BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

Memoire über die Ereignisse

bei der Capitulation von Hameln

 

Mitte 1808

 

Text:

Adelbert von Chamisso, Gesammelte Werke in 2 Bdn.

Hrsg.: W. Feudel, Leipzig 1981

 

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[Memoire über die Ereignisse

bei der Capitulation von Hameln]

 

Aufgefordert, von meinem ganzen Dienstbenehmen während des letzten Krieges und von meiner eigenen Gefangennehmung Auskunft zu geben, lege ich dem hochlöblichen Tribunal zu fernerer strenger Prüfung folgenden Bericht darüber ab.

 

Ich habe während der Berennung und bei der Einnahme Hamelns durch den Feind – einziges Kriegsereigniß, wobei ich mich befunden – keine eigene Commission erhalten, worüber ich besonders Rechenschaft abzulegen hätte, und habe nur beim Regiment, und zwar beim zweiten Bataillon und der Companie von Lochau, gleiche Gesinnung und gleiches Schicksal mit meinen wackern Kameraden getheilt. Nichtsdestoweniger habe ich Gelegenheit gehabt, an den Tag zu legen, daß ich in ihrem Sinne mit einverstanden war, der sich gegen eine schmachvolle Uebergabe der Festung vor dem Angriffe kraftvoll erhob. Ich erinnere, daß ich am Tage, wo bei zu befürchtender Ueberantwortung der Stadt der Obrist v. X., der sämmtliche Forts commandirte, das zweite Bataillon von Oranien, das eben vom Fort abgelöst worden war, wieder herauf berief, versprechend, daß er nach Soldatenart die ihm anvertrauten Mauern bis auf den letzten Stein vertheidigen wolle, daß ich, der ich mir in der letzten Nacht einen Fuß im Dienste beschädigt hatte, so daß ich nur mit Mühe gehen konnte, vom Fort Nr. 2 nach dem Fort Nr. 1 stieg, um dem Herrn Obristen im Namen Aller zu danken und ihn von der Treue und Kriegslust der Besatzung zu versichern. Ferner: daß ich mich am Abende der Capitulation unter dem Haufen der Officiere befunden habe, die sich beim Commandanten einstellten, um zu versuchen, was noch übrigbliebe, um Festung und Ehre zu retten, und daß, nachdem uns die Generale mit eitlen Versprechungen entlassen hatten, ich noch mit vielen im Kaffeehause mich befand, über die Gemeinsache verhandelnd, als mit dem Alarm das Zeichen gegeben ward, daß die Zeit, zu unternehmen, unter Berathen und Beschließen abgelaufen sei, indem die verbreitete Nachricht des Abfalls den Muth der Soldaten in unsinnige Wuth verkehrt hatte.

Zu einer tapfern Vertheidigung der Festung Hameln hat es nur daran gefehlt; daß einer sich der Führung anmaaßte und zum Haupt aufwarf; daß keiner sich unterfangen hat, dieses zu thun, ist ein Vorwurf, der zwar Alle, aber auch Jeden nur in dem Maaße trifft, als er im Rang und Ansehen hochstand und Kriegsdienstjahre zählte. Ich war ein obscurer Subaltern und, noch mehr, ein Geächteter aus dem Volke des Feindes.

Ich kehre zu der eigenen Sache zurück. Ich habe die Nacht des Aufruhrs, nachdem das Regiment, das vollzählig auf dem Alarmplatz zusammengekommen, nach und nach auseinandergegangen war – keiner ertheilte Befehl – bei dem Obristen v. N. allein zugebracht, um ihm zum Adjutanten zu dienen, wenn er es bedurfte. Er ward genöthigt, sich in das Lazarett zurückzuziehen. Gegen Morgen geleitete ich ihn noch unter dem letzten Schießen nach seiner Wohnung. Nach dem am Tage erfolgten Einmarsch der Holländer und der gänzlichen Auflösung der Unsrigen habe ich keinen Anstand genommen, das Cartell anzunehmen, habe mich auf Ehrenwort gefangen gegeben und einen Paß nach Frankreich erhalten.

Endlich aufgefordert: «auf mein Ehrenwort zu erklären, ob ich gegen einen Officier des Regiments etwas Nachtheiliges zu sagen hätte», gebe ich, der Aufforderung Genüge zu leisten, Folgendes mein Gutachten über diejenigen von den Herren Officieren vom Regiment Oranien, mit denen ich dieselben Kriegsereignisse erlebt habe, und ihr Benehmen ab und verbürge mein Ehrenwort, daß ich, was ich weiß und wie ich es meine, rücksichtslos heraussage.

Ich halte dafür, daß das Benehmen nur zweier Männer einer fernern Prüfung unterworfen werden könne, ja müsse. Diese sind der Herr Obrist von N. und der Herr Obrist von X., zwei Männer, von denen ich während meiner Dienstzeit mehr Gutes als Böses empfangen habe. Die übrigen, in ein gemeinsames Schicksal unabwendbar verwickelt, haben nichts vermocht, als ihre Gesinnung auszusprechen, und sie haben es gesammt nach Möglichkeit schön und kräftig gethan. Mein eigenes Bewußtsein spricht sie frei.

Der Herr Obrist von N., Commandeur des Regiments von Oranien, war vor dem Kriege zum Brigadier der in Hameln stehenden Truppen vom Könige bestellt, durfte vor allem auf das brave Regiment, das er commandirte, bauen, kein Zweifel erhob sich gegen die ehrenfeste Tapferkeit des Herrn Obristen. Darin traute ihm der Soldat und, wie die Stimmung war, er wäre ihm sonder Anstand durch Feuer und Flammen gefolgt. Hätte sich der Herr Obrist von N. nicht der Gewalt in der Festung bemächtigen können und dem, was geschehen ist, vorbeugen? Hätte er es nicht gesollt? Ist er nicht dem Könige Rechenschaft schuldig über die ihm anvertrauten Truppen, welche selbst nur des Kampfes begehrten? Ich erhebe als Zweifel gegen den Herrn Obristen von N. das, was er nicht gethan hat. Dagegen ist er nach der Stadt mitgeritten und hat einen Zeugen zu den Verhandlungen der Capitulation abgegeben.

Der Herr Obrist von X., der sämmtliche Forts commandirte, hatte aus eigenem richtigen Gefühle gelobet, dieselben, auch wenn die Stadt übergehen sollte, zu vertheidigen. Die Hoffnungen der Truppen, deren er sicher war, ruhten auf ihm; er hat sie getäuscht, er hat, gewiß vom Machtwort der Generale niedergeschmettert, für diese Forts capitulirt. Was die Officiere anbetrifft, die späterhin beim Feinde Dienste angenommen, so mag ihre That, wenn sie erst erwiesen ist, sie richten.

Schließlich. Ich fürchte nicht, von denen, an die ich das Wort richte, und nicht von denen, die es gleich mir führen, getadelt und widersagt zu werden, wenn ich von dem Grundsatze ausgegangen bin, daß es sonder fernere Rücksicht schmachvoll sei, eine Feste dem Feind zu überantworten und ihm deren Besatzung gefangen zu liefern, wenn noch kein Angriff auf diese Feste geschehen, keine Laufgräben vor derselben eröffnet worden sind, wenn noch zur Stunde keine Hungersnoth in ihr herrscht; ja wenn der schwächere Feind die flüchtige Berennung aufgehoben hat, die Bürgerschaft gefaßt und die Besatzung voller Muth ist, und ich brauche nicht auf den Buchstaben des Kriegsreglements Friedrichs mich zu berufen. Mögen denn die Urheber der Capitulation Hamelns für den neuen Schandfleck, den sie dem deutschen Namen aufgeheftet haben, büßen; wir wälzen die Schuld von uns ab und waschen uns von der Schmach rein.

Ich halte dafür, daß bei gegenwärtigem Ehrengerichte, wie in jeder Ehrensache, der Mann für sein Wort stehen muß; ich begehre also nicht, daß mein Name von meinen Worten getrennt werde.

 

Dixi.

 

[Unterschrift]