BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

Gedichte in zeitlicher Folge

 

1821

 

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Zur Antwort.

 

Dir ist sonst der Mund verschlossen,

Du antwortest mir ja kaum,

Nur zu Liedern süßen Klanges

Oeffnest du ihn, wie im Traum.

Könnt ich auch so dichten, würden

Hübsch auch meine Lieder sein,

Sänge nur, wie ich dich liebe,

Sänge nur: ganz bin ich dein.

 

Ich kann dir ins Antlitz schauen,

Heiter, wie das Kind ins Licht;

Ich kann lieben, kosen, küssen,

Aber dichten kann ich nicht.

Könnt ich auch so dichten, würden

Hübsch auch meine Lieder sein,

Sänge nur, wie ich dich liebe,

Sänge nur: ganz bin ich dein.

 

 

An die Apostolischen.

 

1

Ev. Matth. c. 24

 

Ja, überhand nimmt Ungerechtigkeit,

Und Noth, Empörung, Haß, Verrath befährden.

Die falschen Christi wollen sich gebärden

Als mit dem Unrecht, nicht dem Recht, im Streit.

 

Bald aber, nach der Trübsal dieser Zeit,

Wird den Geschlechtern allen auf der Erden

Des Menschen Zeichen offenbaret werden.

Mit großer Kraft und hoher Herrlichkeit.

 

Vom Feigenbaume lernt: an seinen Zweigen

Erkennet ihr des Sommers Anbeginn,

Wann steigt der Saft und Blätter schon sich zeigen.

 

Wo habt ihr, blöde Thoren, doch den Sinn?

Ihr seht den Saft in alle Zweige steigen,

Und leugnet euch den Sommer immerhin!

 

2

Ev. Matth. c. 15-23

 

Senkt sich die Sonn in klarer Herrlichkeit,

So sagt ihr: Morgen wird das Wetter gut;

Und hüllt der Morgen sich in trübe Gluth,

Urtheilt ihr: ein Gewitter ist nicht weit.

 

Könnt ihr denn nicht die Zeichen dieser Zeit

Auch deuten, wie ihr doch den Himmel thut?

Ihr Heuchler, Pharisäer, Otterbrut,

Wohl hat von euch Jesajas prophezeit:

 

«Es spricht der Herr: ‹dieweil ich es erfahren,

Daß, wenn sie mich bekennen mit dem Munde,

Sie mit dem Herzen ferne von mir sind,

 

Will seltsam ich mit diesem Volk verfahren,

Daß seiner Weisen Weisheit geh zu Grunde

Und seiner Klugen Klugheit werde blind.›»

 

3

Schiller

 

Ihr wollt zurück uns führen zu den Tagen

Charakterloser Minderjährigkeit?

Ihr hängt umsonst an der Vergangenheit,

Ihr werdet nicht die Zukunft unterschlagen.

 

Es ist ein eitel, ein vergeblich Wagen,

Zu greifen ins bewegte Rad der Zeit;

Der Morgen graut, verscheucht die Dunkelheit,

Und leuchtend stürzt hervor der Sonnenwagen.

 

Die blind und taub, ihr Augen habt und Ohren,

Nicht Stimmen hören wollt, nicht Zeichen sehen,

Ich zittre nur für euch, ihr blöden Thoren!

 

Denn Gottes Rathschluß wird dennoch bestehen,

Die Frucht der Zeit zu ihrer Zeit geboren

Und das, was an der Zeit ist, doch geschehen.

 

4

 

Die öffentliche Meinung schreit und klagt:

Ihr habt von mir erborget eure Kraft;

Durch mich geschah, was Großes ihr geschafft,

Durch mich gelang, was siegreich ihr gewagt.

 

Und nun ich euch erhöht, wollt ihr als Magd

Mich züchtigen mit Ruten und mit Haft;

Ihr schämt euch flüchtiger Genossenschaft

Und habt mir, eurer Herrin, widersagt?

 

Und doch, ihr hörtet meine Donner rollen,

Und der Koloß der Zeit war schon zerstoben,

Von dessen Joch ich kam euch zu erlösen. –

 

Ihr Seifenblasen, die mein Hauch geschwollen,

Und flücht'gen Schimmers meine Huld gehoben,

Ihr eitle Seifenblasen, – seid gewesen!

 

5

 

Wer hat zum Schreier also dich bedungen?

Es möchten Lieder besser dir gedeihen,

Welchen auch gern das Ohr die meisten leihen;

Hast du nicht sonst von Lieb und Wein gesungen?

 

Könnt ich aus ehrner Brust doch tausend Zungen

Mit Hauch beleben, alle wollt ich weihen,

Gellend das eine, alte Lied zu schreien,

Bis in verschloßnen Ohren es erklungen.

 

Es ist hoch an der Zeit, sie auf zu schrecken,

Die taumelnd um den Rand des Abgrunds wallen,

Ob schlafend nicht, dennoch nicht zu erwecken;

 

O muß die schwache Stimme so verhallen!

Es drohet euch der Sturz, mir bloß das Schrecken; –

Ein Vogel schwingt sich auf, wo Eichen fallen.

 

 

Das Lied von Thrym

oder

die Wiedereroberung

Mioellners, des Hammers

des Donners

Aus dem Isländischen 1)

 

1

 

Zornig ward Thor,

Als beim Erwachen

Er seinen Hammer

Vorhanden nicht fand.

Schüttelnd den Bart,

Schlagend sein Haupt,

Der Sohn Odins suchte

Umsonst umher.

 

2

 

Und es war sein Wort,

Welches zuerst er sprach:

«Höre nun, Loki,

Hör, was ich sage,

Was weder auf Erden

Weiß irgend einer,

Noch hoch im Himmel:

Mein Hammer ist geraubt.»

 

3

 

Sie giengen zum herrlichen

Hause der Fraya,

Und es war Thors Wort,

Welches zuerst er sprach:

«Wolle mir, Fraya,

Flügel verleihen,

Ob erlauschen vielleicht

Mein Hammer sich läßt.»

 

4

Fraya sang:

 

«Und wären von Gold sie,

Ich gäbe sie dir;

Und wären sie Silber,

Du solltest sie haben.»

Da flog auf Loki flugs,

Der Flügelschlag rauschte,

Bis hinten er ließ

Das Land der Götter,

Und er erreichte

Der Riesen Reich.

 

5

 

Thrym saß auf dem Hügel,

Der Herrscher der Riesen,

Fert'gend den Hunden

Fesseln von Gold,

Glättend den Rossen

Die Mähnen zurecht.

 

6

Thrym sang:

 

«Wie steht's mit den Göttern?

Wie steht's mit den Elfen?

Was reisest allein du

Nach Riesenheim?»

 

7

Loki sang:

 

«Schlecht steht's mit den Göttern,

Schlecht steht's mit den Elfen, –

Du hälst wohl verborgen

Den Hammer des Thors.»

 

8

Thrym sang:

 

«Ich halte verborgen

Den Hammer des Thors

Wohl unter der Erde

Acht Morgen tief,

Und wieder erwerben,

Fürwahr, soll ihn keiner,

Er führe denn Fraya

Zur Frau mir heim.»

 

9

 

Da flog auf Loki flugs,

Der Flügelschlag rauschte,

Bis hinten er ließ

Das Land der Riesen,

Und er erreichte

Das Reich der Götter.

Er traf den Thor an

Vor der Thür seiner Halle,

Und es war sein Wort,

Welches zuerst er sprach:

 

10

 

«Hast das Geschäft du

Geschafft mit der Arbeit?

Laß von der Höhe mich

Hören die Kunde;

Oft im Sitzen gestört,

Stocket die Rede,

Leicht im Liegen ersinnt

Lüge sich nur.»

 

11

Loki sang:

 

«Hab das Geschäft wohl

Geschafft mit der Arbeit.

Thrym hat den Hammer,

Der Herrscher der Riesen,

Und wieder erwerben,

Fürwahr, soll ihn keiner,

Er führe denn Fraya

Zur Frau ihm heim.»

 

12

 

Sie giengen zu fragen

Fraya, die herrliche,

Und es war Thors Wort,

Welches zuerst er sprach:

«Bräutliches Leinen

Lege dir an, Fraya,

Wir beide wir reisen

Nach Riesenheim.»

 

13

 

Zornig ward Fraya,

Sie zitterte heftig,

Der ganze Palast

Der Götter erbebte,

Es sprang und entfiel ihr

Der funkelnde Halsschmuck:

«Wohl möchtest du meinen,

Daß männlich ich sei,

Wenn beide wir reisten

Nach Riesenheim.»

 

14

 

Rasch kamen die Götter

Zum Rathe zusammen,

Die Göttinnen rasch

Zu reden bereit.

Die himmlischen Häupter

Verhandelten da,

Wie den Hammer des Thors

Zu holen gelänge.

 

15

 

Da hub Heimdall an,

Der helleuchtende Gott,

Welcher da weise

Wußte die Zukunft:

«Bräutliches Leinen

Legen dem Thor wir an;

Er habe den hehren,

Den funkelnden Halsschmuck;»

 

16

 

«Klug laß er erklingen

Geklirr der Schlüssel;

Ein weiblich Gewand

Umwalle sein Knie;

Laß blinken die Brust ihm

Von breiten Juwelen,

Hochgethürmt und gehüllt

Das Haar ihm auch sein.»

 

17

 

Da hub Thor an,

Der hochernste Gott:

«Es würden die Götter

Mich weibisch schelten,

Legt ich das bräutliche

Leinen mir an.»

 

18

 

Da hub Loki an,

Loveyias Sohn:

«Thor, solcher Worte

Woll dich enthalten;

Rasch werden die Riesen

Vom Reich uns verdrängen,

Holst deinen Hammer

Heim du nicht schnell.»

 

19

 

Bräutliches Leinen

Legten dem Thor sie an;

Er hatte den hehren,

Den funkelnden Halsschmuck;

Klug ließ er erklingen

Geklirr der Schlüssel;

Ein weiblich Gewand

Umwallte sein Knie;

Es blinkte die Brust ihm

Von breiten Juwelen;

Das Haar war gehüllt ihm

Und hoch gethürmt.

 

20

 

Da hub Loki an,

Loveyias Sohn:

«Ich will dich gleichfalls

Begleiten als Maid;

Wir beide, wir reisen

Nach Riesenheim.»

 

21

 

Hastig die Hirsche

Heimgetrieben,

Wurden dem Wagen geschürt

Wohl zur eiligen Fahrt.

Die Steine zerstoben,

Flamme stieg auf.

So reiste Odins Sohn

Nach Riesenheim.

 

22

 

Da hub Thrym an,

Der Herrscher der Riesen:

«Auf! Auf! ihr Riesen,

Bereitet die Bänke,

Nun führt mir Fraya,

Die Frau, herein.»

 

23

 

Heim kamen die Farren,

Die goldgehörnten,

Die schwarzen Rinder,

Dem Riesen zur Lust:

«Habe der Schätze viel,

Habe der Spangen viel,

Fehlte mir Fraya

Zu freien annoch.»

 

24

 

Früh fanden die Gäste

Zum Feste sich ein,

Und reichlich gereicht ward

Den Riesen der Trank.

Thor aß einen Ochsen,

Er aß acht Lachse,

Zusammen was Süßres

Sonst gab für die Frauen;

Er trank wohl des Metes

Drei Maße allein.

 

25

 

Da hub Thrym an,

Der Herrscher der Riesen:

«Wann hast du Bräute

Hungriger je gesehn? –

Nie hab ich Bräute

Hungriger je gesehn;

Nie Mägdlein des Metes

Mehr genießen, als sie.»

 

26

 

Saß Loki dabei,

Die löbliche Maid,

Bereit dem Riesen

Rede zu stehn:

«Seit acht Nächten nichts

Genossen hat Fraya,

Rasend vor Reiselust

Nach Riesenheim.»

 

27

 

Thrym lüftet' das Leinen

Aus Lust sie zu küssen,

So weit der Saal war,

Ward zurück er geschreckt.

«Wie sind doch furchtbar

Frayas Augen,

Dünkte mich Feuer hervor

Funkeln zu sehn!»

 

28

 

Saß Loki dabei,

Die löbliche Maid,

Bereit dem Riesen

Rede zu stehn:

«Seit acht Nächten nicht

Genoß sie des Schlafes,

Rasend vor Reiselust

Nach Riesenheim.»

 

29

 

Da trat in den Saal Thryms

Traurige Schwester,

Die gar sich die Gaben

Zu begehren erkühnt:

«Ich reiche die rothen

Ringe dir dar,

Verlangt' dich in Lust

Nach Frayas Liebe,

Nach Frayas Liebe

Und freudiger Huld?»

 

30

 

Da hub Thrym an,

Der Herrscher der Riesen:

«Bringt zur Weihe der Braut,

Bringt den Hammer herbei,

Leget den Mioellner

Der Maid in den Schoß;

Vollbringet die Bräuche,

Die Braut sei mein.»

 

31

 

Da lachte dem Thor wohl

Im Leibe sein Herz,

Als mitten im Harme

Er den Hammer erkannte.

Da traf er zum ersten

Thrym den Herrscher,

Und schlachtete dann

Sein ganzes Geschlecht.

 

32

 

Da traf er auch Thryms

Traurige Schwester,

Die gar sich die Gaben

Zu begehren erkühnt;

Ihr klangen nicht Münzen,

Ihr klangen nur Schläge;

Für tönende Ringe

Der tötende Hammer. –

So hat seinen Hammer

Odins Sohn sich geholt.

 

1) Thryms quida edr Hamarsheimt. Edda Saemundar Hafn. 1787. p. 183. Der gelehrte Forscher des nordischen Altertums möge mir den Versuch nicht verargen, das isländische Lied in einer leichten Verdeutschung den Laien und Ungelehrten vorzutragen. Ich habe den Geist und die Weise des Originals in unserer Sprache wieder zu beleben gesucht, und mich sonst bemüht, jedes Wort zu entfernen, zu dessen Verständniß es gelehrter Erörterungen bedurft hätte.