Adelbert von Chamisso
1781 - 1838
Der König der Sandwich-Inselnin London
Juni 1824
Text:Adelbert von Chamisso, Gesammelte Werke in 2 Bdn.Hrsg.: W. Feudel, Leipzig 1981
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Der König der Sandwich-Inselnin London.
Der König der Sandwich-Inseln in London scheint für den Augenblick die allgemeine Neugierde in Anspruch zu nehmen, und namentlich erinnere ich, als einer seiner wenigen Europäischen Bekannten, mich seiner mit persönlichem Interesse. Ich habe nehmlich während meines Aufenthalts auf den Sandwich-Inseln in den Jahren 1816 und 1817 sowohl den letzt hingeschiedenen Herrscher Tameiameia als seinen Nachfolger den jetzigen König Lio-lio oder Rio-Rio (L. und R. werden in der Sprache für gleichlautend genommen) von Person gekannt. Tameiameia versicherte sich des Schutzes Englands, indem er in die Hände seines Freundes, des englischen Schiffkapitäns, Vancouver, dem Könige George dem dritten freiwillig und feierlich huldigte. In der Folge unterwarf er sich, ohne alle fremde Beihülfe die sämmtlichen Eilande, welche zu der Gruppe der Sandwich-Inseln gerechnet werden, und betrug sich in dem zwischen England und den Vereinigten Staaten ausgebrochenen Kriege als ein getreuer Vasall von England, weshalb der Prinz-Regent nach dem Frieden ein Dank- und Belobungs-Schreiben an ihn erließ, in welchem er ihm den Titel Majestät gab, und ihm außer den Geschenken, die den Brief begleiteten, ein Schiff versprach, das er für ihn zu Port-Jackson erbauen ließ. Zu der Zeit, wo ich auf den Sandwich-Inseln anwesend war, besorgte man dort, daß nach dem Absterben des schon damals ergrauten Helden, der Thronerbe nicht im ruhigen Besitz des von seinem Vorgänger eroberten Reiches bleiben werde und mehrere der dortigen Landesfürsten schienen sich auf den Fall mit Geschütz und Schiffen zu rüsten, um durch Gewalt wiederum zu trennen, was Gewalt vereinigt hatte. Der Naturforscher Arago, der den Kapitain Freycinet auf seiner Reise um die Welt begleitete, fand zwar, als er nach dem Tode von Tameiameia nach den Sandwich-Inseln kam, dort Alles ruhig, doch erkannte auch er die Lage des jungen Königs für mißlich und die Unterwürfigkeit seiner Vasallen für ziemlich unsicher. Einer von den mächtigsten unter denselben fand sich auf dem Schiffe des Kapitain Freycinet ein, und begehrte getauft zu werden, welches ihm auch zugestanden ward. Arago legt diesen Schritt für einen Kunstgriff aus, durch welchen jener angesehene Insulaner sich das Wohlwollen der französischen Nation zu erwerben, und in der Folge zu Erreichung seiner eigenen herrschsüchtigen Absichten, ihre thätige Beihülfe zu erlangen hoffte. Ich habe diesen Mann, meinen Gastfreund auf Wahu, recht wohl gekannt. Er war damals Gouverneur dieser Insel, zeichnete sich durch Geist und Verschlagenheit aus, besaß eigenthümlich viel Geschütz und hatte eben ein Europäisches Schiff angekauft. Ich erwähnte seiner in meinen «Bemerkungen und Ansichten» unter dem Namen Kareimoku, den er damals führte (er hat nach Landes Brauch den Namen oft gewechselt) die Europäer nannten ihn zu meiner Zeit Bill Pitt. Tameiameia hat Schiffe, Geschütz und einen Schatz baren Geldes hinterlassen. Es ist auffallend, daß der junge König, indem er seinem Lehnherrn zu huldigen und zugleich dessen Schutz anzusprechen, nach England kommt, keinen Europäer in seinem Gefolge mitbringt, da doch viele und darunter wackere Männer seinem Vater dienten. Indeß ist anzunehmen, daß sie sich aus Instinkt an den Sohn ihres großgesinnten Wohlthäters werden angeschlossen haben. Wenn übrigens in den Südsee-Inseln auch wirklich Kriege ausbrechen sollten, so wird doch das Handelsverkehr, welches die Europäer dort treiben, dadurch nicht gefährdet werden, und eben so wenig darf man besorgen, daß irgend eine Europäische Macht sich in jener Weltgegend auf Eroberungen einlassen möchte. Der Geist der Südsee-Insulaner ist noch jetzt eben derselbe, als zu der Zeit, wo die Spanier sich die marianischen Inseln unterwarfen. Die Einführung des Christenthums und die Herrschaft der Spanier hat den Eingebornen jener Inseln (der Nation der Chamori) 40 bis 60tausend Menschen gekostet, und würde in den Sandwich-Inseln, deren Bewohner waffenkundiger und kriegslustiger sind als die ehemaligen Bewohner der Marianen-Inseln, eine noch größere Anzahl von Schlachtopfern erfodern, die aber das neunzehnte Jahrhundert nicht auf seine Rechnung wird kommen lassen wollen. |