BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

Gedichte in zeitlicher Folge

 

1822

 

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Abend.

 

Laß, Kind, laß meinen Weg mich ziehen,

Es wird schon spät, es wird schon kalt,

Es neiget sich der Tag zu Ende,

Und erst dort unten mach ich Halt.

 

Wozu mir deine Lieder singen?

Sie treffen mich mit fremdem Klang. –

Wie war das Wort? war's Liebe? Liebe!

Vergessen hatt ich es schon lang.

 

Und doch, gedenk ich ferner Zeiten,

Mich dünkt, es war ein süßes Wort.

Jetzt aber zieh ich meiner Straße,

«Ein jeder kommt an seinen Ort».

 

Hier windet sich mein Pfad nach unten,

Die müden Schritte schwanken sehr;

Mein frühes Feuer ist erloschen,

Das fühl ich alle Stunden mehr.

 

 

Tragische Geschichte.

 

'S war einer, dem's zu Herzen gieng,

Daß ihm der Zopf so hinten hing,

Er wollt es anders haben.

 

So denkt er denn: wie fang ich's an?

Ich dreh mich um, so ist's gethan –

Der Zopf, der hängt ihm hinten.

 

Da hat er flink sich umgedreht,

Und wie es stund, es annoch steht –

Der Zopf, der hängt ihm hinten.

 

Da dreht er schnell sich anders 'rum,

's wird aber noch nicht besser drum –

Der Zopf, der hängt ihm hinten.

 

Er dreht sich links, er dreht sich rechts,

Es thut nichts Guts, es thut nichts Schlechts –

Der Zopf, der hängt ihm hinten.

 

Er dreht sich wie ein Kreisel fort,

Es hilft zu nichts, in einem Wort –

Der Zopf, der hängt ihm hinten.

 

Und seht, er dreht sich immer noch,

Und denkt: es hilft am Ende doch –

Der Zopf, der hängt ihm hinten.

 

 

Morgenthau.

 

Wir wollten mit Kosen und Lieben

Genießen der köstlichen Nacht.

Wo sind doch die Stunden geblieben?

Es ist ja der Hahn schon erwacht.

 

Die Sonne, die bringt viel Leiden,

Es weinet die scheidende Nacht;

Ich also muß weinen und scheiden,

Es ist ja die Welt schon erwacht.

 

Ich wollt, es gäb keine Sonne,

Als eben dein Auge so klar,

Wir weilten in Tag und in Wonne,

Und schliefe die Welt immerdar.

 

 

Die goldene Zeit.

 

Oh le bon siècle, mes frères,

Que le siècle où nous vivons!

Armand Charlemagne

(Fliegendes Blatt)

 

Füllt die Becher bis zum Rand,

Thut, ihr Freunde, mir Bescheid:

Das befreite Vaterland,

Und die gute goldne Zeit!

Dann der Bürger denkt und glaubt,

Spricht und schreibt nun alles frei,

Was die hohe Polizei

Erst geprüft hat und erlaubt.

 

Du eröffnest mir den Mund,

Du geschwätz'ger Traubensaft,

Und die Wahrheit mach ich kund,

Rücksichtslos mit freud'ger Kraft.

Steigt die Sonne, wird es Tag,

Sinkt sie unter, wird es Nacht.

Nehm vor Feuer sich in Acht,

Wer sich nicht verbrennen mag.

 

Ungeschickt zum Löschen ist,

Wer da Oel gießt, wo es brennt;

Noch ist drum kein guter Christ,

Der zu Mahom sich bekennt.

Scheut die Eule gleich das Licht,

Fährt sich's doch vorm Winde gut,

Besser noch mit Wind und Flut,

Aber gegen beide nicht.

 

Wer nicht sehen kann, ist blind,

Wer auf Krücken geht, ist lahm;

Mancher redet in den Wind,

Mancher geht, so wie er kam.

Grünt die Erde weit und breit,

Glaube nicht den Frühling fern;

Rückwärts gehn die Krebse gern,

Aber vorwärts eilt die Zeit.

 

Zwar ist nicht das Dunkle klar,

Doch ist nicht, was gut ist, schlecht;

Denn, was wahr ist, bleibt doch wahr,

Und, was recht ist, bleibt doch recht.

Goldes-Ueberfluß macht reich,

Aber Lumpen sind kein Geld.

Wer mit Steinen düngt sein Feld,

Macht gar einen dummen Streich.

 

An der Zeit, ist nicht zu spät,

Doch Geschehnes ist geschehn,

Und wer Disteln hat gesät,

Wird nicht Weizen reifen sehn.

Gestern war's, nun ist es heut,

Morgen bringt auch seinen Lohn;

Kluge Leute wissen's schon,

Nur sind Narren nicht gescheut.

 

Und am besten weiß, wer klagt,

Wo ihn drückt der eigne Schuh;

Wer zuerst nur A gesagt,

Setzt vielleicht noch B hinzu;

Denn, wie Adam Riese spricht,

Zwei und zwei sind eben vier – – –

Gott! wer pocht an unsre Thür?

Ihr, verrathet mich nur nicht!

 

«Hebt auf das verruchte Nest,

Sie mißbrauchen die Geduld.

Setzt den Jakobiner fest,

Wir sind Zeugen seiner Schuld;

Er hat öffentlich gelehrt:

Zwei und zwei sind eben vier.» –

Nein, ich sagte... «Fort mit dir,

Daß die Lehre keiner hört!»

 

 

Der alte Müller.

 

Es wüthet der Sturm mit entsetzlicher Macht,

Die Windmühl schwankt, das Gebälk erkracht.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Der Meister ist nicht, der alte, zur Hand,

Er steht an der Felswand schwindlichem Rand.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Da steht er allein, mit dem Winde vertraut,

Und spricht mit den Lüften vernehmlich und laut.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Er schüttelt im Sturme sein weißes Haar,

Und was er da spricht, klingt sonderbar.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Willkommen, willkommen, großmächtiger Wind!

Was bringst du mir Neues, verkünd es geschwind.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Du hast mich gewiegt, du hast mich genährt,

Du hast mich geliebt, du hast mich gelehrt.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Du hast mir die Worte wohl hinterbracht,

Die Worte der Weisheit, von Thoren verlacht.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Ihr Thoren, ihr Thoren, die faßtet ihr nicht,

Die faßte der Wind auf, der gab mir Bericht.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Das Wort wird That, das Kind wird Mann,

Der Wind wird Sturm, wer zweifelt daran?

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Willkommen, willkommen, großmächtiger Wind!

Und was du auch bringest, vollend es geschwind.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Das Maß ist voll, die Zeit ist aus;

Jetzt kommt das Gericht in Zerstörung und Graus.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Ein Wirbelwind faßt den Alten zumal

Und schleudert zerschmettert ihn tief in das Thal.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

Zerschellt ist der Mühle zerbrechlicher Bau,

Und Wogen von Sand bedecken die Au.

Hilf, Himmel, erbarme dich unser!

 

 

Die Müllerin.

 

Die Mühle, die dreht ihre Flügel,

Der Sturm, der sauset darin;

Und unter der Linde am Hügel,

Da weinet die Müllerin:

 

Laß sausen den Sturm und brausen,

Ich habe gebaut auf den Wind;

Ich habe gebaut auf Schwüre –

Da war ich ein thörichtes Kind.

 

Noch hat mich der Wind nicht belogen,

Der Wind, der blieb mir treu;

Und bin ich verarmt und betrogen –

Die Schwüre, die waren nur Spreu.

 

Wo ist, der sie geschworen?

Der Wind nimmt die Klagen nur auf;

Er hat sich aufs Wandern verloren –

Es findet der Wind ihn nicht auf.

 

 

Der Müllerin Nachbar.

 

Die Mühle, die dreht ihre Flügel,

Der Wind, der sauset darin:

Ich wollte, ich wäre der Müller,

Von wegen der Müllerin.

 

Der Müller ist gestorben,

Gott schenk ihm die ewige Ruh!

Ich wollte, es holte der Henker

Den Flegel von Knecht noch dazu.

 

Am Sonntag in der Kirche,

Da glaubt ich, sie schiele nach mir;

Sie schielte an mir nur vorüber,

Der Knecht, der stand an der Thür.

 

Und als es gieng zum Tanze,

Da kam sie eben mir recht,

Sie grüßte mich freundlich und fragte –

Und fragte mich gar nach dem Knecht.

 

Der Knecht, der Knecht! – Ich wollte...

Mir kocht in den Adern das Bluth –

Ich wollte an ihm mich rächen,

Ich wollte, ich hätte den Muth.

 

Ich wollte... Nun, was weiß ich?

Ich weiß nicht, wo ich bin. –

Die Mühle, die dreht ihre Flügel,

Der Wind, der sauset darin.

 

 

Der jungen Freundin ins Stammbuch.

 

Zehn Zentner schwer aus lauterem Dukatengold

Verfertige der Meister Goldschmidt einen Stuhl,

Und spare Diamanten nicht, Rubinen nicht,

Nicht leuchtende Karfunkel, nicht der Perlen Zier

An diesem Kunstwerk, welches ich, so reich es sei,

So reich und kostbar, voll und bar bezahlen will,

Wird nur der Fall, wofür ich es bestimme, wahr;

Denn dir verheiß ich, teures Kind, sotanen Stuhl,

Darauf gemächlich du in Ehren sitzen magst,

Im Falle man dich überhaupt nur sitzen läßt.

 

 

In malaiischer Form.

 

1

Genug gewandert.

 

Es schwingt in der Sonne sich auf

Ein Bienchen in guldiger Pracht. –

Bin müde vom irren Lauf,

Erstarrt von der Kälte der Nacht.

 

Ein Bienchen in guldiger Pracht,

In würziger Blumen Reihn –

Erstarrt von der Kälte der Nacht,

Begehr ich nach stärkendem Wein.

 

In würziger Blumen Reihn

Bist, Rose, die herrlichste du. –

Begehr ich nach stärkendem Wein,

Wer trinket den Becher mir zu?

 

Bist, Rose, die herrlichste du,

Die Sonne der Sterne fürwahr! –

Wer trinket den Becher mir zu

Aus der rosigen Mädchen Schar?

 

Die Sonne der Sterne, fürwahr

Die Rose entfaltete sich, –

Aus der rosigen Mädchen Schar

Umfängt die lieblichste mich.

 

Die Rose entfaltete sich,

Das Bienchen wird nicht mehr gesehn. –

Umfängt die Lieblichste mich,

Ist's fürder ums Wandern geschehn.

 

2

Die Korbflechterin.

 

Der Regen fällt, die Sonne scheint,

Die Windfahn dreht sich nach dem Wind, –

Du findst uns Mädchen hier vereint,

Und singest uns ein Lied geschwind.

 

Die Windfahn dreht sich nach dem Wind,

Die Sonne färbt die Wolken roth, –

Ich sing euch wohl ein Lied geschwind,

Ein Lied von übergroßer Noth.

 

Die Sonne färbt die Wolken roth,

Ein Vogel singt und lockt die Braut, –

Was hat's für übergroße Noth

Bei Mädchen fein, bei Mädchen traut?

 

Ein Vogel singt und lockt die Braut,

Dem Fische wird das Netz gestellt, –

Ein Mädchen fein, ein Mädchen traut,

Ein rasches Mädchen mir gefällt.

 

Dem Fische wird das Netz gestellt,

Es sengt die Fliege sich am Licht,

Ein rasches Mädchen dir gefällt,

Und du gefällst dem Mädchen nicht.

 

3

Todtenklage.

 

Windbraut tobet unverdrossen,

Eule schreiet in den Klippen, –

Weh! euch hat der Tod geschlossen,

Blaue Augen, ros'ge Lippen!

 

Eule schreiet in den Klippen,

Grausig sich die Schatten senken –

Blaue Augen, ros'ge Lippen!

Hin mein Lieben, hin mein Denken!

 

Grausig sich die Schatten senken,

Regen strömt in kalten Schauern. –

Hin mein Lieben, hin mein Denken!

Weinen muß ich stets und trauern.

 

Regen strömt in kalten Schauern.

Ziehn die Wolken wohl vorüber? –

Weinen muß ich stets und trauern,

Und mein Blick wird trüb und trüber.

 

Ziehn die Wolken wohl vorüber,

Strahlt ein Stern in ew'gem Lichte. –

Ach! mein Blick wird trüb und trüber,

Bis ich ihn nach oben richte.

 

 

Frühling.

 

Der Frühling ist kommen, die Erde erwacht,

Es blühen der Blumen genung.

Ich habe schon wieder auf Lieder gedacht,

Ich fühle so frisch mich, so jung.

 

Die Sonne bescheinet die blumige Au,

Der Wind beweget das Laub.

Wie sind mir geworden die Locken so grau?

Das ist doch ein garstiger Staub.

 

Es bauen die Nester und singen sich ein

Die zierlichen Vögel so gut.

Und ist es kein Staub nicht, was sollt es denn sein?

Mir ist wie den Vögeln zu Muth.

 

Der Frühling ist kommen, die Erde erwacht,

Es blühen der Blumen genung.

Ich habe schon wieder auf Lieder gedacht,

Ich fühle so frisch mich, so jung.

 

 

Die Sterbende.

 

Geläute schallt vom Thurm herab,

Es ruft der Tod, es gähnt ein Grab.

Ihr sünd'gen Menschen, zum Gebet!

Ein gleiches Los bevor euch steht.

 

Im Sterben liegt ein schönes Weib,

Sie weint um ihren jungen Leib,

Sie weint um ihre sünd'ge Lust,

Sie ringt die Hände, sie schlägt ihre Brust.

 

Es harrt des Ausgangs ihr Gemahl,

Blickt starr und kalt auf ihre Qual;

Sie windet sich in dieser Stund

Zu seinen Füßen, sie öffnet den Mund:

 

«Vergib mir, Gott, in deiner Huld,

Vergib, Gemahl, mir meine Schuld;

Ich klag es an in bittrer Reu,

Weh mir! ich brach geschworne Treu.» –

 

«Vertrauen ist Vertrauen werth,

Und machst du mir kund, wie du mich entehrt,

So mach ich dir kund in deiner Noth,

Du stirbst am Gift, das ich dir bot.»

 

 

Das Kind an die erloschene Kerze.

 

Du arme, arme Kerze,

Gibst fürder keinen Schein,

Erloschen ist so schnelle

Dein Licht, das freud'ge, helle,

O mußt es also sein!

Du arme, arme Kerze,

Gibst fürder keinen Schein!

 

's ist nicht, weil ich nun weilen

Muß in der Dunkelheit!

O brenntest du nur immer,

Und gäb dein lieber Schimmer

Nur andern Freudigkeit!

's ist nicht, weil ich nun weilen

Muß in der Dunkelheit!

 

Du arme, arme Kerze,

Gibst fürder keinen Schein!

's ist nicht, weil ich alleine

Im Dunkeln bin und weine,

Ich bin ja gern allein!

Du arme, arme Kerze,

Gibst fürder keinen Schein!