BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gedichte 1820 - 1833

 

1830

Die Cholera verbreitet sich in Europa.

«Das Mosel-Eisgangs-Lied» entsteht.

 

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Das Mosel-Eisgangs-Lied

von einer wunderbar erhaltenen Familie

und einem traurig untergegangenen Mägdlein

in dem Dorfe Lay bei Koblenz,

am 10. Februar 1830

 

Der Ertrag gehört dem Frauenverein zu Koblenz.

 

 

Zum Verständnis

 

Strophe 5. Die Mosel entspringt an der Grenze von Lothringen auf einem Berge der Vogesen, vom Volke Wetterhahn genannt. Durch die vielen Flüsse, welche sich in sie ergießen, ist ihr Eisgang in ihrem in Deutschland merkwürdig gewundenen Felsenbett mannigfach gehemmt und getrieben. – Str. 6. In der Kirche der ehemaligen Benediktinerabtei St. Matthias, eine halbe Stunde von Trier, ruhen die Gebeine des heil. Apostels Matthias, von dessen Festtag am 24. Februar die Bauernregel sagt: Mattheis bricht's Eis, findt er keins, so macht er eins. Zu seinem Feste zogen sonst aus dem Trierischen Lande die sogenannten Mattheisprozessionen nach Trier. – Str. 16 und 17. Breitbach aus Lay und Bonkirch aus dem Orte Dieblich wurden in öffentlichen Blättern als Retter genannt. – Str. 20. 21. Das Eis türmte einen hohen Damm um das eine halbe Stunde unter Koblenz am Rhein liegende Neuendorf und es drängte sich die Flut zurück auf die Moseldörfer Gülz und Weis. – Str. 22. 23. Es ist eine alte Sage bei Wassersnot: der Fluß ruhe nicht bis er sein Opfer habe. Die Flut nach Lay zurückgedrängt brach plötzlich in eine Hütte und riß ein Kind vom Arm des Vaters. – Str. 27. Die St.-Kastors-Pfarrei liegt nahe an dem Einfluß der Mosel in den Rhein. Die selige Ritza hat ihr Monument in derselben. Die Volkssage erzählt, sie sei einmal trocknen Fußes über den Rhein gegangen. – Str. 28. Die Flut ging nur bis zur Schwelle des Bürgerhospitales, welches der h. Elisabeth geweiht ist und von barmherzigen Schwestern bedient wird, deren Mutterhaus zu Nancy an der Meurthe ist, die sich in die Mosel ergießt. Auch aus den Gegenden der Saar, die ebenfalls in die Mosel fließt, sind Schwestern im Hospital. – Str. 29. Das deutsche Eck. So heißt der Winkel des Koblenzer Ufers wo Mosel und Rhein sich vereinigen. – Str. 30. Die Vermählung der beiden Flüsse war 1829 der Gegenstand des Fastnachtaufzuges. – Str. 31. Kanonenschüsse verkünden den stromab liegenden Städten den Eisgang. – Str. 35. 36. Der junge Tag in das bergumschloßne verwüstete Lay niedersteigend, ruft, wie dort zu Land arme Kinder, wenn sie niemand in der Hausflur treffen: Wo sein (sind) die Leut? – Str. 41. Zeile 22 heißt in rheinischer Mundart so viel, als: Je nun! wir haben eben gebetet. – Str. 43. Dem Frauenverein zu Koblenz gehört der Ertrag dieses Liedes, um dem armen Taglöhner, von dessen Rettung es handelt, sein beschädigtes Häuschen wieder herzustellen.

 

 

Geh betteln armes Lied,

Geh um von Tür zu Tür,

Sprich: Diesem Haus sei Fried'!

Daß Gott die Herzen rühr'.

Er war so stark und mild,

Drum sang das Mitleid mich;

Du Mensch, sein Ebenbild,

Du auch erbarme dich.

Kauf mich, so wird ein Stein,

Der an der Hütte baut,

Dem milden Fraunverein

Zu Koblenz anvertraut.

 

1.

Es lief im engen Tal

Am armen Dorfe Lay

Viel hunderttausendmal

Die Mosel fromm vorbei,

Wie Gott den Weg gezeigt:

Links steile Rebenwand,

Rechts Flur, bequem geneigt,

Dann Lay, dann Felsenstrand.

Stromauf am Dorf zuletzt

Nächst manchem Nachbardach

Steht, fluthoch ausgesetzt,

Ein Hüttchen schlecht und schwach.

 

2.

Da lebt ein Vater arm

Vom Tagelohn mit Not

So hin, daß Gott erbarm'!

Viel Kinder, wenig Brot.

Sechs Wochen sind's, da bracht'

Sein Weib das neunt' zur Welt,

Kalt, kalt! hat nicht gelacht,

Der Tod bestellt sein Feld.

Am Taufstein klirrt das Eis,

Da man das Kindlein tauft,

Gott es zu finden weiß,

Von Jesu Blut erkauft.

 

3.

Vom Mutterschoß zum Schoß,

Von Mutterbrust zur Brust

Der kalten Erde, bloß

Und nackt, hat's heim gemußt.

Der Kirchhof ist so hart,

Die Leichen deckt nur Schnee;

Man denkt: da eingescharrt

Es grün sich aufersteh'!

Ein Kreuzlein steht beim Grab,

Daß es kein Wolf berührt;

Es heißt, die Schildwach hab'

Bei Koblenz ihn gespürt.

 

4.

Er hungert, heult herum,

Das Tal ist tot und eng,

Das Echo taub und stumm,

Die Bergwand steil und streng.

Der Winter ist so kalt,

So stark das Moseleis,

Wie keiner, noch so alt,

Sich zu erinnern weiß.

«Ach Gott im Himmelreich,

Halt uns in Deiner Hut,

Wird schnell das Wetter weich,

Geht's heuer uns nicht gut.

 

5.

Man sieht's der Mosel an,

An ihrer Quelle steht

Ein Berg, heißt Wetterhahn,

Sie tut, wie der ihr kräht.

Die Meurth', die Om', die Saur,

Die Saar und dann die Kyll

Stehn all ihr auf der Laur,

Sie kann nicht, wie sie will.

Im Schlangenbett gestemmt

Muß sie doch los zuletzt,

Aus jeder Schlucht ja kömmt

Ein Hündlein, das sie hetzt.

 

6.

Zu Trier von Sankt Mattheis

Heißt's: Mattheis bricht das Eis,

Und findet Mattheis keins,

So macht uns Mattheis eins.

Dies Jahr macht er es nicht,

Wenn er nur fein drauf sieht

Daß es zu früh nicht bricht,

Ich trau' nicht mehr dem Fried';

Mir ist's, als hört' ich schon,

Sind's gleich noch vierzehn Tag',

Die Mattheisprozession

Voll Jammer und voll Klag'.» –

 

7.

Schon weht ein lauer Wind,

Die Raben ziehn ins Feld.

Zur Sonne Mann und Kind

Sich vor die Hütte stellt.

Es tröpfelt schon das Dach,

Noch steht der Rhein wie Stein,

Die Mosel geht schon schwach,

Weiß nicht wo aus und ein:

«Schnell Hannes, guter Sohn,

Die Kuh führ' hoch ins Ort,

Es schwillt das Wasser schon.»

Der Knabe eilet fort.

 

8.

Bang brüllt das treue Tier,

Die Wogen sausen laut,

Der Knabe kehret schier,

Ringsum er Wasser schaut,

Steigt in ein stärkres Haus,

Wo auch die Nachbarn sind,

Und ruft zum Vater aus:

«Ich bleib' bis ab es rinnt!»

Die Flut steigt, horch, ein Krach!

Es klirren Ziegel ab,

Der Vater schaut durchs Dach,

Sieht rings ein Wassergrab.

 

9.

Mann, Weib und sieben Kind,

Seht, achtzehn Hände arm.

Emporgestrecket sind:

«Helft, helft, daß Gott erbarm'!»

Es hebet sich das Eis,

Es wälzt und braust heran,

Knickt Bäume wie ein Reis,

Zerschmettert Schiff und Kahn;

Hilf Gott! Weh! Angst und Not!

Die Hütte hebt sich schon,

Rigs tobt der grimme Tod:

Das hört, das sieht der Sohn.

 

10.

Vom Nachbardache schallt

Ein ernster Christenchor:

«Nur Gott hat hier Gewalt,

Zu dem nur schrei empor.

Jesu, der helfen kann,

Dich, Weib und Kind befehl',

Du bist des Todes, Mann,

Denk deiner armen Seel'.

Adies, o Nachbar gut!

Du mußt zu Grunde gehn,

Es kommt das Eis mit Wut,

Auf dich ist's abgesehn.» –

 

11.

Der Sohn tut einen Schrei,

Der Vater zu ihm spricht:

«Mit uns ist's nun vorbei,

Der Herr geht ins Gericht.

Du warst ein frommer Sohn,

O Hannes! all dein Tag,

Halt, was vor Gottes Thron

So nah, ich sterbend sag'.

Vor allem hoch allein

Lieb deinen Gott und Herrn,

Und dann den Nächsten dein,

Arbeit' und helfe gern.

 

12.

Den Priester ehre hoch,

Folg treu der Obrigkeit,

Dank Gott für leichtes Joch

In einer schweren Zeit.

An Vater, Mutter denk

Und die Geschwister dein,

Manch Vaterunser schenk

Ins Eisgrab uns hinein.

Halt unser Kühchen gut,

Es bringt dir seinen Lohn,

Adies, mein Fleisch und Blut!» –

Da segnet er den Sohn.

 

13.

Hell schreit die Mutter Weh!

Hell schrein die Kinder auf,

Der starre Wogensee

Frißt ihre Stimmen auf.

Nun beten Mann und Weib

Und Kinder, Herz an Herz,

Ein angstbeseelter Leib,

Viel Hände himmelwärts:

«Ach Herr Dein Will' gescheh',

Herr hab' mit uns Geduld!

Auf Jesu Wunden seh',

Und nicht auf unsre Schuld!» –

 

14.

Die Eisflut saust und kracht,

Das Haus schwankt wie ein Kahn,

Und weh! schon zieht die Nacht

Und kalt der Mond heran.

Die Nachbarn sehn nicht mehr

Das eisumtürmte Haus,

Von Trümmern, Bäumen schwer

Sieht kaum das Dach heraus.

Hierher geht all der Drang,

Dort schreit es, hier wird's stumm,

Von hier dem Strand entlang

Wirft's Haus und Hütte um.

 

15.

Hier reißet hin, dort sprießt

Das starre Wogengrab,

Und auch den Nachbarn schließt

Es alle Zuflucht ab.

Ist Mosel dies dein Dank;

Des Rheins berauschte Braut

Zerschlägst du Tisch und Bank

Dem, der den Wein dir baut.

Weh Lay, mühselig Lay!

Dich hat sie in der Hand,

Bricht Haus und Hof entzwei

Und streut dich auf den Strand.

 

16.

Dein Pfarrer hilft voll Mut,

Flieht dann zum Haus hinauf

Und schließt, so folgt die Flut,

Es unterm Wasser auf.

Breitbach! es bricht dein Kahn,

Der Retter merkt es kaum,

Da hebt ihn Gott hinan

Auf einen Pflaumenbaum.

Die Flut steigt zu ihm hin,

Und sieh! zu sicherm Ort

Schwingt bald sein Engel ihn

Von Scholl' zu Scholle fort.

 

17.

Bonkirch von Diebelich!

Oft dringst du durch die Flut,

Wagst dich christbrüderlich

Für unser Gut und Blut.

Du frommer Fuhrmann hast

Dir heut das nicht gedacht,

Du kömmst zu uns als Gast

Und holst dir Gottes Fracht.

Gevatter! manches Kind

Hebst du aus Todes Tauf,

All ihre Engel sind

Vor Gott und schreiben's auf.

 

18.

Der Mond mit bleichem Schein

Sieht in die Jammernacht,

Noch steht der starre Rhein

Und Haus und Schiff erkracht.

Die Mosel drängt sich auf,

Eis wild auf Eis sie türmt,

Als ob um Todeskauf

Verzweiflung Notwehr stürmt.

Vom Brückengurt geschnürt

Wächst noch ihr Ungestüm,

Der Rhein steht ungerührt

Und horcht auf ihren Grimm.

 

19.

Sie ruft: «Entfeßle mich!

Ich türme Schanz auf Schanz,

Sieh, zürnend schaut auf dich

Der steilen Festen Kranz.

Ich habe jüngst gehört,

Bis in das Meer sei frei,

Das ist was mich empört:

Brich auf, laß mich vorbei!» –

Wild ob dem Widerstand

Nimmt rheinauf sie den Lauf,

Wirft auf des Ufers Rand

Haushoch die Blöcke auf.

 

20.

«O Rhein! erbarme dich,

Ist deine Brust von Erz?

Brich, harter Nacken, brich,

Die Braut muß an dein Herz.

All die Kranzjungfräulein

Die Meurth', die Saar, die Kyll

Sie toben auf mich ein,

Die das, die jenes will,

Die rechts bald gehn bald stehn,

Sie sind nicht einig ganz,

Die links vor Grimm vergehn,

Und wollen an den Tanz.

 

21.

Die Thran, die Elz schon stürmt

Am Eisdamm hoch hinan

Um Neuendorf getürmt;

Rhein! sieh den Jammer an.

Bedenk, hinab hinauf,

Mit Kehr und Wiederkehr,

Ging ich von Jugend auf

Im Schlangenbett zur Lehr'.

Du schweigst? die Schuld ist dein!» –

Scheu blickt sie um im Kreis,

Rast in sich selbst hinein,

Weh Gülz dir! weh dir Weis!

 

22.

«Du schweigst, hemmst meinen Lauf

Bis alles hingerafft!» –

So schreit die Mosel auf

In banger Leidenschaft.

«Ich kenne» – murrt sie hohl –

«Den Schlüssel deiner Brust,

Ein Opfer find' ich wohl,

Dann weiß ich, daß du mußt.» –

«Weh!» schreit vom Eisesdamm

Die Thran und Elz ihr zu:

«In Lay würgst du das Lamm,

Vogesenwölfin du!» –

 

23.

Nach Lay kehrt nun ihr Lauf,

Bricht in ein Hüttchen ein,

Die Eltern fliehn treppauf

Mit den zwei Töchterlein.

Der Vater flutbedrängt

Auf Bett und Faß sich stellt,

Am Hals das Weib ihm hängt,

Sein Arm die Kinder hält,

Sein Haupt am Dach schon streift,

Zur Brust die Flut ihm springt,

Die nach dem jüngsten greift

Und ihm sein Kind verschlingt.

 

24.

Er steht, hält Kind und Weib,

Ach, und kann helfen nicht!

Steht, wie ein Martyrleib,

Dem man das Herz ausbricht.

Dann hebet sich das Haus,

Schwimmt wohl zehn Schritte weit,

Und steht. O Nacht voll Graus!

Nacht die zum Himmel schreit!

Als deine Flut abrinnt,

Kömmt eine Tränenflut,

Weckt nicht das liebste Kind,

Das tot am Boden ruht.

 

25.

Da klagen Meurth' und Saar:

«Weh, Lotharingerin!

Weh, daß ich mit dir war!

Du Kindesmörderin!» –

Die hört's und wendet sich

Nochmals zum Rhein mit Wut,

Schreit: «Weh! auf dich, auf dich

Komm das unschuld'ge Blut!» –

Sie bäumt sich, stürmt ans Tor:

«Tu auf! noch heut, noch heut!» –

Und an des Rheines Ohr

Schlägt Sturm und Notgeläut.

 

26.

Da seufzt der alte Rhein:

«Nun hör' ich andern Ton,

Dein Toben und dein Schrein

Klang nur wie blanker Hohn.

Sitzt doch wie ich so starr,

So leichtsinnig wie du,

Noch mancher Fastnachtsnarr

Bei deinem Wein in Ruh'.

Gleich dir so klagt sein Weib,

Er sitzt in Saus und Braus,

Die Herrn nach Haus erst treib',

Und dann komm selbst nach Haus!» –

 

27.

Die Mosel hört beschämt

Des Rheins gerechtes Wort,

Und stürmet ungezähmt,

Schwemmt all die Toren fort.

Und wasserscheu, weinsatt,

Wird mancher heimgekahnt,

Die Flut ersteigt die Stadt

Von Mauern eingezahnt.

Sankt Castor! brich den Weg!

Sankt Ritza! fleh zum Rhein!

Er liebt dich, war ein Steg

Ja einst den Füßen dein.

 

28.

Am Hospital zur Flut

Spricht Sankt Elisabeth:

«Kehr' um, es geh' dir gut!

Frei haben wir kein Bett.» –

Da plätschert's an der Schwell:

«Von Nancy ging ich aus,

Bin eine Meurthewell,

Ein Gruß vom Mutterhaus!» –

«Und ich von Finsting komm',

Ein Wellchen aus der Saar,

Gut Zeit! ihr Schwestern fromm,

s'ist nur, daß da ich war.» –

 

29.

Noch stürmt das Eis am Strand

Rings um die Mauern keck,

Da steigt zur Eisblockwand

Die Mosel am Deutsch-Eck,

Und klagt: «Ein Mägdlein rot,

O Rhein, starb mir im Schoß!» –

Da jammert ihn die Not,

Er macht die Riegel los,

Er senkt sein blankes Schild

Und nimmt die Mosel auf,

Das kühne Heldenbild

Braust ihm ans Herz hinauf.

 

30.

Der Brücke Gurt erbebt,

Ein Brautschmuck in dem Tanz,

Sie rast, sie stürmt, sie schwebt,

Und blitzt im Mondesglanz.

Die Fesseln, das Geschmeid

Streut sie im Feld umher,

Nie war ihr Winterkleid

So kalt, so blank, so schwer.

Die Fastnacht hat vorm Jahr

Rhein, Mosel hier vermählt,

Heut hat das Riesenpaar

Den Tanzplatz sich erwählt.

 

31.

Stumm hat mit ehrnem Mund

Die Festung, mißgelaunt,

Eisschanzend in die Rund

Ihr Stürmen angestaunt;

Nun donnert das Geschütz

Vorrollend vor der Flut;

Daß Mühl' und Schiff man schütz',

Flammt Pech- und Fackelglut.

Die Ufer schimmern weit,

Ein Feur- und Glutspalier,

Not, Jammer, Angst und Streit

Gab Pracht der Nacht und Zier.

 

32.

Das Weh, das all geschah,

Deckt schier die Mitternacht,

Als rettend niedersah

Der Herr, der ob uns wacht,

Als rings sich Dankgeschrei

Aus Angst und Not erhob;

Im Nachbarhaus zu Lay

Erklang auch Dank und Lob,

Und mit dem Hannes arm

Flehn alle brünstiglich:

«Ach Herr und Gott erbarm'

Der Eltern Seele dich! »

 

33.

Und stiller wird's Gebraus:

«Horch, horch, hörst du den Schrei?

Ach Jesus, dort vom Haus,

Als ob's der Vater sei?» –

«Gelobt sei Jesus Christ!» –

«In alle Ewigkeit!» –

«Amen.» – «Es ist, es ist

Die Mutter, die so schreit!» –

«Helft, helft wie naß und kalt!» –

«Das ist der Kinder Stimm'.» –

«Auf! Nachbarn braucht Gewalt!

Auf! Hannes schwimm' und klimm'!»

 

34.

Sie brechen eine Bahn

Durch Eis und Trümmer kraus,

Und klettern kühn hinan

Ins gottumschirmte Haus,

Und ziehen einen Schatz

Von Jesu Treu hervor:

«Der Vater ist's, macht Platz,

Die Mutter zieht empor,

Und lebend Kind vor Kind»:

Wo drei zum Vater mein

Vereint im Beten sind

Will ich bei ihnen sein. –

 

35.

Wer klimmt herab vom Wald

Mit seinem Bündelein?

So klar, ich meinte bald

Es könnt' ein Engel sein.

Vielleicht ein frommes Kind,

Das Holz den Eltern schleift,

Das Wetter ist ganz lind,

Doch scheint sein Haar bereift.

Es ist der junge Tag,

Tritt scheu ins Dorf hinein,

Schaut um, als ob er frag':

Wer kauft hier Sonnenschein?

 

36.

«Sagt, bin ich recht? ist's Lay?

Ich ruf: Wo sein die Leut'?

Mich grüßt nur Wehgeschrei

Aus Trümmern wild zerstreut.

Auch fehlt ein Töchterlein,

Heut nickt es mir nicht zu

Durch das Eisfensterlein,

Heut hält es lange Ruh'!» –

Da rief der Mond ganz krank:

«Suchst du das Mägdlein rot?

Schau von dem Eisblock blank

Ins Stübchen, drin liegt's tot.

 

37.

Ich hab' mich krank und bleich

Bei ihm verweint, verwacht,

Es ist 'ne schöne Leich,

Den Sarg hat Gott gemacht.

Ist wie Krystall so weiß,

Vom Kreuze an der Wand

Fiel auch ein Palmenreis,

Liegt bei des Kindes Hand

Und sein Gebetbüchlein

Liegt auch nicht gar zu fern,

Lang las ich drin allein,

Gab's dann dem Morgenstern.» –

 

38.

Da sah der junge Tag

Hinein ins Kämmerlein,

Gar lieb das Mägdlein lag

Im ersten Sonnenschein,

«s'ist alles was ich hab',

Wart nur noch Wochen vier,

Dann auf ein grünes Grab

Bring ich die Veilchen dir.» –

Dann schleicht er still aufs Haus,

Das eisgestützt draus steht,

Und kniet und weint sich aus,

Und singt sein Frühgebet.

 

39.

«Lob Gott du Wassersnot,

Lob Gott du Eisgang wild,

Ein Schwert auf sein Gebot,

Auf sein Gebot ein Schild.

Lob Gott du armes Haus,

Lob Gott du Mann und Kind,

Er hört in Flutgebraus

Die zu ihm betend sind.

Lob Gott du armes Lay,

Lobt Gott ihr Trümmer kraus,

Er bricht das Haus entzwei,

Und bauet auch das Haus.» –

 

40.

Der Tag zog heim ins Land,

Da stieg ein Freund nach Lay

Herab die steile Wand:

Weh welche Wüstenei!

Da füllt manch starre Hand,

Der nichts mehr übrig blieb

Als Trümmer an dem Strand,

Die Hand, die dann mir schrieb:

«Ich sah draus ungeschützt

Das Haus weit ausgesetzt,

Gebrochen, eisgestützt

Hielt Gott es bis zuletzt.

 

41.

Ich sah den guten Mann

Und mit ihm Weib und Kind,

Er zählt sie, schaut sie an,

Ob all beisammen sind.

Im Rathaus einquartiert

Geht selig er umher,

Und weint und triumphiert,

Als ob er Kaiser wär'.

‹Sagt, Freund, wie wunderlich,

Wie ging's dann nur?› – ‹Ei seht,

Mein Weib, die Kinder, ich,

Wir haben halt gebet't!› –

 

42.

Und wer es nicht gesehn,

Wer schüttelt mit dem Haupt,

Wer's nicht will zugestehn,

Wer ans Gebet nicht glaubt:

Der gehe stolz nach Lay

Und seh' die Hütte an,

Und rufe frank und frei:

Nur Gott hat dies getan!

Und dann ans Herz er poch',

Vielleicht sein Herzenseis

Schmilzt vor dem Eise noch

Zu Lay. Glück auf die Reis'» –

 

43.

Geh betteln armes Lied,

Geh um von Tür zu Tür,

Sprich: «Diesem Haus sei Fried'!

Daß Gott die Herzen rühr'.

Er war so stark und mild,

Drum sang das Mitleid mich;

Du Mensch, sein Ebenbild,

Du auch erbarme dich.

Kauf mich, so wird ein Stein,

Der an der Hütte baut,

Dem milden Fraunverein

Zu Koblenz anvertraut.

 

1830 (Kemp 1978)

 

 

*

 

Herr, dir sei Lob und Dank,

Um immer mich zu finden,

Willst du mich müd und krank

Hier an mein liebes Schmerzensbettlein binden,

Ach, Herr! viel tausend Lob und Dank!

 

Dein Will geschah' an mir,

Gib nur Geduld, dann strafe,

Ich bin verschuldet dir,

Sei ich dein freies Kind, sei ich dein Sklave,

Ach, nur dein Will gescheh' an mir!

 

Herr! wie es dir gefällt

Willst du aufs Kreuz mich legen,

Sei ich ans Kreuz gestellt,

Geh kreuzbeladen, Herr, ich dir entgegen,

Ach alles, wie es dir gefällt.

 

Treu hast du mich geliebt,

Denn, könnt ich dir entfliehen,

Ich hätt dich oft betrübt,

So konntest du mich besser dir erziehen,

Wie treu, Herr, hast du mich geliebt.

 

Wie ständ es wohl mit mir?

Könnt ich wie andre Kinder

Mich tummeln voll Begier.

Sind andre blind, ach Herr, ich wär noch blinder,

Ach Herr, wie ständ es dann mit mir.

 

O Herr, wie lieb und gut,

Um viele Liebe zu erwecken,

Wollt'st du mich junges Blut

Als Quell des Mitleids auf das Lager strecken,

O Herr, wie bist du lieb und gut.

 

Du hast mich heimgesucht,

Gott Dank, daß ich hier liege,

Herr, meiner Leiden Frucht

Lehrt mich mein Engel an der Schmerzenswiege.

Willkomm, Herr, der mich heimgesucht.

 

Herr! du bedienst dich mein;

Gar manche Trostesworte,

Worin der Name dein

Das Süßste mir, erklingen hier am Orte,

O Freude, du bedienst dich mein!

 

Wie's ist, so ist es recht,

So schwach, mühselig, schwankend

Von Epheu ein Geflecht

Vom Kreuz gestützt, zum Licht sehnsüchtig rankend.

Herr, wie es ist, ist's recht!

 

Herr, wär ich fromm und reich

An Demut und an Schmerzen,

Ich wucherte sogleich,

Gäb allen Trost dir hin und litt von Herzen,

Und litt mich fromm und reich.

 

O himmlische Geduld,

Du kannst mit Schmerzen zahlen,

Nimm auf mein Leid mit Huld,

Ich opfre es vereint mit deinen Qualen.

Sei bei mir, himmlische Geduld.

 

Die lieben Röschen all

Und große süße Rosen,

Des Freundes Seufzerschall

Schneid ich für Dornen mir aus deinen Rosen,

Nimm dir dein Röschen ganz und all!

 

Wie wär ich doch so arm

Und könnte nichts verdienen,

Wär mir an deinem Arm

Nicht Lieb und Schmerz und die Geduld erschienen.

Ach, Herr! wie wär ich dann so arm!

 

Das Röschen, Herr, ist dein;

Könnt laufen ich und hüpfen,

Manch Rosenblättchen fein

Könnt in den Wind hinwehend dir entschlüpfen.

Allein jetzt ist das Röschen dein.

 

Berührt von Gottes Hand

Treibt mich ein still Entzücken

Am Kreuz empor; zum Pfand

Der Liebe will vielleicht mein Herr mich pflücken.

Dann blüh ich neu in Jesu Hand.

 

Dir will das Röschen blühn,

Du Haupt voll Blut und Wunden,

Wie seh ich dich erglühn,

Du Bräutigam, von Dornen ganz umwunden,

Dir will das Dornenröschen blühn.

 

Du hast dein Röschen scharf

Mit Dornen rings versehen,

Daß keiner nahen darf

Als du, der weiß mit Dornen umzugehen,

Du hütest, Herr, dein Röschen scharf.

 

So ließ ein Pilger einst

Dich Dornenröschen reden,

Wenn du so leiden lernst,

Dann kannst du zu den Wunden Jesu beten

Für alle und den Pilger ernst!

 

1830 (Schultz 1995)

 

 

*

 

Weihnachtlied

 

 

Kein Sternchen mehr funkelt,

Tief nächtlich umdunkelt

Lag Erde so bang,

Rang seufzend mit Klagen

Nach leuchtenden Tagen,

Ach! Harren ist lang.

 

Als plötzlich erschlossen,

Vom Glanze durchgossen,

Den Himmel sie sieht;

Es sangen die Chöre:

Gott Preis und Gott Ehre!

Erlösung war da.

 

Es sangen die Chöre:

Den Höhen sei Ehre,

Dem Vater sei Preis,

Und Frieden hienieden,

Ja Frieden, ja Frieden,

Dem ganzen Erdkreis.

 

Wir waren verloren,

Nun ist uns geboren,

Was Gott uns verhieß,

Ein Kindlein zum Lieben,

Und nie zu betrüben,

Ach, Lieb ist ja süß!

 

O segne die Zungen,

Die mit mir gesungen,

Du himmlisches Kind!

Und laß dir das Lallen

Der Kinder gefallen,

So lieblich und lind.

 

O Friede dem Zorne,

O Röschen, dem Dorne

So lieblich erblüht;

Süß lallende Lippe

Des Kinds in der Krippe,

Dir gleicht wohl dies Lied.

 

Entstanden vermutlich 1830 (Schultz 1995)