Clemens Brentano
1778 - 1842
Romanzenvom Rosenkranz
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Romanze XXRosarosens Leichenzug
Frühe Sonne, frühe Sonne,Ach wo bist du hingesunken!All des Tages JugendwonneIst im Morgenrot ertrunken.
Deine wunderselgen Augen,Inseln aus des Himmels Seen,Sah ich steigen, untertauchenIn des Morgens erstem Wehn.
Und es steigt ein NebelschleierÜbers tiefe, stille Blau,Eine einsam tiefe FeierBreitet sich durch Wald und Au.
Ruhig unbewegte Bäume,Kein Gesang, kein Blattgeräusch;Spinnet ihr die nächtgen TräumeWieder an, ihr Blumen keusch?
O Bologna, deine Zinnen,Die gelacht im Sonnenstrahl,Seh ich bösen Schmuck gewinnen:Schwarze Flaggen überall!
Alle Buden sind geschlossen,Trauerteppche hängen aus,Durch die Straßen weit ergossenReget sich ein Volksgebraus.
Aber mitten durchs GedrängeGehet eine freie Bahn,Und es wirft die rege MengeBlumen auf den offnen Plan.
Vor dem Konsularpalaste,Auf des Marktes weitem Raum,Der viel tausend Bürger faßte,Bildet Wache einen Saum.
Und die acht Konsulen tretenAus des Palasts hohem Tor,Und der Ältste tritt zu redenAuf den Marmorstuhl empor.
Und er winkt mit dem BaretteUnd der Herold mit dem Stab,Das Geschmetter der TrompeteNun zur Ruh das Zeichen gab.
«Seid gegrüßt, ihr freien Bürger!Seid gegrüßet, edle Ritter!Seid gegrüßet, ihr Gelehrten!Seid gegrüßet, ihr Studenten!
Euch die Ursache zu sagen,Warum heute alle wirAlso reiche Trauer tragen,Seht ihr mich erscheinen hier.
Jacopone, der gelehrte –Wer ists, der ihn hier nicht kennte,Seine Weisheit nicht verehrte,Nicht ihn einen Gönner nennte?
Über diesen Mann gesenketHat sich jüngst ein bittres Leiden,Und in Tränen ganz ertränketIst er nicht mehr zu beneiden.
In des Schauspielhauses BrandeWard sein herrlich Weib verletzet,Und zu einem bessern LandeVon dem Herrn der Welt versetzet.
Sie, die Lehrerin der Waisen,Seine Hauses treue Wirtin,Ward in dieser Stadt geheißenNur die fromme, liebe Hirtin.
Und sie ist nicht mehr hienieden;Wo sich alle Lämmlein sammelnHat der Hirt sie hinbeschieden,Gottes Loblied mitzustammeln.
Da sie ihm nun ist geraubet,Will er nicht mehr grünend leben,Will er, wie ein Baum entlaubet,Nimmer wieder Schatten geben.
Und er ist vor uns erschienen,Hat uns weinend eingeladen,Alle seinem Leid zu dienen,Und wir haben uns beraten.
Denn als eine freie GabeGibt der Stadt er seine Gelder,Liegende und fahrnde Habe,Seine Häuser, seine Felder.
Alles, was er hat erworben,Sei ihm auch mit ihr verloren,Sei ihm auch mit ihr gestorben,Armut hat er sich erkoren.
Eine Kirche will er bauen,Wo das Spielhaus ist verbrennet,Zum Behuf der Klosterfrauen,Welche man Clarissen nennet.
Und er hat zu diesem EndeAlle Sicerheit gegeben,Siegelbrief und Dokumente,Wo die Gelder sind zu heben.
Und hiefür ward ihm die Bitte,Seines Schmerzes Trost, gewähret,Daß mit ungewohnter SitteSeine Trauer sei geehret.
Denn die so den Staat bedachten,Die verdienen solche Ehren;Solche Bürger hoch zu achten,Das muß unsre Größe mehren.
Und ich wollte hie verkünden,Daß im wogenden GedrängeSich kein Streiten mög entzünden,Wo die Straßen krumm und enge.
Denn wir wissen, uns zum Leide,Daß in unsern treuen MauernZwei Parein zum bösen StreiteImmer auf den Anstoß lauern.
Laßt uns nicht den Tag entwiehenEiner tugendhaften Toten!Eintracht möge Gott verleihenUnser Gruß sei euch entboten!»
Und er winkt mit dem BaretteUnd der Herold mit dem Stab,Und die schmetternde TrompeteSeiner Rede Schluß angab.
Und nun reiten durch die MasseHerolde und tuen kundAn der Eckejeder Gasse,Was er sprach, der weise Mund.
Aber aus des Schlosses BogenZieht der Heerwagen der Stadt,Von acht weißen Stiern gezogen,Und ein Jauchzen findet statt.
Denn kein Bürger kann ihn sehen,Wie aus reicher Bilder ZierBologneser Flaggen wehen,Ohne innre Kampfbegier.
Vor dem Wagen ernsthaft schreitenAcht Trompeter, rot und weiß,Die acht weiße Stiere leiten,Dann acht Führer rot und weiß.
Übers Volk, wie aus dem Meere,Sieht man nun den weiten Wagen,Ähnlich einer Prachtgaleere,Mit der hohen Fahne ragen.
Rings mit goldenen GeländernEr wohl vierzig Reite rfaßt,Haltend an den vierzig Bändern,Die sich niederziehn vom Mast,
Der ein silbern Kreuz erhebet,Das des Lichtes Blick erhellt;Nieder mit der Fahne wehetWeiß ein Kreuz im roten Feld.
Und vor dieesr Fahne sitzetEin vor allen prächtger Mann;Wie sein harnisch strahlt und blitzet,Kaum daas Aug ertragen kann.
Er gleicht einem Martisbilde;In dem blanken, großen Schwert,In dem runden SpiegelschildeLacht die ganze Pracht verklärt.
Im die Fahne ist vertrauet,Er des Wagens Ehr bewacht,Den die Herrn des Rats erbauetAls den Mittelpunkt der Schlacht.
Als des Staates Bundeslade,Als Symbol der Bürgerehre,Als der Thron des Zorns, der Gnade,Geht der Wagen mit dem Heere.
Wenn er stehet, wenn er schreitet,Steht und geht die Kriegerschar,Ihn des Heeres Kern umstreitetIn der dringenden Gefahr.
Und zersprengte ReuterhaufenSammeln sich in seinem Kreis,Und von neuem auszulaufenNach des Kampfes blutgem Preis.
Und den Feldarzt trägt der WagenMit des Leibes Arzenein,All, die blutig sind geschlagen,Wollen hier geheilet sein.
Auch die Priester auf ihm stehen,Mit dem heilgen SakramentJeden Krieger zu versehenIn dem ehrenvollen End.
Kehrt der Wagen mit dem Heere,Dann ward gut die Schlacht geschlagen,Denn des Heeres Mut und EhreHänget an dem Fahnenwagen.
Fällt er in des Feindes Hände,Dann sucht Heil in schnöder Flucht,Wer nicht in des Lebens EndeSeiner Schande Ende sucht.
Aber wie er in dem KriegeIst des Mutes fester Kern,Wird er nach errungnem SiegeDes Triumphes schönster Stern.
Und von seiner Bühne glänzenFeindeshelme in Trophäen,Zwischen stolzen LorbeerkränzenDie errungnen Fahnen wehen.
Und in seine Spuren weinenSklaven, paarweis hart gebunden,Nieder zu den kalten Steinen,Die den nackten Fuß verwunden.
Auch des Friedens Pracht zu mehrenZieht er aus mit stolzem Prangen,Als ein Zeichen reiche rEhrenHohe Gäste zu empfangen.
Gold und Scharlach muß dann wallen,Weise Männer ihn betreten,Und von seiner Höhe schallenZierlich ausgesprochne Reden.
Oder, mehr ihn zu verschönen,Höret man das Wort der Richter,Lieblich stolz auf ihm umtönenVn den Liedern heilger Dichter.
Also dient er in dem Streite,Triumphiert, und trägt die BeuteSo zu festlichem Geleite;Aber anders dient er heute.
Und die dunkle TrauerbühneNun die bunte Menge teilet,Wie ein schwarzes Schiff die grüneFlut mit scharfem Kiel durcheilet.
Aber tröstlich auf dem dunkelnMaste, dessen Segel trauern,Sieht das weiße Kreuz man funkeln,Wie ein Stern im nächtgen Schauern.
Schwarze Tücher rings verhüllenSeine kriegerische Pracht,Und sein Schnitzwerk Rosen füllen,Sterne einer tiefen Nacht.
Guido hat ihn zu der TrauerRosarosens so verzieret,Um ihn weht ein leiser Schauer,Weil der Tod hier triumphieret.
Und wo sonst die Schwerter glänzen,Stehen trauernde Martronen,Tragend in ZypressenkränzenPomeranzen und Zitronen.
Herbe Bitterkeit der Tränen,Dunkles Laub zur Erde sinkendUnd den Tau mit irdschem SehnenAus des Grabes Blumen trinkend.
Weiß geschmückt, zu beiden Seiten,An des Mastes schwarzen SchnürenHaltend, Kinder traurig schreiten,Ihrer Hirtin Fest zu zieren.
Seht, vor Jacapones TüreSteht ein schwarzer Baldachin,Daß das Volk ihn nicht berühre,Hüten sechzehn Ritter ihn.
Acht vom Stamm der Gieremeen,Acht vom Lambertazzer HausRechts und links vermischet stehen;Keiner hat den Rang voraus.
Und es drängt von allen Seiten,Was zu den Partein gehört,Zwar ohn Lieb, doch auch ohn Streiten,So ist der Moment geehrt.
Mit dem Trauerschmuck der FlöreHaaren rings sich anzuschließenDie verschiednen Ehrenchöre,Wenn der Zug sich wird ergießen.
Wenn die Priester angekommen,Werden tief die Glocken schallenUnd der Leib der lieben FrommenWird zu seiner Ruhe wallen.
Aber in des Hauses KammerSitzt der schmerzdurchbohrte Mann,Öd in tränenlosem JammerSieht er ihre Leiche an.
Engel, die ihr Haupt umschweben,Die zu ihren Füßen knien,Konnten ihm nicht Tränen geben,Tränen sind ihm nicht verliehn.
Seit die Augen sie geschlossen,Die ihm Lust und Leid gespiegelt,Ist in Tränen er zerflossen,Und nun ist ihr Quell versiegelt.
Irdisch kann sie nicht mehr scheinen,Die der Erde zu vereinen;Irdisch kann er nicht mehr weinen,Und seinherz will ihm versteinen.
Ja, ein Grab von MarmorfelsenHaut der Schmerz in seinem Herzen,Was nicht springen will, muß schmelzenVon der Glut der Trauerkerzen.
Ist die Halle erst geweitet,Wird sie ruhen in den Felsen,Wenn er stillzur Türe schreitet,Einen Stein davor zu wälzen,
Also schwer und ungeheuer,Daß kein andrer ihn beweget,Als Luft, Erde, Wasser, Feuer,Wenn sie Gottes Zorn erreget.
Und wenn so die Gruft verschlossen,Wird er auf den Felsen steigen,Klipp vor Klippe unverdrossen,Um den Gipfel zu erreichen.
Und da wird der Feind ihm zeigenAlle weiten Herrlichkeiten,Wie die Flüsse silbern schleichen,Wie die Ufer sie begleiten.
Sonnenschein auf Bergesgipfeln,Dämmerung in grünen Talen,Sang und Lust in Waldeswipfeln,Hochgetürmter Städte Prahlen,
Schiffe segelnd, Wolken ziehend,Schlosses Dach im Abend glühend,Schatten übers Meer hinfliehend,Und ein ganzer Frühling blühend.
Alles wird der Feind ihm zeigen;Doch er wird es nicht verlangen,Und die Welt wird sich ihm neigen,Er wird nur am HImmel hangen.
Freudig ohne niedern KummerWird er an die Erde sinken,Betend dann in selgem SchlummerEines guten Traums ertrinken.
Überm Haupt die Jakobsleiter,Wird er mit der Engel ReigenIn den offnen Himmel heiterZu geliebten Seelen steigen.
Also wird ihm einst geschehen,Den jetzt solche Schläge schlagen,Daß er ganz versteint in Wehen –Dies wollt ich zum Trost uns sagen.
Unbemerkt im eignen Leide,Knieet Pietro in der Kammer,Und sie schweigen alle beide,Jeder in dem eignen Jammer.
Aber nun spricht Jacopone,Denn er hört ein fernes Singen:«Wo ist ihre Blumenkrone?Ach, man will sie von mir bringen!
Wo sind Blumen ihr zum Kranze,Fromm und keusch, wie sie gewesen?Erde, küß mit deinem GlanzeNochmals, die von dir genesen!»
Und zu Pietro er sich wendet,Spricht: «Hast Blumen du gebracht?Rosen, die zutag gesendetDiese tränenvolle Nacht?
O, mein Pietro, die Verblühte,Zier sie mit des Lebens Bild;Daß der Schmerz nicht also wüte,Deck sie mit dem Blumenschild!»
Pietro mit dem Haupt verneinet,Aber reden kann er nicht,Und der Tränenlose weinet,Als er sieht sein Angesicht.
Jacopone ihn umarmet:«O, mein Bruder! mich erquicket,Daß mein Leid dich so erbarmet,Und aus deinen Augen blicket.»
Aber jener ihm entgegnet:«Ach! es ist das deine nicht!Dann wär wohl mein Los gesegnet,Und es das meine nicht.
Blumen konnt ich dir nicht bringen,Weil sie all wie RosaroseIn dem Feuer untergingen,Bis auf eine weiße Rose.»
Pietro wollte weiter reden,Doch Melior und Rosablanke,Welche zum Gemach eintreten,Werden seiner Rede Schranke.
Und er fühlt sich dumpf ergrimmet,Wenn er zu Meliore blickt,Denn in seinem Busen glimmetEifersucht, die ihn erstickt.
An der Türe schüchtern weiletRosablanka. Zur ihr schreitetJacopone: «Jungfrau, eilet,Daß Ihr mir den Kranz bereitet!» –
«Herr, dies kann gar wohl geschehen,Ich hab Rosen, rot und wieße,Und ich kann die Kränze drehen,Doch fehlt mirs am Myrtenreise!» –
«Keine Myrt in ihre Krone!Einen jungfräulichen KranzWinde ihr!» – sprach Jacopone,Blickend durch der Tränen Glanz.
Und sie naht der Leiche Füßen,Aus dem Korbe, den sie trug,Ihre Rosen auszugießen.Ach, wie ihr das Herz da schlug!
Sie mit Liebe zu begrüßen,Fühlt sie einen innern Zug,Und sie soll doch, um zu büßen,Folgen ihrem Leichenzug.
Wie sie so die Tote schauet,Wie sie so die stille fühlet,Mild ihr Aug von Tränen tauetUnd die heiße Wange kühlet.
Und sie nimmt die rote Rose,Fügt zu ihr der weißen Glanz,Weiter eine gelbe Rose,Und so fort den ganzen Kranz.
Bei den roten spricht sie immer:«Rosarose, bitt für mich!»Bei der weißen Rosen Schimmer:«Rosablank geleitet dich!»
Aber bei der gelben RoseMuß sie an Biondetten denken,Und dann traurig zu der RoseIhre Blicke niedersenken.
Da sie nun den Kranz vollendet,Sprach sie scheu zu Jacopone:«Mich that zu dir hergesendetHeut der Beichtiger Benone.
Meine Schulden abzubüßen,Will er, daß ich im GeleiteDeine Weibs mit bloßen FüßenHinter ihrem Sarge schreite.
Und ich bitte dich zum Lohne,Daß du dieses mir gestattest,Als den Preis der Blumenkrone,Die du ohne mich nicht hattest.
Trauer ist mein Kleid, ich weineAn der Mutter Sterbetage;Wenn ich dir zu arm nicht scheine,Laß mich folgen deiner Klage.»
Da sprach zu ihr Jacopone:«Du sollst bei dem LeichenwagenIhr die jungfräuliche Krone,Die du ihr geflochten, tragen.
Dieses ist des Lanes Sitte;Zwischen Pietro und MelioreSollst du schreiten in der MitteMit dem Kranz im Trauerchore.»
Aber plötzlich brach das SchallenAller Glocken durch die Luft,Und der Priester in die HallenTritt mit Kranz und Weihrauchduft.
«Es ist Zeit, müssen wallen,»Spricht er, «weil die dunkle GruftDieser jetzt, wie einst uns allen,Mit metallner Zunge ruft.»
Acht Matronen tief in TrauerTragen nun den Sarg hinab,Stellten ihn zum Trost der SchauerUnterm Baldachine ab.
Und die Ritter mußten wehrenMit dem Schwert die Totenschau,Doch ein jeder wollte ehrenNoch einmal die fromme Frau.
Und es zieht, sie anzuschauen,Vor ihr hin der Leichenzug;Ach, wer sieht, sich zu erbauen,Solch ein heilig Bild genug!
Mit dem Kreuz vorüberziehenErst die Priester, traurig singend,Und das Volk liegt auf den Knieen,Chöre durch die Lüfte schwingend.
Und die Schwermut der PosaunenWindet sich durch Litaneien,Die vorm Ewigen erstaunen,In der Zeit um Hilfe schreien.
Ihnen folgen fromme Orden,Ewige Gebete lallend,Vor den Kreuzen allerortenAuf das Antlitzt niederfallend.
Und nun treten schwarze NonnenUm den Sarg, in weißen Schleiern,Wie die Strahlen einer Sonnen,Dieser Frommen Tod zu feiern.
Aber sie auch müssen gehen,Denn jetzt nahn die Tiefbetrübten;Seht der Kindlein Fahne wehen,Traurig bei der Hochgeliebten!
Agnus castus mit dem LammeFührt die Mägdlein und die Knaben,Die mit einem BlumendammeNun der Hirtin Sarg umgaben.
Und mit kindisch süßem FlehenDrängt die Schar zu ihren Füßen;Jedes Kindlein will sie sehenUnd die milden Hände küssen.
Ach! sie kennen nicht das Scheiden,Freuen sich des RosenkranzesUnd des Rocks von Samt und SeidenUnd des Diamantenglanzes.
Doch Bolognas HeereswagenMit gedämpften Hörnerklang,Ihren Leib zur Gruft zu tragen,Durch die Kinderschar herdrang.
Und den Sarg hinan zu hebenZaudern noch die ernsten Ritter,Sich die Hand dazu zu gebenIst ihr innrer Groll zu bitter.
Als der Konsul dies ersehen,Fürchtet Störung er der RuheUnd beginnt umher zu spähen,Wer erheben soll die Truhe.
Sieh, da naht mit FlötenschalleErnst der Zug sich der Studenten,Jeder Nation MarschalleSich heran zum Sarge wenden.
Jene, die sie nach dem BrandeHeimgetragen mit Verehren,Nahn dem Konsul als Gesandte,Schwarz, mit langen Trauerflören.
Und da sie das Zögern sahenUnd des Konsuls Wink empfingen,Barhaupt sie dem Sarge nahen,Fassen an den goldnen Ringen.
Heben ihn mit guter SiteAuf den hohen Trauerwagen,In der Blumen stille Mitte,Traurend, aber ohn Verzagen.
Als den Wagen sie verließen,Kehrend hin zu den Gesellen,Nun die Kinder ihn umschließenRings mit freudgen Blumenwellen.
Zwischen schlanken LilienstengelnUnd den zarten Rosenzweigen,Rings umwallt von frommen Engeln,Zieht er hin mit prächtgem Schweigen.
Und es folget Jacopone;Zwischen Pietro und MelioreWanelt mit der TotenkroneRosablanka in dem Chore.
Ihre Locken aufgelösetTraurend um die Schultern wehen,Ihre Füße sind entblößet,Sie muß so zur Buße gehen.
Als sie aus dem Haus geschritten,Zog sie Schuh und Strümpfe ab,Die sie, auf sein dringend Bitten,Pietro zu bewahren gab.
Und im Gurt er sie verstecket,Wie beliebten, reichen Schmuck;Seines Herzens Schlag erwecketDer verehrten Pfänder Druck.
In verschiednem Schmerz befangenDiese Viere vor uns schreiten,Manche Trän auf frmden WangenEhrt ihr tränenloses Leiden.
Wie ein Christ scheint Jacopone,Der getrost zum Tode gehet,Dem die blutge MartyrkroneAus dem Himmel niederwehet.
Hinter ihm kommt Rosablanke,Mit der Blumen süßem Glanz,Als ob sie vom Himmel schwankeZu ihm mit dem Martyrkranz;
Wie ein Engel ungetrübet,Doch umhaucht von irdschem Leid,Weil der Herr die Menschen liebet,Die um ihn bestehn den Streit.
Ihr zur Rechten Meliore,Wie ein unbesiegter HeldUnter einem SklavenheereDurch der Brüder Leichenfeld.
Er ist nach dem Kranz gesprungen,Fesseln haben ihn umringt,Er hat selbst das Lied gesungen,Das der Feind jetzt um ihn singt.
Aber der ist unbesieget,Der ein Dichter und ein Held,Weil er in dem Himmel wiegetSeines Schmerzes giftge Welt.
Und es steigt an seinem LeidenHeilend Sonn und Mond empor,Unter Sklaven kann er schreiten,Wie ein Sänger in dem Chor.
Er ist einsam im Getümmel,Und er geht in selgem Traum,Und sein Aug steigt zum HimmelEwig von dem irdschen Saum.
Aber Pietro geht zur LinkenWie ein armer Schäferknabe,Der den Schatz hinab sah sinken,Den er mühsam ausgegraben.
Immer sieht er vor sich spielenNoch die goldne Zaubertruhe,Wo sein Weg auch hin mag zielen,Flieht der Schatz ihn ohne Ruhe.
Also muß ein Buhler irren,Dem die Buhle ging zu Grab,Die aus zaubrischen GeschirrenIhm die Liebestränke gab;
Also in dem VenusheereZieht die liebestörge Brut,Daß sie ewig sich verzehre,Ewig wachs in böser Glut.
Ob sin Blick zur Erde niederOder auf zum Himmel schwebt,Sieht er stets den Rumpf der Hyder,Der ein neues Haupt erhebt.
Jede Blume möcht er küssen,Die die Jungfrau ihm zur RechtenTritt mit zarten Rosenfüßen,Und sich einen Kranz draus flechten,
Und mit solchem Schmerz bekränzet,Steigen durch die finstern Felsen,Wo kein Stern mehr fröhlich glänzetUnd sich schwarze Bäche wälzen.
Und an einen bittren BronnenMöcht er trinkend niedersinken,Bis zum Ablauf aller SonnenImmer schöpfen, immer trinken,
Und dem Quelle wieder weinen,Ihn mit seinem Schmerz berauschen,Und zum Felsen dann versteinenUnd den eignen Schmerz belauschen. –
Diesen folgen nun die Armen,All in neues Tuch gekleidet;Sterbend hat sie voll ErbarmenIhnen diesen Trost bereitet.
Die Konsulen folgen diesenIn dem festlichen Ornat,Und die Herrn des Rates schließenSich an sie, und der Senat.
Weiter alle ProfessorenDer juristschen FakultätUnd Magister und Doktoren,In der Hand das Samtbarett.
Und nun treten die PedelleMit den Silberstäben her,Der Studenten MareschälleUnd so fort ihr ganzes Heer.
In den schwarzen Mänteln stecktenPursch ealler Nationen,Kandidaten der Pandekten,Helden der Institutionen.
Alle seine Schüler ehrtenJacopones schweres Leid,So beschlossen und vermehrtenSie das prächtige Geleit.
Und so schlingt der Zug der TrauerSich durch lange Straßen hinUnd ergießt sich durch die Schauer,Aber alle ehren ihn.
Doch dort auf des Marktes MitteIst ein heftiges Bewegen,Alles wendet seine SchritteEinem neuen Bild entgegen.
Als der Sarg zur Stelle schreitet,Trat zum Zuge her AponeMit Biondetten, frech gekleidet,Dich zum armen Jacopone.
Und ein wunderbar EntsetzenBricht durch alle, die sie sahnSo, mit frechem Zuchtverletzen,Sich der frommen Leiche nahn.
Und der ganze Zug sich hemmte;Es entstehet ein Gedränge;«Weg mit diesem Purpurhemde!»Schreit empört die rege Menge.
Doch will keiner sie ergreifen,Weil sie so satanisch gleißet,Und wo ihre Augen schweifen,Alle Sinne sie zerreißet.
In den Wogen ihres BusensAlle Sünder untertauchen,Und wie Schlangenhaar MedusensIhre Locken Schrecken hauchen.
Über Apos greisem HaupteDie zwei Nachtigallen schweben,Weil er ihre Herrin raubt,Ihre Klage laut erheben.
Und als sie sich auf der StirneVon Biondetten niedersenken,Scheuchet sie die freche DirneMit des Hauptes freiem Schwenken.
Und so groß ist das Erschrekcen,Wie sie so verwandelt sei,Daß nicht Achtung konnt erweckenRosablankesnHilfsgeschrei,
Der Meliore an der SeiteSinnlos sank zur Erde hin,Als er sah, Biondette schreiteHer wie eine Sünderin.
Und sie legt die TotenkroneZu dem Sarge auf den Wagen:«Helft, o helft, zu JacoponeMir den kranken Jüngling tragen!» –
«Dahin ist nicht durchzudringen,Alles füllt der rege Zug,Können wir ihn seitwärts bringenIst es Hilfe schon genug.»
Pietro nun mit RosablankenMachen sich im Volke Raum,Und er trägt den stillen KrankenZum Altare an dem Baum.
Doch es mehrt sich die Verwirrung,Und es steiget auf den WagenNun der Konsul, dieser IrrungErsten Anlaß zu erfragen.
So erhöhet aus der MengeSieht er Apo und Biondetten,Rings in wogendem Gedränge,Vor dem Pöbel kaum zu retten.
Und er rufet: «Stille! Stille!Um das Heil der Republik!»Endlich sieget dann sein Wille,Und er spricht mit strengem Blick:
«Wer hat unsern Zug zerrissen?Vor uns ruht des Todes Friede,Fromm geschmückt, auf schwarzen Kissen,Und die Seele ist geschieden.
Und ich seh am Arm des WeisenHier mit unverschämter StirneUnser frommes Fest zerreißenEine sündlich bunte Dirne.
Welch ein Blick, von dieser LeicheZu dem frechen Weib getragen!Brücke zu des Teufel ReicheAus dem Himmels Tor geschlagen!
Was verlangst du hier, Apone?Bist in Wahnsinn du gefallen?Trittst du so einher zum HohneDir alleinig, oder allen?»
Und Apone ihm erwidert:«Spreche, Konsul, nicht so gröblich;Rede, die mich hier erniedert,Ist nicht ziemlich dir und löblich.
Ich bin dir nicht untergeben,Ich bin kein Vasall des Staates,Wer kann sich gen mich erheben,Als der Rektor des Senates?
Und vor allem mußt du wissen,Daß ich, von des Volkes MengeWider Willen fortgerissen,Hier gekommen ins Gedränge.
Könnt man doch nicht prächtger trauern,Wär die Republik gestorben,Die sich in Bolognas MauernWechselfiebernd hat verdorben.
Da ich all die Glocken hörteRufen, mit der Zunge Erz,Gen die Einsamkeit empörteSich im Busen mir das Herz.
Und ich glaubte, man bereiteFür Biondetten diese Feier,Weil sie ausgesagt, sie kleideHeut sich in den Nonnenschleier.
Und so führte ich hier niederMeine Freundin von der Zelle,Daß sie durch die Macht der LiederEuch, was sie beschloß, erhelle.
Doch die Zeit scheint nicht gelegen,Alles fühlt des Todes Schauer,Und ich seh auf allen WegenEine übermäßge Trauer.
Zieht die Republik zu GrabeHier auf unserm Heereswagen,Tiefer Leid könnt man nicht tragen,Als ich hier gesehen habe.
Sterbt, ihr Bologneser Frauen,Tut euch recht zu leben not,Denn galanter ist zu schauenAls das Leben euer Tod.
Zu dem Wagen, der vor JahrenUnsrer Schlachten wunde HeldenIn Triumpfh herangefahren,Kann sich nun ein jeder melden.
Ists erhört, in die Monstranzen,Wo nur wohnt das Sakrament,Eines Weibes Bild zu pflanzen,Die im Schauspielhaus verbrennt?
Lambertazzi, Gieremeen,Wo ist unsrer Ehre Schutz,Wenn die Staatesflaggen wehenÜber schnöder Leichen Putz?
Rühret euch, ihr tapfern Schläger!Von dem Wagen mit dem Weib!Mag der falsche AchselträgerSelbst begraben ihren Leib!»
Also regt mit falschen RedenEr des Hasses stille Glut;Allen, di um ihn getreten,Wallet zürnend auf das Blut.
Und die feindlichen Parteien,An den Schwertern mit der Hand,Mit verbissnem MaledeienStehn zum Ausbruch angespannt.
In dem Lärm steht unbewegetJacopone; wie ein FelsenIn dem Meere sich nicht reget,Wenn sich Stürme um ihn wälzen.
Doch es wird ihm aufgetragenVon dem Konsul nun, zu reden,Und so ist er auf den WagenZu dem Sarge hingetreten.
Doch der Schmerz ihn so durchdringet,Daß er sich muß niedersetzen;Alle rings sein Leid bezwinget,Keiner wagt ihn zu verletzen.
Noch, eh er begann zu sprechen,Sah mit wild gehobnen ArmenEr das dichte Volk durchbrechenSeine Freunde, alle Armen.
Und sie schrien mit lauter Stimme:«Treibt die Ochsen, fahret zu!Bringet trotz des Toren GrimmeUnsre Mutter jetzt zur Ruh!»
Um den Wagen mit den KindernKlaget Agnus castus laut:«Wer will frech den Brautzug hindernEiner himmlisch reinen Braut!»
Und das Volk zu beiden SeitenTreibt die Stiere mächtig an,Und indem sie vorwärts schreiten,Zieht die Leiche ihre Bahn.
Daß sich Apo still entferne,Läßt der Rektor ihn ermahnen,Und der Schergen MorgensterneMüssen ihm den Weg schier bahnen,
Bis ihn seine Schüler finden,Die ihn nun mit BiondettenEng mit ihrem Kreis umwindenUnd aus dem Gedränge retten.
Doch es ist das Volk geteilet,Viele hinter Apo drängen,Der hin zu dem Rathaus eilet;Andre sich dem Zug vermengen.
Beide könnte ich geleiten;Doch ich gehe zu der Linde,Wo ich an Meliores SeitenRosablanken trauernd finde.
Pietro aber steht am Bronnen,Und von Eifersucht durchpeint,Fühlt er nicht den Strahl der Sonne,Die ihm auf den Scheitel scheint. |