Adelbert von Chamisso
1781 - 1838
Gedichte in zeitlicher Folge
1828
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Traum.
Nacht war es, wo ich festen Schlafes schlief,Darin mein Selbstbewußtsein sich verlor,Als eine Stimme mich bei Namen rief.Und drei Mal traf erneut der Ruf mein Ohr;Ich dünkte mich darob erwacht zu sein,Und richtete vom Pfühle mich empor.«Wer rufet mir, wer fand bei mir sich ein?»Und seltsam ernst, und mild gebietend standEin Jüngling mir zu Haupt in hellem Schein.Um seine blondgelockte Stirne wand –Der Herrschaft Zeichen – sich ein goldner Reif,Und Schwert und Waage ziemten seiner Hand.«Wer bist du, Herr, vor dem ich wie der ReifVergehe vor der Sonne milder Macht?»«Ich bin, der kommen soll, die Zeit ist reif.Der Tag ist aber, wie die Mitternacht,Die Gegenwart ist falsch, das Leben lügt,Der weiß es, der die Todten reden macht.Die Todten, deren Zeugniß mir genügt,Sollst du verhören über diesen Streit;Steh auf und geh, ich hab es so verfügt.Dann tritt die Zukunft in die Wirklichkeit,Dann schaff ich Recht in die erneute WeltUnd richte wieder ein den Lauf der Zeit.»Ich gieng zu thun, wozu er mich bestellt;Es schien in schauerlicher Nacht kein Stern,Das Innre nur des Münsters war erhellt.Geläut und Orgelton erschallten fern;Sie glichen der Posaune des Gerichts,Und ich dem Werkzeug in der Hand des Herrn.Ich aber dachte nichts, und schaute nichts,Und mühsam über Gräber tappend nahtIch mich dem Quelle des verborgnen Lichts.Des Münsters Thore sprangen auf, es tratHervor ein Priester, dessen Haupthaar weißUmwallte den geheiligten Ornat.Mit Buch und Kerze trat zu mir der Greis,Und sah mich schweigend an, und winkte mir,Und schweigend folgt ich ihm auf sein Geheiß.Ein gähnend Grab inmitten dem RevierDer Gräber bot sich uns zum Eingang dar,Davor mein Führer hielt und winkte: hier!Wir stiegen durch dasselbe, sonderbar,An viele tausend Stufen wohl hinab,Und wurden in der Tiefe Licht gewahr.Es wölbte höher sich der Gang und gabDem Aug ein unermeßlich Feld hinfort;Wir beide waren stumm, wie selbst das Grab.Ein Tisch, ein Stuhl, ein Schreibzeug waren dort,Und einer Lampe Schein erhellte kargDen nächsten Umkreis von dem Schreckensort.Es lagen unabsehbar Sarg an Sarg.Am Tisch zu sitzen wies den Platz mir anMein Führer, der sodann sich mir verbarg.Und wie ich so verlassen mich besann,Rief dröhnend eine Stimme durch den Raum,Die jene vorzuladen nun begann.Der aufgerufne Todte hörte kaumSich nennen, regt' er stöhnend sich, als seiEr mühsam aufgewacht aus schwerem Traum;Entrang sich seinem Sarg und kam herbei,Schlaftrunken, staunend schauend in die Rund,Und stellte sich vor mich am Tische frei.Die Stimme that ihm dann die Fragen kund,Und unbestochen nach der Wahrheit sprachGewicht'ges Zeugniß er mit blassem Mund.Ich aber, ob darob das Herz mir brach,Verfaßte das Verhör, wie sich's gehört,Und schrieb die schweren Worte treulich nach.Es wurden auch in ihrer Ruh gestörtDie nicht verhörten Todten allzumal,Und stöhnend in der Särge Schoß gehört.Es waren aber, nach der Stimme Wahl,Die Bürgerhelden Franklin, WashingtonDie ersten in der Vorgerufnen Zahl.Und ich, ich durfte, niedrer Menschensohn,Betrachten dieser Herrlichen Gestalt,Und trinken der verehrten Stimmen Ton.Dem sechsten nach dem zehnten Ludwig galtDer nächste Ruf; der Dulder schritt einher,Ein schwaches Rohr, geknickt von Sturmgewalt.Vernommen wurden dann Rousseau, Voltaire,Dann Necker, Mirabeau, und, ängstlich bang,Das bluthbefleckte Schreckbild Robespierre.Des nächstgerufnen Namens mächt'ger KlangErweckte Widerhall im Todtenreich,Wovor der Deckel vieler Särge sprang.«Napoleon!» Er kam, sich selber gleich,Gestützt auf des zerbrochnen Schwertes Knauf,Im abgerißnen Purpur stolz und bleich.Und viele von den Todten standen auf,Begierig, den Gewaltigen zu sehn,Und drängten sich um ihn und mich zu Hauf.Und Fürst und Mannen wollten auferstehn,Und rings ergoß sich der Verwesung Duft,Ich fühlte schier den Athem mir vergehn.«Zurück, zurück, Bewohner ihr der Gruft,Die nicht ihr seid geladen vor Gericht,Was doch verpestet ihr umsonst die Luft?»Ich rief es, doch die Todten hörten nicht;Ich streckte meine Hand nach ihnen aus,Die Lampe fiel und es erlosch das Licht.Nun warf sich über mich im Saus und Braus,Unbändig und im Schutz der finstern Nacht,Der kalten Leichen schauerlicher Graus.Da bin ich vor Entsetzen aufgewacht.Ich fand, wie ich die müden Augen rieb,Vom Strahle mich des Morgens angelacht,Vergessen und verschollen, was ich schrieb.
Der Stein der Mutteroder der Guahiba-Indianerin.
(Humboldt: «Voyage aux régions équinoxiales.» Liv. 7. Ch. 22. Ed. 8. V. 7. p. 286)
Wo durch die Ebnen in der heißen ZoneIn ihrem stolzen Laufe sich gesellenDer Orinoko und der Amazone;Und wann zur Regenzeit die Ströme schwellen,Unwirthbar, unzugänglich, wunderbar,Der Urwald sich erhebet aus den Wellen;Da herrscht im Wald der grause Jaguar,Das Krokodil auf überfloßner Flur,Den Tag verdunkelt der Moskitos Schar.Der Mensch ersteht, verschwindet ohne Spur,Ein armer, unbedachter Gast der reichen,Der riesenhaft unbändigen Natur.Es pflanzt der Missionar des Heiles ZeichenAn Flussesufern weit hinauf, wovorDer Wildniß freie Söhne fern entweichen.Am Atabapo's-Ufer ragt emporEin Stein, der Stein der Mutter, wohlbekanntDem Schiffer, der den Ort zur Rast erkor.So ward er unserm Humboldt auch genannt,Als diesen Strom der Wildniß er befahren,Von Wissensdurst und Thatenlust entbrannt.«Der Stein der Mutter? Lasset mich erfahren:Was redet dieser Stein mit stummem Munde?Was soll für ein Gedächtniß er bewahren?»Es schwiegen die Gefährten in der Runde.Erst später, zu San Carlos angekommen,Gab ihm ein Missionar die graus'ge Kunde:«Einst ward von San Fernando unternommenEin Zug, um Seelen für den heil'gen Glauben,Und Sklaven, die uns dienen, zu bekommen.Des heil'gen Ordens Satzungen erlauben,Gewaltsam zu der Völker Heil zu schalten,Und Heiden galt's am Guaviar zu rauben.Es ward, wo Rauch vom Ufer stieg, gehalten;Im Boote blieb, ein Betender, der Pater,Und ließ die rauhe Kraft der Seinen walten.Sie überfielen, ohne Schutz und Rather,Ein wehrlos Weib; mit seiner Söhne MachtVerfolgte wohl den Jaguar der Vater, –An Christen hatte nicht der Thor gedacht;Und die Guahiba-Mutter ward gebundenMit zwei unmünd'gen Kindern eingebracht;Sich wehrend, hätte sie den Tod gefunden,Sie war umringt, ihr blieb zur Flucht nicht Raum;Leicht ward sie, ob verzweifelnd, überwunden.Es war, wie diese, schmerzenreich wohl kaumNoch eine der Gefangnen, unverwandtRückschauend nach der heim'schen Wälder Saum.Entfremdet ihrer Heimath, unbekanntZu San Fernando, kaum erlöst der Bande,Hat sich die Rasende zur Flucht gewandt.Den Fluß durchschwimmend, nach dem VaterlandeEntführen wollte sie die kleinen beiden;Sie ward verfolgt, erreicht am andern Strande.Drob mußte harte Züchtigung sie leiden;Noch bluth'gen Leibes hat zum andern MalVersucht sie, zu entkommen zu den Heiden;Und härter traf sie noch der Geißel Qual;Und abermals versuchet ward die That;Nur Freiheit oder Tod war ihre Wahl.Da schien dem Missionar der beste Rath,Von ihren Kindern weit sie zu entfernen,Wo nimmer ihr der Hoffnung Schimmer naht.Sie sollt ihr Los am Rio Negro lernen.Sie lag gefesselt, und es glitt das BootDen Fluß hinauf; sie spähte nach den Sternen.Sie fühlte nicht die eigne bittre Noth,Sie fühlte Mutterliebe, Kern des Lebens,Und Fesseln, und sie wünschte sich den Tod.Die Fesseln sprengt sie plötzlich kräft'gen Strebens,Da, wo den Stein am Ufer man entdeckt,Und wirft sich in den Strom und schwimmt, – vergebens!Sie ward verfolgt, ergriffen, hingestrecktAuf jenen Stein, geheißen nach der Armen,Mit deren Schmerzensbluth er ward befleckt.Sie ward gepeitscht, zerfleischet ohn Erbarmen,Geworfen in das Boot zur weitern FahrtMit auf dem Rücken festgeschnürten Armen.Javita ward erreicht auf solche Art;Die wund, gebunden, kaum sich konnte regen,Ward dort zu Nacht im Fremdenhaus verwahrt.Es war zur Regenzeit, das wollt erwägen,Zur Regenzeit, wo selbst der kühnste MannNicht wagt den nächsten Gang auf Landeswegen;Wo uferlos die Flüsse waldhinanGestiegen sind; der Wald, der Nahrung zollte,Dem Hunger kaum Ameisen bieten kann;Wo, wer in Urwaldsdickicht dringen wollte,Und würd er vor dem Jaguar nicht bleich,Und wenn ihm durchzubrechen glücken sollte,Versenkt sich fände in ein Schattenreich,Vom sternenlosen Himmel ganz verlassen,Dem führerlos verirrten Blinden gleich.Was nicht der keckste Jäger ohn ErblassenNur denken mag, das hat das Weib vollbracht;An dreißig Meilen mag die Strecke fassen.Wie sich die Angeschloßne frei gemacht,Das bleibt in tiefem Dunkel noch verborgen,Sie aber war verschwunden in der Nacht;Zu San Fernando fand der vierte MorgenSie händeringend um das Haus beflissen,Das ihre Kinder barg und ihre Sorgen.» –«O sagt's, o sprecht es aus, daß wir es wissen,Daß nicht der Mutterliebe Heldin wiederUnmenschlich ihren Kindern ward entrissen!»Er aber schwieg, und schlug die Augen nieder,Und schien in sich zu beten. Red hinfortDem ihn Befragenden zu stehn, vermied er.Doch, was verschwiegen blieb dem Humboldt dort,Aus seinem Buche schaurig widerhallt;Es ward berichtet ihm an andrem Ort.Sie haben fern nach Osten mit GewaltSie weggeführt, die Möglichkeit zu mindern,Daß sie erreiche, was ihr alles galt.Sie haben sie getrennt von ihren Kindern!Sie konnten, Hoffnung fürder noch zu hegen,Sie konnten nicht zu sterben sie verhindern.Und, wie verzweifelnd die Indianer pflegen,Sie war nicht, seit der letzten Hoffnung Stunde,Daß Nahrung ein sie nehme, zu bewegen.So ließ sie sich verhungern! Diese KundeZu der Guahiba und der Christen BildnißErzählet jener Stein mit stummem MundeAm Atabapo's-Ufer in der Wildniß.
Bisson vor Stampalinam 4. November 1827
(Nach dem Berichte des Seeministers in der Sitzung der französischen Kammer der Abgeordneten vom 5. April 1828)
«Zum Unheil hat uns nur der Sturm verschont,Der uns verschlagen hat vor Stampalin,Das Nest, wo dieses Raubgesindel wohnt.Die zwei Gefangnen, welche sich vorhinBefreiten, schwimmend an das Land begaben –O diese zwei –! Versteh mich, Trementin:Zu ihrem Neste flogen diese Raben,Und einem Kampfe sehen wir entgegen,Wo nicht zu siegen wir die Hoffnung haben.Doch, sind uns schon die Räuber überlegen,Noch steht uns, nicht besiegt zu werden, frei;Wir könnten thun, wie wackre Leute pflegen.Lebt einer noch von beiden, wer es sei, –Zur Pulverkammer – schnell! – Du bist ein Mann –Vorsorglich brennt die Lunte schon dabei!» –Drauf Trementin: «Ich dachte so daran:Du, Bisson, oder ich – es fliegt in RauchDie Brigg auf, eh der Feind sich freuen kann!» –Sie drückten sich die Hand. Kein Wind, kein HauchDurchschwirrt das schlaffe Thauwerk. Stumm die Nacht.Schlagfertig liegt das Schiff nach gutem Brauch.Nur funfzehn Tapfre sind der Franken Macht;Auf zweien Misticks neun Mal funfzehn kommen,Die Gegenwehr zu finden kaum gedacht.Sie rudern her; – der Kampf ist schon entglommen.Geschützesdonner, Kriegesstimmen hallen,Sie entern, der Verdeck ist eingenommen.Es sind von funfzehn neune schon gefallen,Und Bisson bluthet selbst aus schweren Wunden;Er rafft sich auf und läßt den Ruf erschallen:«Auf! über Bord, wer nicht den Tod gefunden!»Es springen die Gefährten in die Flut,Er selbst ist in den Schiffsraum schnell verschwunden.Und der Pirat, der nun vom Streite ruht,Der nicht zu morden findet einen mehr,Beschauet sich den Raum in Uebermuth.Da flieget donnernd auf das Schiff, das MeerMischt gischend sich mit Trümmern und mit Leichen,Ein Dampfgewölk bedeckt es stumm und schwer,Und Bissons Name strahlet sonder Gleichen.
Don Raphaels letztes Gebet.(Spanisch)
Der ich zuerst das Freiheitswort gesprochen,Das mächtig widerhallende, muß sterben,Und schon ist über mich der Stab gebrochen.Ich wende mich zu deinem Kreuz im herbenMoment das Bluthgerüste zu besteigen,Und bete: Herr, laß Gnade mich erwerben.Mir ward hienieden hoher Ruhm zu eigen,Ich gebe mich versöhnt in deine Hut,Des Hasses und der Rache Stimmen schweigen.Der aber sich befleckt mit meinem Bluth –Vergib ihm, Herr! die Fülle seiner SchandeSei Sühne dir; er weiß nicht, was er thut.Ich meint es treu mit meinem lieben Lande,Vermaß mich – – Aber du vermagst's allein –Es hat gefühlt, geschüttelt seine Bande.Du rufest meine Träume bald ins Sein,Die bluth'ge Röthe deutet auf den Morgen,Die Sonne bricht hervor, ihr Sieg ist dein.Dem ich gelebet, sterb ich, sonder SorgenFür andre Güter; liebe, hoffe, glaube;Dir sind mein Herz, die Zukunft, nicht verborgen.Und hab ich mich gewälzet auch im Staube,Gesündigt als ein schwacher Menschensohn,Du gibst mich nicht dem argen Feind zum Raube.Mit ehrner Zunge ruft die Glocke schon, –Wohlan! ich war's, ich bin's und bin bereit;Den Trommeln bietet meine Stimme Hohn.Sie hallte ja durch Spanien weit und breit,Und streut' in vieler Herzen schon den Samen,Der Spanier hört, was Riegos Bluth ihm schreit. –Du, Herr, empfange meine Seele. Amen!
Die Quelle.
Unsre Quelle kommt im SchattenDuft'ger Linden an das Licht,Und wie dort die Vögel singen,Nein, das weiß doch jeder nicht!
Und das Mädchen kam zur Quelle,Einen Krug in jeder Hand,Wollte schnell die Krüge füllen,Als ein Jüngling vor ihr stand.
Mögen wohl geplaudert haben,Kam das Mädchen spät nach Haus:Gute Mutter, sollst nicht schelten,Sandtest selbst ja mich hinaus.
Geht man leicht zur Quelle, trägt manDoch zu Haus ein schwer Gewicht,Und wie dort die Vögel singen –Mutter, nein, das weißt du nicht!
Der Gemsen-Jägerund die Sennerin.
Nimm mich verirrten Jäger,Du gute Sennerin, auf;Es lockte mich über die GletscherDie Gemse mit flüchtigem Lauf.
Bin fremd auf dieser Alpe,Verlassen für und für;In rauher Nacht verschließeNicht hart mir deine Thür. –
Muß, Jäger, wohl sie verschließen,Ich bin ja ganz allein,Gar eng ist meine Hütte,Für dich kein Lager darein. –
Nur Schutz an deinem Herde,Ein Lager begehr ich nicht;Ich scheide, sobald die GletscherSich färben mit röthlichem Licht. –
Und wenn ich ein dich ließe...,O Jäger, laß mich in Ruh,Nachrede gäb's und Geschichten;Was sagte der Hirt dazu? –
Der Hirt soll mich nicht hören,Das, Gute, versprech ich dir:Ich halte mich friedlich und stille,Befürchte doch nichts von mir. –
Und willst du dich halten, o Jäger,Ein stiller und friedlicher Gast,So werd ich herein dich lassen;Die Nacht ist zu grausig doch fast.
Sie öffnete leise die ThüreUnd ließ den Jäger herein;Es loderte gastlich vom HerdeDie Flamme mit freundlichem Schein.
Und bei dem Scheine sahenDie beiden sich staunend an –Die Nacht ist ihnen vergangen,Der Morgen zu dämmern begann.
Wie ließ ich dich ein, o Jäger,Ich weiß nicht, wie es kam;Nun röthet der Morgen die GletscherUnd meine Wangen die Scham.
O lieber, lieber Jäger,So schnell vergangen die Nacht!Auf, auf! du mußt nun scheiden,Bevor der Hirt noch erwacht.
Und muß für heut ich scheiden,So bleibe, du Gute, mir hold;Hast keinen Grund zu weinen,Nimm diesen Ring von Gold.
Ein Haus, das mir gehöret,Dort drüben im anderen Thal,Mein Stutzer, auf Gletscher und FelsenDie flüchtigen Gemsen zumal:
Ich kann dich ehrlich ernähren,Du liebe Sennerin mein;Und steiget zu Thal der Winter,Soll unsere Hochzeit sein.
Die Jungfrauvon Stubbenkammer.Volkssage.
Ich trank in schnellen ZügenDas Leben und den TodBeim Königsstuhl auf RügenAm Strand im Morgenroth.
Ich kam am frühen TageNachsinnend einsam her,Und lauscht dem Wellenschlage,Und schaute übers Meer.
Wie schweifend aus der WeiteMein Blick sich wieder neigt,Da hat sich mir zur SeiteEin Feenweib gezeigt.
An Schönheit sondergleichen,Wie nimmer Augen sahn,Mit goldner Kron und reichenGewändern angethan.
Sie kniet' auf Felsensteinen,Umbrandet von der Flut,Und wusch, mit vielem Weinen,Ein Tuch befleckt mit Bluth.
Umsonst war ihr Beginnen,Sie wusch und wusch mit Fleiß,Der böse Fleck im LinnenErschien doch nimmer weiß.
Da sah sie unter ThränenMich an, und bittend fast;Da hat ein heißes SehnenMich namenlos erfaßt.
«Gegrüßet mir, du blendend,Du wundersames Bild! – –»Sie aber, ab sich wendend,Sprach schluchzend aber mild:
«Ich weine trüb und trüberDie Augen mir und blind;Gar viele ziehn vorüber,Und nicht ein Sonntagskind.
Nach langem, bangem HoffenErreichst auch du den Ort –O hättest du getroffenZum Gruß das rechte Wort!
Hättst du Gott helf! gesprochen,Ich war erlöst und dein,Die Hoffnung ist gebrochen,Es muß geschieden sein!» –
Da stand sie auf zu gehen,Das Tuch in ihrer Hand,Und, wo die Pfeiler stehen,Versank sie und verschwand.
Ich trank in schnellen ZügenDas Leben und den TodBeim Königsstuhl auf RügenAm Strand im Morgenroth.
Geduld!
Als einst in KnabenjahrenIch an zu kegeln fieng,Da hab ich selbst erfahren,Wie's jenem Kaiser gieng.
Tunelli, weiland KaiserVom Reich Aromata,Großmächt'ger Fürst und weiser,Wie noch ich keinen sah,
Du Jäger unverdrossen,Du knalltest mannlich los,Und hattst du nichts erschossen,So lag's am Zielen bloß.
Ich aber schob wie keiner,Das Zielen nur war Schuld;Von neunen fiel nicht einer –Der Junge rief: Geduld!
Geduld! Geduld! – IndessenBin worden grau und alt,Hab Kegeln schier vergessen,Der Ton noch immer schallt.
Geduld! Geduld! – Ihr Jungen,Ihr sangt ein Lied mir vor,Euch sangen's tausend ZungenVielstimmig nach im Chor.
Geduld! Geduld! – Die Weise,Die stimm ich selbst noch an:Geduld auf später Reise,Du müder, alter Mann!
Erscheinung.
Die zwölfte Stunde war beim Klang der BecherUnd wüstem Treiben schon herangewacht,Als ich hinaus mich stahl, ein müder Zecher.Und um mich lag die kalte, finstre Nacht;Ich hörte durch die Stille widerhallenDen eignen Tritt und fernen Ruf der Wacht.Wie aus den klangreich fest-erhellten HallenIn Einsamkeit sich meine Schritte wandten,Ward ich von seltsam trübem Muth befallen.Und meinem Hause nah, dem wohlbekannten,Gewahrt ich, und ich stand versteinert fast,Daß hinter meinen Fenstern Lichter brannten.Ich prüfte zweifelnd eine lange Rast,Und fragte: macht es nur in mir der Wein?Wie käm zu dieser Stunde mir ein Gast?Ich trat hinzu, und konnte bei dem ScheinIm wohlverschloßnen Schloß den Schlüssel drehen,Und öffnete die Thür, und trat hinein.Und, wie die Blicke nach dem Lichte spähen,Da ward mir ein Gesicht gar schreckenreich, –Ich sah mich selbst an meinem Pulte stehen.Ich rief: «Wer bist du, Spuk?» – er rief sogleich:«Wer stört mich auf in später Geisterstunde?»Und sah mich an, und ward, wie ich, auch bleich.Und unermeßlich wollte die SekundeSich dehnen, da wir starrend wechselseitigUns ansahn, sprachberaubt mit offnem Munde.Und aus beklommner Brust zuerst befreit ichDas schnelle Wort: «Du grause Truggestalt,Entweiche, mache mir den Platz nicht streitig!»Und er, als einer, über den GewaltDie Furcht nur hat, erzwingend sich ein leisesUnd scheues Lächeln, sprach erwidernd: «Halt!Ich bin's, du willst es sein; – um dieses Kreises,Des wahnsinn-drohnden, Quadratur zu finden,Bist du der rechte, wie du sagst, beweis es;Ins Wesenlose will ich dann verschwinden.Du Spuk, wie du mich nennst, gehst du das ein,Und willst auch du zu Gleichem dich verbinden?»Drauf ich entrüstet: «Ja, so soll es sein!Es soll mein echtes Ich sich offenbaren,Zu Nichts zerfließen dessen leerer Schein!»Und er: «So laß uns, wer du seist, erfahren!»Und ich: «Ein solcher bin ich, der getrachtetNur einzig nach dem Schönen, Guten, Wahren;Der Opfer nie dem Götzendienst geschlachtet,Und nie gefrönt dem weltlich eitlen Brauch,Verkannt, verhöhnt, der Schmerzen nie geachtet;Der irrend zwar und träumend oft den RauchFür Flamme hielt, doch muthig beim ErwachenDas Rechte nur verfocht: – bist du das auch?»Und er mit wildem, kreischend lautem Lachen:«Der du dich rühmst zu sein, der bin ich nicht.Gar anders ist's bestellt um meine Sachen.Ich bin ein feiger, lügenhafter Wicht,Ein Heuchler mir und andern, tief im HerzenNur Eigennutz, und Trug im Angesicht.Verkannter Edler du mit deinen Schmerzen,Wer kennt sich nun? wer gab das rechte Zeichen?Wer soll, ich oder du, sein Selbst verscherzen?Tritt her, so du es wagst, ich will dir weichen!»Drauf mit Entsetzen ich zu jenem Graus:«Du bist es, bleib, und laß hinweg mich schleichen!» –Und schlich, zu weinen, in die Nacht hinaus.
Abdallah.(Tausend und eine Nacht)
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Abdallah liegt behaglich am Quell der Wüste und ruht,Es weiden um ihn die Kamele, die achtzig, sein ganzes Gut;Er hat mit Kaufmannswaren Balsora glücklich erreicht,Bagdad zurück zu gewinnen, wird ledig die Reise ihm leicht.
Da kommt zur selben Quelle, zu Fuß am Wanderstab,Ein Derwisch ihm entgegen den Weg von Bagdad herab.Sie grüßen einander, sie setzen beisammen sich zum Mahl,Und loben den Trunk der Quelle, und loben Allah zumal.
Sie haben um ihre Reise theilnehmend einander befragt,Was jeder verlangt zu wissen, willfährig einander gesagt,Sie haben einander erzählet von dem und jenem Ort,Da spricht zuletzt der Derwisch ein gar bedächtig Wort:
«Ich weiß in dieser Gegend, und kenne wohl den Platz,Und könnte dahin dich führen, den unermeßlichsten Schatz.Man möchte daraus belasten mit Gold und EdelgesteinWohl achtzig, wohl tausend Kamele, es würde zu merken nicht sein.»
Abdallah lauscht betroffen, ihn blendet des Goldes Glanz,Es rieselt ihm kalt durch die Adern und Gier erfüllt ihn ganz:«Mein Bruder, hör, mein Bruder, o führe dahin mich gleich!Dir kann der Schatz nicht nützen, du machst mich glücklich und reich.
Laß dort mit Gold uns beladen die achtzig Kamele mein,Nur achtzig Kameleslasten, es wird zu merken nicht sein.Und dir, mein Bruder, verheiß ich, zu deines Dienstes Sold,Das beste von allen, das stärkste, mit seiner Last von Gold.»
Darauf der Derwisch: «Mein Bruder, ich hab es anders gemeint,Dir vierzig Kamele, mir vierzig, das ist, was billig mir scheint,Den Werth der vierzig Thiere empfängst du millionenfach,Und hätt ich geschwiegen, mein Bruder, o denke, mein Bruder, doch nach.»
«Wohlan, wohlan, mein Bruder, laß gleich uns ziehen dahin,Wir theilen gleich die Kamele, wir theilen gleich den Gewinn.»Er sprach's, doch thaten ihm heimlich die vierzig Lasten leid,Dem Geiz in seinem Herzen gesellte sich der Neid.
Und so erhoben die beiden vom Lager sich ohne Verzug,Abdallah treibt die Kamele, der Derwisch leitet den Zug.Sie kommen zu den Hügeln; dort öffnet, eng und schmal,Sich eine Schlucht zum Eingang in ein geräumig Thal.
Schroff, überhangend umschließet die Felswand rings den Raum,Noch drang in diese Wildniß des Menschen Fuß wohl kaum.Sie halten; bei den Thieren Abdallah sich verweilt,Der sie, der Last gewärtig, in zwei Gefolge vertheilt.
Indessen häuft der Derwisch am Fuß der FelsenwandVerdorrtes Gras und Reisig und steckt den Haufen in Brand;Er wirft, so wie die Flamme sich prasselnd erhebt, hineinMit seltsamem Thun und Reden viel kräftige Spezerein.
In Wirbeln wallt der Rauch auf, verfinsternd schier den Tag,Die Erde bebt, es dröhnet ein starker Donnerschlag,Die Finsterniß entweichet, der Tag bricht neu hervor,Es zeigt sich in dem Felsen ein weitgeöffnet Thor.
Es führt in prächtige Hallen, wie nimmer ein Aug sie geschaut,Aus Edelgestein und Metallen von Geistern der Tiefen erbaut,Es tragen goldne Pilaster ein hohes Gewölb von Krystall,Hellfunkelnde Karfunkeln verbreiten Licht überall.
Es lieget zwischen den goldnen Pilastern, unerhört,Das Gold hoch aufgespeichert, des Glanz den Menschen bethört,Es wechseln mit den Haufen des Goldes, die Hallen entlang,Demanten, Smaragden, Rubinen, dazwischen nur schmal der Gang.
Abdallah schaut's betroffen, ihn blendet des Goldes Glanz,Es rieselt ihm kalt durch die Adern und Gier erfüllt ihn ganz.Sie schreiten zum Werke; der Derwisch hat klug sich Demanten erwählt,Abdallah wühlet im Golde, im Golde, das nur ihn beseelt.
Doch bald begreift er den Irrthum und wechselt die Last und tauschtFür Edelgestein und Demanten das Gold, des Glanz ihn berauscht,Und was er fort zu tragen die Kraft hat, minder ihn freut,Als was er liegen muß lassen, ihn heimlich wurmt und reut.
Geladen sind die Kamele, schier über ihre Kraft,Abdallah sieht mit Staunen, was ferner der Derwisch schafft.Der geht den Gang zu Ende und öffnet eine Truh,Und nimmt daraus ein Büchschen, und schlägt den Deckel zu.
Es ist von schlichtem Holze und was darin verwahrt,Gleich werthlos, scheint nur Salbe, womit man salbt den Bart;Er hat es prüfend betrachtet, das war das rechte Geschmeid,Er steckt es wohlgefällig in sein gefaltet Kleid.
Drauf schreiten hinaus die beiden und draußen auf dem PlanVollbringt der Derwisch die Bräuche, wie er's beim Eintritt gethan;Der Schatz verschließt sich donnernd, ein jeder übernimmtDie Hälfte der Kamele, die ihm das Los bestimmt.
Sie brechen auf und wallen zum Quell der Wüste vereint,Wo sich die Straßen trennen, die jeder zu nehmen meint;Dort scheiden sie und geben einander den Bruderkuß;Abdallah erzeigt sich erkenntlich mit tönender Worte Erguß.
Doch, wie er abwärts treibet, schwillt Neid in seiner Brust,Des andern vierzig Lasten, sie dünken ihn eigner Verlust:Ein Derwisch, solche Schätze, die eignen Kamele, – das kränktUnd was bedarf der Schätze, wer nur an Allah denkt?
«Mein Bruder, hör mein Bruder!» – so folgt er seiner Spur –«Nicht um den eignen Vortheil, ich denk an deinen nur,Du weißt nicht, welche Sorgen und weißt nicht, welche LastDu, Guter, an vierzig Kamelen dir aufgebürdet hast.
Noch kennst du nicht die Tücke, die in den Thieren wohnt,O glaub es mir, der Mühen von Jugend auf gewohnt,Versuch ich's wohl mit achtzig, dir wird's mit vierzig zu schwer,Du führst vielleicht noch dreißig, doch vierzig nimmermehr.»
Darauf der Derwisch: «Ich glaube, daß Recht du haben magst,Schon dacht ich bei mir selber, was du, mein Bruder, mir sagst.Nimm, wie dein Herz begehret, von diesen Kamelen noch zehn,Du sollst von deinem Bruder nicht unbefriedigt gehn.»
Abdallah dankt und scheidet und denkt in seiner Gier:Und wenn ich zwanzig begehrte, der Thor, er gäbe sie mir.Er kehrt zurück im Laufe, es muß versuchet sein,Er ruft, ihn hört der Derwisch und harret gelassen sein.
«Mein Bruder, hör, mein Bruder, o traue meinem Wort,Du kommst, unkundig der Wartung, mit dreißig Kamelen nicht fort,Die widerspenstigen Thiere sind störriger, denn du denkst,Du machst es dir bequemer, wenn du mir zehen noch schenkst.»
Darauf der Derwisch: «Ich glaube, daß Recht du haben magst,Schon dacht ich bei mir selber, was du, mein Bruder, mir sagst.Nimm, wie dein Herz begehret, von diesen Kamelen noch zehn,Du sollst von deinem Bruder nicht unbefriedigt gehn.»
Und wie so leicht gewähret, was kaum er sich gedacht,Da ist in seinem Herzen erst recht die Gier erwacht;Er hört nicht auf, er fodert, wohl ohne sich zu scheun,Noch zehen von den zwanzig und von den zehen neun.
Das eine nur, das letzte, dem Derwisch übrig bleibt,Noch dieß ihm abzufodern des Herzens Gier ihn treibt;Er wirft sich ihm zu Füßen, umfasset seine Knie:«Du wirst nicht nein mir sagen, noch sagtest du nein mir nie.»
«So nimm das Thier, mein Bruder, wonach dein Herz begehrt,Es ist, daß trauernd du scheidest von deinem Bruder, nicht werth.Sei fromm und weis im Reichthum, und beuge vor Allah dein Haupt,Der, wie er Schätze spendet, auch Schätze wieder raubt.»
Abdallah dankt und scheidet und denkt in seinem Sinn:Wie mochte der Thor verscherzen so leicht den reichen Gewinn?Da fällt ihm ein das Büchschen: das ist das rechte Geschmeid,Wie barg er's wohlgefällig in sein gefaltet Kleid!
Er kehrt zurück: «Mein Bruder, mein Bruder! auf ein Wort,Was nimmst du doch das Büchschen, das schlechte, mir dir noch fort?Was soll dem frommen Derwisch der weltlich eitle Tand?» –«So nimm es», spricht der Derwisch und legt es in seine Hand.
Ein freudiges Erschrecken den Zitternden befällt,Wie er auch noch das Büchschen, das räthselhafte, hält;Er spricht kaum dankend weiter: «So lehre mich nun auch,Was hat denn diese Salbe für einen besondern Gebrauch?»
Der Derwisch: «Groß ist Allah, die Salbe wunderbar.Bestreichst du dein linkes Auge damit, durchschauest du klarDie Schätze, die schlummernden alle, die unter der Erde sind;Bestreichst du dein rechtes Auge, so wirst du auf beiden blind.»
Und selber zu versuchen die Tugend, die er kennt,Der wunderbaren Salbe, Abdallah nun entbrennt:«Mein Bruder, hör, mein Bruder, du machst es besser, traun!Bestreiche mein Auge, das linke, und laß die Schätze mich schaun.»
Willfährig thut's der Derwisch, da schaut er unterwärtsDas Gold in Kammern und Adern, das gleißende, schimmernde Erz;Demanten, Smaragden, Rubinen, Metall und Edelgestein,Sie schlummern unten und leuchten mit seltsam lockendem Schein.
Er schaut's und starrt betroffen, ihn blendet des Goldes Glanz,Es rieselt ihm kalt durch die Adern und Gier erfüllt ihn ganz.Er denkt: würd auch bestrichen mein rechtes Auge zugleich,Vielleicht besäß ich die Schätze und würd unermeßlich reich.
«Mein Bruder, hör, mein Bruder, zum letzten Mal mich an,Bestreiche mein rechtes Auge, wie du das linke gethan,Noch diese meine Bitte, die letzte, gewähre du mir,Dann scheiden unsere Wege und Allah sei mit dir.»
Darauf der Derwisch: «Mein Bruder, nur Wahrheit sprach mein Mund,Ich mache dir die Kräfte von deiner Salbe kund.Ich will, nach allem Guten, das ich dir schon erwies,Die strafende Hand nicht werden, die dich ins Elend stieß.»
Nun hält er fest am Glauben und brennt vor Ungeduld,Den Neid, die Schuld des Herzens, giebt er dem Derwisch schuld,Daß dieser so sich weigert, das ist für ihn der Sporn,Der Gier in seinem Herzen gesellet sich der Zorn.
Er spricht mit höhnischem Lachen: «Du hältst mich für ein Kind;Was sehend auf einem Auge, macht nicht auf dem andern mich blind,Bestreiche mein rechtes Auge, wie du das linke gethan,Und wisse, daß, falls du mich reizest, Gewalt ich brauchen kann.»
Und wie er noch der Drohung die That hinzugefügt,Da hat der Derwisch endlich stillschweigend ihm genügt,Er nimmt zur Hand die Salbe, sein rechtes Aug er bestreicht – –Die Nacht ist angebrochen, die keinem Morgen weicht.
«O Derwisch, arger Derwisch, du doch die Wahrheit sprachst,Nun heile, kenntnißreicher, was selber du verbrachst.» –«Ich habe nichts verbrochen, dir ward, was du gewollt,Du stehst in Allahs Händen, der alle Schulden zollt.»
Er fleht und schreit vergebens und wälzet sich im Staub,Der Derwisch abgewendet bleibt seinen Klagen taub;Der sammelt die achtzig Kamele und gen Balsora treibt,Derweil Abdallah verzweifelnd am Quell der Wüste verbleibt.
Die nicht er schaut, die Sonne vollbringet ihren Lauf,Sie gieng am andern Morgen, am dritten wieder auf,Noch lag er da verschmachtend; ein Kaufmann endlich kam,Der nach Bagdad aus Mitleid den blinden Bettler nahm. | |
Der Waldmann.
Der Wandrer eilt das Thal hinauf,Er steigert fast den Schritt zum Lauf,Der Pfad ist steil, die Nacht bricht ein,Sie Sonne sinkt in bluth'gem Schein,Die Nebel ziehn um den Drachenstein.
Und wie er bald das Dorf erreicht,Ein seltsam Bild vorüber schleicht,Gespenstisch fast, unheimlicher Gast; –Drückt ihn annoch des Lebens Last?Gewährt das Grab ihm keine Rast?
«Ihr friedlichen Leute, was zaget ihr,Und kreuziget euch, und zittert schier?» –Ob mir das Haar zu Berge steigt,Ich sag's dir an, wenn alles schweigt:Es hat der Waldmann sich gezeigt.
«Der Waldmann?» – Ja. Du wirst nicht bleich,Du bist hier fremd, ich dacht es gleich;Ich bin ein achtzigjähr'ger Mann,Und war ein Kind, als sich's entspann,Ich bin's, der Kunde geben kann.
Die Drachenburg stand dazumalStolz funkelnd noch im Sonnenstrahl;Da lebte der Graf in Herrlichkeit,Bei ihm, bewundert weit und breit,Das junge Fräulein Adelheid.
Der Schreiber Waldmann, höflicher Art,Trübsinnig, blaß und hochgelahrt,Erfreute sich der Gunst des Herrn;Er sah das Fräulein nur zu gern,Und der Versucher blieb nicht fern.
Zu reden wie er, kein andrer verstund;Er webte fein mit falschem MundDas Netz, womit er sie umschlang;Er sprach von Lieb, er sprach von Rang,Von freier Wahl und hartem Zwang;
Von Gott und Christo nebenbei,Und Sündenhaftes allerlei;So hat er sie bestürmt, geplagt,Gequält, umgarnt, sei's Gott geklagt,Bis sie ihm Liebe zugesagt.
Spät ward's dem Vater hinterbracht,Sein Zorn, sein Mitleid sind erwacht;Sein Kind Erbarmen bei ihm fand,Der falsche Schreiber ward verbannt,Bei Leibesstrafe von Burg und Land.
Schön Adelheid in Thränen zerfloß,Der Waldmann aber irrt' um das Schloß;Er kannt nicht Ruh, er wußt nicht Rath,Er wüthete, brütete früh und spat,Und sann auf schauerliche That.
Er sandt ihr heimlich einen Brief,Wovor es kalt sie überlief:«Zusammen sterben!» hieß es darin,«Getrennt zu leben, bringt keinen Gewinn,Nach einem Dolchstoß steht mein Sinn.
Du schleichst zu Nacht aus des Schlosses RaumUnd stellst dich ein beim Kästenbaum;Bestellt das Brautbett findest du,Das Bett zur langen, langen Ruh,Am Morgen deckt dein Vater uns zu.»
Und wie in schwerem FiebertraumZog's sie zu Nacht nach dem Kästenbaum.Ob da sie selbst den Tod begehrt,Ob widerstrebt, ob sich gewehrt,Die Nacht verbirgt's, kein Mensch es erfährt.
Der Tag, wie er in Osten ergraut,Hat erst das bluth'ge Werk geschaut:Er hat in der Geliebten Brust,Die Liebe nur atmet und süße Lust,Den Dolchstoß sicher zu führen gewußt.
Wie aber sie sank in seinen Arm,Ihr Bluth verspritzte so roth und warm,Da merkt' er erst, wie das Sterben thut,Da ward er feig, da sank sein Muth,Da dünkt' es ihn zu leben gut.
Er hat die Leiche hingestreckt,Und ist entflohn, und hat sich versteckt.Es ward das Schreckniß offenbar,Wie kaum die Arme verblichen war;Der Vater zerraufte sein greises Haar.
Er hat dem Mörder grausig geflucht:Dem Tod zu entkommen, der drohend ihn sucht;Er hat das Grab der Tochter bestellt,Er hat sich bald zu derselben gesellt;Sein Stamm verdorrt, die Burg zerfällt.
Der Waldmann dort bei den Gräbern haust,Beim Kästenbaum, wann der Sturm erbraust,Gespenstisch fast, unheimlicher Gast; –Drückt ihn annoch des Lebens Last?Gewährt das Grab ihm keine Rast?
Man weiß es nicht, doch wann er steigtHinab zu Thal, im Dorfe sich zeigt,So folgt ihm Unheil auf dem Fuß;Verderben bringt sein ferner Gruß,Und wen er anhaucht, sterben muß.
Die Giftmischerin.
Dies hier der Block und dorten klafft die Gruft.Laßt einmal noch mich atmen diese Luft,Und meine Leichenrede selber halten.Was schauet ihr mich an so grausenvoll?Ich führte Krieg, wie jeder thut und soll,Gen feindliche Gewalten.Ich that nur eben, was ihr alle thut,Nur besser; drum, begehret ihr mein Bluth,So thut ihr gut.
Es sinnt Gewalt und List nur dieß Geschlecht;Was will, was soll, was heißet denn das Recht?Hast du die Macht, du hast das Recht auf Erden.Selbstsüchtig schuf der Stärkre das Gesetz,Ein Schlächterbeil zugleich und FangenetzFür Schwächere zu werden.Der Herrschaft Zauber aber ist das Geld:Ich weiß mir Beßres nichts auf dieser Welt,Als Gift und Geld.
Ich habe mich aus tiefer Schmach entrafft,Vor Kindermärchen Ruhe mir geschafft,Die Schrecken vor Gespenstern überwunden.Das Gift erschleicht im Dunkeln Geld und Macht,Ich hab es zum Genossen mir erdacht,Und hab es gut befunden.Hinunter stieß ich in das SchattenreichMann, Brüder, Vater, und ich ward zugleichGeehrt und reich.
Drei Kinder waren annoch mir zur Last,Drei Kinder meines Leibes; mir verhaßt,Erschwerten sie mein Ziel mir zu erreichen.Ich habe sie vergiftet, sie gesehn,Zu mir um Hülfe rufend, untergehn,Bald stumme, kalte Leichen.Ich hielt die Leichen lang auf meinem Schoß,Und schien mir, sie betrachtend thränenlos,Erst stark und groß.
Nun frönt ich sicher heimlichem Genuß,Mein Gift verwahrte mich vor UeberdrußUnd ließ die Zeugen nach der That verschwinden.Daß Lust am Gift, am Morden ich gewann,Wer, was ich that, erwägt und fassen kann,Der wird's begreiflich finden.Ich theilte Gift wie milde Spenden aus,Und weilte lüstern Auges, wo im HausDer Tod hielt Schmaus.
Ich habe mich zu sicher nur geglaubt,Und büß es billig mit dem eignen Haupt,Daß ich der Vorsicht einmal mich begeben.Den Fehl, den einen Fehl bereu ich nur,Und gäbe, zu vertilgen dessen Spur,Wie viele eurer Leben!Du, schlachte mich nun ab, es muß ja sein.Ich blicke starr und fest vom RabensteinIns Nichts hinein.
Das Mädchen zu Cadix.
«Willst, ein Schlechter unter Schlechten,Um die Spanierin du buhlen?Girrend zu der Laute singst du,Und der Franke hält die Runde.
Geht, ich kenn euch, Taubenherzen!Geht, ich kenn euch, Andalusier!Euch die Spindel, uns die Waffen,Besser ständ's mit Spaniens Ruhme!
Regen sich in ihrer ScheideEure Messer ungeduldigDurstend nach dem Bluth der Fremden,Sprecht ihr zu dem Eisen: ruhig!
O der übermüth'gen Fremden!Ueber euch sei ihre Rute,Ueber euch, ihr feigen Knechte,Würdig solcher Nebenbuhler!» –
«Herrin, Worte schweren InhaltsSprichst du aus mit leichter Zunge,Stehst du mit den fremden HenkernScherzend gegen mich im Bunde?» –
«Dünken dich, mein zarter Knabe,Schon des Mädchens Worte furchtbar? –Sieh den Franken! – willst du Schutz nichtUnter meinem Mantel suchen?» –
«Unverhohlen, was begehrst du?Eh ich solche Schmach erdulde,Will ich jede That begehen,Gehen selber dann zu Grunde!» –
«Dieser kommt im Glanz der WaffenUnd vertrauet seiner Jugend;Bist ein Spanier du, beweis es, –Nieder mit dem stolzen Buben!» –
Aber röchelnd lag der fremdeKrieger schon in seinem Bluthe;Schergen holten ein den Thäter,Brachten ihn daher gebunden.
Und das Mädchen sang frohlockend:«Diesmal ist es mir gelungen!Eines Thoren werd ich ledig,Und der Franke zahlt die Buße.»
Diese Worte hört der Spanier,Winket schweigsam seiner Buhlen,Ziehet schweigsam dann vorüber,Finstern Sinnes, kecken Mutes. –
«Nicht ihr, Franken, gebt den Tod mir,Nicht um Sühne muß ich bluthen,Weil ich Spaniens Boden schmückteMit dem ihm verfallnen Purpur.
Nein, ich trag in meinem HerzenSchweigsam schon die Todeswunde;Meine Herrin hat gerichtet,Meine Stunde hat gerufen!» –
Also sang er vor der Fronte,Als die Augen ihm verbunden;Auf den Wink des Führers sank er,In dem Herzen sieben Kugeln.
Nächtliche Fahrt.
In Purpur pranget der Abend,Der Landwind hebet schon an;Zur Lustfahrt ladet der FischerDich, Mädchen, in seinen Kahn. –
Noch heißer begehr ich selbanderMit dir zu fahren, als du.Gib voll das Segel dem Winde,Es kommt zu steuern mir zu. –
Du steuerst zu kühn, o Mädchen,Hinaus in das offene Meer;Du trauest dem leichten FahrzeugBei hohen Wellen zu sehr. –
Mißtrauen sollt ich dem Fahrzeug?Ich habe dazu nicht Grund,Die einst ich deiner TreueGetrauet in böser Stund. –
Unsinnige, wende das Ruder!Du bringest uns beide in Noth;Schon treiben der Wind und die WellenIhr Spiel mit dem schwachen Boot. –
Laß treiben den Wind und die WellenMit diesen Brettern ihr Spiel;Hinweg mit Rudern und Segel,Hinweg! ich bin am Ziel.
Wie du mich einst, so hab ichDich heut zu verderben berückt;Mach Frieden mit dem Himmel,Denn siehe, der Dolch ist gezückt.
Du zitterst, verworfner Betrüger,Vor dieses Messers Schein?Verrathene Treue schneidetNoch schärfer ins Herz hinein.
Und manche betrogene BuhleHärmt stille zu Tode sich:Ich weiß nur, mich rächend, zu sterben,Weh über dich und mich! –
Der Jüngling rang die Hände,Der eigenen Schuld bewußt;Sie stieß den Dolch in das Herz ihm,Und dann in die eigene Brust.
Es trieb ein Wrak an das UferBei wiederkehrender Flut,Es lagen darauf zwei Leichen,Gebadet in ihrem Bluth.
Pech.
Wahrlich aus mir hätte vielesWerden können in der Welt,Hätte tückisch nicht mein SchicksalSich mir in den Weg gestellt.
Hoher Ruhm war zu erwerben,Wenn die Waffen ich erkor;Mich den Kugeln preis zu geben,War ich aber nicht der Thor.
Um der Musen Gunst zu buhlenWar ich minder schon entfernt;Ein Gelehrter wär ich worden,Hätt ich lesen nur gelernt.
Bei den Frauen, sonder Zweifel,Hätt ich noch mein Glück gemacht,Hätten sie mich aller OrtenNicht unmenschlich ausgelacht.
Wie zum reichen Mann geboren,Hätt ich diesen Stand erwählt,Hätte nicht vor allen DingenImmer mir das Geld gefehlt.
Ueber einen Staat zu herrschen,War vor allen ich der Mann,Meine Gaben und TalenteWiesen diesen Platz mir an.
König hätt ich werden sollen,Wo man über Fürsten klagt.Doch mein Vater war ein Bürger,Und das ist genug gesagt.
Wahrlich aus mir hätte vielesWerden können in der Welt,Hätte tückisch nicht mein SchicksalSich mir in den Weg gestellt.
Der Frau Basekluger Rath.
Möchtest du den Jungen haben?Den gesunden, frischen, üpp'gen,Blondgelockten, schönen Knaben?Ei, ein wahres Zuckerpüppchen!Eine Lust mit dem zu leben!Mußt um ihn dir Mühe geben;Ja, der ist ein schmucker Mann!Kratze, kratze, kratze, Trulle,Dir den hübschen Jungen an!
Oder den, nach altem Brauche,Mit Dreimaster, Puderzopfe,Dünnen Beinen, dickem Bauche,Kupfernas und Wackelkopfe?Stirbt er, giebt es viel zu erben;Und was sollte der nicht sterben?Ja, der ist ein reicher Mann!Kratze, kratze, kratze, Trulle,Kratze dir den Alten an.
Oder den vom Militäre?Silber auf dreifarb'gem Tuche –Federhut – «auf meine Ehre!»Lügt er auch, wie aus dem Buche.Vornehm wirst du, Eure Gnaden!Kommt das Bürgergrob zu Schaden,Hältst du's mit dem Edelmann.Kratze, kratze, kratze, Trulle,Kratze dir den Leutnant an!
Oder wen du kannst, den LahmenWie den Krummen, laß dich warnen:Oft von allen, die da kamen,Bleibt nicht einer in den Garnen.Einen Mann nur! heut zu TageGeht die allgemeine Klage:Jede kriegt nicht einen Mann.Kratze, kratze, kratze, Trulle,Dir den ersten besten an!
[Hochzeitlied.]
[1831 als 2. Lied im Zyklus «Hochzeitlieder»]
Rosen in dem Maien,Und der Liebe Fest!Schwalben und die LiebenBauen sich ihr Nest.
Maienrosen, Lieder,Schwalben, Liebe gar!Und ich werde wiederJung im grauen Haar.
Gern und gerner.
Der Gang war schwer, der Tag war rauh,Kalt weht' es und stürmisch aus Norden;Es trieft mein Haar vom Abendthau,Fast wär ich müde geworden.
Laß blinken den rothen, den süßen Wein:Es mag der alte ZecherSich gerne sonnen im rothen Schein,Sich gerne wärmen am Becher;
Und gerner sich sonnen in trüber StundAm Klarblick deiner Augen,Und gerner vom rothen, vom süßen MundDurchwärmende Flammen saugen.
Reichst mir den Mund, mir den Pokal,Mir Jugendlust des Lebens;Laß tosen und toben die Stürme zumal,Sie mühen um mich sich vergebens.
Familienfest.(Litauisch)
Der Vater gieng auf die Jagd in den Wald;Ein gutes Wild ersah er sich bald.
Er legte wohl an, er drückte los,Der Sperling fiel auf das weiche Moos.
Die Brüder luden zu Schlitten den Fang,Und schleiften ihn heim, und jubelten lang.
Die Töchter schnell das Feuer geschürt,Sie rupften und sengten ihn, wie sich's gebührt.
Die Mutter briet und schmort' ihn gleich,Der Braten war köstlich und schmackhaft und weich.
Geschäftig trugen die Schwestern ihn auf;Es kamen die fröhlichen Gäste zu Hauf.
Sie setzten zu Tisch sich und saßen fest,und thaten sich gütlich beim weidlichen Fest.
Sie schmausten den Sperling in guter Ruh,Und tranken drei Fässer des Bieres dazu.
Die Waise.(Litauisch)
Sie haben mich geheißenNach Heidelbeeren gehn:Ich habe nach den BeerenIm Walde nicht gesehn.
Ich bin hinaus gegangenZu meiner Mutter Grab,Worauf ich mich gesetzetUnd viel geweinet hab. –
«Wer sitzt auf meinem Hügel,Von der die Thränen sind?» –Ich bin's, o liebe Mutter,Ich, dein verwaistes Kind.
Wer wird hinfort mich kleidenUnd flechten mir das Haar?Mit Liebeswort mir schmeicheln,Wie's deine Weise war?
«Geh hin, o liebe Tochter,Und finde dich darein,Es wird dir eine zweite,Statt meiner, Mutter sein.
Sie wird das Haar dir flechtenUnd kleiden dich hinfort,Ein Jüngling wird dir schmeichelnMit zartem Liebeswort.»
Die Kartenlegerin.(Béranger)
[1833 als 1. Lied im Zyklus «Vier Lieder von Béranger»]
Schlief die Mutter endlich einUeber ihre Hauspostille?Nadel, liege du nun stille:Nähen, immer nähen, – nein! –Legen will ich mir die Karten.Ei, was hab ich zu erwarten?Ei, was wird das Ende sein?
Trüget mich die Ahndung nicht,Zeigt sich Einer, den ich meine, –Schön! da kommt er ja, der Eine,Curbub kannte seine Pflicht. –Eine reiche Witwe? – wehe!Ja, er freit sie, ich vergehe!O verruchter Bösewicht!
Herzeleid und viel Verdruß, –Eine Schul und enge Mauern, –Carreaukönig, der bedauern,Und zuletzt mich trösten muß. –Ein Geschenk auf art'ge Weise –Er entführt mich – eine Reise –Geld und Lust in Ueberfluß!
Dieser Carreaukönig daMuß ein Fürst sein oder König,Und es fehlt daran nur wenig,Bin ich selber Fürstin ja. –Hier ein Feind, der mir zu schadenSich bemüht bei seiner Gnaden,Und ein Blonder steht mir nah.
Ein Geheimniß kommt zu TagUnd ich flüchte noch bei Zeiten, –Fahret wohl, ihr Herrlichkeiten!O das war ein harter Schlag! –Hin ist Einer, eine MengeBilden um mich ein Gedränge,Daß ich kaum sie zählen mag.
Dieser hier in grauem HaarIst ein Junker wohl vom Lande,Spröde halt ich ihn am BandeUnd ich führ ihn zum Altar. –Nach Paris! – Ein lustig Leben!Brummt der Mann, so lach ich eben,Bleibt doch alles, wie es war. –
Kommt das grämliche Gesicht,Kommt die Alte da mit Keuchen,Lieb und Lust mir zu verscheuchen,Eh die Jugend mir gebricht? –Ach! die Mutter ist's, die aufwacht,Und den Mund zu schelten aufmacht. –Nein, die Karten lügen nicht!
Der Tod NapoleonsNach Alessandro Manzoni
Vergin di servo encomio E di codardo oltraggio. A. Manzoni Napoleon.Montholon.Antomarchi, der Arzt.Europa, Geschichte und Poesie, Erscheinungen.Stumme Umgebung:Bertrand, seine Frau und vier Kinder;der Abt Vignali;Marchand und sechs Bedienten.Zwei englische Offiziere.
Longwood am 5. Mai 1821.
Napoleon auf dem Sterbebette, Montholon, Antomarchi.
MONTHOLON.Des Fiebers Gluth hat ausgetobt, er scheint zu ruhn.NAPOLEON im Schlafe.Mein Heer!MONTHOLON.Er träumt –NAPOLEON.Dem Adler folgt und mir; hinan!MONTHOLON.Von Schlachten, lenkt im Geiste noch die Völker.NAPOLEON.Sieg!MONTHOLON.O scharfer Mißlaut dieses Wortes hier und jetzt!NAPOLEON erwachend.Wer bin ich?MONTHOLON.Herr und KaiserNAPOLEON.Wo?MONTHOLON.Du bist, o Herr,Inmitten deiner Treuen.NAPOLEON.Wo?MONTHOLON.Ein Felsensitz...NAPOLEON.Sankt Helena?!MONTHOLON.Du sprachst es aus.NAPOLEON.Die Zeit ist um.Abtrünnig werd ich selber mir, so wie die Welt. –Die mein annoch sich nennen, ruft herbei; ich willAbrechnen mit dem Leben.MONTHOLON die Thüre öffnend.Tretet alle her!
Gefolge. Die Kinder knieen am Bette.
NAPOLEON.Daß ich geliebt bin worden, legt ihr Zeugniß ab.Habt Dank. Ich aber scheide hin. Bald haben sie,Mit deren Kronen ich gespielt, den Haß gekühlt.Sie ließen uns nur unsrer Thaten Ruhm zurück.Ihr werdet bald, aus selbsterkorner Haft erlöst,Mein stolz durch mich gewesnes Frankreich wiedersehn,Und trauern an dem vielgeliebten Seinestrand.O grüßt mein Frankreich, grüßet mir mein heimisch Land!Wär Frankreich dieser nackte, sturmgeschlagne Fels,Ich wollt ihn lieben.MONTHOLON.Frankreich finden wir, o Herr,Nur immerdar, wo dein geweihtes Haupt verweilt.NAPOLEON.Nicht also, nein – mein Frankreich grüßt und ... meinen Sohn.Entfernet euch; nicht sollet ihr mich weinen sehn, –Grüßt meinen Sohn, den grausam mir entfremdeten; –Mein Sohn, mein Sohn!ANTOMARCHI.Gehorcht dem Kaiser, tretet ab!
Napoleon ist mit verhülltem Antlitz zurückgesunken. Alle heften fragend die Augen auf Antomarchi, der unverwandt den Kranken betrachtet. Sie entfernen sich zögernd.
ANTOMARCHI allein bei Napoleon. Lange Pause.Er wirft sich in einen Sessel im Vordergrundeund verhüllt sein Antlitz.Lösch aus, du Stern der Herrlichkeit!
Es erscheinen Europa, Geschichte und Poesie. Napoleon streckt die Arme nach ihnen aus.
EUROPA.Napoleon!Weltherrscher einst, in Fesseln nun Verschmachtender;Zurück von dir nicht fordernd das vergoßne Bluth,Das teure meiner Kinder; nein, den hohen Preis,Um welchen fließen es gesollt, erschein ich dir.Es rangen zwei Weltalter um die Herrschaft; duStiegst auf, du Schicksalsmächtiger, da ward es still;Nicht Friede; schweigsam lagen sie zu Füßen dir;Du Franklin nicht, nicht Washington, du hast gebautVergänglich für die trunkne Lust des Augenblicks.Du sankst, du stirbst – ich frage bang: wem beug ich nunDen jochgewohnten Nacken? Weh!NAPOLEON.Mein Sohn, mein Sohn!EUROPA.O hättest Freiheit du geschafft nach deiner Macht,Noch ständen aufrecht deine Bilder, unentweihtVon Händen, die zu heben unvermögend sindDas dir entsunkne, dein gewicht'ges Herrscherschwert.GESCHICHTE.Standbilder eines Mannes stürzen Knaben um,Umsonst bemüht, zu tilgen meines Griffes SpurZukünft'gem Alter, schwerem Urtheil aufbewahrt.POESIE.Zu schmähn, zu schmeicheln haben Knechte nur vermocht;Jungfräulich deines Namens ist annoch mein Mund,Hinfort geweiht zu ewigem Gesang, mein Held!EUROPA.Ihr Griffel, ihre Lyra, meine Thränen, dieDer eignen Schmach ich weine; rückgewendet dießHienieden. – Jenseits ...? Kaiser auf! der Schleier reißt!
Napoleon stirbt, die Erscheinungen verschwinden. Bei dem Ausatmen Napoleons erhebt sich Antomarchi schnell und tritt zu dem Todten, den er lange betrachtet, er geht sodann nach der Thür. – Montholon und das Gefolge kommen ihm entgegen.
MONTHOLON.Der Kaiser?ANTOMARCHI.Weint! Das war er! Länger zügelt nichtDie bleiche Furcht, von diesem Kerker aus, die Welt.Verbeugt vor dem euch, der ihn schlug; – zerstreuet euchDas Liebesopfer eures Lebens ist erfüllt!
Montholon hat den Kaiser-Mantel über die Leiche ausgebreitet, der Abt ein Kruzifix darauf gelegt; alle weinen. Zwei englische Offiziere dringen ein. Der Vorhang fällt. |