BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Caspar von Voght

1752 - 1839

 

Das Andenken an die Tage,

von welchen wir sagen:

sie gefallen mir nicht

 

1800

 

Textgrundlage:

Verhandlungen und Schriften der Hamburgischen Gesellschaft

zur Beförderung der Künste und Nützlichen Gewerbe,

Band 6, S. 497-503, Hamburg: Carl Ernst Bohn 1801

(Faksimile Googlebook)

 

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Das Andenken an die Tage, von welchen wir sagen: sie gefallen mir nicht. – Ein Wort zu seiner Zeit, an die Profeßionisten und an andre arbeitende Einwohner-Klassen Hamburgs, über ihre Versorgung in Krankheit und Alter *). Von C. Voght.

 

 

«Der Menschenliebe von Menschenfreunden»

Stahlstich von Ludwig Wolf aus dem Jahre 1805:

Idealisierte Ansicht des Hamburger Schul- und Arbeitshauses

 

Es ist für jeden guten Menschen ein trauriger Anblick, zu sehen, wenn ein braver, ehrlicher Handwerker oder Arbeitsmann, der sein Leben hindurch für sein tägliches Brodt gearbeitet hat, seine letzten Tage in Dürftigkeit und Mangel hinbringen muß.

So ein Mann, hat sich und seine Frau redlich ernährt, seine Kinder zur Schule gehen lassen, in Gottesfurcht und Arbeitsamkeit auferzogen, jedem das Seine gegeben, unserer guten Obrigkeit seine Abgaben wie ein rechtschaffener Bürger bezahlt, und muß nun vielleicht, wenn Krankheit oder Alter ihn an seinem Erwerb hindert, fremde Hülfe suchen, um nur nicht im Elend zu versinken.

Freilich haben wir eine Armen-Anstalt, die freie Kur und auch Krankengeld giebt; es werden auch Allmosen denen gereicht, die selbst nichts mehr verdienen.

Aber was diese Armen erhalten, ist nicht viel, kann auch nicht viel sein, weil man sonst Gefahr laufen würde, den, der noch etwas arbeiten kann, in seiner Trägheit zu bestärken. Solche Leute müssen auch ihre Sachen stempeln lassen; können fast nichts Eigenes mehr haben, und müssen natürlicher Weise in ihrer Lebensart nicht mehr ihrem Willen folgen, sondern sich nach den Gesetzen der Anstalt richten, die sie unterhält.

Wenn das alles auch nicht wäre, so ist es doch für jeden rechtschaffenen Mann sehr traurig, von andrer Gnade leben zu müssen, und sich Allmosen geben zu lassen.

Es ist allerdings sehr zu beklagen, daß es mit sonst braven, arbeitsamen Leuten, dahin kommen kann: aber es kann nicht anders sein.

Der Taglohn, den Mann und Frau verdienen, ist am Ende der Woche aufgezehrt; sind viel kleine Kinder da, so bleibt, auch bei der besten Haushaltung, nicht viel zum Zurücklegen übrig.

Wenn das auch hie und da einmal geschieht, so kann das am Ende nicht viel bringen, weil die Summe zu klein ist, um auf Zinsen ausgethan zu werden. Es ist auch überall gar schwer, so ein Sümmchen aufzuheben.

Es tritt einmal ein außerordentlicher Nothfall ein, man hat Lust, sich ein Stück anzuschaffen, oder man kann zur Miethe nicht rathen. Weg ist der Schatz.

Aber gewöhnlich gehts noch viel schlimmer. Der Mann, der Frau und Kinder zu ernähren hat, kriegt nicht mehr Taglohn, als der Junggeselle, der niemand zu versorgen hat; er kann auch nicht mehr kriegen, denn er arbeitet ja nicht mehr. Und selten einmal so viel.

Der junge Mann, so lange er noch ledig ist, hält nicht viel von sparen; oft verthut er sein Geld auf der Herberge, und im besten Fall kauft er sich silberne Schnallen, Uhr, silberne Knöpfe u. dgl. Nun nimmt er eine Frau. Beim Heirathen wird gleich zu groß angefangen; beim ersten Wochenbett geht das bischen Geld, was nach den Hochzeit-Kosten noch da ist, auch darauf, und bei der mindesten Krankheit oder andern Unglücksfall, muß Uhr, Schnallen und Knöpfe zum Juden hin. Die Frau kann wegen des jungen Kindes nichts thun; und beim zweiten Wochenbett, oder nach einem harten Winter, muß nun gar Geld auf schwere Zinsen aufgenommen werden, und der arme Mann muß von demselben Gelde, das er als einzelner Mann verdiente, und das er damals so leichtsinnig verschwendete, sich und Weib und Kinder ernähren, und noch ohnedem die schweren Zinsen aufbringen.

So kommt der Haushalt gänzlich in Rückstand. Ist der Mann noch gesund, so krüppelt er sich eben durch: kommt aber Krankheit und Alter, so wird er gänzlich hülflos. Kummer und Gram nagt am Ende eines arbeitsamen Lebens, und der Mann, der es wohl verdient hätte, seine letzten Tage in Ruhe zuzubringen: muß kümmerlich von andrer Gnade leben, und Gott danken, daß noch eine Anstalt da ist, aus deren Händen er ebenso, wie der, der durch Trägheit, Ungeschicklichkeit und Verschwendung an seinem Elend schuld ist, Allmosen erhalten kann.

Vor diesem Unglück möchten wir jeden guten, treuen, fleißigen Handwerker und arbeitenden Mann gerne bewahren. – Wir haben oft darüber nachgedacht, wie das wohl am besten anzufangen wäre, und einige von uns, die in fremden Ländern auch Achtung darauf gegeben haben, wie die Menschen es da machen, um sich vor Verarmung zu bewahren, haben uns darüber ein Mittel an die Hand gegeben, das wir hiedurch gern zur öffentlichen Wissenschaft bringen möchten. Was man in andern Ländern Gutes sieht, sollte man nachmachen, wenn die Umstände es erlauben wollten, denn das hat die Erfahrung schon für sich, und ist kein windiges Project, wie so manches, was einer am Schreibpult ausheckt.

In England nemlich, wo sehr viele Handwerker, Fabrikanten, und Taglöhner aller Art leben, war es sonst eben so wie hier. Da kamen gute Leute, und gaben diesen Leuten den Anschlag, daß sich 150 bis 200 in eine Gesellschaft oder Lade zusammen thun sollten, wie bei uns etwa die Todtenladen sind.

Diese sollten alle Wochen zwei bis vier Schillinge zu einer solchen Lade geben.

Sie wählten unter sich zehn bis zwölf Aelterleute, die das Geld einsammeln und Aufsicht darauf haben sollten.

Sie baten dann einen klugen und erfahrnen Mann, (oder einige) aus dem Kaufmanns- oder gelehrten Stande, dieser Versammlung beizutreten, die alle Monat zusammen kam, um über die Einnahme und Ausgabe Rechnung zuhalten, und das Geld auf die vorgeschriebene Weise zu belegen.

Dieser Mann sorgte denn dafür, daß alles nach den Gesetzen verwaltet, und die Gelder gut belegt wurden, welches die andern Leute, die des Rechnens und Schreibens nicht so kundig sind, nicht so wohl thun konnten.

Wenn diese Lade nun eine Zeitlang gestanden hatte, so vermehrte sich das Kapital durch die angehäuften Intereßen, und durch das Geld, welches durch den Tod der Mitglieder an die Kasse fiel. Das brachte denn so viel, daß allen den Mitgliedern, wann sie krank wurden, zwei bis drei Mark die Woche, gegeben werden konnte, und der Mann, wann er 60 Jahr alt wurde, drei bis vier Mark die Woche aus dieser Kasse Hülfsgeld kriegen konnte, welches, wann er 72 bis 80 Jahr alt wurde, wohl auf 5 bis 6 Mark die Woche stieg.

Dadurch war denn nun ein Mann für immer versorgt; er brauchte nicht bange zu sein, daß die erste beste Krankheit ihn an den Bettelstab brächte. Er brauchte nicht ängstlich zu fürchten, daß es ihm in seinem Alter am Nothwendigen fehlen dürfe; er konnte nun mit Ruhe auf seine letzten Tage hinblicken, wo er nicht mehr nöthig hatte zu arbeiten, sondern die Früchte der vergangenen Arbeit genießen konnte.

Das Beste dabei ist, daß dann ein Mann diese seine Versorgung nur sich und keinem andern zu verdanken hat; er selbst hat für sich sorgen können; braucht seinen Kindern nicht zur Last zu fallen, und bricht in alten Tagen, mit froher Dankbarkeit gegen Gott, das Brod, das die ehrenvolle Arbeit seines vorigen Lebens ihm gewährt.

Seht, liebe Mitbürger! das ist es, was wir hier auch gerne für euch thun und veranstalten wollten.

Dazu gehört aber, daß ihr das selbst wollt: denn wir können euch nur (und das wollen wir redlich thun) mit Rath und That an die Hand gehen.

Aber, wie gesagt, ihr müßt selbst wollen. Ihr müßt erstlich Lust haben, euch ein paar Schillinge die Woche, von eurem Verdienst, der doch 6 bis 9 Mark gewiß beträgt, zu entziehen, um ihn dereinst mit so reicher Zinse wieder zu erhalten.

Und warum solltet ihr das nicht thun? Ihr seid ja gewohnt, dasselbe zu einer Todtenlade hinzugeben, wovon ihr im Leben gar keinen Nutzen habt, damit euer todter Leib, der davon nichts mehr weiß, auf diese oder jene Art in die Erde gesenkt werde, wo der Leichnam in Mahagoni-Sarg nicht besser verweset, als der Leichnam im Kittel zwischen führnen Brettern.

Zweitens müßt ihr Lust haben, so eine Lade, nach den einmal festgesetzten Gesetzen, mit strenger Redlichkeit und mit Thätigkeit zu verwalten; die Beiträge einzuheben, sie von den Säumigen einzutreiben, eure Kranken zu besuchen, und euch dadurch um die übrigen Mitglieder eurer Lade wahrhaft verdient zu machen.

Auch daran zweifeln wir nicht, daß ihr das gerne thun werdet. Ihr habt das schöne Beispiel von mehr als 200 eurer Mitbürger aus den wohlhabendern Ständen, die aus Liebe zu Gott und ihren ärmern Mitmenschen das schwere Geschäfte ihrer Versorgung, ihrer Verpflegung, und der Erziehung ihrer Kinder, fortdaurend ohne alle andere Vergeltung übernehmen, als die Zufriedenheit ihres Gewissens, und das Bewußtsein, die dankbare Liebe ihrer Mitbürger zu verdienen.

Das könnt ihr auch thun; könnt euch eben so um das Fortkommen der Mitbrüder eurer Lade verdient machen, indem ihr zugleich Sorge für euer eignes tragt.

Schwer würde es euch werden, wenn unter euern wohlhabendern Mitbürgern, die eine bessere Erziehung erhielten als ihr genossen habt, sich nicht mehrere fänden, die euch diese Mühe erleichtern wollen, indem sie die Aussicht auf eure Versammlungen übernehmen.

Das wollen aber mehrere gute Männer thun, und indem wir euch diese Versicherung geben, so wünschen wir, um eures eignen Besten willen, daß recht viele dieses Blatt lesen mögen, und daß alle, die es lesen, recht ernstlich über das nachdenken mögen, was wir hier zu eurer Beherzigung gesagt haben. Denkt darüber nach, – sprecht darüber recht häufig unter einander.

Vielleicht werden wir nach einigen Monaten euch einen Ort anzeigen, wo diejenigen, die an einer so heilsamen Anstalt Antheil nehmen wollen, sich melden können, wenn wir nemlich merken, daß viele unter euch Lust dazu bezeigen.

Die Anstalt ist für alle berechnet, die im Tag- und Arbeits-Lohn arbeiten, vom ersten Handwerker an, bis zum Wasserträger an der Gasse, für Männer sowohl als für Weiber, für ledige sowohl als für Verheirathete.

Möchtet ihr doch unserm wohlgemeinten Rath folgen wollen! Möchten wir doch dadurch den Geist der Sparsamkeit und der Ordnung unter euch verbreiten können! und möchte doch jeder unter euch einst die frohe Ueberzeugung erhalten, daß in unsrer guten, glücklichen Stadt, jeder rechtschaffne Arbeiter sorglos über das Schicksal seiner letzten Jahre sein dürfe, und jedes arbeitsvolle Leben hier gekrönt werde durch ein sorgenfreies Alter.

 

Im Mai-Monat 1800.

 

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*) Dies ist der S. 180 dieses Bandes erwähnte Aufsatz, den die Gesellschaft im vorigen Jahr publicirte, um die weitern Schritte zur Errichtung einer Ersparungs-Anstalt für die arbeitenden Klassen, vorzubereiten. Die Comité beschäftigt sich fortdauernd mit der Bearbeitung eines Plans für dieses Institut, welche aber, wegen der großen Wichtigkeit der Sache, nicht so schnell geschehen kann und darf, als das Publikum es vielleicht wünscht und erwartet. Der Eindruck den übrigens dieser Aufsatz gemacht hat, ist so allgemein als für die Gesellschaft voll guter Vorbedeutung für das Gelingen einer Anstalt, welche, wenn sie anders bei so manchen dabei zu überwindenden Schwierigkeiten zu ihrer beabsichtigten ganzen Vollkommenheit gebracht werden kann, für die jetzige, vielmehr aber noch für künftige Generationen, von unabsehlichen Nutzen sein wird.