BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

 

 

 

 

I.

 

Geliebter Vater!

 

Straßburg, am 23. October 1831.

 

Wenn es keinen Abschied gäbe, so wüßte ich mir nichts lieberes als Reisen. Bäume, Städte und Dörfer und Menschen fliegen an einem vorbei, man lehnt passiv im Wagen, grüßt Alles, und hält Nahes und Fernes in sein Herz eingeschlossen. Zu Hause weinen die Zurück­gebliebenen dem Wanderer nach, der längst die Thränen sich getrocknet, und so nehme ich z. B. leicht die Natur des Vögeleins an.

Ich schreibe dir aus Straßburg, dem ersten und viel­leicht letzten Ruhepunkt meiner Reise. Hier gefällt mir's. Französische, milde Luft und fröhliche Gesichter, gallische Sitten und Sprache, gothische Bauart hin und wieder. Mir kommt es vor, als ob das Elsaß zur Mama Deutschland, und zum Papa Frankreich habe; vom letztern hat es wohl die meiste Aehnlichkeit.

Daß ich beim Anblick des Straßburger Münsters die Augen groß aufmachte, kannst Du denken. Welch ein Bau! Meint man doch auch, die Engel hätten dazu geholfen. Wie mystisch diese Hallen erleuchtet sind, und jene Rosette wie meisterlich!  Fast  so  fein  wie  eine  Brüßler  Spitze!  Bis  zur Plattform   kletterte  ich  659  Stufen  hinan,   und   sah

 

 

 

Helenes Briefe richten sich an ihren Vater, den Juristen Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775 - 1833). Begründer der neueren Strafrechtsdogmatik und der Kriminalpsychologie. Schöpfer des Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1813, das zum Vorbild für die Strafgesetz­gebung im 19. Jahrhundert wurde. Bekannt auch durch sein Eintreten für den Findling Kaspar Hauser in seiner Studie „Kaspar Hauser. Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen“, 1832.

 

 

Paul Johann Anselm von Feuerbach,

Portrait von F. Hahn