BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

Gedichte von

Ferdinand Freiligrath

 

entstanden Juni 1838

 

Text:

Adelbert von Chamisso, Gesammelte Werke in 2 Bdn.

Hrsg.: W. Feudel, Leipzig 1981

 

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Gedichte von

Ferdinand Freiligrath

 

Stuttgart und Tübingen. Cottasche Buchhandlung. 1838

 

Diese im Jahre 1836 veranstaltete Sammlung ist jetzt erst erschienen, und während sie uns die Verlagshandlung vorenthalten hat, haben die in Taschenbüchern und Tageblättern zerstreuten Gedichte Freiligraths so allgemeine Anerkennung gefunden, daß eine blose Anzeige des Buches die Beurtheilung und Anpreisung desselben überflüssig macht. Es ist erfreulich, daß in unserer Zeit, wo, wie im politischen Leben der Völker, so auch in Wissenschaft und Kunst, die Massen theil an der allgemeinen Bewegung nehmen, die zu leiten sonst einzelnen Hochgestellten vorbehalten war, sich doch der gottbegabte Dichter Bahn bricht und von seiner Nation gewürdigt wird.

Allerdings habent sua fata libelli; allerdings können die Umstände den Dichter begünstigen. Auf die Frau von Stael und auf Byron zogen schon ihr Name und ihre Stellung die Augen der Welt; aber nicht minder als ihnen ist dem Sohne seiner Lieder, Béranger, ein Europäischer Ruf zu Theil geworden, und die Schriften von Lucien und Joseph Bonaparte sind unbeachtet untergegangen. Parteien und Koterien mühen sich vergebens, ihre gekürten Günstlinge mit falschem Purpur zu bekleiden; wird auch diesen Afterfürsten die Aufmerksamkeit eines Tages zugewendet, rächt sich doch bald an ihnen der Hohn, und die Nacht der Vergessenheit schließt sich über ihnen zu.

Die Kunst, die Blüthe des Volkslebens, muß in ihm lebendige Wurzeln haben und sich darüber erheben, um wiederum auf dasselbe einzuwirken. Seiner Volksthümlichkeit verdankt Béranger die Dichterkrone. Horace Vernet ist der Béranger der Malerei. Beiden vergleichbar bei entschiedener Verschiedenartigkeit der Volksthümlichkeit und Eigenthümlichkeit, hat sich unter unsern jüngern Dichtern Anastasius Grün die Vorliebe Deutschlands erworben. Sein Gesang hallt in alle geselligen Fragen, die die Zeit anregt, und den, der seiner Zeit genug gethan, wird die Nachwelt nicht vergessen. Lenau hat mit kräftiger Individualität sich bald bemerkbar gemacht. Freiligrath, an Eigenthümlichkeit, Ursprünglichkeit, Kraft und Fülle der Poesie keinem nachstehend, hat ohne Fürsprache durch die blose Macht seines Gesanges die Aufmerksamkeit, die er verdient, erzwungen.

Wenn unter den neueren Dichterwerken «Wieland der Schmied» von Simrock die allgemeine Theilnahme nicht erweckt hat, die er mir zu verdienen scheint, so ist es wohl dem Umstand zuzuschreiben, daß diese Dichtung, sich dem Sagenkreis der Nibelungen anreihend, in die Gegenwart nicht eingreift und die geschäftige Zeit an einem Kunstwerk größeren Umfangs vorübereilt, das sie der Gelehrsamkeit überweisen zu können glaubt. Wenn unter älteren Dichtern Trinius unbeachtet geblieben ist und seine «Wilhelms-Schlucht» nicht genannt wird, so rührt es daher, daß dieses Dichterwerk zwar gedruckt (Dramatische Ausstellungen von K. B. Trinius, Berlin 1820), aber nicht angezeigt worden ist: man hat es nicht mißachtet, aber dessen Dasein wirklich nicht erfahren.

Wie zu Schillers Zeit die kräftige Eigenthümlichkeit dieses Dichters vielen Nacheiferern zum Vorbild diente, wie in unsern Tagen Heines Sangesweise vielfachen Widerhall geweckt hat, also beginnt auch Freiligraths Einwirkung in der deutschen Lyrik bemerkbar zu werden. Nachahmer suchen sich die Vortheile seiner Technik anzueignen und studiren sich in seine Manier ein, während andere von seinem Geiste befruchtet werden. Ich werde selbst an manchem meiner neueren Lieder diese Einwirkung gewahr.

Die hier besprochene Sammlung ist «den Dichtern Adelbert von Chamisso und Gustav Schwab» gewidmet. Es hat bereits ein Gedicht, in welchem Freiligrath meinen Namen genannt hat, zu der Bemerkung verleitet: er suche auf diese Weise sich beliebt zu machen. Ich glaube diese Beschuldigung, zu welcher ich die Veranlassung gewesen bin, zurückweisen zu dürfen. Allerdings hat sich Freiligrath bei mir beliebt gemacht; zuerst, wie bei allen Freunden der Poesie, durch den Reichthum und die Fülle seiner Ader, durch die Ursprünglichkeit und Gewalt seines Gesanges. Also nahm ich (1835) in den deutschen Musen-Almanach, der hauptsächlich dazu bestimmt sein soll, solchen Dichtern Eingang zu verschaffen, die ersten Gedichte, die ich von Freiligrath sah, mit einer Freude auf, die mir selten in gleichem Maaße zu Theil geworden ist. Ich habe in der Folge aus seinen Liedern auch den Sänger persönlich schätzen und lieben gelernt, den liebwerthen, bescheidenen, fremdem Verdienst begeistert huldigenden Sänger, der nicht sich nur vergöttern will, nicht sich nur in der Dichtung liebt, sondern unbedingt unbefangen Flammen fängt, sobald ihm der Funke der Poesie entgegensprüht.

Ich überlasse es anderen, Freiligrath mit Platen von Hallermünde, dem er nach dessen Tode einen Lorbeerkranz geflochten hat, zu vergleichen. – Man schlage in der Sammlung die Gedichte nach: «ΟΔΥΣΣΕΥΣ», S. 207; «Der ausgewanderte Dichter», S. 234; «Bei Grabbes Tod», S. 351 u. a. m.

Was aber Freiligrath vermocht hat, die Zuneigung, die er mir eingeflößt, zu erwidern, will ich aufdecken. Ich habe mich veranlaßt gefunden, in vertrauter Mittheilung den jungen Dichter auf Abwege aufmerksam zu machen, welche einzuschlagen er verleitet werden könnte, und habe gegen ihn über Gedichte, die er später unterdrückt hat, den schärfsten Tadel, den je die Kritik hätte ergießen können, schonungslos ausgesprochen.

Daher die gerügte, mir schmeichelhafte Stelle jenes Gedichts, daher mein Name vor der Sammlung seiner Lieder.