Clemens Brentano
1778 - 1842
Der andere Brentano
Gedichte
|
|
_______________________________________________________________________
| |
Fibelsuschen.(Dieses Ereignis hat sich im vorigen Jahrin Schottland zugetragen)
Einundzwanzig kleine MädchenDrängen sich auf schmalen Bänken,In der Mitt auf seinem StuhleHält der Meister ihnen SchuleLehrt sie beten, lesen, denken.
Aber heute darf er schenkenIhnen stillen Fleiß zu lohnen,Was dazu an milden GabenFromme Leut gespendet haben,Deren viel im Städtchen wohnen.
Sind es kleine EhrenkronenBunte Bänder? Seidne Tücher?Kuchen, Zuckerwerk und Pflaumen?Nichts für Eitelkeit und Gaumen?Zwanzig neue Fibelbücher.
Schöne goldne Fibelbücher,Durch und durch zum Wohlgefallen,Prangend auf dem DeckelschildeMit des Jesuskindes Bilde,Wie es lehrt in Tempels Hallen.
Meisters Hand verteilt sie allenZwanzigen und nur das eineKleine Mädchen in der EckenWagt die Hand nicht vorzustreckenKriegt von allen Fibeln keine.
Was damit der Meister meine!Vorbedachten strengen Willen?Prüfung, Strafe für Vergehen?Ob er sie nur übersehen?Quält Susannchen sich im stillen.
Aber wer soll ihr's enthüllen,Denn sie schweigt, bis Glöcklein klinget,Kinderchen in dichten HaufenTrippelnd aus der Türe laufen,Jede froh nach Hause springet,
Jubelnd ihre Fibel bringet,Denket keine an Susannen,Sah es niemand, wie vor SchmerzenIm zerrissnen KinderherzenIhre heißen Tränen rannen.
Fragt auch Mutter nicht, von wannenIhr das stumme Leid gekommen,Vielgeplagt von andern Sorgen.Keine Klage heut und morgenVon Susannchen wird vernommen.
Ferne sitzt sie bang beklommen,Wenn die andern neu beflissenLesend schöne Bücher halten,Blättert sie in ihrem alten,Das ist schmutzig und zerrissen.
Lieber Nachbar wir vermissenSüßchen schon seit vielen Stunden –Frau, ich hab eu'r Kind gesehenFrüh zum Gartenbrunnen gehen,Später war sie dort verschwunden.
Nichts am Brunnen wird gefunden,Als ihr Hut, die Fibel drinnen,Mit dem Blatt, worauf geschrieben,Wie ein Traum sie hat getriebenZu verzweifelndem Beginnen.
Gestern träumte meinen SinnenDaß mich Vater an den HaarenZog empor aus Brunnentiefe,Daß ich dann im Sarge schliefeHochgetragen auf der Bahren.
Kinder weißgeschmückt in PaarenFolgend Klagelieder sangenAlle mit dem neuen BucheMeines auf dem SargestucheSah ich neu und golden prangen.
In Erfüllung ists gegangen,Vater steigt zum Brunnen nieder,Findets liebe Kind und bebendAn dem blonden Haar es hebendBringet er's als Leiche wieder.
Als sie nun die starren GliederUnter Jammers stillem WeinenEingefaßt von BlumenkettenIn dem kleinen Sarge betten,Kommen weißgeschmückt die Kleinen.
Zum Geleit sich zu vereinen,Alle mit dem neuen Buche,Wallen sie gereiht in Paaren,Folgen mit Gesang der Bahren,Schauen nach dem Fibelbuche,
Das auf schwarzem SargestucheGolden strahlt, zum WohlgefallenPrangend auf dem DeckelschildeMit des Jesuskindes Bilde,Wie es lehrt in Tempels Hallen.
Entstanden 1829 |