BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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werden streng, aber nicht ängstlich beobachtet. Eine Variation, aus Octaven bestehend, wie sie der Octavenkönig, Kaltbrenner, ausführt, gewährt wirklich großen Genuß. – In einer glänzenden musikalischen Soiree hatte ich auch Gelegenheit de Beriot's vollendetes Violinspiel zu bewundern, so wie Labarre, den man für den ersten jetzt lebenden Harfenspieler schätzt. Es ist wahr, sein Vortrag ist idealisch schön, nur finde ich die Wahl seiner Compositionen nicht befriedigend, für jemand, der den Potpourri's und Divertissements den Tod geschworen hat. Womit soll ich solch' arme Dingerchen, die Schmach der divina musica, vergleichen?

 

In der Scheuer blieb der Kern,

Ach! nur Spreu wird aufgetragen!

 

Ueberhaupt ist es mir schmerzlich, zu sehen, wie die ge­nialsten Künstler dem Effect als Opfer anheimfallen. Statt daß sie die alten Kern-Meister im Kämmerchen studierten, huldigen sie dem Zeitgeschmack, ihrem Göt­zen: Effekt. Diese oder jene Operette mit ihren Arietten wird ausgesaugt, hundertmal aufgewärmt in Phantasien, Nocturnes u. d. g. und drüber die beste Kraft und die edle Zeit versäumt, unwiederbringlich verloren. – Wenn ich so einen Kram der modernen, bis in den Himmel erhobenen Klavier-Componisten vor mir habe, weiß ich nicht, wie mir geschieht – ich möchte entzückt werden, aber es geht eben nicht. Ja, sie kommen mir vor, wie musikalische Jongleurs und Seiltänzer, Effekt- und Originalitåts-Jäger, Raketen-Feu­erwerker, coquettierende, convulsivisch verliebte Ro­mantiker.

 

Ich vermisse das Wesen der Kunst, ich meine: Einfachheit, Klarheit, Gelassenheit und Wahrheit der Empfindung.

 

Wo sind, ach! meine Meister und jene Zauberkraft,

die meinen Geist erhebet, dem Herzen Freude schafft?

Wer ist doch jene Dirne, die unverschämt sich trägt, ???

und schmeichelnd sich an Ohren und an die Sinne legt?

Ein Schlangenthier, so giftig, die Heil'ge ist es nicht,

die Blumen in das Leben des armen Pilgers flicht.

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Wie es aber in Paris für jedes Gift auch an einem Ge­genmittel nicht fehlt, so findet sich für diese musikalischen Indigestionen ebenfalls eine treffliche Heilanstalt. Ich mei­ne das Conservatoire.

Vollkommener, als hier, werden die Beethoven'schen Sin­fonien wohl nirgends ausgeführt. Das Orchester besteht aus lauter Künstlern, die aber so zu einem vollendeten Ganzen vereinigt und verschmolzen sind, (Hier ist eine Zeile herausgenommen worden, die doppelt war) daß der Einzelne in der Gesammtheit verschwindet, und ein Hauch, ein Leben Alle zu beseelen scheint. Ich hörte hier die D-dur Sinfonie: ja, was soll ich sagen? wie kann ich das Unaussprechliche in Worten ausdrücken? Besonders wird mir das Andante aus A-dur mit seinen überirdischen Melodien stets unvergeßlich seyn. Es war, als wenn der Ge­nius  des  unsterblichen  Meisters  unsichtbar  die Instrumente  beherrschte,  und  jeden  Ton  nach  seinem Willen  lenkte.  Beethoven  wird  hier  sehr  verehrt,  ein Zeichen,  daß  das  wahre  Genie  überall  zu Hause  ist. Auch  in Paris  schrumpfen  alle  Potpourri's  und Divertissements-Krämer   vor   dem   Klang  seines  großen

 

 


 

Charles-Auguste de Bériot (1802 - 1870), belgischer Violinist

 

Théodore Labarre (1805 - 1870), französischer Harfenvirtuose