BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Annette von Droste-Hülshoff

1797 - 1848

 

Gedichte

 

Einzelveröffentlichungen

 

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Auch ein Beruf

entstanden 1844/45

 

Die Abendröthe war zerflossen,

Wir standen an des Weihers Rand,

Und ich hielt meine Hand geschlossen

Um ihre kleine kalte Hand.

5

«So müssen wir denn wirklich scheiden?

Das Schicksal würfelt mit uns Beiden,

Wir sind wie herrenloses Land.

 

Von keines Heerdes Pflicht gebunden,

Meint Jeder nur, wir seien, grad

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Für sein Bedürfniß nur erfunden,

Das hülfbereite fünfte Rad.

Was hilft es uns, daß frei wir stehen,

Auf keines Menschen Hände sehen?

Man zeichnet dennoch uns den Pfad.

 

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Wo dicht die Bäume sich verzweigen

Und um den schlanken Stamm hinab

Sich tausend Nachbaräste neigen,

Da schreitet schnell der Wanderstab.

Doch drüben sieh die einzle Linde,

20

Ein Jeder schreibt in ihre Rinde,

Und Jeder bricht ein Zweiglein ab.

 

O hätten wir nur Muth, zu walten

Der Gaben die das Glück bescheert!

Wer dürft uns hindern? wer uns halten?

25

Wer kümmern uns den eignen Heerd?

Wir leiden nach dem alten Rechte,

Daß wer sich selber macht zum Knechte,

Nicht ist der goldnen Freiheit werth.

 

Zieh hin, wie du berufen worden,

30

In der Campagna Glut und Schweiß,

Und ich will ziehn in meinen Norden,

Zu siechen unter Schnee und Eis.

Nicht würdig sind wir bessrer Tage,

Denn wer nicht kämpfen mag der trage,

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Dulde wer nicht zu handeln weiß!»

 

So ward an Weihers Rand gesprochen,

In Zorne halb und halb in Pein;

Wir hätten gern den Stab gebrochen

Ob all den kleinen Tyrannein.

40

Und als die Regenwolken stiegen,

Da bahnten wir erst mit Vergnügen

Uns in den Aerger recht hinein.

 

Solang die Tropfen einzeln fielen,

War's Naphthaöl in unsern Trutz;

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Auch Eins von des Geschickes Spielen,

Zum Schaden uns und keinem nutz!

Doch als der Himmel Schlossen streute,

Da machten wir's wie andre Leute

Und suchten auch der Linde Schutz.

 

50

Dort stand ein Häuflein dicht beisammen,

Sich schauernd unterm Blätterdach;

Die Wolke zuckte Schwefelflammen

Und jagte Regenstriemen nach.

Wir hörtens auf den Blättern springen,

55

Jedoch kein Tropfen konnte dringen

In unser laubiges Gemach.

 

Fürwahr ein armes Häuflein war es,

Was hier dem Wettersturm entrann;

Ein hagrer Jud' gebleichten Haares,

60

Mit seinem Hund ein blinder Mann,

Ein Schuladjunkt im magren Fracke

Und dann mit seinem Bettelsacke

Der kleine hinkende Johann.

 

Und Alle sahn bei jedem Stoße

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Behaglich an den Stamm hinauf,

Rückten die Bündelchen im Schooße

Und drängten lächelnd sich zuhauf;

Denn wie so hohler schlug der Regen,

So breiter warf dem Sturm entgegen

70

Der Baum die grünen Schirme auf.

 

Wie kämpfte er mit allen Gliedern,

Zu schützen, was sich ihm vertraut!

Wie freudig rauscht er, zu erwiedern

Den Glauben, der auf ihn gebaut!

75

Ich fühlte seltsam mich befangen,

Beschämt, mit hocherglühten Wangen,

Hab' in die Krone ich geschaut

 

Des Baums der, keines Menschen Eigen,

Verloren in der Haide stand,

80

Nicht Früchte trug in seinen Zweigen,

Nicht Nahrung für des Heerdes Brand,

Der nur auf Gottes Wink entsprossen

Dem fremden Haupte zum Genossen,

Dem Wandrer in der Steppe Sand.

 

85

Zur Freundin sah ich, sie herüber,

Wir dachten Gleiches wohl vielleicht,

Denn ihre Mienen waren trüber

Und ihre lieben Augen feucht.

Doch haben wir kein Wort gesprochen,

90

Vom Baum ein Zweiglein nur gebrochen

Und still die Hände uns gereicht.