zauberei sei etwas namenloses. |
250 | Sie wußten nur, daß Salamo und MosesSich hohen Ruhm in dieser Kunst gewannen.Und also redend, zog das Volk von dannen.Merkwürdig – meinten Einige – sei, daßAus Farrnkrautasche man bereite Glas,Da beides doch so ganz verschieden sei.Doch bald war das Geschwätz davon vorbei;Als Wunder galt nicht, was den Meisten kund.Höchst räthselhaft erschien des Donners Grund,Der Jungfernsommer, Nebel, Ebbe, Fluth, |
260 | Und was noch sonst bislang im Dunkel ruht.So schwatzten sie und meinten Allerhand,Bis von der Tafel auf der König stand.Vom Mittagswinkel wandte Phöbus sich– Doch ascendirte dabei königlichDer edle Löwe mit dem Aldrian –Als dieser Tartarkönig CambuscanDie Tafel aufhob und vom Throne dann– Die Sänger und Trompeter ihm voran –Zum Prunksaal ging, wo Instrumentenklang |
270 | Sofort erscholl; und wem's zu Ohren drang,Der wähnte sich ins Himmelreich versetzt.Tanzt, liebe, lust'ge Venuskinder, jetzt!Denn freundlich blickt der Liebe Königin,Hoch in den Fischen thronend, auf Euch hin.Der edle König, hoch zu Thron im Saal,Den fremden Ritter zu sich her befahl,Der bald im Tanz mit Canace sich schwang.Nun herrschte Lust, nun schallte Jubelklang!Doch das beschreibt uns nicht, wer trüb gesinnt. |
280 | Nur wer im Dienst der Liebe selber minnt,Ein Lebemann, frisch wie der Mai und jung,Kann unternehmen diese Schilderung.Doch wer vermag das Bild Euch zu entfaltenVon fremden Tänzen, frischen Frau'ngestalten,Die Liebesgrüße mit verstohl'nen Blicken,Der Gatten Eifersucht befürchtend, nicken?Ich überschlag' es; denn nur LancelotKann das beschreiben; aber der ist todt.Ich sage nichts. – In froher Lust indessen |
290 | Laß ich sie weilen bis zum Abendessen.Es heißt, derweil die Instrumente klingen,Der Tafelmeister Wein und Speisen bringen.Es eilen fort die Junker und Lakai'n;Man trägt die Schüsseln auf, man bringt den Wein,Man ißt, man trinkt und nach dem Essen gehtMan schicklich in den Tempel zum Gebet,Um dann aufs Neu' den ganzen Tag zu zechen.Jedoch, was nützt es, von dem Glanz zu sprechen?Bekanntlich giebt's auf einem Königsfeste |
300 | Für Hoch und Niedrig Viel und stets das BesteAn – was weiß ich, wie manchen – Leckerei'n.Gleich nach dem Schmause nahm im AugenscheinDer edle König mit dem ganzen TroßVon Herr'n und Damen jenes Eisenroß;Und so bewundert ward das Pferd von Allen,Daß seit der Zeit, da Troja einst gefallen,Und Menschen staunend auf ein Roß geschaut,Kaum die Verwundrung wurde je so laut.Doch schließlich bat der König, daß erklärt |
310 | Vom Ritter ihm die Tugend von dem PferdUnd seine Kraft und seine Leitung werde.Gleich hob das Roß sich trippelnd von der Erde,Sobald der Rittersmann erfaßt den Zaum.Herr!“ – sprach er dann – es braucht der Worte kaum.Wohin Du willst, der Ritt von Statten geht,Wenn man den Knopf in seinem Ohre dreht.Sind wir allein, will ich Dir Alles zeigen.Auch darfst Du Land und Ort ihm nicht verschweigen,Wohin den Ritt nach Deiner Wahl Du lenkst; |
320 | Und bist Du da, wo Du zu bleiben denkst,Gieb ihm Befehl; und daß es niederfliegt,Dreh' an dem andern Knopfe. – Darin liegtDie ganze Kunst. – Gehorsam allsofortSteigt es hernieder und bleibt still am Ort.Mag alle Welt das Gegentheil besagen,Nicht fort zu zieh'n ist's und nicht fort zu tragen.Und willst Du weiter reiten, nun, so drückeAn diesen Knopf, und gleich im AugenblickeIst es entschwunden dem Gesicht von Allen. |
330 | Bei Tag und Nacht steigt wieder nach GefallenEs auch herab, rufst Du es in der Art,Wie unter uns Dir näher offenbartNoch werden soll in kurzer Zeit. – Und nunReite nach Lust; denn mehr giebt's nicht zu thun!“Nachdem vom Ritter unterwiesen warDer König, und nach Form und Art ihm klarGeworden war das Triebwerk auf das Beste,Kehrte vergnügten Sinnes er zum FesteNunmehr zurück. Die Zügel aber ließ |
340 | Er aufbewahren in dem Thurmverließ.Bei den Juwelen von besonderm Werth.Aus Aller Blick jedoch entschwand das Pferd.Ich weiß nicht wie? Von mir bringt Ihr herausFür jetzt nichts mehr. – Ich lasse froh beim SchmausSich Cambuscan mit seinen Herr'n behagen,Bis daß der Morgen fast beginnt zu tagen.[Hier endet der erste Teilund der zweite folgt.]
Schlaf, der Verdauung Amme, fing zu winkenUnd zu warnen an, daß man nach vielem Trinken,Wie nach der Arbeit, Ruhe suchen müsse, |
350 | Und schenkte Jedem, gähnend seine Küsse,Und sprach: Die höchste Zeit ist, daß Ihr ruht,Denn dominirend ist bereits das Blut,Und diesen Freund des Fleisches hegt und pflegt.“Zum Danke zwei- bis dreimal gähnend, legtZu Bett sich Jeder, denn die beste WahlSchien, das zu thun, was ihnen Schlaf befahl.Was sie geträumt, kann ich zu melden sparen,Da ihre Köpfe so umnebelt waren,Daß sie nur Träume hatten ohne Sinn. |
360 | Die Meisten schliefen bis zum Mittag hin;Jedoch nicht Canace, die nach den SittenDer Frauenwelt das Maß nicht überschritten,Und von dem Vater ihren Abschied nahmUnd schlafen ging, sobald der Abend kam;Denn ungern wäre sie mit bleichen MienenAm nächsten Morgen unfestlich erschienen.Bald lag im ersten Schlummer sie, doch wachteDann wieder auf; denn ihrem Herzen machteSo große Freude Spiegelglas und Ring, |
370 | Daß zwanzigmal die Farbe kam und ging,Und Traumvision ihr stets den Spiegel wies,Der solchen mächt'gen Eindruck hinterließ.Als daher kaum die Sonne aufging, riefSie ihre Pflegerin, die bei ihr schlief,Und sprach: sie habe Lust sich zu erheben.Wie alte Frau'n sich gern den Anschein gebenBesondrer Weisheit, frug die PflegerinHierauf zunächst: Madam, wo wollt Ihr hin,So früh am Tage? – Noch schläft Jedermann!“ |
380 | Ich will“ – sprach sie – da ich nicht schlafen kannUnd länger schlafen mag, spazieren geh'n.“Gleich sprangen auf von ihren Frauen zehnBis zwölfe, wie die Pflegerin gebot.Auch Canace erhob sich, frisch und roth,Der jungen Sonne gleichend, die am PfadeDes Himmels eben bis zum vierten GradeDes Widders klomm, als sie schon fertig standUnd in das Freie leichten Schritts entschwand,Für Spiel und Wanderung vom luft'gen Kleid |
390 | Umflattert in der lustig süßen Zeit.Doch von der Frauenschaar nahm sie alleinFünf oder sechs mit in den Park hinein.Durch Nebeldunst, der aus der Erde quoll,Erschien die Sonne roth und breit und voll;Jedoch ein Schauspiel war's voll Herrlichkeit.Und in der morgenfrischen FrühlingszeitSchlug ihr das Herz erleichtert, als der SangDer Vogelstimmen ihr zu Ohren drang,Denn Meinung und Bedeutung konnte sie |
400 | Sofort erkennen aus der Melodie.Man sollte nie, hat man was mitzutheilen,So lange bei der Knotenschürzung weilen,Bis wir bei denen, die uns reden hören,Die Lust ertödten und den Reiz zerstören.Denn wird zu viel und gar zu breit geschwätzt,Verfliegt der Duft. – Und darum will ich jetztMich gleich zum Knoten der Erzählung wenden,Und lasse hiemit ihre Wandrung enden.Wo Canace im grünen Waldesraum |
410 | Lustwandelte, saß hoch auf einem Baum,Der dürr und trocken war und weiß von Schein,Wie Kreide, eine Falkin, deren Schrei'nIm ganzen Walde kläglich wiederscholl;Und die mit ihren Flügeln jammervollSich selbst zerschlug, bis daß von rothem BluteDer Baumstamm troff, auf dem der Vogel ruhte,Der immerfort erbärmlich schrie und kreischte,Und mit dem eignen Schnabel sich zerfleischte.Ein Tiger hätte, der im Walde schweift, |
420 | Ein wildes Thier, das durch die Dickung streift,Wenn ihnen Thränen nicht Natur versagte,Geweint aus Mitleid, als so laut sie klagte.Zwar Mancher weiß die Schildrung uns zu gebenVon einem Falken. Doch es hat im LebenBislang kein einz'ger Mann, wohl einen gleichen,So schöngeformten, so gefiederreichen,So ganz vollkommnen Vogel je gekannt.Ein Pilgerfalke schien's aus fremdem Land,Doch jetzt durch Blutverlust geschwächt und kaum |
430 | Mehr bei Besinnung, so daß, auf dem BaumSich festzuhalten, länger nicht vermocht' er.Und Canace, die schöne Königstochter,Die an dem Finger trug den Zauberring,Durch den sie Kraft besaß, ein jedes Ding,Von dem ein Vogel spricht in seinen Liedern,Klar zu versteh'n und darauf zu erwiedern,Vernahm auch, was die Falkin zu ihr sprach,Durch deren Jammer fast das Herz ihr brach.Rasch zu dem Baume wandte sie den Lauf |
440 | Und blickte mitleidsvoll zum Vogel auf,Und breitete den Schooß aus, wohl bewußt,Er falle durch den vielen BlutverlustBei nächster Ohnmacht sicher von dem Aste.In der Erwartung stumm verharrend, paßteSie länger auf, bis sie das Schweigen bannteUnd sich zur Falkin mit den Worten wandte:Was ist der Grund – darfst Du es mir erzählen –Daß Dich so grimme Höllenschmerzen quälen?“– So sprach zum Vogel droben Canace. – |
450 | Ist's Todesangst, verschmähter Liebe Weh?Denn – wie mich dünkt – entspringt aus diesen beidenFür edle Herzen wohl das schwerste Leiden.Von anderm Harme brauch' ich nicht zu sprechen;Daß Du versuchst, Dich an Dir selbst zu rächen,Beweißt es klar, Haß oder Furcht alleinKann Deiner grausen That Beweggrund sein.Doch seh' ich nirgends den Verfolger kommen.Bei Gottes Liebe, Dir zum eignen Frommen!Wie kann ich helfen? Rede, sprich zu mir! |
460 | In Ost und West sah Vogel oder ThierIch nie zuvor, dem solches Leid geschah.Fürwahr, mir gehen Deine Sorgen nah.Von Mitleid ist für Dich mein Herz erfaßt.Um Gottes Willen, komm herab vom Ast!So wahr ich eine Königstochter bin,Machst Du mich mit dem Grund bekannt, worinDein Leiden wurzelt, kann ich, eh' die NachtHerniedersinkt, Dich heilen, will mit MachtUnd Weisheit Gott mich gütig unterstützen. |
470 | Ich finde manche Kräuter, die Dir nützen,Und Deine Wunden heilen rasch und sicher!“Jedoch die Falkin schrie nur jämmerlicher,Als je zuvor, stürzte zu Boden undLag regungslos, still wie ein Stein, am Grund;Bis Canace in ihren Schooß sie nahm,Wo ihr Bewußtsein schließlich wiederkam,Und sie, sich dann erholend nach und nach,In Falkenzunge diese Worte sprach:Daß Mitleid rasch ein edles Herz bewegt, |
480 | Da fremder Schmerz ihm selber Schmerz erregt,Kann jeder Tag beweisen, und es stehtFest durch die That, wie durch Autorität.Denn edlen Sinn zeigt stets ein edles Herz.Drum überwältigt auch bei meinem SchmerzDich Mitleid, meine schöne Canace!Die reinste Frauenliebe – wie ich seh' –Ist Deines Thuns Beweggrund von Natur.Nicht weil ich Heilung hoffe, sondern nurDem zu entsprechen, was Dein Herz begehrt, |
490 | Und daß mein Beispiel Andere belehrt– Ward doch der alte Leu gewarnt vom jungen –Aus diesen Gründen, diesen FolgerungenWill ich auch Dir, so lang' vor meinen ScheidenMir Zeit gegönnt ist, beichten meine Leiden.“So klagte sie in ihrer Sorgen Last,Und hin in Thränen schmolz die Andre fast,Bis sie die Falkin endlich schweigen hieß,Die, tief erseufzend, sich vernehmen ließ:Geboren ward ich – weh', daß je getagt |
500 | Der Morgen mir! – wo hoch ein Felsen ragtVon grauem Marmor, und in ZärtlichkeitHerangepflegt, vor Harm beschützt und Leid,Bis himmelan zu fliegen ich gelernt.Ein Sperber wohnte von mir nicht entfernt,Von edlem Ansehn, aber in der ThatNur voller Tücke, Falschheit und Verrath.Dem Scheine nach voll Offenheit verbargIm Demuthsmantel er des Herzens Arg;Stets dienstbeflissen und verbindlich schien er, |
510 | Und nichts verrieth in ihm den Augendiener;Von Grund aus echt hielt Jeder seine Farben.Wie eine Schlange, unter BlumengarbenVersteckt, zum Biß erspäht die rechte Zeit,Verstand mit höflicher GeschmeidigkeitEs dieser Gott der Heuchelliebe auchDem Scheine nach zu wahren Form und Brauch,Wie ehrenhafte Liebe dies verlangt.Gleich wie ein Grab, das schön von Außen prangt,Die Leiche birgt, wie Jeder von Euch weiß, |
520 | War dieser Heuchler beides, kalt und heiß;Und so kam er zum Zweck; doch Niemand ahnte,Als nur der Teufel, was er sann und plante.Nachdem er weinend, klagend Jahr und ZeitSich meinem Dienste scheinbar ganz geweiht,Wodurch mein Herz, das mitleidsvoll sich regte,Von der Erzbosheit niemals Ahnung hegte,Gab ich, von Furcht um seinen Tod bezwungen,Auch seine Schwüre und VersicherungenIhm unter der Bedingung meine Liebe, |
530 | Daß Ruf und Ehre mir erhalten bliebeWie im Geheimen, so auch öffentlich;Das heißt: ich gab, wie er's verdient um mich,Gedanken, Herz und Alles ihm dahin– Doch Anderes trug er – weiß Gott – im Sinn –Und schenkte für sein Herz das meine fort!Lang' ist es her. – Doch wahr bleibt stets das Wort:Ein Ehrenmann denkt anders, wie ein Dieb.Kaum sah er, wie es stand; wie ihm zu liebIch seiner Minne völlig mich ergeben |
540 | In solcher Weise, wie erzählt soeben,Und ihm mein treues Herz geschenkt so frei,Wie er mir schwur, daß sein's mein eigen sei,Als dieses zweigezüngte TigerthierAuf seine Knie sich niederwarf vor mirSo voller Demuth und so ehrfurchtsreich,Ganz den verliebten Edelleuten gleich,Entzückt – wie's schien – und voller Freudigkeit,Wie Paris kaum und Jason ihrer Zeit.Wie Jason? – Nein! wie niemals sonst ein Mann |
550 | Seit Lamech, der zu allererst begannZweiweiberei, wie aus der Schrift erhellt,Nein! nie zuvor, seit Adam kam zur Welt,War an Verstellungskunst, die er verstand,Der zwanzigtausendfachste Theil bekannt.Es löste Niemand ihm die Schuh', sobaldEs zu berücken und zu heucheln galt.Er dankte mir, wie Keiner je geschehen,Und Himmel war es, ihn nur anzusehen.Gewiß, das klügste Weib hätt' er berückt, |
560 | So schön war er geputzt, so reich geschmückt,So wohl gesetzt sein Wort und sein Betragen.Wie konnt' ich drum ihm meine Lieb' versagen?Er schien so treu und wahrgesinnt von Herzen!Ja, drückten ihn nur die geringsten Schmerzen,So fühlt' ich auch, sobald es mir bewußt,Die größte Todesqual in meiner Brust.Und kurz und gut, so ging es weiter fort;Sein Wille war der meine; seinem Wort– Will das besagen – gab ich nach beständig |
570 | In allen Dingen, die nicht unverständig;Und meinem Bunde bin ich treu geblieben.Nichts liebt' ich so, Nichts konnte mehr ich lieben,Als ihn – weiß Gott! – und werd' es nun und nimmer!Ein bis zwei Jahre schwanden, aber immerHatt' ich das Beste nur von ihm gedacht.Doch endlich zwang ihn des Geschickes MachtZur Wanderung und trieb ihm von dem Ort,Wo ich gelebt, und meiner Seite fort.Wie weh' mir war, mag unerörtert bleiben. |
580 | Es läßt sich das nicht malen und beschreiben.Indessen offen darf ich eines sagen,Daß Todesschmerzen ich um ihn getragen,So sehr fühlt' ich der Trennung bittren Gram!Es kam der Tag, an dem er Abschied nahmSo voller Sorgen, daß ich sicherlichDer Meinung war, er litte so wie ich.Mir schwand bei seinem Anblick, seinem WortAn seiner Treue jeder Zweifel fort,Und wohl mit Recht konnt' ich die Hoffnung nähren, |
590 | Er würde heim nach kurzer Weile kehren;Vernunft allein gebiet' es ihm zu gehen,Und seine Ehre – wie das oft geschehen.So macht' ich Tugend aus Nothwendigkeit,Verbarg die Sorgen und ertrug, so weitIch Kraft besaß, was nicht zu ändern stand;Schwur ihm bei St. Johannes in die HandUnd sprach: Von ganzer Seele bin ich Dein!Sieh', wie ich war, so werd' ich immer sein!Was er darauf erwiedert, schlag' ich über. |
600 | Wer konnte falscher sprechen und wer lieber?Er that mir schön, und damit war es aus.Nun, wer mit einem Teufel sitzt beim Schmaus,Muß lange Löffel haben, wie es heißt.Als er von mir dann schließlich fortgereist,Flog er dem Ziel, das er erwählte, zu;Doch mich bedünkt, der Platz für seine Ruh'War nach dem Texte wohl von ihm erkoren,Dem Trieb zu folgen, der ihm angeboren.Ich denke, Menschen sagen, daß das Neue |
610 | Naturgemäß am meisten uns erfreue;Wie es der Vogel in dem Käfig lehrt,Der, Tag und Nacht aufs sorgsamste genährtMit Zucker, Semmel, Milch und Honigseim,Im seidenweichen Käfig sitzt daheim;Und doch, wenn offen er die Thüre sieht,Den Trog mit seinen Füßen tritt und flieht,Um Würmer in dem nahen Wald zu fressen.So sind auf neues Futter sie versessen.Das Neue reizt – das steckt in dem Gemüthe – |
620 | Nicht edle Neigung bindet sie, noch Güte.So ging's dem Sperber. – Ach, du liebe Zeit!Wie schien so frisch er, wie voll Heiterkeit,Bescheiden, frank und adelig von Art!Doch hatt' er eine Weihe kaum gewahrt,Verliebt' er sich bis über beide Ohren,Und seine Neigung war für mich verloren.So brach er falsch, was er geschworen hatte.Im Dienste dieser Weihe lebt mein Gatte,Indeß ich hülflos und verlassen bin.“ |
630 | Die Falkin sprach's und sank ohnmächtig hinVor Jammer in den Schooß von Canace.Und um den Sperber fühlte sie solch' Weh,Daß Canace mit ihrer FrauenschaarSie aufzurichten, beinah' rathlos war.Sie trug den Vogel heim in ihren SchooßUnd legte Pflaster auf die durch den StoßDes eignen Schnabels ihm geschlagne Wunde.Nach Kräutern nun grub in der Erde GrundeJetzt Canace, um aus den köstlich frischen |
640 | Heilkräft'gen Pflanzen Salben sich zu mischenFür ihre Falkin, die sie Nacht und TagSo sorgsam pflegt, wie irgend sie vermag.Bei ihrem Bett ließ sie den Käfig bauen;Zum Zeichen der Beständigkeit von FrauenWar er mit blauem Sammet überspannt,Und dargestellt auf grüner AußenwandSah man die falschen Vögel, die Verderber,Wie Haubenhähne, Eulen oder Sperber;Und recht gemalt, wie zum Verdruß für sie, |
650 | War eine Elsternschaar, die spottend schrie.Von Canace, die ihre Falkin pflegt,Von ihrem Ring, den sie am Finger trägt,Sprech' ich nicht weiter, bis ich Euch beschreibeDer Sage nach, wie zu dem FalkenweibeDer Sperber reuig heimgekehrt, und wieHülfreiche Hand Camballo dazu lieh,Der Königssohn, von dem ich früher sprach;Und graden Weges werd' ich dann hernachAuf Schlachten und auf Abenteuer kommen, |
660 | So wunderbar, wie Ihr sie nie vernommen.Zuerst bericht' ich Euch von Cambuscan,Der mittlerweile manche Stadt gewann;Und darauf wird von Algarsif erzählt,Wie Theodora er zum Weib erwählt,Und wie ihm in der dringendsten GefahrDas Eisenroß die beste Hülfe war;Dann rede von Camballo ich, der mitZwei Brüdern tapfer in den Schranken strittFür Canace, bevor er sie gewann, |
670 | Und wo ich abbrach, fang' ich wieder an.[Hier endet der zweite Teilund der dritte folgt.]
Wahrhaftig, Junker! Du hast's brav gemacht!“– Rief jetzt der Freisaß – und in AnbetrachtVon Deiner Jugend hast Du fein erzählt.Man sieht, daß Dir Gefühl und Witz nicht fehlt.Ich muß Dich loben! Hier von uns erreicht,Fährst Du so fort, Dich Keiner wohl so leichtAn Eloquenz. – Nun, stehe Gott Dir bei,Daß Deine Tugend auch von Dauer sei!Denn, was Du sprachst, war ganz nach meinem Sinn. |
680 | Bei dem Dreiein'gen! gerne gäb' ich hinDen vollen Werth von zwanzig Pfund in Land,Gelangte mir's auch eben in die Hand,Wenn nur mein Sohn Dir an Verstand und WitzIn etwas gliche. – Pfui! was gilt Besitz,Wenn einem Manne gute Sitten fehlen?Wie mußt' ich ihn, wie werd' ich ihn noch schmälen,Daß er Gehör der Tugend nimmer schenkt,An Würfelspiel nur und Verschwendung denkt,Und Alles, was er hat, verliert, verpraßt; |
690 |
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700 |
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