Annette von Droste-Hülshoff
1797 - 1848
Gedichte
1844
Haidebilder
|
|
______________________________________________________________________________
|
|
Der Knabe im Moorentstanden 1842
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,Wenn es wimmelt vom Haiderauche,Sich wie Phantome die Dünste drehnUnd die Ranke häkelt am Strauche, | |
5 | Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,Wenn aus der Spalte es zischt und singt,O schaurig ist's übers Moor zu gehn,Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
Fest hält die Fibel das zitternde Kind |
10 | Und rennt, als ob man es jage;Hohl über die Fläche sauset der Wind –Was raschelt drüben am Haage?Das ist der gespenstische Gräberknecht,Der dem Meister die besten Torfe verzecht; |
15 | Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!Hinducket das Knäblein zage.
Vom Ufer starret Gestumpf hervor,Unheimlich nicket die Föhre,Der Knabe rennt, gespannt das Ohr, |
20 | Durch Riesenhalme wie Speere;Und wie es rieselt und knittert darin!Das ist die unselige Spinnerin,Das ist die gebannte Spinnlenor',Die den Haspel dreht im Geröhre!
|
25 | Voran, voran! nur immer im Lauf,Voran, als woll' es ihn holen;Vor seinem Fuße brodelt es auf,Es pfeift ihm unter den SohlenWie eine gespenstige Melodey; |
30 | Das ist der Geigemann ungetreu,Das ist der diebische Fiedler Knauf,Der den Hochzeitheller gestohlen!
Da birst das Moor, ein Seufzer gehtHervor aus der klaffenden Höhle; |
35 | Weh, weh, da ruft die verdammte Margreth:«Ho, ho, meine arme Seele!»Der Knabe springt wie ein wundes Reh;Wär' nicht Schutzengel in seiner Näh',Seine bleichenden Knöchelchen fände spät |
40 | Ein Gräber im Moorgeschwehle.
Da mählig gründet der Boden sich,Und drüben, neben der Weide,Die Lampe flimmert so heimathlich,Der Knabe steht an der Scheide. |
45 | Tief athmet er auf, zum Moor zurückNoch immer wirft er den scheuen Blick:Ja, im Geröhre war's fürchterlich,O schaurig war's in der Haide! |