BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Daniel Stoppe

1697 - 1747

 

Neue Fabeln oder Moralische Gedichte,

der deutschen Jugend zu einem

erbaulichen Zeitvertreibe aufgesetzt.

 

Theil II

1740/45

 

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[3.13]

Der Rabe und die Taube.

 

Ein Rabe, welcher auch als wie ein Rabe stahl,

That einst in einem Kaufmannsladen,

Als ein Ducatendieb, gewaltiggroßen Schaden.

Er war hierin sehr schlau, so daß er allemal

Den Raub so unvermerkt vollbrachte.

Daß eben niemand auf ihn dachte.

Das beste war hier noch dabey,

Er nahm sie alle ungewogen;

Er fragte keinen erst: Ob er auch wichtig sey?

Denn ausser diesem wird der Nehmer oft betrogen.

Manch gelber Ludewig, manch goldner Leopold,

Manch Joseph und manch Carl, manch Kaiser und manch König

Bereicherten sein Nest; doch das war noch zu wenig.

Der Rabe war und blieb ein rechter Narr aufs Gold;

Er wünscht es ganz allein zu haben,

Nicht, daß es ihm etwan zu etwas nütze sey;

Nein! denn er wollt es nur dort auf dem Stall ins Heu,

Wo sein Ducatenkirchhof war,

Bey jene schon verscharrte Schaar,

Aus bloßem Eigensinn, verstecken und vergraben.

O Thorheit, welche sich der Müh wohl nicht verlohnte,

Einst rief er seiner Nachbarinn,

Die nicht gar weit davon im Taubenschlage wohnte;

Komm, sagt er, schau einmal, wie reich ich itzund bin!

Was meinest du darzu? Herr Nachbar! sprach die Taube,

Wie schmecken denn die Dinger hier?

Welch weitentferntes Land bringt diese Frucht herfür?

Ists etwan eine Art von einem gelben Laube,

Das in der neuerfundnen Welt

Dem deutschen Schleedorn gleicht und rund ins Auge fällt?

Das ist mir eine fremde Sache;

Ich weis nicht, was ich daraus mache;

Das Ding muß wenigstens gar gut zu essen seyn.

Das taugt zum Essen nicht, erwiederte der Rabe.

Je nu! was nützt dirs denn? fiel jene wieder ein;

Ein Ding, von welchem ich gar keinen Nutzen habe,

Das hüb ich mir doch wohl nicht so behutsam auf.

Es scheinet, daß ich hier, sprach unser Crösus drauf,

Dem Blinden um die Farbe frage:

Man hört es wohl, dir ist kein edler Trieb bewußt;

Ist das nicht Nutzens gnug? Ich habe meine Lust,

Indem ich dieses Gold allhier zusammen trage.

Ich hätte dich gleichwohl, erwiederte die Taube,

Für klüger angesehn. Was hilft ein trockner Born?

Wen sättigt Zeuxis Bild mit der gemalten Traube?

Ich gebe dir auch nicht das kleinste Weizenkorn,

An dem ich mich mit Recht ergötze,

Für alle deine Lust, für alle deine Schätze.