BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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als die Meisterwerke selbst. Nichts stört hier das Auge – kein mit Gold überkleckstes Heiligenbild ist da im Wege. Aber jedes Winkelchen in diesem großen Tempel der Kunst, selbst in den Seitenhallen, die ganz verborgen schei­nen, hat sein Kunstwerk für sich, vor welchem man Stun­denlang in stummer Ehrfurcht stehen möchte. Luini's Ma­donna ist eben auch an einem solchen anspruchlosen Plätzchen. Von der Kirche kommt man durch Vorhöfe und Hallen zu den ehemaligen Cellen; vierundzwanzig sind es, und bilden ein Viereck. In der Mitte ist nun ein weites Kornfeld, was sonst Gottesacker war. Eine große Saat, die einst auferstehen wird unverweslich. Jede dieser Cellen be­steht aus einem Häuschen mit einem kleinen Thurme. Im Innern sind zwei Zimmer, ein geräumiger Garten, eine Gallerie, ein Hof, eine Bibliothek, ein Gartenzimmerchen, Blumen darin zu pflegen. Wer möchte nicht Carthäuser seyn? Nächst der Hausthüre, in der Mauer, ist ein Thür­chen mit Vertiefung, wohin täglich dem Klosterbruder das Essen hineingestellt ward, denn nur jeden Donnerstag aßen Alle beisammen und durfte der Mönch einige Worte mit seinen Gefährten wechseln. Außerdem hieß es bei jeder Begegnung: memento mori! Ach! auf diese Weise ist der Mensch sein eigener Kerker und stirbt eines zweifachen To­des. Entsetzlicher Betrug, dem von Gott in uns ge­pflanzten natürlichen Leben scheinbar absterben zu wol­len, um der Tugend willen, und dennoch der Sünde in dem Schoos zu sitzen! Das Element des Geistes sind die Be­ziehungen und Verhältnisse des häuslichen und öffent­lichen  Lebens, aus  diesem Kreis hinausgeworfen, werden

 

wir faule Fische, kriechendes Gewürm. Ein Adler aber ist der Geist, und erstarkt nur im redlichen Kampfe mit der inwohnenden Sünde, nicht in dem feigen.Winkel einer selbsterwählten Marter- oder Kloster-Celle – Doch zurück zur Certosa! Die Einkünfte des Klosters waren so bedeutend, daß die Mönche davon nicht nur jährlich den Armen eine große Summe mittheilen konnten, sondern auch mehrere Jahrhunderte hindurch die Hände der größten Künstler beschäftigten. Ihre Kirche sollte nur das Vollendetste aufnehmen, und wirklich besitzt sie es noch heute. Die Certosa wurde im Jahre 1396 von Johann Galeace Viconti, erstem Herzog von Milan, gestiftet. Da sollte nichts gespart werden, sein Ehrgeiz begehrte, das Außerordentlichste in diesem Tempel niederzulegen Der Architekt dieser Kirche war Camodia oder Zamodia, ein Deutscher. Das Aeußere hat etwas Seltsames und weicht schon ab vom gothischen Styl. Von großer Schönheit und tiefem Ausdruck sind die Basreliefs des Portals, welche das Leben des Stifters darstellen. Die langen Seitengebände, die den großen Vorhof umschließen (dem Eingang gegenüber ist die Kirche) können ganz gut eine Residenz vorstellen, denn wie ich mich erinnere, ist der St. James-Palast des Königs von England dagegen eine Carthäuser-Celle. Doch ich plaudere und vergesse darüber das prächtige Grabmal in der Certosa, welches die Mönche ihrem Stifter mehrere Jahre nach seinem Tode errichteten. Das Grabmal ist von cararischem Marmor, wie Schaum so weiß, und fast durchsichtig, und zwar nach den Zeichnungen   eines  gewissen  Galeace  Pellegrini,  der  sie

 

 


 

Certosa di Pavia, die Klosterkirche

 

Certosa di Pavia, der Hauptaltar