BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Friedrich Daniel Schubart

1739 - 1791

 

Geislinger Schuldiktate

 

1766/69

 

Auswahl

 

Quelle:

Aus Schubarts Leben und Wirken

Hrsg.: Eugen Nägele, Stuttgart: W. Kohlhammer, 1888

 

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Von 1763 bis 1769 war Schubart als Lehrer in Geislingen tätig. In dieser Zeit verfaßte er für seine Schüler zahlreiche Schuldiktate, die die Stadt und ihre Bewohner in ironischer Weise beschreiben. So versuchte er, seinen Frust über die geistige Enge dieser Kleinstadt loszuwerden: „Hier in Geislingen passiert nichts. Eine ewige langweilige Monotonie liegt auf uns und macht, daß ein Narr den andern angähnt.“, schreibt er an seinen Schwager.

 

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5.

[Den 30. Mai. 1766]

 

Mein lieber Schüler,

 

Du fragst mich, ob ein Schüler manchmahl mit gutem Gewissen eine Schule versäumen könne? wann ich hoffen darf, daß diese Frage aus einem guten Gewissen hergeflossen sey, so will ich dir mit Vergnügen darauf eine Antwort ertheilen. Man versäumt die Schule gemeiniglich aus fünferley Absichten.

Erstlich aus Krankheit, zweitens aus Armuth, drittens wegen der Geschäffte, 4tens aus Leichtsinn und 5tens aus offenbahrer Boßheit.

Die erste Ursache ist die sterkste, dann Krankheit entschuldiget allenthalben, wann es nur keine verstellte Krankheit ist oder eine solche, die sich der Schüler durch sein liederliches Leben selbsten zugezogen hat. Bey der andern Ursache muß man schon behutsamer verfahren. Freilich brauchen arme Eltern die keinen Gesellen und keine Dinstboten vermögen, ihre Kinder manchmahl zum Handwerk, zum Holztragen und zu andern, häußlichen Verrichtungen. Aber muß man deßwegen die Kinder fast gar von allen Schulen ab{ge}halten? ie ärmer man ist, iemehr solte man eigentlich lernen. Der Reiche kommt durch sein Geld fort, aber durch was sollen dann die Armen fortkommen? Ist es nicht ein Jammer, wann man einen armen Knaben sieht, der weder lesen noch schreiben und kaum das Vaterunser recht beten kan und dem der Hunger und die Dummheit zugleich aus denen Augen heraussieht? Verachtet von iedermann, verschmät und verworfen muß er sein Brod vor der Thür suchen, und wann ihn Krankheit und Alter drükt, noch froh seyn, wann er als ein Scheusal mit Bettelfuhren im Lande herumgefahren wird und wie ein armer Sünder sein Leben auf einem Karren endigen kan. O meine liebe Kinder Gott bewahre euch vor Armuth, aber noch weit mehr vor Dummheit.

Ein anders mahl will ich dir auch auf die andern Stüke antworten, vor dißmal Lebe wohl und sei versichert, daß ich allezeit seyn werde

Dein getreuer Lehrer

N.N.

 

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71.

Den 11. Jener [1768]

Lieber Bruder!

 

Du hast neulich geglaubt, es befinden sich mehr als 6000 Personen in Geißlingen, aber Du hast neben die Scheibe geschossen. Ich und andere meiner Kameraden haben alles in Geißlingen bei Buzen und Stiel gezehlt, und doch nicht mehr herausgebracht als 1541 Personen. So sieht man oft einen Beutel für voll an und ist nichts drinnen. In Geißlingen könnten sich würklich 20 bis 30 000 Personen aufhalten. Doch wollte ich lieber ein Sclav in Tripolis seyn, als ein Burger in Geißlingen. Deßwegen sind auch wenig Einwohner hier. Dieses kan ich Dir mit Wahrheit berichten. Lebwohl und vergiß nicht

Deinen Freund und Diener

N.N.

 

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91.

Den 24. Juli 1768

Mein lustiger Freund,

 

He! was Neues! es kommt etwas! Etwaß Schönes! etwas Lustiges! etwas Fröhliches, etwas

zum Tanzen, zum Springen,

zum Lachen, zum Singen,

zum Geigen und Blasen,

zum Schreien und Rasen,

zum Essen, zum Trinken, zur Lust,

Es hüpfet voll Freude die Brust.

Nur noch ein Tag und wieder ein Tag und noch ein Tag, und noch einer und wieder einer, und einen drein – Hopsa! da kommt sie! – und was dann, närrischer Kerl? Was sonst als die Kirchweihe! [1768 war sie am 1. und 2. August] Schon flattern die Bänder auf dem Huth; schon hör ich des Schochen [Sohn des früheren Kantors] Baßgeige brummen; schon sind wir auf dem Bau [dem Festplatz in der unteren Vorstadt]; schon springen wir wie die Geißböcke. Schon – doch ich kan vor Freuden nicht reden. Komm du nur selber zu uns und bring ein paar neue Schuh, einen vollen Geldbeutel und einen fröhlichen Muth mit. Wie froh bin ich, daß ich iung bin! Da müssen die alten Männer bei ihrer Brille zu Hauß bleiben und die alten Weiber müssen ihre B[P]elze hüten, und wir – Ei, guten Morgen ihr Graubärte, gebt uns Geld, daß wir braf tanzen können. Man ist nur einmahl iung, und wann die Knochen steif werden, da hol der Henker das Tanzen. Gute Nacht, lustiger Friz, schlaf wohl und komm bald zu

Deinem fröhlichen

Freund

Hanß Juchhe.

 

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97.

Den 25. Okt. 1768

 

Hochgeehrter Herr,

 

Hier hat sich folgende Neuigkeit zugetragen. Ein Schäfer entdeckte auf dem Geiselstein ein Loch, und als er hineinstieg, so fand er eine eiserne Kiste, worinnen folgende Kostbarkeiten sich befanden:

1) 100 geschnittene Federn, welche Alles selbst schön und orthographisch schreiben können.

2) Eine Brille, durch welche der dummste Mensch Alles lesen kann.

3) Ein pulverisirter Menschenverstand, den man wie Schnupftabak in das Hirn hinaufziehen kann.

4) Etliche Gläser Gedächtnißtropfen, womit sich Diejenigen, welche ihren Catechismum, ihre Sprüche, Lieder nicht auswendig lernen wollen, alle Morgen und Abend um die Schläfe schmieren müssen.

5) 3 Dutzend Feldteufel in Futteralen, welche die bösen Buben bei den Ohren schütteln, wann sie gottlose Streiche anstellen.

6) 10 [Pfund] gestankvertreibende Salbe, womit sich diejenigen schmieren können, die das ganze Jahr wie die Böcke stinken.

7) Ein Stimmhammer, womit man diejenigen Hälse stimmen kann, welche rauhe Eselsstimmen haben.

8) Ein Hobel, womit man alle groben Flegel hobeln kann.

9) Ein Zauberspiegel, worin man alle Tagediebe, Fresser, Flucher, Unflätige und Dummköpfe erkennen kann u. s. f.

Diese und andere Raritäten sind allhier in Geislingen um billige Preise zu haben. – In unserer Schule könnte man sie wohl brauchen, wann nur das Geld nicht so klemm wäre. Ich verharre

Dero ergebenster Diener

Doktor Niklas Quacksalber.

 

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117.

Den 20ten Jan. 1769

 

Hochgerehrtester Herr Vetter,

 

Aus Ihrem leztern sehr werthen Schreiben ersehe ich, daß Sie zu wissen verlangen, was vor eine Profession ich zu erlernen gedenke? Es wäre mir lieb, wann ich Ihnen gleich eine gewiese Antwort ertheilen könnte. Aber ich und meine Eltern haben uns bishero noch zu nichts entschliesen können. Die Handwerksleute in Geißlingen hoken so dik aufeinander, daß man sich nicht unter sie dringen kann, ohne fast erdrükt zu werden. Hier sind etwann 1500 Menschen, groß und klein, Einheimische und Fremde, unter dieser geringen Anzahl befinden sich folgende Handwerksleute und Professionisten:

28 Holz- und Beindrechßler, 20 Schumacher, 15 Schneider, 20 Beken, 30 welche im Feuer arbeiten, als Kupfferschmiede, Huf- und Nagelschmiede, Messerschmiede, Waffenschmiede, Zinngieser und dgl., 7 Schreiner und 3 Zimmerleute, 5 Küfner und 4 Kübler, 4 Glaßer, 1 Buch­binder, 4 Maurer, 7 Sailer, 5 Weißgerber, 14 Tuch- und Zeug­macher, 7 Rothgerber, 6 Sattler, 6 Sekler, 10 Mezger, 4 Strumpfweber, 2 Huthmacher, 2 Büchsenmacher, 4 Kürßner, 8 Leinenweber, 5 Me[r]zler [Viktualienhändler], 2 Wagner, 3 Spindlendräher, 2 Ölschlager, 2 Hafner, 1 Nadler, 17 Wirthe, 8 Müller. Dann diejenige Leute, welche eine Kunst oder Profession erlernt haben oder sich der Handelschaft gewidmet als:

1 Apotheker, 9 Kauf- und Handelsleut, 2 Lakierer, 3 Zukerbacher, 5 Baader, 2 Bordenmacher, 3 Färber, 1 Papiermüller, 2 Gärtner, 2 Druker.

Doch, wer wird alle diese Leute zusammenzählen? Genug, daß Sie daraus sehen können, wie schwehr es unter einer solchen Menge von Arbeitern halte, sein Auskommen zu finden. Daher geht es auch unseren Handwerksleuten so hart, daß sie kaum die Woche einmal ein christliches Räuschlein trinken können. Doch sind noch verschiedene Handwerksleute übrig, die man allhier nicht antrifft, als: Goldschmiede, Zirkelschmiede, Gürtler, Knopfmacher, Marner [Grautucher], Veilen­hauer, Plechler, Bürstenbinder, Siebmacher u. dgl.

Schreiben Sie mir also mit nächster Gelegenheit, zu was ich mich entschließen soll. Das Handwerk, wo man sich doch nicht gar so plagen darf, wäre mir das Liebste. Leben Sie wohl. Ich verbleibe

Dero ergebenster Diener

Jakob Faulholz