BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Paul Cauer

1854 - 1921

 

Deutsches Lesebuch für Prima

 

Erste Abteilung

 

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5.

Kultur und Technik.

Von Franz Reuleaux (1829 - 1905).

 

Vortrag gehalten im niederösterreichischen Gewerbevereine 14. Nov. 1884. (Separat-Abdruck aus der „Wochenschrift des niederösterreichischen Gewerbevereins“, Wien 1884.) – Fortgelassen ist hier außer mehreren Anmerkungen und einigen Absätzen am Schluß der ganze zweite Hauptteil des Vortrags. Dieser zweite Hauptteil behandlt die Frage „nach der allgemeinen Methode, oder doch den Hauptzügen einer solchen, welche die Technik befolgt, um ihre Ziele zu erreichen, nach der Methode also, welche dem Ersinnen und Erfinden mehr oder weniger deutlich zu Grunde liegen muß.“ (Im Separat-Abdruck S. 14-27.) [Kompletter Text der Ausgabe Berlin 1925 bei „Digitale Mechanismen- und Getriebebibliothek“.]

 

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Es kann niemandem, der die heutigen Kulturzustände der Welt überblickt, verborgen bleiben, welchen bedeutenden Einfluß die wissenschaftlich begründete Technik unserer Tage ausübt und wie sie zu ungleich größeren materiellen Leistungen, als vor einigen Jahrhunderten der Menschheit möglich waren, befähigt hat. Sei es auf dem Gebiete der schnellen Beförderung von Lasten zu Wasser wie zu Lande, sei es, daß wir Berge durchbohren, in die Erdtiefe hinabsteigen oder in die Lüfte hinauf, daß wir mit Blitzesschnelle Gedankenbilder um den halben Erdball senden, oder auf Länderweite unsere Stimmen vernehmbar machen, oder, um einen andern Gesichtspunkt zu wählen, einesteils die gewaltigsten Kräfte in mechanischen Dienst nehmen, andernteils die feinen, sich der gewöhnlichen Beobachtung entziehenden inneren Vorgänge der Körperwelt für unsere Zwecke schaffen und wirken lassen. Überall im modernen Leben, rings um uns her, an uns, mit uns, neben uns, ist die wissenschaftliche Technik unsere geschäftige Dienerin und Gefährtin in nimmer ruhender Thätigkeit, deren man erst recht inne wird, wenn uns ihre Hilfe auf kurze Zeit nur versagt ist.

Alles dies ist bekannt, ja ein Gemeinplatz, und ist dennoch – so scheint mir – in der gebildeten Welt im allgemeinen, ja vielleicht selbst im engeren Kreise der Techniker, noch nicht so vollauf gewürdigt worden, wie geschehen dürfte. Man betrachtet noch keineswegs allgemein genug die wissenschaftliche Technik als den Kulturhebel, den Kulturförderer, der sie wirklich ist. Das mag davon herrühren, daß die genannte Technik mit der unwissenschaftlichen auf einzelnen Stufen verschmilzt, auch umgekehrt oft aus ihr hervorgesprossen ist, auch vielleicht daher, daß ihre Thätigkeit in so vorwiegendem Maße der Idealität scheinbar entbehrt, weil sie ohne den Gewinntrieb, ja ohne die gesellschaftlichen Übel, welche mit der industriellen Arbeit noch verbunden sind, nicht ihre Entwickelung gefunden hätte oder fände. Genug! nicht dieser Seite der Frage will ich hier nachgehen; man erwarte nicht einen Panegyrikus auf die Technik, oder eine Widerlegung derjenigen, welche ihr etwa die erhoffte Anerkennung versagen möchten. Beides scheint mir mehr nur von äußerlicher Bedeutung zu sein. Was ich will, ist etwas anderes. Ich möchte den Versuch machen, einer wichtigen inneren Frage der Technik näher zu treten, welche einer besonderen Besprechung in unserer Zeit zu bedürfen scheint; nämlich der Frage, welche Stellung eigentlich die Technik unserer Tage in der Gesamtthätigkeit am Kulturprobleme einnimmt, eine Stellung, von welcher wir uns, wie mir scheint, lange nicht so genau Rechenschaft gehen, als von der sozialen, politischen und ökonomischen Wichtigkeit, welche wir der Technik beimessen.

Wenn man unsere Kultur mit derjenigen der anderen Völker des Erdenrundes vergleichen will, so wird man selbstverständlich an denjenigen Völkerschaften und Völkern vorübergehen müssen, welche sich noch auf den untersten Stufen befinden, zum Beispiel sich noch nicht bis zur Schrift, diesem wunderbaren Mittel der Gedankenvererbung, aufgeschwungen haben, bei denen deshalb Pflege der Wissenschaften nicht denkbar ist. Darüber hinweggehend wird man aber bald auf große Völker stoßen, welchen eine hohe Kultur seit vielen Jahrhunderten, ja teilweise Jahrtausenden eigen ist. Das sind die Völker Ost- und Südasiens, die Chinesen, Japaner, Inder, Perser, Araber. Betrachten wir vorurteilsfrei ihre Kulturen, so müssen wir zugeben, daß dieselben in vielen Beziehungen hoch sind, auch schon hoch waren, als Mitteleuropa noch tief in Barbarei steckte. Damals gediehen schon bei jenen Völkern Wissenschaften und Künste und haben nicht aufgehört, sich zu entwickeln. In erhabenster Form feierten schon vor drei Jahrtausenden die indischen Veden die Gottheit; schon vor zwei Jahrtausenden schufen indische Dichter ihres Volkes Odyssee, den Mahabharata, und bald auch Dramen in Fülle, darunter die zarte Sakuntala, deren Reiz nicht gewelkt ist bis heute, weil er aus der Tiefe der Menschenseele geschöpft ist; die Philosophie, auch die Sprachwissenschaft blühte erstaunlich, so zwar, daß die indischen Grammatiker noch heute auf eine ungebrochene Reihe von Vorgängern bis zu ihrem vergöttlichten Panini hinaufblicken können. Auch die Mathematik wurde gepflegt; schreiben wir doch heute mit indischen Zeichen unsere Zahlen. Die gewerblichen Künste, wie blühten und blühen sie zum Teile noch heute in Indien, wie in Ostasien. Und Persien, wie glänzte es lange in Dichtkunst! Dem großartigen Firdusi folgte der „Horaz“ von Schiras, Hafis mit seinen nimmer alternden Liedern, beide auch uns in Übersetzungen so wert geworden, wofür wir insbesondere Österreichern zu Dank verpflichtet sind. Die arabische Litteratur sodann, welche Fülle von Forschung hat sie nicht uns überliefert, wie hat sie die griechische Erbschaft zinstragend angelegt, die Astronomie gcfördert, so daß wir noch heute den halben Himmel nach ihnen benennen! Wie haben sie unter toleranten und wißbegierigen Fürsten zu Karls Zeiten die Rechenkunst und andere auch noch weit tiefere Wissenschaft gepflegt, wie auch unseren Chemikern in so mancherlei Stoff und Essenz vorgegriffen !

Wo ist denn nun der Unterschied der geistigen Sphäre, der uns und jene zu scheiden erlaubte? Stehen wir doch in einzelnen Künsten ihnen sogar nach. Tapfer sind sie, Edelmut und Gerechtigkeit sind hohe Tugenden auch bei ihnen. Wo sind denn Unterscheidungspunkte, rein menschlich genommen?

Oder fragen wir lieber anders, wenn denn der Vergleich auf dem geistigen Gebiet nicht vermag das Problem zu lösen, welches doch entschiedn vorliegt. Fragen wir: woher stammt unser materielles Übergewicht über sie? Wie ist es zum Beispiel möglich geworden, daß England mit wenigen Tausenden eigener Truppen die Viertelmilliarde Inder beherrscht; wie war ihm möglich geworden, deren furchtbarem, fanatischem Aufstande im Jahre 1857 gegenüber Sieger zu bleiben? Wie ist es gekommen, daß wir Europäer, oder um das europäisch besiedelte Amerika nicht besonders nennen zu müssen, daß die atlantischen Nationen allein es sind, welche den Erdball mit Eisenbahnen umspannen, mit Telegraphenlinien überziehen, seinen Wassergürtel mit mächtigen Dampfern befahren, und daß zu allem diesem die anderen fünf Sechstel der Erdbewohner nicht eine Spanne lang beigetragen haben? Dieselben fünf Sechstel, die doch zum größten Teil staatlich organisiert und zum Teil auch hoch kultiviert sind?

Man hat diese erstaunliche Thatsache auf verschiedene Weise zu erklären, oder besser gesagt, wenigstens zu definieren gesucht. Klemm, der fleißige Leipziger Sammler der schon lange vor den Pfahlbauenentdeckungen Prähisloriker war, hat die Unterscheidung zwischen „activen“ und „passiven“ Völkerschaften vorgeschlagen, und viele folgen ihm darin noch heute. Ihm sind die Atlantiker die activen, jene anderen, bis zu den ganz unkultivierten herab, die passiven; wir machen Geschichte, sie leiden Geschichte nach dieser Theorie. Indessen so manches die Unterscheidung für sich zu haben scheint, so ist sie doch nicht zu halten. Nationen können, wie die Geschichte lehrt, lange Zeit activ, dann passiv, und später wieder activ sein. Aktivität und Passivität sind also nicht den Nationen innewohnende, immanente Eigenschaften, sondern sind Zustände, in welche und aus welchen sie geraten können, ohne ihre intellektuelle Stellung wesentlich zu ändern.

Nach Klemm wechselten sie dabei jedesmal ihr ganzes Wesen, es fände überhaupt ein fortwährendes Wechseln desselben statt, je nachdem es die – sagen wir – säkulare Geschichte mit sich brächte. Eine Probe an der Wirklichkeit hält diese Theorie nicht aus. Europa könnte morgen, von den Asiaten unterjocht, passiv gemacht werden, ohne die Eigenschaft einzubüßen, welche ihm die Eisenbahnen, Dampfer und Telegraphen als geistigen Besitz zugehörig macht. Der Araber würde, wie Omar angeblich die Bücher, so die Erzeugnisse der wissenschaftlichen Technik zerstören können, sie aber nicht wieder hervorzubringen vermögen, wie er mit den Büchern doch vielfach gethan hat. 1)

Wir müssen also die Klemm'sche Unterscheidung fallen lassen, wenigstens für unsere Untersuchung, weil sie uns keine Erklärung liefert.

Andere haben angenommen und nehmen an, es sei das Christentum, was den Unterschied begründe. Indessen auch das trifft nicht zu. Allerdings wurde ein beträchtlicher Teil der die Ideen umgestaltenden Entdeckungen und Erfindungen in den christlichen Reichen gemacht, keineswegs aber alle. Welchen Einschnitt macht nicht die Buchdruckerkunst! Und doch wissen wir, daß die Chinesen dieselbe gegen 1000 Jahre vor uns erfunden hatten. Auch das Schießpulver, das bei uns so entscheidend für die Kulturumgestaltung wurde, war lange vor der Zeit des Freiburger Mönches von den Arabern schon gebraucht. Dann in der Mechanik; die Wasserräder, diese wichtigen Kraftmaschinen, sie sind asiatischen Ursprungs und uralt. Dies nur beispielsweise. Gehen wir aber auch selbst zu einem echten Sprößling Europas, zur Dampfmaschine, über, so sehen wir an ihrer allmählichen Entwickelung bis zur Gangbarkeit die Renaissancezeit in Italien, Deutschland, Frankreich, England, aber nirgendwo anders in der Christenheit beschäftigt, nicht also diese selbst mit dem Fortschritte idntifiziert, im Gegenteile ihre Priester nur zu häufig sich dem letzteren entgegenwerfend. Schauen wir auch weiter um. Leben nicht bis heute die Christen im Osten, in Armenien z. B. und in dem großen Abyssinien gänzlich außerhalb der Anschauungen unserer siegreichen modernen Technik? Nichts haben sie dazu beigetragen und nichts tragen sie heute bei. Nicht die Sachen oder die Erfindungen, sondern die sie begleitenden Ideen, die Gedanken sind es also, welche die Wandlung, die Neuerung hervorgerufen haben müssen.

In der That können wir diese nichts anderem, als einem eigenthümlichen Fortschritte im Denkprozesse, einem schweren, gefahrvollen Aufstiege zu höherer, freierer Auffassung der Natur zuschreiben. Es brach sich das Verständnis bei uns Bahn, daß die Naturkräfte bei ihren Wirkungen nicht einem jedesmal einschreitenden Willen, göttlichen Willen, folgen, sondern daß sie nach festen, unveränderlichen Gesetzen, den Naturgesetzen, wirken, niemals, unter keinen Umständen anders.

 

Nach ewigen, ehernen,

Großen Gesetzen

Müssen wir alle

Unseres Daseins

Kreise vollenden,

 

bebt es bei Goethe aus dem Erschauern vor den unerbittlichen Naturgewalten heraus, Aber auch „nach ewigen, ehernen, großen Gesetzen“ rollen die Weltkörper, Ziehen die Sterne ihre Geleise, fällt auch der Ziegel vom Dache, der Tropfen aus der Wolkenhöhe.

 

Sonnen wallen auf und nieder,

Welten gehn und kommen wieder,

Und kein Wunsch kann's wenden!

 

in diese herrliche poetische Form faßt ein Prälat, der gemütstiefe Hebel, die Erkenntnis, daß nicht das körperliche, sondern das seelische Gebiet die Gottesahnung in sich schließe, daß aber gerade die Größe der materiellen Schöpfung in der Unwandelbarkeit ihrer Gesetze bestehe. Hiervon das Verständnis zu gewinnen, durchbrachen die Ideen die alten Schranken, zogen aber auch alsbald die Folgerungen für das wirkliche Leben. Diese waren, wenn wir sie ganz befreit von Nebensächlichkeiten aussprechen:

Bringen wir unbelebte Körper in solche Lage, solche Umstände, daß ihre naturgesetzliche Wirkung unseren Zwecken entspricht, so können wir sie für die belebten Wesen und statt derselben Arbeit verrichten lassen.

Dies begann man mit Bewußtsein auszuführen und schuf damit die heutige Technik. Wissenschaftliche Technik nannte ich sie und muß sie so nennen. Denn jene Naturgesetze, welche man in bewußter Weise zur Wirkung gelangen lassen wollte, man kannte von ihnen, als die Geister in jenen Verständisprozeß eintraten, blutwenig; man mußte sie zum größten Teil erst suchen. Und unter schwerem Kampfe mußte ihre Erkenniniss erworben werden. Denn die gelehrte Welt glaubte sich ja im Besitze des Wissens von diesen Gesetzen; die Neuerer hatten daher nicht bloß die Entdeckungen zu machen, sondern auch alte, entgegen stehende Überzeugungen zu stürzen, eine geistige Riesenarbeit, und zugleich ein geistiger Kriegszug hinauf zur Höhe freier Erkenntnis; denn dieser Zug fand auch heftigen Widerstand in den Vorurteilen der Kirche. Derselbe hat seine Opfer gefordert. Galilei's gebeugte Gestalt steigt bei dem Gedanken vor unserem inneren Blicke auf. Hat er das berühmte „Und sie bewegt sich doch!“ auch nicht ausgesprochen, wie die heutige mikroskopische Geschichtsforschung erweisen will, so that es doch die denkende europäische Welt. Der Sieg wurde errungen und damit das Gebiet für unsere heutige Technik erobert. Die damalige Reaktion hat sich im großen ganzen auch gegeben; sie hat wohl ihr Unrecht eingesehen, denn ihre einstigen Vertreter fahren munter auf der Eisenbahn, telegraphieren und telephonieren wie andere; nur kleine Plänklergefechte finden noch im Hintertreffen statt, mehr aus Eigensinn als aus Überzeugung, jedenfalls halten sie die Hauptbewegung nicht im mindesten auf.

Was geschehen wäre, wenn die damalige Reaktion obgesiegt hätte – denn eine Reaktion war es, da Deutschland schon über hundert Jahre früher den Kampf begonnen, Kopernikus schon über neunzig Jahre im Grabe lag, als Galilei gegen ihn zu zeugen gezwungen ward – was geschehen wäre, ist schwer auszudenken, oder nein, wir können es sehen, und zwar sehen an der großen arabischen Völkerfamilie. Bei ihr hatte die Reaktion wirklich gesiegt. Ihre Galileis, die Averrhoes und ungezählte andere wurden mitsamt ihren freien Überzeugungen geworfen, mit ihnen ihr ganzer großer Anhang, und damit der arabischen Kultur, welche schon die Hand erhoben hatte, um zur Siegespalme der freien Erkenntnis zu greifen, Arm und Fuß von den fanatischen Siegern gelähmt, und gelähmt liegt sie darnieder jetzt schon ein halbes Jahrtausend, Allah aalam! „Gott allein weiß!“ D. h. daher sollst du nicht wissen wollen! so lautet's seitdem für den reinen Mohammedaner; alle Forschung ist ihm abgeschnitten, verboten, als sündhaft erklärt. Ein edler und feiner Moslem hat vor einiger Zeit der Hoffnung öffentlich Ausdruck gegeben, daß die Moslim vielleicht doch noch berufen sein möchten, die verlorene Führung wieder aufzunehmen. Wer mag ihm glauben? Sicher aber scheint, daß die Niederlage des freien Denkens im arabischen Sprachgebiete auch völlig entscheidend für die übrigen asiatischen Kulturen geworden ist; wie ein Damm legte sich die geistig abgetötete Masse zwischen jene und uns, und so ist es denn gekommen, daß wir allein in die Entwickelung, welche der geschilderte Ideenfortschritt anbahnte, eingetreten sind.

Die Naturkräfte, welche derselbe uns zu nutzen lehrte, sind die mechanischen, physikalischen und chemischen; sie für uns wirken zu lassen, bedurfte es eines großen Rüstzeugs von mathematischen und Naturwissenschaften. Dieser ganze Apparat also ist es, deren Anwendung wir, gleichsam als Privilegium, ausüben. Mir scheint es nötig, um die zwei Entwickelungsrichtungen kurz unterscheiden zu können, sie mit besonderen Namen zu benennen, die zu suchen wären. Das Eindringen in die Geheimnisse der Naturkräfte findet sich schon früh, schon unter anderen bei den Medern und Persern, insbesondere bei dem Volksstamm der Magier, der sich so großen Ruf dafür erwarb, daß sein Name auf eine Priesterkaste übertragen ward. Auch den Griechen flößten die Magier, neben Furcht bei Unverständigen, soviel Anerkennung ein, daß sie eine künstliche Vorrichtung, Einrichtung, durch welche Ungewöhnliches geleistet werden konnte, überhaupt ein Magierwerk, oder, das Wort ihrer Sprache anpassend, ein Manganon nannten. Allerlei Konkretes, was geschickt und klug ausgedacht war, wurde so betitelt, unter anderem auch eine Wurfmaschine für Kriegszwecke. Mit dieser ist das Wort ins Mittelalter herübergekommen. Als man dann früh im 17. Jahrhundert große Maschinen zum Rollen und Glätten der Wäsche erfand, diese Vorrichtungen aber eine merkwürdige äußere Ähnlichkeit mit jenen Wurfmaschinen erhielten, gab man ihnen auch deren Namen, worauf dann dieser in die übrigen europäischen Sprachen weiter wanderte, wie jede Hausfrau weiß, oder auch vielleicht nicht weiß, wenn sie die Wäsche zur „Mangel“ schickt. Ich möchte jenes alte Wort wieder für unsere Zwecke verallgemeinern, und die Benutzung und Leitung der in ihren Gesetzen erkannten Naturkräfte Manganismus nennen, die andere Richtung aber, welche vor den Naturkräften wenig anders als in Abwehr stehen bleibt, höchstens geheimnisvoll und zünftig ihr einige Rezepte ablauscht, den Naturismus.

Wenn Sie diese beiden Namen für jetzt mt mir gebrauchen wollen, sehen wir demnach die Kulturnationen, oder überhaupt die Völker, eingeteilt in manganistische und naturistische, und haben bemerkt, daß die manganistischen wegen der von vollem Verständnisse getragenen Ausbildung ihres materiellen Apparates vor den naturistischen einen gewaltigen Vorsprung gewonnen haben. Ja, wir dürfen noch viel weiter gehen und brauchen nicht anzustehen, zu behaupten, daß die Herrschaft der Erde den manganistischen Nationen gehört. Wie zu allen Zeiten geschehen, so wird auch jetzt um die Herrschaft auf der Erde gekämpft. Aber der Beobachter kann mit Sicherheit vorausberechnen, daß die Manganisten die Sieger bleiben werden, oder, daß diejenigen Nationen, welche sich nicht entschließen wollen, zum Manganismus überzugehen, auf allmähliche Unterwerfung oder auf Untergang gefaßt sein müssen.

Daß es möglich ist, mt bestimmtem Entschlusse vom Naturismus zum Manganismus überzugehen, erleben wir in unserer, an merkwürdigen Kulturereignissen so reichen Zeit an Japan. Die Japaner haben mit hohem Scharfblicke den vorigen Satz eingesehen und suchen nun den geschichtlich unerhörten Schritt zu thun, mit einem Male vom Naturismns zum Manganismus überzugehen. Die obersten Einsichtigen der Nation haben die Notwendigkeit eingesehen und haben auch die politischen Machtträger für die Sache gewonnen; und so sehen wir denn vor unseren Augen die kluge und verständige Nation ihren Unterricht entsprechend umgestalten und sich mit Aufbietung aller Kraft in die ihr neue Richtung werfen. So schwer die Arbeit sein mag, sie scheint zu gelingen; wenigstens sprechen die Anfänge dafür, die in nichts anderem bestehen, als im Lernen, Lernen, Lernen.

Kaufen kann man den Manganismus nicht. Er muß anerzogen, angebldet werden. Der Beweis dafür vollzieht sich gegenwärtig in China, wo all das durch Kauf erworbene ausgezeichnete europäische Kriegsmaterial sich nutzlos zu erweisen scheint gegen den regelmäßigen Angriff der Manganisten. Die Naturisten da drüben übersehen wohl zu leicht, daß das bloße Einlernen nicht hinreicht; ein ausgelassenes vergessenes Partikelchen des Verfahrens kann alles in Frage stellen. Manche der Zuhörer erinnern sich vielleicht des kleinen Mißgeschicks der Japaner vor zehn, zwölf Jahren, wie sie, auf ihre Selbständigkeit eifersüchtig, die englischen Lehrmeister von ihrem ersten großen Kriegsdampfer verabschiedt hatten, und nun eine große Übung damit abhielten, auch schön manövrierten, aber schließlich zum Befremden der vom Lande aus Zuschauenden stundenlang auf der Rhede in großem Kreise herumdampften. Der Maschinist hatte das „Berg Sesam, schließe Dich!“ vergessen; er wußte den überschüssigen Dampf nicht aus dem Kessel los zu werden und der Kapitän fuhr nun so lange im Kreise herum, bs aller Dampf aufgezehrt war. Heute wissen's die Japaner schon besser und lachen herzlich mit über die damalige Probe.

Bei den Indern haben die Engländer leise und sanft begonnen, auf manganistische Erziehung hinzu wirken. Alles steckt indessen noch in den Anfängen, kann aber noch zu Großem führen.

Wir brauchen übrigens nicht, wenn wir Naturismus suchen, in ferne Weltteile zu schweifen; auch in Europa ist derselbe noch vorhanden, ja, in jedem Menschen steckt ein Stück Naturismus. Demselben wird durch die Erziehung erst die manganistische Anschauung zugesellt, das Verstandesmäßige, das unbarmherzig Logische dein Naiven, der holden Natur bedingungslos Ergebenen in uns; aber auch die Besonnenheit, ausdauernde Festigkeit gegenüber dem Ansturm ruindrohender Naturmacht, das volle Gcgenteil des Fatalismus.

In Spanien hat sich der Manganismus noch wenig entwickelt; zu den großen, umgestaltenden Erfindungen hat die Iberische Halbinsel nicht beigetragen; wir müssen wohl annehmen, daß die Zurückdrängung der Reformgedanken dort um so eher gelingen konnte, als damals die eben neuentdeckte Welt die Gemüter ganz in Anspruch nahm. Unberechenbar ist, was Spanien sich durch sein Stehenbleiben geschadet hat.

Griechenland, das einst in Künsten und Wissenschaften auf der höchsten Stufe gestanden, war zur Zeit des Aufblühens der wissenschaftlichen Technik noch so in die Folgen seines Sturzes von einstiger Höhe verwickelt, daß die Bewegung es nicht erfaßt hat. Es bemüht sich jetzt, als Volk aus dem Naturismus sich emporzuringen, und mit Interesse können wir nun den Anstrengungen folgen, welche auf dem klassischen Boden des schönen Landes gemacht werden, um die alten Überlieferungen geistiger Thätigkeit wieder aufzunehmen. Ohne den Manganismus wird es aber nicht gehen.

Italien bereitet uns ein merkwürdiges Schauspiel. Lange in seiner Masse dem Naturismus völlig ergeben, und zwar auch nach seiner regen Beteiligung an den großen wissenschaftlichen Entdeckungen der Renaissancezeit, hat sein hochbegabtes Volk den Manganismus mehr oder weniger vernachlässigt, seine Kunstblüte aber erhalten und hat darin seinen Glanz gesucht und gefunden. Seit seiner politischen Neugestaltung indessen hat das Land die Notwendigkeit erkannt, das im Manganismus Versäumte nachzuholen; und so sehen wir denn die Italiener sich jetzt mit erstaunlicher Energie darauf werfen, die manganistischen Industrien und Tüchtigkeiten bei sich zu verbreiten. Es ist nicht zu verkennen, daß die in der That bedeutenden, raschen Fortschritte, welche das Land in den Nutzindustrien macht, schwächend auf seine Leistungen in der Kunstindustrie einwirken. Wie ein Schatten fliegt es bei derartigen Beobachtungen über uns, indem es scheint, als bestehe ein schneidender Gegensatz zwischen den beiden Richtungen, welchem die eine zum Opfer fallen müsse. Dem ist aber nicht so. Kunst und wissenschaftliche Technik schließen sich nicht aus. Es erfordert nur größere Anstrengungen, um beiden gerecht zu werden, größere Festigkeit und geistige Vertiefung in die feinen ästhetischen Gesetze, um den Ansturm störender Angriffe der Maschine abzuschlagen. Daß beide neben einander entwickelt werden können, zeigt die heutige lebendige Bewegung auf beiden Gebieten in Österreich und Deutschland.

Der innere Wert, die kulturentwickelnde Bedeutung der wissenschaftlichen Technik läßt es selbstverständlich erscheinen, daß sich in derselben für das Unterrichtswesen ein großes bedeutungsvolles Feld eröffnet hat. Mit Eifer und Erfolg sind viele Verwaltungen, nicht am wenigsten die hiesige, auf diesem Gebiete thätig gewesen; aber noch immer bestehen unerledigte Widersprüche. Lassen Sie uns im Anschluß an das, was soeben über das Verhältnis zwischen Kultur und Technik gesagt worden ist, die Fage des technischen Unterrichts kurz erörtern.

Das erkennen wir von vornherein, daß die höchste Stufe, diejenige der technischen Hochschulen, ohne volle Wissenschaftlichkeit nicht denkbar ist. Denn die manganistische Technik muß, um zu ihren Zielen zu gelangen, die Naturkräfte genau deren Gesetzen entsprechend in ihre Operationen einführen. Der technische Hochschulunterricht muß deshalb die drei früher genannten Naturwissenschften und die alles messend Meisterkunst Mathematik zum Grundmotiv haben. An diese haben sich die übrigen Einzelfächer, jedes wieder selbst auf seiner eigenen Gesetzmäßigkeit beruhend, anzuschließen, damit stets an die sich stellenden Aufgaben vom höchsten Standpunkt des Verständnisses ausgegangen werden kann. Aus dem Bedürfnisse der sich allmählich entwickelnden manganistischen Technik hervorgegangen, sind die technischen Hochschulen historisch weit später als die Universitäten entstanden; wesentlich hat erst dieses Jahrhundert sie gereift und dies kaum überall völlig, denn sie sind in der letzten Zeit aus einer gewissen Entwickelungsunruhe gar nicht herausgekommen. Bemerkenswert ist dabei, daß sie trotz ihrer beabsichtigten streng wissenschaftlichen Richtung ihren Frieden mit den Universitäten noch nicht gemacht haben. Es hat, selbst bei sehr gutem Willen, bei uns nicht gelingen wollen, beide wirklich zu verschmelzen. Ich erinnere mich mt Beziehung hierauf lebhaft einer geistvollen Festrede des verstorbenen Köchly über das Zusammenleben des Züricher Polytechnikums mit der dortigen Universität in einem Hause. Derselbe Köchly, der mit Rüstow zusammen technische Philologie getrieben hatte, nämlich den Philon von Byzanz und den Hero übersetzt, auch den Äneas über Städteverteidigung, den Casar und manches andere, wo stets die technischen Fragen in erster Linie gestanden, er sagte von dem Verhältnisse der beiden Hochschulen: „Und wenn auch nicht Seite an Seite, so können wir doch Rücken an Rücken fechten!“ Noch heute, nach 24 Jahren fechten sie dort, wie an so und so vielen anderen Plätzen, Rücken an Rücken. Dafür kann doch nicht als stichhaltig der Grund angeführt werden, daß der Altersunterschied zu groß sei, oder daß die Universitäten den richtigen Zeitpunkt verpaßt hätten, um die nötigen polytechnischen Fakultäten den vier alten anzugliedern. Es müssen tiefere Gründe gegen die Verschmelzung sprechen. Ich sehe dieselben in der innerlichen Verschiedenheit der Lehrzwecke.

Der Universitätsunterricht will nämlich in allen seinen Zweigenausnahmslos die menschliche Erkenntnis pflegen; die Universität betreibt, um es in ein Wort zu fassen, die Wissenschaft des Erkennens. In der Theologie, in der Rechtsgelehrsamkeit, in der Medizin, sowie auch in allen Fächern der philosophischen Fakultät ist die Förderung der Erkenntnis der Zweck.

Ganz anders der technische Hochunterricht; er will lehren und befähigen, zu schaffen, Neues hervorzubringen, die Zwecke der Gesellschaft durch Anwendung der Wissenschaften auf die Leitung der naturgesetzlichen Prozesse zu fördern. Die technische Hochschule pflegt die Wissenschaften des Schaffens.

Dieser Gegensatz ist entscheidend. Er ist bestimmend für die ganze Haltung des Unterrichtes. Von Einzelheiten müssen wir hier absehen, um das Ganze im Auge zu behalten. Aber dieses ist bei der Universität, je weiter sie ihren Jünger führt: Isolierung des Studiums, Absondern vom allgemeinen Stoff, das sich Werfen auf einzelnen Forschungspunkt 2)

Bei der technischen Hochschule andrerseits ist auf Grund erworbener fester, geordneter wissenschaftlicher Grundkenntnisse, je weiter der Studierende gelangt, das Aneinanderschließen, das organische Miteinanderwirken der einzelnen und vor allem der Disziplinen, das sich Einfügen in Thätigkeiten, die sich auf einander beziehen, erforderlich. Es ist nicht anders später im Leben, wo überall beim Techniker-Beruf die Teilnahme an Organisationen Bedingung ist, wo dm einzelnen die größte Verantwortung für das richtige Ineinandergreifen der Gesamtthätigkeit aufgelegt werden muß, während die Universitätserziehung auf das Einzelleben und dessen volle Entwickelung hinwirkt.

Es braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden, daß die Grenzlinien zwischen den beiden geistigen Bewegungen nicht scharf sind, namentlich bei der Lehrtätigkeit selbst. Nicht selten hat zum Beispiel die Cheme der Universitäten der Lockung nicht widerstehen können, nach der Richtung des Schaffens etwas aus der Reihe zu drängen; oder es ist an der technischen Hochschule den Lehrern nicht immer gelungen, der Aufgabe des technischen Studiums sich völlig fest anzuschließen. Daher denn das Austauschen der Lehrkräfte, hinüber und herüber, bis das Gleichgewicht erzielt ist. Auch haben sich nicht überall für die technischen Hochschulen die Grundsätze so fest gestaltet, hat sich die Notwendigkeit, überall vollständig wissenschaftlich aufzubauen, noch nicht unbedingte Anerkennung verschafft, wie es zweifellos sein müßte. Aber die Klärung der Ansichten nach dieser Richtung vollzieht sich überall mehr und mehr, und das Ziel darf als deutlich erkannt angesehen werden.

Getrennt also marschieren die beiden Heere und haben ihre verschiedenen Aufgaben und verschiedene Gliederung; auf gleicher wissenschaftlicher Höhe aber ziehen sie, sollen sie ziehen, und nachbarlich genug, um einander stets die Hände reichen zu können, jedes bestrebt,seinen Aufgaben ganz und voll zu genügen. Darum lassen wir sie ruhig marschieren; sie werden trotz der Trennung beide ihrer Aufgabe gerecht werden.

 

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1) Man sollte endlich aufhören, immer wieder die Sage von der Vernichtung der alexandrinischen Bibliothek durch Omar nachzuerzählen. Zunächst fand ja doch die Eroberung der Stadt nicht durch Omar, der fern war, sondern durch seinen Feldherrn Amru statt. Sodann war die Bibliothek lange vorher schon zum größten Theile zerstört worden, einmal durch eine Feuersbrunst, welche 415 bei der Ermordung der unglücklichen Hypatia durch fanatische Cyrillianer in der Akademie angefacht worden war, und früher schon, im Jahre 30, als die Römer Alexandria in Besitz nahmen, bei welcher Gelegenheit ein großer Teil der Bibliothek durch Feuer zerstört wurde. 

2) „Meine Herren,“ hörte ich Dove in seiner Physikvorlesung sagen, „suchen Sie sich bei Zeiten eine Specialität.“