BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

 

 

 

sicht wirklich ein Stock. Mit der rechten Hand faselte er in Sol, und die Linke trampelte ganz vergnügt in einer andern Tonart umher, dazu kreischten alle Register - die Dissonanzen waren himmelschreiend. Mir durchschnitten sie das Ohr, die Kehle, das Herz, und länger konnt' ich's nicht aushalten. Hinab rannte ich in die Kirche und setzte mich erschöpft wie ich war. Dieser Herr da spricht deutsch, rief mir eine Stimme zu. Es war Herr B..., mir einen Engländer vorstellend, wir wechselten einige Worte - da schweigt die verwünschte Orgelmusik. Es dringt ein kräftiger Baßaccord durch die Kirche, jetzt noch einer, der Discant stimmt klagend ein, die heilige Melodie rauscht wie mit Engelsflügeln darüber hin und kühlt die Gluth inniger Sehnsucht. Was ist's? Wer spielt? Der Bischof bat meinen Bruder, für morgen die Orgel zu spielen, sagte der Engländer, er ist ein ziemlich guter Orgelspieler. Ich flog die kleine Treppe hinan, leise näherte ich mich und sah ein kleines Männchen vor mir. Die Züge erschienen wie durchsichtig, seine Augenbrauen zogen sich höher in immer geistvolleren Linien, seine Lippen bebten wie im Gebet, aber immer wunderbarer durchirrte die Harmonie die geheimnißvollen Gänge der Fuge. Ein Ausruf des Entzückens entschlüpfte mir. Er sah mich an und nickte freundlich. Selbst meine kleinen Chorknaben meinten, der da spiele freilich anders als Herr Stoking. Dieser war selig entschlafen, indeß die köstlichen Bachischen Fugen mir eine neue Welt erschloßen. Es war, als wäre ich hinab gestiegen in einen Schacht, mich an Herrlichkeiten zu ergötzen, die  ich  nie  begreifen,  nie besitzen würde. Meh-

 

rere Sonntage sang ich nun hier in der Kirche, oft begleitet von den kindlichen Stimmen der Knaben. Aber seit gestern ach! seufzt die Orgel wieder unter Stoking's Händen. Der Meister ist fort. Noch höre ich sein treuherziges: God bless you! was er zum Abschied mir hinterlassen.

 

―――――

 

Es ist nun bestimmt, daß die englische Familie P... mich in Lausanne erwartet. Zwei Kinder sollen mir anvertraut werden. Als Madame R... sie mir schilderte, so anmuthig, so liebenswürdig, mußte ich sogleich beide in mein Herz einschließen. Der Umgang mit arglosen Kinder-Seelen ist mir der liebste und wohlthätigste. Unaussprechlich freue ich mich, wie ernst auch auf der andern Seite die Pflicht, ein solch' theures Gut zu bewachen und zu pflegen, mir erscheint.

 

―――――

 

Von Genf reiste ich ab in Begleitung zweier Abbés aus Lyon Wir saßen im Coupé und flogen an dem schönen Ufer des See's dahin. Da ich schwarz gekleidet war, dazu die irländische Kette mit gothischem Kreuz anhatte, schien es billig, daß meine Nachbarn mich für eine Ordensdame hielten. Sie erkundigten sich nach dem Faubourg St. Germain, nach dem Bischof, und wer mein Beichtvater gewesen?    Ich    war    muthwillig    genug,   sie   darüber in   Zweifel   zu   lassen.   Bald   wurden  sie  zutrauli­cher, und   erzählten   von  ihren  Reisen.  Der  mir  zur  Rechten,

 

 


 

Genf und Genfer See um 1820