BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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Am 22. Mai 1835.   

 

Die Zurückgezogenheit, die mein Beruf erfordert, mag wohl die Ursache seyn, daß mir die äußere Welt eini­germaßen zur Fremde wird und ich für sie einen freiem Blick gewinne. Einmal losgetrennt von dem Einfluß der Zerstreuungen, entfaltet sich schnell in dem Inwendigen eine zweite Welt, und wie auf einsamer Stelle oft kräftiger nur, Kräuter emporkeimen, so auch treibt des Menschen Geist edlere Gedanken, wenn freier in ihm die Gnade waltet. Geschäftslose Einsamkeit ist des Geistes Tod, wirksame Einsamkeit hat verborgene Segensquellen. So ist nichts für unsere Veredlung heilsamer, als die Ver­pflichtung über junge Seelen zu wachen. In jedem Fehler des Kindes finde ich den meinigen nur reifer und strafbarer wieder, in jedem Tadel, den ich ausspreche, wendet sich zurück in mein eigenes Herz sein Stachel; aber leider dringt er nicht allzutief und Vorsätze seh ich in dem Augenblicke ihres Entstehens scheitern, ja selbst die Kraft des Gebets unterliegt oft der unbändigen Natur in mir. In einer solchen Stunde des Kampfes war es, Rettung su­chend, mir klarer geworden, daß mit der bloßen Idee von Gott wenig gethan sey. Nicht nur verlangen, sondern be­sitzen  müßen wir den Heiland. Ich finde, daß es mir bisher leichter war, zu Gott im Allgemeinen mich zu wenden, als an Christus von Herzen zu glauben. Was man ge­wöhnlich Religion nennt, ist  wahrlich  höchstens  nur  Poesie. Gott sich   als   Vater  vorzustellen  ist  Beruhigung,  sowie  ihn in   der   Natur   ahnen   zu  dürfen,  aber  von  einem  Gott,

 

der ein Rächer der Sünde ist, will das Herz nichts wissen. Ach! heiliges, strenges Antlitz! drücke du meiner Seele tiefere Bewegungen ein! – Gott ist Liebe auch in der Gerechtigkeit. –Die erste Sünde ward durch den Verlust des Paradieses gestraft, und von den Jahrtausenden der alten Welt bis zu unsern Zeiten wird der Sünde Geburt und Tod in schrecklichen Bildern sichtbar. Eine Sünde nur – und verschloßen war der Seligkeit Pforte. Furchtbares Zeichen dessen, wie sehr Gott die Sünde haßt. Aber Ihn dauerte das arme Menschengeschlecht. Er sandte die Propheten – vergebens! der Unglaube wucherte fort. Ihn jammerte die Erde, die verlornen, unsterblichen Seelen, und es erschien uns sein Liebstes: Christus der Sohn Gottes, Gott selbst geoffenbart im Fleisch. Es war sein Wille, daß Er, der von keiner Sünde wußte, an unsrer Statt den Sold der Sünde, den zeitlichen und ewigen Tod erduldete – letztes, furchtbares Zeichen dessen, wie sehr Gott die Sünde haßt. Nun wird Er, der für uns starb, auch unser Richter seyn. So endet die heilige Schrift, das Buch der Offenbarungen, durch Christus erfüllet. Seitdem kein Ton von Jenseits mehr, eine bange Stille schwebt über die Erde. Oft ergreift es mich im Innersten, und für mich zittere ich, wie für alle die ich liebe. Wenn Gott das Liebste für unsere Seligkeit hingeben konnte, wie um so größer ist unsere Schuld, wenn wir im Unglauben und Ungehorsam beharren! Die schwärmerischste Liebe zu Gott tilgt meinen Schuldschein dort Oben nicht. Wahrhaftig muß der Herr mein Herr seyn, ich mit Ihm leben, um mit Ihm sterben zu können.