BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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müsse. Ich werde also bitten, mir von Stuttgardt eine eng­lische Bibel kommen zu lassen. Aber wie sehr ich mir auch vornahm, mich gegen meine Umgebung auszusprechen, so fehlte mir doch, zu meinem Schmerz, alle Kraft, es zu thun. Da trat an zweiten Morgen in mein Wohnzimmer Fräulein M..., und ein Paquet mir hinhaltend, sagte sie: Hier liebe Frau von D[obeneck] sendet Ihre Fräulein Schwester E[lisa] Ihnen die Lieblings-Arbeit, (es waren aus buntem Papier ausgeschnittene Blumen,) und Ihre Lieblingsbücher. Stumm und traurig öffne ich – was seh' ich? was halt' ich in Händen? Es ist meine eigene englische Bibel, dieselbe, welche ich in Lausanne von Madame P... zunr Geschenk erhalten, und dies hier die heilige Schrift in französischer Sprache. Zum erstenmal verzog mein Mund sich wieder zum Lächeln. Als sie fort war, legte ich die theuern Schätze neben mich hin, küßte und streichelte sie. Ich sann und sann. Ist es möglich? Mein geheimstes Verlangen so erfüllt zu sehen, schien mir Zauberei. Ich  rechnete,  daß  wenn ich  auch  um  diese  Bücher  gebeten  hätte,  sie  so  schnell nicht  würden  angelangt  seyn  können.  Nun  überließ ich mich dem Gefühl stiller Freude. Daß Gott,  der unsicht­bare,  und  doch  Allwissende  und  Gegenwärtige meiner gedacht,  war  mein  nächster  Gedanke.  Diese Wahrheit drängte  sich  mir  mächtig  auf  und  ward Ueberzeugung. Eine   Bewegung   von  Liebe   und Dankbarkeit  zog  wie ein  milder  Frühlings-Sonnenstrahl  über  die  Eisdecke meines   Herzens.   –   Was   sind   in  glücklichen  Tagen wir Menschen   für   verwöhnte   Kinder!   In   vollen   Zü­gen  genießen  wir  den  Becher  der  Liebe   Gottes  –   und

 

 

ohne Dank. Kleine Unannehmlichkeiten reichen gewöhnlich schon hin, uns die Stirne zu umwölken; „es muß mir gut gehen!“ dieß die Grundstimmung des ungebrochenen Herzens. Kein Wunder, wenn dann manchmal Gott aus den schwelgenden Gästen seiner Tafel diese oder jene Seele heraus ninmt, sie hinstellt als ein Exempel seiner Gerechtigkeit, beraubt von allen Gaben, die sie mißbrauchte, leer alles Trostes, in ihrer wahren Gestalt, voll Armuth, während seine Geduld, die zur Buße leitet, noch verborgener Weise trägt und erhält. O wie schwer wird es dem Uebersatten, zu begreifen, daß ein Athemzug, ein Tropfen Wasser unaussprechliche Wohlthat Gottes ist, daß ohne seinen Segen alles zur Bitterkeit werden kann! Schreckliche Ewigkeit! wo die Seele, vie hier außer Gott Befriedigung suchte, dort, fern von der Quelle des Lebens und der Freude, nichts weiter zu erwarten hat. Nichts alsdann zu haben, als sich selbst, ist Qual genug.

Wie armselig, daß die Heilige Schrift Wochen lang neben mir lag, und ich noch nicht die Kraft hatte, darin zu lesen! Einmal blätterte ich, ich las die Stelle: Manase erkannte, daß der Herr Gott ist, Gott erkennen, wie wichtig auch für mich! Ich nahm die Bücher mit in den Garten, und las den 86ten Psalm, während ich oft aufblickte, und mit Erstaunen mir sagte: Gott lebt noch. Das ist die Sonne, die er geschaffen, diese Blumen sind sein Werk. Ich bin. Ich lebe wie die Blumen durch ihn. Die Worte:  „Du  bist  barmherzig  und  gnädig, geduldig und von   großer   Güte   und   Treue!“  wiederholte  ich  mir un­aufhörlich.  Mein   unsteter   Geist   wurde   festgehalten,