BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Romanzen

vom Rosenkranz

 

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Romanze IX

Apo und Moles auf dem Turme

 

In des Turmes höchster Kuppel,

Unter seinem Fuß die Glocke,

Sitzt Apone, und die Uhren

Rasseln unter ihm im Boden.

 

In des hohlen Spiegels Runde,

Gegenüber einem Loche,

Sieht die weite Stadt er ruhen

Abgetürmt am Horizonte.

 

Doch des Meisters Blicke suchen

Rings umher im weiten Bogen,

Bis sie auf der hohen Kuppel

Des Theaters fest geworden.

 

Also mit den Augen wurzelnd

Sieht er ziehn die wilden Wolken,

Und die hohen Sterne funkeln

Aus des Himmels tiefer Woge.

 

Und er spricht mit finsterm Munde:

«Venus, du bist mir gewogen,

Du hast mich zu guter Stunde

Immer mächtig angezogen!

 

Alle kenn ich euch, ihr Kunden,

Die, man sagt, den Herren loben,

Doch der Herr sitzt manchmal unten

Und die Diener stehen oben!

 

Sterne, ich bin euch verbunden,

Ich hab mich mit euch verwoben,

Und ich kenne eure Stunden,

Lasse euch nicht warten droben.

 

Auf der Erde gehn die Dummen,

Wissen nicht, was ihr nur wollet,

Doch ich kenne eure Summen,

Ja, ich weiß auch, was ihr sollet!

 

Halb nur sind die Kreaturen,

Denen Gott die Stirn erhoben

Und die göttlichen Naturen

Nicht erkennen, die da droben.

 

Als der große Geist des Grundes

Wollte überm Lichte wohnen,

Überschlug er sich im Sturze,

Und das Schwere ward geboren.

 

Und das Leichte muß sich suchen,

Daraus ward das Licht geboren;

Schweres Dunkel war nun unten,

Leichtes Licht, das schwebte oben.

 

Und das Schwere war umrungen

Von dem Leichten, und es rollet,

Bis geboren war das Runde,

Das unendlich ist geformet.

 

Da das Licht dazu gedrungen,

Ist das Feuer aufgelodert,

Hat mit seiner bösen Zunge

Schnell das Wasser hergelocket.

 

Und aus dieses Kampfes Schwunge

Ward der Raum zur luftgen Woge,

So daß, wenn der eine zucket,

Wird der andre angestoßen.

 

Und dem Kampfe ist entsprungen,

Was hienieden irdisch wohnet,

Was da droben himmlisch rundet,

Was im Ganzen göttlich thronet.

 

Der gespalten, was verbunden,

Ist der Geist zum Fleisch geworden,

Aber Fleisch war eine Zunge,

Und die Zunge ward zum Worte.

 

Und der Mensch, der irdisch fußet,

Suchet seinen Gott im Hohen,

Der doch ist im Mittelpunkte

Und ihn reißet zu dem Boden.

 

Doch ich habe ihn gefunden:

Er der all den Streit erhoben,

Der gestört die tote Ruhe,

Ihm ist diese Welt entsprossen.

 

Er trägt mich mit festem Grunde,

Er hat mich aus Staub geboren,

Und die Sterne, die nicht ruhen,

Ziehn mich neidisch auf im Zorne.

 

Adam aus dem Erdengrunde

Ward als Geisel ausgeboren,

Und das Licht ab einen Funken

Als ein Unterpfand von oben.

 

Erde, feste Burg gerundet,

Schwebest in des Lichtes Wogen

Sicher, wie kein Schiff in Fluten,

Wie kein Kind im Mutterschoße.

 

Denn es sitzt am Steuerruder

Selbst des Lichts unehl'che Tochter,

Die Philosophia schlummert

Nie, und hält das Richt'ge oben.

 

Und Astronomia suchet

Rastlos an dem Himmelsbogen

Und dem Kompaß; alle Stunden

Geht die Welt nach ihren Polen.

 

Medizina heilt die Wunden

Mutig ringend mit dem Tode,

Und Magia hat des Sturmes

Flügel und des Windes Rosse.

 

O Magia, du des Dunkels

Schwarze, lichtentsprungne Tochter,

Du allein genügst zum Schutze,

Mag das Licht auch ewig toben!

 

Doch zum frechen Überflusse

Hat der Erdgeist auch geboren

Flaggen jeglicher Naturen,

Die allfarbgen Religionen.

 

Wenn das Schiffsvolk steht und murret

Und nicht trauet dem Piloten,

Wird die Flagge aufgewunden,

Und Begeistrung strahlt die Sonne.

 

Plagt die Krankheit und der Hunger,

Und das Wasser ist verdorben,

Da suffliert der Erdgeist dunkel,

Und sie beten, die Kujonen!

 

Also schwebt die Erde munter

Um des dunklen Geistes Pole;

Und sie dienen, dem sie fluchen,

Und er schämt sich, sie zu holen.

 

Doch das Licht und auch das Dunkel

Haben beide sich sich belogen,

Und die Lüge war das Wunder,

War das Wort, das Fleisch geworden.

 

Denn der Mann aus irdschem Grunde

War um Erdgeist nur geformet,

Daß das Licht, in ihm gebunden,

Sei gefesselt an den Boden.

 

Und vom Lichte nur durchdrungen

Ward der Mann, der Erdgeborne,

Daß der Erdgeist, sei gezwungen

In dem Manne hin nach oben.

 

So im wechselnden Betruge

Ist der Streit zum Fleisch geworden,

Und er herrscht im Mittelpunkte

Des unendlich ewgen Zornes.

 

Da das Licht den Schlaf erfunden,

Ward dem Mann das Weib geboren,

Durch den Baum des Bös und Guten

Führt der Erdgeist uns zum Tode.

 

Nach uns greift das Licht hinunter,

Ziehet mächtig uns nach oben,

Die Metalle schwer und dunkel

Ziehen nieder uns zu Boden.

 

Beiden Welten so verbunden

Wehet betend auf der Odem,

Wer erkennen will, was unten,

Stiehlt das hohe Licht von oben.

 

Als ich war im Licht betrunken

Und um Weisheit fleht von oben,

Sprach das Wort: Du sollst gesunden,

Wenn du mir das Fleisch willst opfern!

 

Wenn das Böse du verblutet,

Wenn versiegt der irdsche Bronnen,

Wenn du wandelst in dem Guten,

Magst du schauen in die Sonne.

 

Fasten sollte ich und hungern

Und entbehren alle Wonnen,

Recht in Schmerzen sollt ich wurzeln,

Um im Lichte aufzusprossen.

 

Mit dem Licht stieg ich hinunter,

Und der Erdgeist, leicht gewonnen,

Gab zu trinken mir das Dunkel,

Das in mir zum Licht geworden.

 

Und in diesem Licht betrunken

Ist mir die Erkenntnis worden,

Ich hab meinen Geist gefunden

Und verstehe seine Worte.

 

Wie die Sterne oben runden,

Die Metalle unten wohnen,

Wie die Sonnen gehen unter,

Wie herauf sich ziehn die Monde,

 

Fühl ich all in meinen Pulsen,

Und mein Fuß fühlt in dem Boden,

Wo die goldnen Schätze wurzeln,

Wo die Quellen gehn verborgen.

 

Eva, Eva! schlaue Mutter,

Hast den Apfel du gekostet,

Hat die Schlange dich versuchet,

Hast du uns den Tod geboren,

 

Hast das Böse und das Gute

Du erkennet, soll verloren

Mir nicht sein die teure Kunde,

Um die du das Heil verloren!

 

Bin der Erde ich verbunden,

Bin ich an den Tod verloren

Um ein Schnitzchen sauren Obstes,

Dreht um mich sich doch die Sonne!

 

Und ich will nicht eher ruhn

In dem dunkeln Erdenschoße,

Bis ich aller Sinnen Brunnen

Überfüllend ausgesogen!» –

 

Also sprach Apone murmelnd

Und bedeckt mit heißem Odem

Seines Wunderspiegels Runde,

Daß er trüb war und umfloret.

 

Und der rote Mond steigt blutend

Über Wolken auf im Osten;

Da er in den Spiegel funkelt,

Heult der schwarze Hund Apones.

 

Und der Meister wischt mit Fluchen

Von dem Spiegel seinen Odem:

«Will des Theater Kuppel

Noch nicht auf in Flammen lodern?»

 

Er nimmt einen Schwefelkuchen

Und ein Glas voll goldnem Korne,

Und den Schwanz von einem Fuchse

Aus dem Kasten an dem Boden.

 

Und den Wetterhahn, der funkelnd

Stehet auf des Turmes Knopfe,

Nimmt er, greifend durch die Luke,

Setzt ihn zu dem goldnen Korne.

 

Peitschet dann den Schwefelkuchen

Mit dem Fuchsschwanz aller Orten,

Und es springen helle Funken

In das Glas zum goldnen Korne.

 

«Simson,» spricht er, «deine Wunder

Hab ich kürzer mir geordnet;

Mir auch muß vom Schwanz des Fuchses

Der Philister Korn auflodern!

 

Ja, Geselle, werde munter!»

Spricht zum Hahne dann Apone,

«Beug den Schnabel zu dem Futter,

Wartest du, daß ich dich stopfe?

 

Der du in den Blitzen fußest,

Der du krähest in dem Donner,

Der du in der Sonne funkelst

Und die Flügel schlägst im Monde,

 

Wettermacher, armer Schlucker,

Du bestehst auf deinem Kopfe?

Wart, ich will dich lehren schlucken,

Daß dich Feuer reißt im Kropfe!»

 

Und er schlägt den Hahn mit Ruten,

Bis der Kamm ihm schwillt im Zorne,

Hetzet ihn mit seinem Hunde,

Und nun neigt er mit dem Kopfe,

 

Schluckt das Feuerkorn mit Hunger,

Das ihn brennt wie glühe Kohlen,

Seine Flügel schon erfunkeln

Und die roten Augen rollen.

 

Seine Sichel sprühet Funken,

Sein Metallgefieder lodert,

Plötzlich beide Flügel zucken

Breit hinaus mit heftgem Tone.

 

Und er greift ganz ungeduldig

Nach dem schwarzen Feuerhorne,

Setzt es an am dunklen Munde,

Lenkt hinaus es zu dem Loche.

 

Setzt den Hahn bereit zum Fluge

In das weite Maul des Hornes,

Der wie eine Feuerzunge

Durch die Luft stürzt aus dem Horne.

 

Apo läßt die Feuerrufe

Durch die klare Nacht hindonnern,

Und auf des Theaters Kuppel

Fliegt der Hahn, die hell auflodert.

 

Feuer! Feuer! schreit man unten,

Und die Hörner schreien oben,

Hoch die Glocken gehn im Sturme,

Tief das Rasseln wilder Trommeln.

 

Aus des blauen Reno Ufern

Eilen bald die gütgen Wogen,

Hilfreich zu der Flammenkuppel

Durch die Hände emsgen Volkes.

 

Hundert Eimer um die Brunnen

Kommend, gehend, Wasser fordernd;

Der Metallsirenen Busen

Schimmert in der Fackeln Lohe.

 

Und die marmornen Neptune

Und die blasenden Tritonen

Gießen aus die vollen Muscheln

In die Urnen rings erhoben.

 

In dem Widerscheine funkelnd

Halten rings, die Menge ordnend,

Blankgestahlte Reuter Runde,

Jeder steht an seinem Orte.

 

Aus der fernen Klöster Dunkel

Tragen schon die frommen Orden,

Stille Litaneien murmelnd,

Wasser zu in Prozessionen.

 

Niederstürzend aus den Stuben

Sammeln schnell sich die Legionen

Der Studenten, und sie rufen:

Pereat Incensus! drohend.

 

Auf den festen Sammelpunkten

Ordnen sich die Nationen,

Und es schallen, sie berufend,

Rings die Stimmen der Senioren.

 

Lärmend eilen zu den Pumpen

Bald die munteren Franzosen,

Und die Hebel auf und unter

Hört man kreischend, jammernd toben.

 

Und die langgehosten Ungern

Ziehn auf ihren kleinen Rossen

Durch die weite Stadt umtummelnd,

Wache haltend nach dem Tore.

 

Bei dem schiefen Eselsturme

Sammeln sich mailändsche Chore,

Senden rüstige Patrouillen

Den Palästen ihrer Nobels.

 

Bei der Kirche Sankt Proculens

Stellet sich der Römer Horde

Auf zum Schutz der hohen Schule

Und der edlen Professoren.

 

Sankt Januari Blut anrufend

Füllen ihre Wasserrohre

Zu der Büchersäle Schutze

Neapolitansche Chore.

 

Und die festen deutschen Bursche,

Mit den Ellenbogen stoßend,

Schleppen auf den breiten Schultern

Feuerleitern, Haken, Kloben.

 

Bald mit Macht hinangeschwungen

Zu der hohen Fenster Bogen

Nun die sichern Leitern ruhen,

Allen Fliehenden zum Troste.

 

Viele retten sich im Sprunge;

Andre, an den Feuerkloben

Fest sich klammernd, hoch im Schwunge

Kommen nieder in dem Bogen.

 

Denn zum wilden Rettungssturme

Sind zu eng des Hauses Tore,

Und auf ewig wird verschlungen

Mancher in des Ausdrangs Woge.

 

In dem Brausen des Tumultes

Bricht des Kerkers Tor Meliore,

Eilet zu Biondettens Brunnen,

Einen Eimer voll zu holen.

 

Und ein kleiner blonder Junge

Hat den Eimer voll schon oben,

Spricht: «Geh hin und hilf, du Guter,

Traue auf die Allmacht Gottes!»

 

Bei der Kirche Sankt Proculens,

Wo der Maler Guido wohnet,

Steht Meliore, heftig rufend:

«Komme, alter Guido, komme!

 

Werft die Äxte mir herunter:

Ich und du und deine Tochter

Steigen auf des Brandes Kuppel,

Denn die Hilfe kömmt von oben!»

 

Und zum Feuer hingedrungen

Mit dem Meister und der Tochter,

Sieht aus einem Fenster, rufend:

«Leitern, Hilfe!» Jacopone.

 

Jacopone, der sein Bruder,

Hält die Gattin hoch erhoben,

Und um sie im Hintergrunde

Schon die roten Flmmen lodern.

 

«Rosarosa, spring herunter!

Weihe dich der Mutter Gottes,

Sie tut heut noch manches Wunder,

Hält in ihrer Hut die Frommen!»

 

Rosarosa springt im Fluge,

Stürzt sich in den Arm Meliores;

Neben sie stürzt auch im Sprunge

Jacopone an den Boden.

 

Als Meliore sie umschlungen,

Schrie sie laut: «Gott sei gelobet!»

Und erblasset; Ströme Blutes

Stürzen von ihr aller Orten.

 

Und vier deutsche brave Bursche,

Einen Manteln breit aufrollend,

Tragen heim sie auf dem Tuche,

Jammernd folget Jakopone.

 

Aber mit dem Wasserkruge

Dringet aufwärts nun Meliore

Auf der Jakobsleiter Stufen

Mit dem Maler und der Tochter.

 

Die die Leiter hierher trugen.

Sie sind göttliche Genossen;

Hoch zu des Theaters Kuppel

Steigen sie die lichten Sprossen.

 

Und nun hauet ohne Ruhe

Guido und die rüstge Tochter

Eine Öffnung in die kuppel,

Seinen Krug leert Meliore.

 

Segen ist in seinem Kruge;

Wie er gießt in stetem Strome,

Ist er nimmer leer, o Wunder!

Guido kniet und seine Tochter.

 

Und die Hände fest verschlungen

Beten sie, den Herren lobend.

Aber in des Hauses Runde

Springet kühn nun Melire.

 

Eine Stimme hört er rufen;

Wo sie rufet, wird er folgen,

Rief aus der Hölle Schlunde,

Rief sie von des Himmels Throne.

 

Als er stürzet mit dem Kruge,

Ist die wilde Feuerlohe

Bald in seiner Flut ertrunken,

Und die Not ist rings erloschen.

 

Niedersenket sich die Ruhe.

Mit des Wasser schneller Woge

Rinnen auch des Volkes Fluten

Ab zum Bette ihres Stromes.

 

Ruhig schaut von seinem Turme

In den Jammer hin Apone;

Wenn die Flammen aufwärts zucken,

Fühlt er froh sein Herz erhoben.

 

Aber als er auf der Kuppel

Sah den Maler und die Tochter,

Grüßt er sie mit bösem Fluche

Und den tapfern Meliore.

 

Denn aus einem armen Kruge

Löschet er die wilde Lohe,

Und so viele schwere Stunden

Hat ihn selbst sein Hahn gekostet.

 

Als solches denkt, da rufet

Laut der Hahn, der zu dem Knopfe

Wiederkehrte, und im Turme

Tönt herauf die Pfortenglocke.

 

Apo öffnet mit dem Zuge,

Lauschet nach des Trittes Tone,

Wie er auf den Wendelstufen

Hell sich aufdreht hin nach oben.

 

Dumpfer schallte es von unten –

Es war schier, als sei er doppelt –

Schwerer in dem halben Turme,

Als trüg man die Last nach oben.

 

Weiter oft der Tritt verstummet,

Denn der Träger holet Odem,

Endlich auf den letzten Stufen,

Bald wird's an der Türe klopfen.

 

Apo blicket durch die Stube,

Ob auch alles sei geordnet,

Jagt den Hund vom roten Stuhle,

Den er vor den Spiegel rollet.

 

Und mit einem Kranz von Blumen,

Belladonna, Hundsviolen,

Frauenschuh und Eisenhute,

Kränzet er des Stuhles Stollen.

 

Zeichnet dann mit einer Rute

In den Mehltau, auf dem Boden,

Seinem Gast zum bösen Gruße

Schnell ein magisches Willkommen.

 

Aber mitten in der Stube

Brennt an einem Totenkopfe,

Der in grüner Urne ruht,

Eine zauberische Lohe.

 

Eine süße Laube duftend,

Von des Mondes Strahl durchflochten,

Scheint des Turmes rußge Stube,

Als die Rosenflamme lodert.

 

Und die Flamme scheint ein Brunnen,

Funkelnd in des Mondes Wonne,

Wundersüße Träume murmelnd

Durch den Duft wollüstger Rosen.

 

Und es pocht. Herein zur Stube

Tritt der Famulus Apones,

Moles, seufzend ob dem Buche,

Das er anschleppt auf dem Kopfe.

 

«Du allein! Elender Bube!»

Flucht entgegen ihm Apone,

«Prahler! ist dir nicht gelungen,

Was du frech mir zugeschworen?

 

Wo ist sie, die heilge Jungfer?

Hat ein andrer sie gewonnen?» –

«Meister, schone deine Zunge!»

Spricht und lacht der schlaue Moles.

 

«Du sitzt hier im Mondschein munkelnd

Bei wollüstger Brunnen Wonne,

Eine andere Laube funkelnd

War um mich und andre Bronnen!

 

Trug ich gleich die süße Jungfer,

Sprach sie doch unselge Worte;

Ihr half eine andre Jungfer,

Der ich nicht bin mächtig worden.

 

Auch sprang von des Hauses Kuppel

Auf mich ein der Meliore,

Und des Feuers wilde Zungen

Leckten mich bis auf den Knochen.

 

Aber dummer als das Dummste

War der Weihewasserbronnen,

Den ein Mönch – im Höllenpfuhle

Durst er – auf mich ausgegossen.

 

Meister, Meister, trotz der Gluten,

Trotz dem scharfen Weihebronnen

Schwör ich, nimmer will ich ruhen,

Bis Biondette uns geworden!

 

Ach, wer dieses Leibes Wunder

Einmal trug in seinen Pfoten,

Wer den Druck des süßen Busens

Fühlte und den Duft des Odems –

 

Disteln sind mir alle Blumen,

Seit mir nah des Mundes Rose;

Der Kometen Haar gleicht Ruten

Vor der Goldflut ihrer Locken.

 

Und der Brüste Dioskuren,

Aus der Leda Ei geboren,

Durstig wie des Schwanes Busen,

Da er taumelte in Wonne.

 

Unter ihrer Brauen Runde

Lag der Venus Stern verschlossen,

Wie in Wolkenbetten schlummern

Liebestrunkne Nebelsonnen.

 

Und der Flammen durstge Zungen

Konnten nicht die Luft austrocknen,

Die, als ich sie trug, im Blute

Mir ein süßer Quell ergossen.

 

Welche Hölle kann verdunkeln

Dieses Himmels Wollustsonne?

Ja, die Sünde hat Minuten,

Wert des Lichtes ewge Kronen!» –

 

«Schweige, du berauschter Bube!»

Spricht Apone nun im Zorne –

«Soll mich in der Zauberbude

Trösten dein verdorbner Odem?

 

Ich glaub, von dem schweren Buche

Wardst du toll in deinem Kopfe;

Bringst du mir vielleicht vom Juden

Dieses Buch zum schlechten Troste?» –

 

«Meister, Meister, wollt nicht fluchen,

Denn von aller Liebeswonne

Und von aller Schönheit Wunder

Wird dies Buch nicht aufgewogen!

 

Bringe mir Biondetten ruhend

In dem Schoße süßer Moose,

Singend, von Gewürzen duftend,

Wie das Lied des Salomone –

 

Nicht kauf ich sie mit dem Buche!

Vor ihm seien die Kleinode,

Die in Licht und Dunkel ruhen,

Eine taube Nuß gescholten!

 

Ein Geschenk mit diesem Buche

Mach ich dir, wenn du gelobest,

Mir zu stellen diese Stunde,

Ja jetzt gleich, die Horoskope.

 

Mir gab's meine selge Mutter,

Die drum einen Mönch ermordet.

Der es in dem Sarg gefunden

Eines zauberischen Mohren,

 

Der von einem alten Juden

Es getauscht um heilge Brote

Wahren Leibs und wahren Blutes,

Die er vom Altar gestohlen.

 

Und der Jude, einen Hunnen

Hat er um das Buch betrogen,

Der von einem Arzt beim Sturme

Von Cracovia es erobert.

 

Und der Arzt kam zu dem Buche

Durch die Erbschaft eines Kopten,

Dessen Stamm durch manch Jahrhundert

Es erhielt, Gott weiß wie, woher!

 

Doch daß über Adams Schulter

Einsten an dem dritten Morgen

Es ein Engel abschrieb munter,

Stehet auf dem letzten Bogen.» –

 

«Wie kam Adam zu dem Buche?» –

«Wisse, wann des Himmels Sonne

Und die Sterne gehn zur Schule,

Ist dies Büchlein in der Mode.

 

Da der Herr die Welt erfunden,

War die Welt von wenig Worte;

Alles war sehr kurz gebunden,

Auf die lange Bank geschoben.

 

Des Vokals belebend Wunder,

Ehgeheimnis der Diphthonge,

Und der Konsonanten Hunger

Lernt er draus zu Worten kochen.

 

In dem A den Schall zu suchen,

In dem E der Rede Wonne,

In dem I der Stimme Wurzel,

In dem O des Tones Odem,

 

In dem U des Mutes Fluchen,

Hat er aus dem Buch geholet,

Als im H des Hauches Wunder

Gottes Geist in ihm gegossen.

 

Auch das große Vaterunser

Und der Herr Gott wir dich loben

Findst du drin in grobem Drucke,

Wie es beten Mond und Sonne.

 

Und manch Rätsel von der Tugend

Und vom Fiat, fein verschoben;

Die Auflösung stehet unten

In verkehrt gedruckten Noten.

 

Fabeln mischen sich mit drunter,

Wie die Tiere sich besprochen,

Wie der Adam sich verwundert,

Da die Eva kam in Wochen,

 

Da sie trug ein groß Gelüsten

Nach ausländschem Himmelsobste,

Wie die Schlange sie entbunden,

Und wie sie moralisch worden.

 

Unterhaltung und auch Nutzen

Sind verbunden hier gar vornhem,

Denn du findest angebunden

Kunstrezepten aller Sorten:

 

Färberkuppen, Tintenpulver,

Surrogate für die Toten,

Restaurantia für die Tugend,

Manch Rezept zu Religionen.

 

Freier Wille ist des Buches

Höhrer Titel in zwei Worten,

Gottes Wille heißt's im Grunde,

Seit die Freiheit ging verloren.

 

Und Notwendigkeit am Schlusse

Heißt es auch mit anderen Worten,

Not ist hier die wahre Wurzel,

Und das Wenden wird verboten.

 

Gott sprach zu den Menschen: Surge,

Eheu, eheu Christofore,

Nam ad scholam tempus nunc est!

Und weckt ihn mit seinem Odem.

 

Und vom Himmel kam herunter

Diese A-B-C-Methode,

Und die neugeschaffne Jugend

Ist daraus zum Doktor worden.

 

Aber schwer sind die Geburten,

Nötig sind die Rotationen,

Und fatal ist das Versuchen,

Seit das Weib den Tod geboren.

 

Und du lernst aus diesem Buche,

Wie der Kaiserschnitt zu ordnen,

Daß lebendig bleibt die Mutter

Und das Kind auch sei gewonnen!

 

Denn wie alle ihre Wunder

In den ersten Schriftleinsbogen

Die Gelehrten gern hermustern,

So ging's hier auch den Autoren.

 

Und weil Adam bei dem Buche

Sich den Kopf zu sehr gebrochen,

Fragte Eva, Rat sich suchend,

Andere Kommentatoren.

 

Was im Stile oben dunkel,

Hellen auf die untern Noten;

Über oben, über unten

Schrieb am Rand ein Geist die Glosse.

 

«Schweig, es ist genug; verstumme!»

Spricht zu Moles nun Apone,

«Ich weiß nicht, ob du den Dummen

Spielest oder ob du spottest!

 

Hatt ich das in dir gesuchet?

Redest du mir Kinderpossen,

Oder bist du ein Verruchter,

Der mich höhnisch denkt zu foppen?

 

Hat ein Arzt dies Buch beim Sturme

Von Krakovia verloren,

Und hieß Amber Herr des Buches?

Rede, sage es unverhohlen?» –

 

«Amber, ja, so steht im Buche,

Und er war ein Äthiope.» –

«Hei! so ist ein Schatz gefunden!»

Spricht in Freuden jetzt Apone,

 

«Gib es her!» – «Nein!» spricht der Bube,

«Stelle mir die Horoskope,

Jetzt, sogleich, in fünf Minuten,

Und dir geb ich's, wie gelobet!»

 

Und Apone fragt mit Murren:

«Wann bist du geboren, Moles,

Sag das Jahr, den Tag, die Stunde,

Und ich stell die Horoskope.» –

 

«Meister, meine letzte Mutter

Hat mich dieses Mal geboren

In dem Jahre Siebenhundert,

Am Geburtstag des Herodes,

 

In der lustgen roten Stunde,

Da die Kindlein man gemordet.

Sie hat selbst es in dem Buche

Angemerkt mit kurzen Worten.»

 

Apo merkt sich diese Punkte,

Hat der Kreise viel gezogen

Und geschrieben viele Nummern

An dem Boden mit der Kohle,

 

Und hierauf die ganzen Summen

Von den halben abgezogen,

Dann sich ernstlich drob verwundert,

Als er fand die Horoskope.

 

«Du bist heut im Jahr der Stufen,»

Sprach er, «hüte dich vor Rosen!

Du bist heut in diesen Stunden

Von Gefahren schwer bedrohet!

 

Hüte dich, denn ob dir runden

Die Gestirn recht im Zorne,

Einge Stellen bleiben dunkel,

Die vom Feuer und vom Tode.

 

Denn dein Schicksal ist verbunden

Mit unzähligen Legionen,

Unbekannt ist eure Mutter,

Um Betrug wirst du betrogen

 

Und wirst sein von großen Nutzen

Einem hohen Philosophen,

Und dies ist schon mit dem Funde

Deines Buches eingetroffen.

 

Aber dunkler wird's und dunkler,

Denn ich sehe die drei Rosen,

Die zu einem starken Bunde

Gegen dich sich fest verschworen.

 

Hüte dich vor einem Brunnen,

Wo die Kinder drinnen wohnen,

Denn du teilest diese Punkte

Mit dem Tage des Herodes.

 

Und in manchen Konjunkturen

Stehen meine eignen Pole

Mit den deinigen verbunden,

Denn mir drohen auch die Rosen.

 

Durch dich, was mich gar sehr wundert,

Wird entstehen einst ein Kloster,

Und die böse Rosenblume

Wächst im Garten dieses Klosters.

 

Einem ungeheuern Sturze

Bist du auch noch unterworfen;

Jetzt wird's klarer: Deine Stunde

Wird dir mit dem Feuer kommen.»

 

Und nun greift er nach dem Buches.

«Nimm es hin!» sprach lachend Moles,

«Du weissagst mir wenig Gutes,

Mein Geschick ist nicht zu loben.»

 

Aber an dem Turme unten

Schallet heftig nun die Glocke,

Und da Apo schaut hinunter,

Sieht er seiner Schüler Horde.

 

«Was nur mag zu dieser Stunde

Dieser Troß von mir doch wollen?»

Und er öffnet mit dem Zuge

Schnell des Turme kleine Pforte,

 

Löschet in der grünen Urne

Schnell das Licht des Totenkopfes,

Und es gleicht die schwarze Stube

Einem alten dunkeln Boden.

 

Da die Schüler auf den Stufen

Seiner Türe näher kommen,

Spricht: «O Meister, laß mich suchen

Einen Winkel!» zu ihm Moles.

 

«Weil in diesen bösen Stunden,

Wie du sprachst, Gefahr mir drohet;

Daß die Schüler dich besuchen,

Macht mich ängstlich und betroffen.»

 

Apo spricht: «Hier hinterm Stuhle

Bist du gänzlich wohl verborgen;

Ich verhäng dich mit dem Tuche,

Das ihn rings bedeckt zum Boden.»

 

Und es öffnet sich die Stube.

Apo sitzt wie auf dem Throne,

Und in eine halbe Runde

Sich die Schüler um ihn ordnen.

 

Einer tritt dann mit der Urne

Vor ihn, spricht: «O Herr, des Moles

Asche in der Urne ruhet!

Er starb eines seltnen Todes.

 

Ja sein Tod war recht ein Wunder,

Denn die Sängrin retten wollend,

Stürzten zu ihm alle Gluten,

Brannten ihn vor uns zu Kohlen!

 

Und wie auch des Wasser Fluten

Rings wir auf ihn niedergossen,

Brannt er bis zum letzten Funken,

Und es blieb auch nicht ein Knochen!

 

Da ein Mönch geweihten Brunnen

Zu ihm sprengte ein'ge Tropfen,

Ward er Asche; in der Urne

Haben wir sie aufgehoben.

 

Herr verzeih, daß wir zur Stunde

Uns hieher zu dir erhoben,

Denn wir kommen hoch verwundert

Zu dir, und entsetzt, erschrocken!»

 

Apo höret ihre Kunde,

Und ihm stockt fast der Odem;

Ängstlich spricht er: «Deine Zunge,

Schüler, hat sie nicht gelogen?»

 

Alle sprechen in der Runde:

«Meister, es ist nicht gelogen,

Denn es sah's die ganze Schule,

Und es sahens alle Ordnen.

 

Und es schrieen alle: Wunder!

Die gelöschet in der Oper,

Da sie unsern teuern Bruder

Sahn zu Asche niederlohern!» –

 

«So enthüllet mir die Urne!»

Sprach Apone tief erschrocken,

«Daß ich Ehre an ihm tue,

Denn ich war ihm stets gewogen.

 

Längst wußt ich, daß dieser Stunden

Große Nöten ihn bedrohten;

Seht: Hier mit dem schwarzen Ruße

Stellt ich seine Horoskope.

 

Er war eine der Naturen,

Die im Zentrum aller Sonnen

Feuer tragen in dem Blute,

Das sich in sich selbst vertrocknet.

 

Seine Asche untersuchen

Wollen wir am nächsten Morgen,

Daß er uns belehrend, nutze,

Auch noch hilfreich in dem Tode!»

 

Da enthüllten von dem Tuche

Sie die Urne; eine Wolke

Schoß heraus, ganz dick und dunkel,

Die rings durch die Stube rollte.

 

Sie drang auf mit solchem Schwunge,

Daß der Schüler stürzt zu Boden,

Und die Treppentüre suchend

Alle übernander stoßen.

 

Wunderliche Zerrfiguren

Bildete die wilde Wolke,

Flog dann summend, eine Hummel,

In den schwarzen Bart Apones.

 

Da er sie zu jagen suchte,

Wuchs sie, ihm zu großem Zorne,

Aus dem Bart als Bart herunter

Und flocht sich zu einem Zopfe.

 

Apo fängt nun an zu fluchen,

Und ein hohles Lachen kollert

Um ihn her. Nichts mehr zu suchen

Hatten die Studenten oben.

 

Und die Treppe schier kopfunter

Schossen sie hinab von oben,

Ihre Seelen auch mitunter

Diesem, jenem angelobend.

 

Apo glaubt in falschem Mute,

Daß sie seiner spotten wollten,

Und stürzt nach mit seiner Rute

Auf die armen jungen Toren,

 

Bis in seinem Bart verschlungen

Er hinabzustürzen drohte;

Denn er stieß mit einem Fuße

Auf dem Weihbrunnkessel oben,

 

Der hellklingend auf den Stufen

Widerspringend niederrollet

Und der fliehenden Schuljugend

Wie ein böser Donner folgte.

 

Hei! wie hat ein muntres Fluchen

Da der zornge Mann erhoben!

Aufwärts tappend nach der Stube

Ward er an dem Bart gezogen.

 

Da er eintrag in die Kuppel,

War der Bart dem Zug gefolget

Und fiel vor ihm in der Stube

Schwarz als Asche auf den Boden.

 

Apo reißt das Tuch vom Stuhle,

Aber statt des Schelmen Moles

Sieht er dort nur seinen Pudel

Sitzend auf den Hinterpfoten.

 

Dieser Anblick macht ihn stutzen,

Und es ging sein Zorn verloren;

Vor der Überraschung Wunder

War er innerlich erschrocken.

 

Er erkannte in dem Hunde

Und in seinem Schüler Moles,

Was er nimmermehr vermutet,

Einen heimlichen Dämonen.

 

Und sprach nun mit kalter Ruhe:

«Bist du solchen Schrot und Kornes,

Soll dir alles auch zugute,

Wie du mir's geboten, kommen!»

 

Greifet dann nach einem Buche

Und nach einer Glasesglocke,

Die bezeichnet mit Figuren

Und beschrieben rings mit Formeln.

 

Und mit seines Fingers Drucke

Töne aus der Glocke lockt er,

Die dem wundersamen Pudel

Peinlich schallten in den Ohren.

 

Mit dem Winseln eines Hundes

Schrie: «Erbarmen!» laut der Moles.

«Laß mich nicht so schwer verschulden,

Daß ich scherzhaft bin geworden!»

 

Doch zu quälen ihn nicht ruhet

Apo mit dem Ton der Glocke,

Bis der Geist zu allem Guten

Sich ihm hoch und tief verschworen.

 

«Sprich, in welcherlei Figuren

Soll ich künftig bei dir wohnen?»

Fragt er, «da ich in den Gluten

Starb, nach deinem Horoskope.»

 

Apo sprach: «Du bleibst mein Pudel;

Aber soll ich deiner schonen,

So erklär die dunklen Punkte

Gleich jetzt deines Horoskopes.

 

Wer war deine erste Mutter?

Wer hat dich zuletzt geboren?

Wie steht es mit jenem Buche?

Was bedeut der Haß der Rosen?

 

Was hast du mit einem Brunnen,

Welchen Kinder klein bewohnen?»

Nun spricht aus dem Hundeknurren

Zu dem Herrn der schlaue Moles:

 

«Ich weiß nichts von jenem Brunnen

Und auch nichts von jenen Rosen,

Sie sind mir wie dir so dunkel,

Auch die Stiftung jenes Klosters.

 

Denn es gibt gar manche Wunder,

Die mir ewig sind verschlossen:

Aber ganz auf andre Spuren

Hab ich suchend mich geworfen!

 

Wenn Biondetten du errungen,

Wenn getötet du Meliore,

Wenn ohn Abendmahls Genusse

Starb das Weib des Jacopone,

 

Wenn verzweifelt, ohne Buße,

Starb der Fackelgießer Kosme,

Und wenn stürzt in schwere Schulden

Seine jungfräuliche Tochter,

 

Und in Raserei zugrunde

Geht der Bruder Jacopones,

Pietro, der die schönen Blumen

Ziehet vor dem römschen Tore:

 

Dann magst du und ich in Ruhe

Ewig hausen vor den Rosen

Und dem Kinde jenes Brunnens

Und vor jenem neuen Kloster!

 

Aber willst du meine Mutter

Kennen, lies die ersten Bogen

Des dir hochgepriesnen Buches

Von dem Weib des Erdensohnes!»

 

Also sprach der Geist. Zum Buche

Sitzt begierig nun Apone,

Ihm zu Füßen liegt der Pudel

Augenfunkelnd an dem Boden.

 

Doch die Lettern dieses Buches

Sind ihm unbekannte Formen,

Und erzürnt der Meister fluchet,

Moles mit den Füßen stoßend.

 

«Was soll mir der welsche Plunder?

Wahrlich, diese Schrift ist toller,

Als im Schnee die krausen Spuren

Hungrig scharrnder Hühnerpfoten!»

 

Zu ihm schwänzelnd spricht der Pudel:

«Meister, diesen Fall ich lobe.

Lang ging ich zu deiner Schule,

Nun kannst du zu meiner kommen.

 

Ich will dir zur rechten Stunde

Bald ein paar Tinkturen kochen,

Und hast du davon getrunken,

Liest du alle Hühnerpfoten!

 

Und dann geb ich dir in kurzem

Auch die rechte Lesmethode,

Wie von oben du nach unten,

Und von unten liest nach oben.

 

Denn das ist des Buches Wunder,

Trotz dem Werk der Philosophen:

Du magst lesen drüber, drunter,

Immer gleich bleibt dir geholfen.

 

Weil auf Schlüssen es beruhet,

Die von hinten aus nach vornen

Was nach oben, was nach unten

Ward verknüpfet, schnell entknoten.

 

Konsequenz allein ist Tugend,

Und das Ding verkehrt genommen,

Was man kann, weil es gerundet,

Kann das Laster selbst uns frommen.

 

Hast du Kraft dazu gefunden,

Magst du immer unverhohlen

Schwimmen gen den Strom des Flusses,

Streichen gen des Wuchs die Borsten.

 

So findst du der Freiheit Wurzel,

Dringst vom Abgrund du nach oben;

Allen Zwang hat überwunden,

Wer entwurzelt das Verbotne!» –

 

«Schweig mit der Moral der Hunde!»

Sprach beschämet nun Apone,

«Sage her des ersten Buches

Inhalt!» – Und zu ihm spricht Moles:

 

«Du liest in dem ersten Buche,

Wie unendlich war ergossen

Or Haënsoph ohne Dunkel,

Ein unendlich Leuchten Gottes.

 

Wie dem Lichte ist entsprungen,

Sich rückziehend durch das Wollen,

Dunkler Raum im Mittelpunkte,

Worin ward die Welt geboren.

 

Wie sich in des Rückzugs Spuren

Kreisend dann das Licht ergossen,

Mannigfach des Raumes Dunkel

Licht erringend hat umschlossen.

 

Und wie, alles durchfiguret,

Adam Kadmon war geboren,

Aus sich selbsten ausnaturend

Die zehn Kräfte Sephirote.

 

Wie vier Welte sind entsprungen,

Da lebendig war das Wollen:

Asia, Briat, Aziluthe

Und Jezirah, Antlitz Gottes.

 

Die Jezirah ist durchdrungen

Von zehn hohen Engelchoren,

In astralschen Leiber funkelnd

Sind sie alle schon personet.

 

Die Asia ist die untre,

Materialisch schon geformet,

Drin die bösen Geister wurzeln,

Die in Gottes Zorn geboren.

 

Sie ist aus dem Streit entsprungen,

Als das Ebenbildnis Gottes,

Adam Kadmon, zu bewundern

Gott die Engel aufgefordert.

 

Luzifer ist aufgedrungen

Und hat da im ersten Stolze

Adam Kadmon ausgerufen,

Nicht als Bild, nein als den Gott selbst.

 

Denn als Gott sich ausfiguret

In der Kraft des ewgen Wollens,

Wollte Luzifer naturet,

Über ihm als Herr nun thronen.

 

Aber aus dem Licht ins Dunkel

Ward er da hinabgestoßen;

So entstand die Schwere unten,

So ward untre Welt geformet.

 

Die nun materialisch rundet

Als die Erde, Mond und Sonne,

Aber doch in ihrem Schwunge

Ist der obern unterworfen.

 

Und so sind in Gott entsprungen,

Aber doch in ihrem Wollen

Widerstreitend scharf zwei Punkte:

Ewges Licht und ewges Dunkel.

 

Wer nun in der Tiefe suchet,

Wo die starken Geister wohnen,

Der wird stark in ihrem Bunde;

Jeder ist dem Geist willkommen.

 

Selig aber sind die Dummen,

Sie gehn auf im Schoße Gottes,

Wissen nicht das was sie tuen;

Hast du Lust dazu, Apone?

 

Geißle blutig dir den Buckel,

Schlafe auf dem harten Boden,

Küß kein Weib und bet hungre,

Gehe stolz einher im Spotte!

 

Und vor allem sei ein Kluger,

Wählst du in den Religionen

Unter Heiden, Christen, Juden,

Daß du triffst die rechte Pforte!

 

Oder willst du im Abgrunde

Mit dem hohen Geiste wohnen?

Willst du leuchten in dem Dunkel

Vor den andern Philosophen?

 

Jauchze dann in ewger Jugend,

Plätschre in des Lebens Wogen,

Daß dich heben Wollustfluten

Übers Tor des ewgen Todes!

 

Denn das ist das hohe Wunder

Und der Teufelsquell des Trostes,

Daß wir nimmer gehen unter,

Weil wir streben nur nach oben!

 

Wir allein sind fest gefußet,

Sind es durch Erkenntnis worden

Von dem Bösen und dem Guten;

Stürzen können die von oben,

 

Steigen können die von unten!» –

Also sprach der schlaue Moles,

Und begann von seiner Mutter

Die Geschichte dann, wie folget.