Clemens Brentano
1778 - 1842
Romanzenvom Rosenkranz
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Romanze XIVApo und Meliore
Durch die stillen Straßen schreitenApo und Meliore hin,Gleiche Pfade führen beideZu dem Turm, zur Tänzerin.
Wo das Mondgefild sich breitetUm des Brandes Trümmer hin,Ruht ihr Weg, und tief erweitetFühlt Meliore seinen Sinn.
Und er spricht zum ernsten Meister,Den er bei der Rechten nimmt:«Selig, wer gleich dir die GeisterLeicht nach seinem Willen stimmt.
Spricht, o Herr! auf welche WeiseReißest du mich jetzt zur dir?Da du heut im lauten KreiseAlso hart begegnet mir?
Da du zürntest mir im Streite,Sieh, da scheute ich dich nicht;Jetzo friedlich dir zur SeiteAlle Kühnheit mir gebricht.
Daß der, den ich erst geleitetZu des Pietro Garten hin,Wieder mir zur Seite schreitet,Will mir nimmer in den Sinn.
Sprich, wie soll ich nur begreifenDeiner Künste tiefe List,Daß ich hier dich kann ergreifen,Der erst dort vor kurzer Frist.
Meister sprich, und dann verzeihe,Daß ich also heut mit SchimpfTraf des hohen Hauptes Weihe;Zeige deines Herzens Glimpf!
Kenntest du des Jünglings Leiden,Der so kühn dich heut bestritt,Ach, du würdest Trost bereitenMir, der deinen Zorn erlitt.
Lass mich zum Kerker weichen,Dem das Feuer mich entriß,Kannst du mir die Hand nicht reichen,Daß mir deine Gunst gewiß!»
Apo gab die Hand: «Dein Eifer,»Spricht er, «wisse, war mir lieb;Herrlich wirst du, wenn du reifer,Denn dich treibet hoher Trieb.
Doch es muß vor der GemeineLeiden, wer zutage springt,Daß nicht aus dem Chor alleineEiner andre Weise singt.
Ob du würdig könntest leiden,War zu forschen ich gewillt;Nebst dem Schwerte zu dem StreitenFühre auch der Mann das Schild.
Und nun nenn ich dich den Meinen,Zeigte dir mein Doppelbild;Wird der dritte dir erscheinen,Ist das Ganze dir enthüllt.
Zeugnisgebende sind dreie,Und die dreie eines sind;Du hast einen Grad der Weihe,Noch bist du ein blindes Kind.
Wisse, der DreieinigkeitenSchweben in dem Zirkel viel;Wer sie alle kann durchschreiten,Dreht den Zirkel hin zum Ziel.
Doch nun laß uns andre Kreise,Die uns näher liegen, ziehn,Daß ich tätig dir beweise,Wie ich dir gewogen bin.
Einsam sind wir und alleine,Ich und du und die Begier;Sprich, nach welchem ZauberweineLechzt die trockne Zunge dir?
Fein ist diese Zeit; es schweifetSüß das trunkne Mondenlicht;Wer jetzt nach den Äpfeln greifet,Der verfehlt die reifen nicht.
Von der Venus Tau bereifet,Schwillt der Früchte süß Gewicht:Sage, welche Lust gereifetDir aus heißem Busen bricht» –
«O, mein hoher Herr und Meister,Du bist weis,» Meliore spricht,«Und es reichen alle GeisterDeinen Augen gern ihr Licht.
Sehe, hier stehn wir im Freien,Unterm hohen Wolkenschild,Und des Brands Ruinen streuenAuf den Plan ihr Schattenbild.
Kannst du aus der Sterne ReihenSagen, ob die Zukunft hierAndre Schatten wird verleihenDieses Platzes hoher Zier?
Ob nicht seinen Schatten breitenHier ein heilger Tempel wird,Wo wir jetzt durch Trümmer schreiten,Die des Wassers Flut durchirrt?»
Doch Apone sprach: «O schweige,Anderes begehr von mir,Daß ich anderes dir zeige,Was mir lieber ist und dir!
Denn nicht diese toten SteineHeben zu dem Licht den Blick;Nur des Lichtes Sohn alleineLiest gestirnet sein Geschick.
Geisterschwer erblühn die ZeitenHeute aus dem Sterngefild,Durch den reichen Himmel schreitenSeh ich wunderbar Gebild.
Denn die Jungfrau hebt den Schleier,Und der Widder freudig springt,Und der Stier erhebt sich freier,Da der Schwan verbuhlet sind.
Und die Zwillinge, sie weinen,Da die eine Wage sinkt,Und der Steinbock will nicht scheinen,Weil der Schütz den Bogen schwingt.
Amors Pfeil der Pfeil heut gleichet,Sieh, wie er zur Jungfrau ziel;Wie der Fisch zum Fische streichetUnd in Wogenschimmer spielt.
Nach des Bechers süßem WeineGreift der Wassermann und trinkt,Bär und Hund, der groß und kleine,Tanzen, der Triangel klingt.
Pegasus mit Wiehern schreietZu dem kleinen Pferde hier,Des Zentauren Lust sich zweietZu der Jungfrau, zu dem Tier.
Und der Walfisch, ein Hochzeiter,Jauchzend im Eridan springt,Und das Schiff, es flagget heiter,In dem Pol sein Ruder klingt.
Bei dem Hafen jagdlich schweifenSehe ich Orions Licht,Doch vor ihm die Flucht ergreifenHeute die Plejaden nicht.
Liebend denket er mit SchweigenDer Hyperboreerin,Und vor Herkuls Seele streichenAlle Thespiaden hin.
Cepheus, Cassiopeia neigenLiebend zueinander sich,Und Andromeda erreichenSeh den starken Perseus ich.
Freudig laut der Fuhrmann geißelt,Und das Böcklein zu ihm springt,Und der Löwe lustgekräuseltSeinen Schweif zur Jungfrau schwingt.
Wie im Paradiese schweifetDort die Schlange lustgeringt;Weil die Feigen sind gereifet,Hoch der Rab den Becher schwingt.
Frei strömt, wie zur Hochzeitsfeier,Berenicens Locke hin,Und im Klang von Orpheus LeierSchaukelt trunken der Delphin.
Den Antinous umkreisend,Hoch des Adlers Fittig klingt,Der, sie von der Erde reißend,Götterknaben aufwärts schwingt.
Eine Schlange tragend weilenSeh den Polyides ich,Minos lehrte sie ihn heilen,Dich zu heilen lehrt sie mich.
In der Nordkron goldne ReifeEine Myrte süß sich schlingt,Und der Drach mit brünstgem SchweifeHeiß den kalten Pol umringt.
Zu geheimer Liebe FeierHell des Altars Glut entglimmt;Die Südkrone schimmert freier,Und in Lust der Südfisch schwimmt.
Ihre Scheren brünstig breitenKrebs und Skorpion zum Licht,Und der Wolf in HimmelsweidenTrübt der Lämmer Quelle nicht.
Also glühend sind die Zeiten,Also brünstig ist das Licht,Wie die Rose, die den BräutenVenus durch die Locken flicht.
Die Granate senkt gereifetIhrer Kerne Goldgewicht,Trunken durch die Blätter schweifetAmor, der sie taumelnd bricht.
Selig ist wohl der zu heißen,Der in Liebe selig ist;Sprich, kann ich dich selig preisen,Der du also liebend bist?
Meliore, sei der meine;Sage ohne Hinterlist,Ob Biondette je die deineGanz und gar gewesen ist?
Ob dein selger Mund alleineIhres Leibes Rosen bricht,In der Augen Sonnescheine,In des Busens Mondenlicht?
Ob du in die WollustkreiseIhrer Mitternächte blickst,Daß dich jauchzend an sich reiße,Die entzücket du entzückst?»
Doch entsetzet hier den MeisterMeliore unterbricht;«Bei dem Gott der selgen GeisterSchwöre ich: das tat ich nicht!
Und will einer des sich preisen,Ich nenn einen Teufel ihn;Will mit Händen den zerreißen,Der sie solcher Schmach geziehn!
Gott und Vater! wüßt ich einenSolches denkend, sein GehirnSchlüg ich ihm mit kotgen SteinenAus der unverschämten Stirn!
Denn die Sterne sind nicht reiner,Als der Leib Biondettens ist,Und der Schoß, er war nicht reiner,Der empfangen Jesum Christ!
Doch du machst aus Weltenkreisen,Wo der Engel Palmen schwingt,Und, den Ewigen zu preisen,Gloria die Sphäre singt,
Einen Tummelplatz der Heiden,Wo die Sünde Lanzen bricht,Und ein ekles Wolluststreiten,Dem die Geilheit Kränze flicht!
Könntest du mir auch beweisen,So sei meiner Liebe Ziel,Möge mich der Stern zereißen,Der jetzt dort vom Himmel fiel!»
Also sprach er, und es breitetApo seinen Mantel hin,Fing den Stern, der niedergleitet:«Sieh, was dir ein Stern erschien!
In dem trüben, kalten SchleimeHier, erkennest du das Licht?Stürzend durch des Himmels RäumeWahrlich, dies erschlägt dich nicht!
Alles ist nicht Gold, was gleißet,Und was glühend dir erschien,Sich als faules Holz erweiset,Nahest du dem Wunder kühn.
Und das eben macht den Weisen,Daß er in dem SonnenlichtKann die Mitternacht beweisen,In dem Leichten das Gewicht.
Daß selbst in des Lichtes LeichteEr die Wucht, die niederzieht,In dem Abgrund auch das Seichte,In dem Seichten Abgrund sieht.
Sollt ich dich nicht selig preisen,Wäre solch ein Weib dein Spiel?Um die Erde möcht ich reisenNach so wunderbarem Ziel!
Doch die Jugend möchte steigen,Um den Himmel zu erfliehn,Und das Alter muß sich neigen,Sieht ihn an der Erde blühn.
Willst du nun die Lust erreichen,Die dir durch die Adern rinnt,Einen Trank will ich dir reichen,Der dir ihre Gunst gewinnt.
Läßt du dir das Recht entreißen,Das dir Lust und Jugend gibt,Wird dich schwer der Neid zerreißen,Wenn sie andern sich ergibt.
Daß zum Falle sie gereifet,Seh in ihren Sternen ich,Wenn kein andrer sie ergreifet,Nenne einen Lügner mich!» –
«Den möcht ich jetzt gleich dich heißen,»Zürnend nun Meliore spricht,«Solche Unschuld kann nicht gleißen,Gottes ist ihr Angesicht!
Körner streust du; ich soll gleiten,Aber Gott erhalte mich!Sündflut aller Eitelkeiten,Hier vor Gott verfluch ich dich!
Ja, gleich leicht magst du beweisen,Diesen Himmel ernst und stillSehest du vom Blitz zerreißenUnd von donnerndem Gebrüll;
Und die Stadt im MondenscheineFülle jetzt der wilde Krieg,Und daß jetzt, wo wir alleine,Weit ein Feld voll Leichen lieg;
Daß Bologna ihre weite,Hochgetürmte, feste StirnNiederbeuge jetzt im StreiteVor dem himmlischen Gestirn!
Daß du doppelt kannst erscheinen,Weil ichs sah, bewiest du mir;Doch Biondettens Schuld verneinen,Selbst sie sehend, würd ich dir!» –
«Malst du an die Wand den Teufel,»Apo zu dem Jüngling spricht,«Hält er dir auch ohne ZweifelZu der Malerei das Licht!»
Sprachs. Und plötzlich donnernd steigetUm den Mond die Finsternis,Und so weit der Himmel reichet,Hell ein Blitz die Nacht zerriß.
Und rings durch die Stadt verbreitetSich ein tosend Stahlgeklirr;Näher, immer näher streitetHer der Stimmen Kampfgewirr.
Meliore bebt. Es schreitenTausend Bürger in den Ring,Und mit Wut von allen SeitenHebet sich das Schwertgekling.
Und es sinket Reih auf ReiheAuf dem blutgen Mordgefild,Daß von Wut- und WehgeschreieLaut ertost das Wolkenschild.
Weh! da stürzen auf die StreiterRings Bolognas Türme hin,Doch sie kämpfen immer weiter,Nichts erschrecket ihren Grimm!
Zu den Füßen seinem MeisterSinnlos hin Meliore sinkt,Bis das Spiel der bösen GeisterDieser in den Abgrund winkt.
Und von Schrecken ganz gebleichetRichtet auf der Jüngling sich:«Du hast Böses mir gezeiget,Meister, nun entlasse mich!»
Apo spricht: «Du prophezeitestDieser Stadt dies Ungeschick,Weil du sie so toll vereidestFür Biondettens Tugendglück.
In der Wage liegen beide,Leg dich zu der Tänzerin;Daß dein Vaterland nicht leide,Gebe dich der Freude hin!
Größre Wunder könnt ich zeigen –Eines Wortes leicht Gewicht,Eines nichtgen Blickes SteigenFührt oft her ein schwer Gericht.
Und so stehn die Himmelszeichen:Es erfüllt sich dies Gesicht,Brichst du von Biondettens ZweigenHeut die reifen Früchte nicht!» –
«Läßt so leicht vom Himmel reißenDieses Landes Schicksal sich,»Spricht Meliore, «will verheißenEine schönre Zukunft ich!
Hohe Nacht, ihr Sternenreiche,Mond, du keusches Angesicht,Euch Biondetten ich vergleiche,Sie weicht euch an Friede nicht.
Und so fest und ungebeugetStehet ihrer Tugend Zier,Als einst fromm ein Tempel steigetAus des Brands Ruinen hier!
Sieh! beweget sind die Steine,Ordnen auf zu Mauern sich;Diese Geister sind die meinen,Und ihr Meister bin auch ich!
Freudig auf die Pfeiler steigen;Hörst du, wie Biondette singt?Wie nach ihrer Harfe ReigenStein auf Stein zum Himmel dringt?
Wie nach ihren MelodeienKuppel sich an Kuppel ringt,Und die Säule ihre ReihenMit dem Palmenknauf verschlingt?
Der Kapellen EinsamkeitenOrdnen sich in Harmonie;Wo die Töne sich durchschneiden,Wölbt des Chores Halle sie.
Wo die Töne höher steigen,Heben sich die Türme spitz,Die zum Firmamente reichenMit der Kreuze goldnem Blitz.
Wo sie sich zur Tiefe neigen,Zu der Grüfte Labyrinth,Seh ich trauernd niederschleichenStill der Treppen Steingewind.
Heilig scherzt in tausend WeisenBlum um Blume, Bild um Bild,Und, die Meisterin zu preisen,Widerhall dem Stein entquillt.
In der Kerzen selgem ScheineBebt der Altar feierlich,Und gleich einem FrühlingshaineFüllt das Haus mit Jubel sich.
Silbernem Gefäß entkreisendSüß der Weihrauch aufwärts dringt,Und des Himmels Tor aufreißendHochgesang in Wonne ringt.
Sieh, wie zu des Tempels WeiheRings die frommen Bürger ziehn;Meister! Gott uns Trost verleihe,Laß uns betend niederknien!»
Spricht Meliore, und den MeisterWill er an dem Mantel ziehn;Helfet! alle guten Geister!Er sieht vor sich doppelt ihn!
Einer trägt ein FeuerzeichenAuf der hohen, dunkeln Stirn,Kalt sie sich die Hände reichen,Und es bebet das Gestirn.
Lachend sie von dannen schleichen,Sieh, da kehrt das Mondenlicht;Durch das nächtlich tiefe SchweigenMeliors Stimme bricht:
«Weh! Bologna, weh! Sich neigenSah ich deiner Türme Zier,Sah ein blutig Feld der LeichenÜber deinem Herzen hier!
Weh! in deinen EingeweidenReget sich ein Drachenkind,Und es streun die dunklen ZeitenDeine Asche in den Wind!
O, wie muß ich den beneiden,Der den Stamm, des Sohn er ist,Kennt, daß er den Fluch der LeidenNicht in seinem Schuldbuch liest!
Einen Schuldgen suchend, reißenUm das Schiff die Stürme sich;Weh! ich kann mich des nicht preisen,Daß den Fluch nicht trage ich!
O Allmächtiger, o zeige,Ob der Sünde ich entspring,Daß ich zu der Flut mich neigeUnd ein sühnend Opfer bring!»
Also fleht er um ein Zeichen,Und sein Flehen ihm gelingt:Durch das tiefe nächtge SchweigenHell die Totenglocke klingt.
Und der Glocke Schall geleitetZu Biondettens Wohnung ihn;Wo der Baum die Schatten breitet,Kniet er bei dem Altar hin.
«Herr! die Seele, die jetzt streitet,Richt in deinem Zorne nicht;Herr! die Seele, die jetzt scheidet,Sehe bald dein Angesicht!»
Und er höret an dem Zeichen,Daß ein Weib gestorben ist,Weil die Zahl der GlockenstreicheZweimal unterbrochen ist.
«Jacopones frommem WeibeWohl das dunkle Auge bricht.Ob ich gehe, ob ich bleibe?»Bang der Jüngling zu sich spricht.
«Denn nicht lang mehr kann verweilenDie geliebte Tänzerin;Sah ich sie, dann will ich eilenTröstend zu dem Bruder hin.
Ach, schon hör ich aus der WeiteLeichter Füße Flügelschritt!»Von der monderhellten SeiteBang er in den Schatten tritt.
«Soll ich singen, soll ich schweigen,Wenn sie mir vorüberzieht?Gerne gäb ich ihr ein Zeichen,Daß ein Liebender sie sieht!»
Doch ein dunkler Fechter schreitetIn dem Schatten vor ihn hin,Und zum Kampfe schnell bereitetMeliore sich gen ihn.
Aber in des Degen KreisenSeine Klinge ihm zerspringt,Ihn durchbohrt des Feindes Eisen,Und er spricht, indem er sinkt:
«Herr! die Seele, die jetzt streitet,Richt in deinem Zorne nicht;Herr! die Seele, die jetzt scheidet,Sehe bald dein Angesicht!» |