BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Samuel Reimarus

1694 - 1768

 

Von dem Zwecke

Jesu und seiner Jünger

 

1778

 

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[128]

II.

 

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§. 1.

Wir wollen aber auch jetzt näher und gerader zur Sache schreiten, und die Gründe beyder Systematum aus Jesu eigenen Reden und Verrichtungen, so weit sie uns berichtet sind, in Erwegung nehmen. Und da siehet ein jeder wohl, daß es bey dem alten Systemate darauf ankommt, ob uns die Evangelisten in der Geschichte Jesu, wider ihr Denken, und aus bloßem Versehen, einige Spuren derjenigen Gründe übrig gelassen haben, wodurch sie selbst ehemals bewogen sind, ihres Meisters Absichten beständig auf eine weltliche Erlösung Israels zu ziehen. Bey dem neuen Systemate aber von einer geistlichen Erlösung der Menschen, kömmt es nach dem Geständniß der Apostel selbst fürnemlich darauf an, ob Jesus würklich nach seinem Tode auferstanden, und gen Himmel gefahren sey; als wovon die Jünger Zeugen sind, und Jesum gesehen, gesprochen und getastet zu haben bekräftigen. Das erstere wollen wir in diesem, das andere in dem folgenden Capitel untersuchen. Wir habens demnach in diesem Capitel mit einer Sache zu thun, [129] die uns mit Fleiß von den Evangelisten verborgen und verstecket wird, wie ich kurz vorher ausführlich gezeiget habe. Daher wir wohl einer genauern Aufmerksamkeit nöthig haben. Allein wie doch die Evangelisten überhaupt nicht zu verbergen gesucht, daß sie Jesum bis an seinen Tod für einen weltlichen Erlöser Israels angesehen haben, und solches auch bey den Juden, die es alle wußten, nicht verhelen konnten; so ist besonders auch nicht wohl möglich gewesen, daß sie alle Spuren ihres vorigen Systematis aus der Geschichte gänzlich sollten vertilget und vernichtet haben. Lasset uns demnach diese Spuren aufsuchen.

 

 

§. 2.

Wenn es wahr wäre, daß Jesus in der Absicht Buße und Bekehrung predigen lassen, damit sich die Menschen im Glauben an ihn, als einen geistlichen Erlöser halten möchten: und wenn es wahr wäre, daß er bloß durch Leiden und Sterben das menschliche Geschlecht von Sünden erlösen wollen: so wußte er doch auch, daß fast alle Juden sich einen solchen Erlöser nicht vermuthen waren, sondern bloß auf einen weltlichen Erlöser des Volks Israel warteten, [130] und sich also eine Befreyung von der Knechtschaft, und ein weltlich herrlich Regiment von ihm versprachen. Nun lässet Jesus doch nur so schlechthin in den Städten, Schulen und Häusern von Judäa sagen, das Himmelreich ist nahe herbey kommen, welches so viel bedeutete, als das Reich des Erlösers oder des Messias werde nun bald angehen. Daher konnte er wohl wissen, daß, falls die Leute seinen Bothen glaubten, sie sich auch nach einem weltlichen Erlöser umsehen, und sich in dieser Absicht zu ihm wenden würden. Denn sie konnten ohne hinzugefügte bessere Belehrung, keinen andern Begriff von dem Himmelreiche oder Reiche Gottes, oder der fröhligen Bothschaft davon, noch von dem Glauben an dasselbe machen, als wie sie es nach dem gemeinen Gebrauche der Wörter, und der herrschenden Meynung davon, gelernet hatten. Müßte denn Jesus nicht vor allen Dingen dem gemeinen Mann durch die Apostel als Bothen des Himmelreichs, aus seinem groben Irrthume geholfen haben, damit ihre Buße, Bekehrung und Glaube auf den rechten Zweck geführet würde. Denn wenn sich die Leute nur darum bekehrten, daß sie nach ihrem Wahn in dem weltlichen [131] Reiche des Messias herrlich und in Freuden leben wollten, so war ihre Buße, Bekehrung und Glaube nicht rechter Art. Jesus hat ihnen aber durch seine Apostel keinen bessern Begriff beybringen lassen, nicht allein weil dieses nirgend gemeldet wird, sondern weil er solche zu Aposteln gebraucht, die selbst in dem gemeinen Wahn steckten, und keines bessern überführet waren. Demnach hat Jesus wohl wissen können, daß er die Juden durch solche rohe Verkündigung des neuen Himmelreichs, nur zur Hoffnung eines weltlichen Messias erwecken würde; und folglich hat er auch die Absicht gehabt sie dazu zu erwecken. Was besonders die Sendung der Apostel zu solchem Amte betrifft; so müßten wir entweder setzen, daß Jesus ihre Meinung vom Himmelreiche gewußt hat, oder nicht. In dem ersten Falle ist von selbst klar, daß er den Zweck gehabt haben müßte, die Juden zu einer nahen weltlichen Erlösung aufzumuntern: weil er wissentlich solche Bothen dazu braucht, die selbst nichts anders glaubten, und daher andern auch nichts anders predigen konnten. Hätte er aber ihre Meynung nicht gewußt, so müßte er doch die gemeine und herrschende bey ihnen vermuthet, und die Jünger [132] erst so lange unterrichtet haben, bis sie ihren Irrthum hätten fahren lassen und von seiner wahren Absicht völlig überzeugt wären; damit sie nicht ein falsches Evangelium verkündigten. Es ist aber offenbar, die Jünger hatten den Irrthum, oder die Meynung von einer weltlichen Erlösung Israels durch den Messias damals so wie nachher beständig, und waren mit nichten eines andern überführet: Jesus aber sendet sie doch, das Himmelreich zu verkündigen, und Lehrer anderer zu werden. Daher hat er auch in solchem Falle diese herrschende Meynung, welche er bey den Jüngern so wie bey dem Volke vermuthen mußte, gut geheißen, und den Zweck gehabt, sie durch ganz Judäa auszubreiten. Die Handlung ist auf keine Weise zu retten. Durch solche Missionarios konnte unmöglich was anders abgezielet seyn, als daß die unter dem Römischen Joche seufzende, und zu einer Hoffnung der Erlösung längst vorbereitete Juden, jetzt von allen Enden in Judäa rege werden, und zu Hause kommen sollten.

 

 

§. 3.

Mit dieser Absicht stimmen die andern [133] Handlungen Jesu überein. Sein Vetter Johannes der Täufer, hatte schon vorher die Ohren des Volkes gespitzet, und ob wohl mit etwas dunkeln Worten, jedoch verständlich genug angedeutet, daß Jesus es wäre, auf den sie ihre Hoffnung zu stellen hätten. Dabey thut er, als ob er Jesum nicht kennte, und als ob ihm solches erst durch eine göttliche Offenbarung kund geworden, daß er es sey. Er spricht zu dem Volke, ich kannte ihn nicht; aber auf daß er offenbaret würde dem Israel, darum bin ich kommen zu taufen mit Wasser – Ich kannte ihn nicht; aber der mich gesandt hat zu taufen mit Wasser, derselbige sprach zu mir; über welchen du sehen wirst den Geist herabfahren, und auf ihm bleiben, derselbige ists, der mit dem heiligen Geiste taufet: und ich habs gesehen und hab gezeuget, daß dieser der Sohn Gottes ist. Johannes sagt also zu zweyen malen öffentlich, er habe ihn vor der Taufe nicht gekannt. Waren sie aber nicht nahe Vettern? waren nicht ihre Mütter gute Freundinnen mit einander, die sich auch besuchten? war nicht Jesus als ein Knabe oft unter seinen Bekannten [134] und Gefreundten nach Jerusalem gezogen; so daß Johannes als von gleichem Alter auf eben dem Wege die vetterliche Bekanntschaft nothwendig hätte unterhalten müssen? warum wollen sie sich nun vor dem Volke nicht auch kennen? Ich habe wohl zur Entschuldigung gedacht, Johannes wolle nicht damit schlechthin leugnen, daß er ihn gekannt: sondern nur sagen, daß er nicht gewußt, daß er der Christ oder Messias wäre, von welchem es heißet, daß Johannes sich nicht werth halte, dessen Schuhriemen aufzulösen. Allein der Evangeliste Matthäus hat mir diese Gedanken benommen; denn nach dessen Bericht hat ihn Johannes schon vor der Taufe als den Messias angesehen. Da Jesus aus Galiläa kommt, daß er sich taufen liesse, wehret ihm Johannes heftig und sprach: ich hab vonnöthen, daß ich von dir getaufet werde, und du kömmst zu mir! So kannte er denn ja Jesum vor der Taufe, nicht allein von Person ganz wohl, sondern er wollte ihn auch als denjenigen kennen, von dem er selbst nöthig hätte getaufet zu werden; nemlich, mit dem heiligen Geist; welches der Sohn Gottes oder [135] der Messias thun sollte. Das widerspricht dem vorigen offenbar, und verräth die Verstellung und abgeredte Karte. Die beyden Vettern kannten sich und wußten einer von des andern Absicht und Vorhaben, sie beginnen zu einer Zeit solche ausserordentliche Handlungen, dadurch einer des andern Zweck beförderte: Johannes verkündiget, daß das Himmelreich nahe sey, daß der Messias schon mitten unter sie getreten, nur daß sie ihn noch nicht kenneten: Jesus kommt zu Johanne, daß er von ihm dem Volke als ein solcher bekannt gemacht werde. Sie machen sich einander bey dem Volke groß; Jesus spricht von Johanne, er sey ein Prophet, ja noch mehr als ein Prophet, er sey der Elias oder Vorläufer des Messias: unter allen die von Weibern gebohren sind, sey keiner größer als Johannes. Johannes spricht hergegen von Jesu, daß er der Christ oder der Sohn Gottes sey, daß er mit dem heiligen Geist taufen werde, und daß er (Johannes) nicht werth sey ihm die Schuh nachzutragen, oder die Schuh-Riemen aufzulösen. Johannes bekömmt nemlich Offenbarung von der Sache bey der Taufe, er siehet den Himmel offen und [136] den Geist als eine Taube herabfliegen: er höret eine Bat-Kol, eine filiam vocis, oder Stimme vom Himmel, die da rufet: dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe. Ich habe aber schon anderwärts dargethan, daß kein Mensch von denen, die um Johannes und Jesum waren, das geringste gesehen oder gehöret haben. Sondern es war alles bloß Johannis Vorgeben, als sähe er das in einer Entzückung und Prophetischen Gesichte, als hörete er die Stimme vom Himmel in seinen Ohren. Denn einem Propheten mußten die Juden das zuglauben, daß er gesehen und gehöret hätte, was keiner der Umstehenden sahe und hörte; und sie waren damals gewohnt sich durch eine vorgegebene Bat-Kol oder Stimme vom Himmel überzeugen zu lassen; welches jedoch nach aller vernünftigen Theologen Geständniß, bey den Juden lauter Betrug und eitles Vorgeben war. So werden denn von Johanne Vorstellung und Erdichtungen angewandt, den Zweck Jesu, darum jener allerdings wußte, zu befördern.

 

 

§. 4.

Sie führen daher auch einerley Sprache, [137] Lehre und Endzweck. Johannes prediget zum voraus, nach demselben Formular was Jesus zu gebrauchen willens war und was er nachmals seinen Jüngern in den Mund legt. Bekehret euch, spricht er, denn das Himmelreich ist nahe herbeykommen. Matth. III. 2. Bald fängt Jesus selbst an zu predigen und zu sagen: Bekehret euch, denn das Himmelreich ist nahe herbeykommen. Matth. IV. 17. Und so bald er Jünger bekömmt, schickt er sie in ganz Judäa herum, eben dasselbe noch weiter bekannt zu machen. Sowenig als Jesus die Juden, bey dieser Verkündigung, aus ihrem Wahn von einem weltlichen und leiblichen Erlöser heraussetzet: so wenig thut es auch Johannes. Beyde lassen das Volk seinen gewohnten Begriff von dem Himmelreiche, oder Reiche des Messias, ungehindert mit ihren Worten verknüpfen. Hätte Johannes wenigstens, als der Vorläufer, dieses Unkraut zuvor aus den Gemüthern der Menschen herausgerissen: so möchte sich Jesus, ohne weitere Erklärung, darauf verlassen haben. Allein da diese eingewurzelte Meynung denen Leuten sowohl von Johannes, als Jesus und seinen Jüngern gelassen [138] und darauf getrost gesäet wird: so konnte auch Johannes so wenig als Jesus einen andern Zweck haben, als daß sie das Volk zu der baldigen Erscheinung des längst gehofften weltlichen Erlösers erwecken und begierig machen wollten. Und auf diesen Endzweck ist bey der Predigt von der Bekehrung oder Buße gerichtet. Die Ursache warum sie Buße thun und sich bekehren sollten, liegt in diesem nahen Reiche des Messias: bekehret euch, denn das Himmelreich ist nahe herbeykommen. Nemlich es war schon damals, und ist noch bis auf den heutigen Tag der Juden Gedanke: ehe würde der Messias nicht kommen, bis sie rechtschaffene Buße thäten, und sich ernstlich bekehrten: wenn sie aber nur einmal eine wahre Buße und Bekehrung äußerten, so würde Gott den Messias alsofort kommen lassen, und sie von dem Elend ihrer Gefangenschaft und Unterdrückung erretten, und ein herrlich Reich wie zu Davids Zeiten unter ihnen aufrichten. Diese Vorbereitung konnte demnach weder von den Juden auf einen andern Zweck gezogen werden, noch von Johannes und Jesus gerichtet seyn, als wie es der gemeinen Meynung gemäß war: und wenn noch [139] heutiges Tages ein Jude seinen erwarteten weltlichen Messias bald vermuthete und vorher verkündigen wollte, so würde er nach der allgemeinen Lehre der Jüdischen Kirche, keine andere Vorbereitung dazu predigen können, als die Bekehrung und Buße. Und eben daraus will Jesus erweisen, daß alle die vor ihm gewesen, und sich für die Erlöser des Volks ausgegeben, nicht die rechten gewesen sind, weil sie Diebe und Mörder gewesen, und das Volk durch unrechtmäßige Gewaltthätigkeit, nicht aber durch Bekehrung und Buße zu diesem Zwecke zu führen getrachtet. Der andere Erlöser, welchen die Juden erwarteten, sollte dem ersten Erlöser aus der Egyptischen Dienstbarkeit, Moses, darin ähnlich seyn, daß er ein großer Prophete wäre, und hiernächst viele und große Wunder thäte. Und weil dieses bey der orthodoxen Kirche die ordentlichen Kennzeichen des erwarteten Messias waren, so prediget und lehret Jesus als ein Prophete, und thut viele Wunder. Beydes konnte das Volk nicht aus der Meynung setzen, daß er ein weltlicher Erlöser seyn würde, sondern mußte die Leute vielmehr darin bestärken, daß wie ihr erster Erlöser ein [140] wunderthätiger Prophete gewesen, so dieser der rechte andere Erlöser seyn würde, der sie durch solche Wunder aus ihrer Knechtschaft erretten, und das Reich Israel wieder aufrichten sollte. Darum sagten sie bey Gelegenheit der Lehren und Wunder Jesu: du bist wahrlich der Prophet der in die Welt kommen soll; und wollten ihn zum Könige machen. Jesus zwar entwich auf einen Berg; aber es ist merklich, daß er das Volk bey der Gelegenheit nicht bestrafet oder belehret, daß das ganz seine Absicht nicht sey, daß er zu ganz was anders kommen. Hier wäre solches, wo sonst jemals, höchst nöthig gewesen zu erinnern, wenn Jesus einen andern Zweck gehabt, und die Leute auf einen andern hätte führen wollen. Demnach mußte das Volk diese zu Jesu gefaßte Hoffnung behalten, und ihm noch begieriger nachfolgen. Es war aber für Jesus hier die Zeit und der Ort nicht, daß er sich in der Wüste von einer Menge zusammen gelaufenen gemeinen Volkes sollte zum Könige ausrufen lassen: er gedachte seinen Einzug in die Hauptstadt Jerusalem, an einem Ostern, wenn sich alle Israeliten aus ganz Judäa dahin versammlet hätten, auf eine [141] feyerliche Weise zu halten, um von allem Volke mit einem male zum Könige ausgerufen zu werden.

 

 

§. 5.

Jesus machte es damit eben wie mit der Bekanntmachung seiner Wunder. Er verbietet sie ja nicht auszusagen, wo sie unmöglich konnten verschwiegen bleiben, um nur die Leute dazu begieriger zu machen. Der Aussätzige sollte es niemand sagen, da er sich doch den Priestern zeigen sollte zum Zeugniß über sie. Die Blinden sollten zusehen, daß es niemand erführe, da sie ihm doch vorhin auf der Gasse nachgeschrien hatten. Da ihm viel Volkes nachgefolget war, und er mancherley Kranken gesund gemacht hatte, bedrohet er die Menge Volks, sie sollten ihn nicht bekannt machen. Da ihn das Volk recht drückte und drengte, und er vor aller Augen die Teufel austrieb, bedrohet er sie doch scharf, ihn nicht ruchtbar zu machen. Da er das Mädchen von zwölf Jahren aus ihrem Todes-Schlaf wieder aufgeweckt hatte, in einem Hause, wo viel Getümmel vom Volke war, und alle auf ihn warteten, ob er [142] es würde wahr machen, daß das Mädchen nur schlafe, befiehlet er, es müsse niemand wissen oder erfahren. Als man mitten unter den zehn Städten einen Tauben der zugleich stumm war, zu ihm brachte, nimmt er ihn vor dem Volke besonders, und stellet ihn dem Volke wieder hörend und redend dar: gebot aber, es niemand zu sagen. Mich dünkt, wer etwa einzeln Personen nach einander etwas sagte oder zeigte, mit der Bedingung es niemand wieder zu sagen: der möchte etwa bloß einer Einfalt beschuldigt werden, daß er denket, andere sollten verschweigen, was er selbst nicht verhelen kann. Wer aber von einer Menge Volks begehret, daß es niemand weiter wissen soll: der hat vielmehr die Absicht, daß es soll desto begieriger werden, die Sache zu verkündigen. Wie denn auch hier erfolget: je mehr er verbot, je mehr sie es ausbreiteten. Ein andermal befiehlet er selbst, seine Wunder bekannt zu machen, und wenn die Jünger Johannes zu ihm kommen, mit der Frage: Bist du der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten: so machet er selbst seine Wunder vor allem Volke bekannt, daß sie daraus schliessen sollten, er sey der Messias: Sagt [143] Johanni wieder was ihr sehet und höret: die Blinden kommen wieder zum Gesichte, die Lahmen gehen herum, die Aussätzigen werden rein, die Tauben bekommen ihr Gehör wieder, die Todten werden aufgeweckt, und den Armen wird das Evangelium geprediget: und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

 

 

§. 6.

Jesus verfähret demnach eben so mit seinem Hauptzweck, daß er der Christ oder Messias sey. Sein Vetter Johannes hatte ihn schon vorher kund gemacht: hier sagt er es selbst deutlich genug vor der ganzen Menge Volks: Er schickt seine Jünger herum, dieses Evangelium allenthalben zu verkündigen: ein andermal offenbaret ers dem Samaritischen Weibe mit ganz dürren Worten: und die sagt es in der Stadt an, sie habe den Messias funden, daß sie alle zu ihm herauskommen. Er gestehet es vor dem Hohenpriester und Synedrio, und vor Pilato, und doch verbietet ers hier und da, sogar seinen Jüngern selbst, es niemand zu sagen. Von dem Himmelreiche spricht Jesus [144] zu dem Volk in lauter Gleichnissen, daraus sie nehmen konnten was sie wollten. Dennoch streuet er hin und wieder ein, von der großen Gewalt die ihm übergeben sey, von dem Stuhl seiner Herrlichkeit worauf er sitzen werde und richten. Er sagt seinen Jüngern, er wolle ihnen das Reich bescheiden, wie es ihm sein Vater beschieden, daß sie essen und trinken sollen an seinem Tische in seinem Reiche, und sitzen auf Stühlen und richten die zwölf Geschlechte Israel. Da er dieses sagte, hatten ihn die Jünger zuvor gefragt: siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolget was wird uns dafür? Da antwortete ihnen Jesus dieses, und setzet hinzu: und wer verlässet Häuser, oder Brüder, oder Schwester, oder Vater, oder Mutter, oder Weib, oder Kinder, oder Aecker um meines Namens willen, der wirds hundertfältig nehmen, und das ewige Leben (Olam habba, das Reich des Messias) ererben. So versprach er ihnen ja eine richterliche Würde und Macht über die zwölf Stämme Israel und hundertfältig, so viel Häuser, Aecker und Mittel, als sie verlassen hatten; wenn sein herrliches Reich angehen würde. [145] Das zielte ja alles auf ein weltlich Reich, und bestätigte die Meinung nothwendig bey den Jüngern die ohne das schon ganz davon eingenommen waren. Endlich, wie er glaubte, daß das Volk durch Johannem den Täufer, durch seine herumgesandte Apostel, durch seine liebliche Lehren und Wunder in den zwey vorigen Jahren genug vorbereitet und geneigt wäre, ihn für den Messias zu halten und aufzunehmen, welchen sie erwarteten: so erwählt er zur Ausführung dessen die Zeit des Osterfestes, da er wußte, daß alles Volk aus ganz Judäa zu Jerusalem versammlet wäre; er wählt sich einen Esel mit einem Füllen, um damit feyerlichst hinein zu reiten, und sich das Ansehen zu geben, daß er der König wäre, von dem geschrieben stehet: siehe, dein König kömmt zu dir. Die Jünger glaubten auch, daß das Reich jetzt angehen sollte. Sie waren, nebst einigen aus dem Volke geschäftig die Kleider auf dem Wege auszubreiten, sie streuten Palmen, sie riefen Hosianna dem Sohne David, das ist: Glück zu dem Könige, dem Messias der auf dem Stuhl Davids sitzen soll: gelobet sey der da kömmt im Namen des [146] Herrn. So reitet er ins Thor der Stadt Jerusalem, und es wird ein Zulauf und Geschrey des Volks, die ganze Stadt kömmt in Bewegung. Dieser ausserordentliche äusserliche Aufzug, den Jesus nicht allein litte, sondern mit Fleiß veranstaltet hatte, konnte ja auf nichts anders, als auf ein weltlich Königreich abzielen: daß nemlich alles Volk Israel, so hier versammlet und vorher von ihm eingenommen wäre, mit einstimmen, und ihn einmüthig zum Könige ausrufen sollte.

 

 

§. 7.

Es kann seyn, daß Jesu bey diesem Unternehmen nicht gar wohl zu Muthe gewesen, und daß er seinen Jüngern vorher gesagt, wie er sich zu seinem Leiden und Tode gefaßt machen müßte. Allein diese waren voller Hoffnung, sie versprachen ihm beyzustehen und ihn nicht zu verlassen, wenn sie auch mit ihm sterben müßten. Und so ward es denn gewagt: er setzt sich auf den Esel, er lässet sich königliche Ehre anthun, er hält einen öffentlichen Einzug: und wie dieses einigermaßen zu gelingen scheinet, so gehet er [147] gerade zum Tempel, wo der große Rath sich zu versammlen pflegte: er legt seine Sanftmüthigkeit ab, fängt Gewaltthätigkeiten und Unruhen an, als einer, der sich schon der weltlichen Macht anmaßet: wirft der Wechsler Tische um, nimmt eine Peitsche und treibt die Käufer und Verkäufer und Tauben-Krämer zum Vorhofe des Tempels hinaus. Er gehet darnach weiter in den Tempel, thut einige Wunder vor dem Volk, und lehret dasselbe: bald des andern Tages hält er eine scharfe Rede wider die auf Mosis Stuhl sitzenden Pharisäer und Schriftgelehrten, das ist, wider den hohen Rath und das Synedrium. Er sagt es alsdenn öffentlich zu dem Volk, er sey Christus: der allein sey ihr Meister. Er schilt auf diese Pharisäer und Schriftgelehrten, die den hohen Rath ausmachten, als Heuchler, die das Himmelreich zuschlössen, die der Wittwen Häuser frässen: als verblendete Leiter, als Narren und Blinde, Uebertünchte Gräber, Mörder der Propheten, Schlangen und Ottergezüchte. Er schließet endlich: sie sollten ihn von nun an nicht sehen, bis sie allesamt sprächen, gelobet sey der da kömmt im Namen des Herrn, gleich [148] wie ihnen die Jünger vorgerufen hatten. Hiesse das nicht das Volk aufhetzen wider die Obrigkeit? war das nicht eben so viel gesagt zum Volke, als, werfet den hohen Rath, der aus lauter blinden Leitern, Heuchlern und Ungerechten bestehet, herunter. Diese verschliessen und halten das Himmelreich, das erwartete Reich des Messias nur auf. Einer ist euer Meister, Christus, der bin ich, und ihr sollet hinfort mein Angesicht nicht wieder sehen, bis ihr mich für den Christ oder Messias, der im Namen des Herrn zu euch kommen ist, ausgerufen.

 

 

§. 8.

So blickt denn noch aus der Evangelisten Erzehlung ihr altes wahres Systema von einem weltlichen Erlöser hervor. Man sieht noch, wenn man den Zusammenhang des Betragens Jesu, bis auf diesen Aufzug des Einreitens und den Zuruf, Glück zu dem Sohne David, als den actum decretorium verfolget, klar genug, warum sie bis zuletzt gehoffet haben, Jesus sollte Israel erlösen. Man sieht auch klar genug, daß alle die andern Umstände, welche [149] zu dem nachher angenommenen Systemate eines geistlichen Erlösers gehören, sich mit diesem Verfolg der Lehre und des Betragens Jesu nicht zusammen reimen lassen. Denn was sollte dieser öffentliche feyerliche Aufzug und der Zuruf, Glück zu dem Könige? was sollte die Gewaltthätigkeit und Stöhrung der Ordnung im Tempel? was sollte die aufwieglerische Rede an das Volk gegen den hohen Rath? was die Ermunterung, ihn allein für den Meister zu erkennen, der da käme im Namen des Herrn? Hier entdeckte sich Jesus offenbar genug, was er vorhatte. Aber das war auch der actus criticus und decretorius, die Handlung welche dem ganzen Unternehmen den Ausschlag geben sollte, und worauf alles ankam. Wäre ihm das Volk in Jerusalem zugefallen, und hätte ihn mit für einen König ausgerufen, so wie seine Jünger ihnen vorgiengen: so hätte er ganz Judäa auf seine Seite gehabt, als welches am Ostern zu Jerusalem versammlet war: so wäre der hohe Rath, das Synedrium herunter geworfen, und man hätte Jesum mit seinen zum voraus erwählten siebzig Jüngern, statt der siebzig Pharisäer und Schriftgelehrten in das [150] Synedrium gesetzet. Allein Jesus hatte sich wohl von dem Beyfall des Volkes zu viel versprochen. Johannes der Täufer, welcher dieses Vorhaben bey dem Volke unterstützen sollte, war gefangen und enthauptet. Von der Herumsendung der Apostel hatte Jesus sich schon vorhin viele gute Würkung vorgestellet, und gemeinet, sie würden nicht alle Städte von Judäa vollends durchgegangen seyn, so würde sich des Menschen Sohn schon offenbahren können. Allein das gemeine Volk lief wohl zu Jesu, es hörte seine Gleichnisse gerne, seine Sittenlehre schmeckte ihnen besser als die der Pharisäer: viele hofften auch durch ihn von Krankheiten zu genesen. Aber das war zu dem Hauptzweck noch nicht hinlänglich. Es war dazu nur gemeines und zusammengelaufenes Volk, kein Vornehmer, kein Pharisäer hieng ihm an. Die Ueberzeugung von Jesus Wundern muß denn auch nicht gar stark gewesen seyn; sonst würde es nicht an stärkerem Anhange gefehlet haben. Man siehet aus den Evangelisten, wie Jesus hie und da keine Wunder thun können, weil sie nicht an ihn glauben wollten: wie er ganze Städte, Chorazin [151] und Bethsaida, und wo er die meisten Wunder gethan hatte, wegen solches Unglaubens schilt: und wenn ihn die Pharisäer und Schriftgelehrten aus dem hohen Rath bitten, sich durch ein Wunder zu rechtfertigen, solches abschlägt und statt dessen anfängt zu schelten. Wenn nur ein einzig Wunder öffentlich, überzeuglich und unleugbar von Jesu vor allem Volke an den hohen Festtagen geschehen wäre: so sind Menschen so geartet, daß ihm alle Welt würde zugefallen seyn. Allein wie wenige der Juden von Stand und Würden auf seiner Seite gewesen, das lässet sich daraus erkennen, daß, nachdem das erste Geschrey seiner Jünger und einiger aus dem Volke vorbey war, keiner weiter schreyen will: Glück zu dem Sohne David. Das Volk mochte auch die Gewaltthätigkeit und Unordnung, so Jesus im Tempel angerichtet hatte, und die bittern Scheltworte wider ihre Obrigkeit, als Vorbothen mehrerer Zerrüttung ansehen. Der hohe Rath hatte wenigstens große Ursache auf dergleichen Beginnen ein wachsames Auge zu haben. Es waren schon vorhin viele gewesen, welche sich durch [152] Wunder zu Messiassen hatten aufwerfen wollen: welche der Ausgang und Erfolg entdeckt hatte. Sie standen damals unter der Bothmäßigkeit der Römer, denen sie nur Anlaß gegeben hätten, ihre Macht zu mehrerer Einschränkung und Sklaverey der Juden zu gebrauchen, wenn sie dergleichen unruhiges Beginnen eines ausgerufenen Königes, der Israel erlösen sollte, geduldet und geheget hätten. Sie mußten also den Rath fassen, wie sie Jesum griffen, und der Gefahr dadurch vorbeugten. Wie Jesus sahe, daß das Volk nicht so wie seine Jünger schreyen wollten Hosianne, oder Glück zu dem Sohne David, sondern daß es ihm verläßt, daß der hohe Rath hergegen damit umgienge ihn zu ergreifen: so enthält er sich des Tempels. Er hatte nicht das Herz, rechte Ostern zu halten: weil er alsdenn, oder wenigstens seine Jünger in seinem Namen im Tempel hätten erscheinen, und das Osterlamm schlachten, auch das Blut an den Altar sprengen lassen müssen: da man ihn oder seine Jünger hätte ergreifen oder ihm nachspühren können. Er hält deswegen nur ein Pascha μνημονευτικὸν, oder eine Erinnerungs-Mahlzeit, und das einen Tag früher wie sonst. [153] Er hielte von der Zeit an nur nächtliche Zusammenkünfte, und hielte sich haußen vor der Stadt an verborgenen Orten auf. Er liesse zwar einige Schwerdter zusammen bringen, um sich für einen Ueberfall zu wehren; aber war doch besorgt, daß ihn selbst von seinen Jüngern einer verrathen möchte, wo er wäre, fieng an zu zittern und zu zagen, da er sahe, daß es ihm sein Leben kosten konnte. Judas aber verrieth den Ort wo er war, und entdeckte seine Person: da ward er noch in der Nacht vor dem vierzehnten Nisan gefangen, ihm kurz der Prozeß gemacht, und er, ehe das Schlachten der Osterlämmer im Tempel angienge, gekreuziget. Er beschloß sein Leben mit den Worten: Eli Eli lama asaphthani: Mein Gott! Mein Gott! warum hast du mich verlassen? Ein Geständniß, so sich ohne offenbaren Zwang nicht anders deuten lässet, als daß ihm Gott zu seinem Zweck und Vorhaben nicht geholfen, wie er gehoffet hatte. Es war demnach sein Zweck nicht gewesen, daß er leiden und sterben wollte; sondern daß er ein weltlich Reich aufrichtete, und die Juden von ihrer Gefangenschaft erlösete: und darin hatte ihm Gott verlassen, [154] darin war ihm seine Hoffnung fehl geschlagen.

 

 

§. 9.

So erhellet denn aus der vorhandenen Geschichte Jesu noch ganz deutlich, daß seine Absicht in allen Lehren und Betragen mit dem alten ersten Systemate der Apostel von einem weltlichen Erlöser übereingestimmet; und daß die Apostel folglich, so lange Jesus gelebet, guten Grund und Ursache gehabt, beständig von ihm so zu denken: daß sich aber der Meister selbst, und daher noch vielmehr die Jünger, bey dessen Beurtheilung und Tode zuletzt betrogen gesehen: und daß mithin das neue Systema von einem leidenden geistlichen Erlöser erst nach Jesu Tode, bloß weil die erste Hoffnung fehl geschlagen, erfunden sey; ohne das vorhin jemand davon gewußt oder daran gedacht hat. Allein, lasset uns einmal die Glaubwürdigkeit des alten Systematis bey Seite setzen, und das neue an und vor sich betrachten, ob dazu ein besserer Grund vorhanden sey? Es ist zwar andem, daß die Apostel selbst durch Verwerfung ihres vorigen Systematis gestehen, [155] daß sie sich in der Absicht und Meynung ihres Meisters, so lange er gelebet, geirrt und betrogen haben: und wir könnten von solchen Männern, die sich selbst für gröblich irrende und in ihrer Hoffnung betrogene Menschen erkannt, überhaupt gedenken, daß ihr geändertes Systema nicht zuverläßiger seyn könne. Aber wir wollen ihnen alle Gerechtigkeit wiederfahren lassen, ihrer vorigen Fehler auf eine Weile vergessen, und lediglich ihre neue Lehre in sich selbst nach ihren Gründen erwegen. Dieses Lehrgebäude nun bestehet kürzlich darin: ‚Christus, oder der Messias, habe erst zu der Menschen Versöhnung leiden, und also zu seiner Herrlichkeit eingehen müssen: aber er sey kraft derselben am dritten Tage, wie er verheißen hatte, von dem Tode und aus dem Grabe lebendig auferstanden, und gen Himmel gefahren, und werde bald mit großer Kraft und Herrlichkeit in den Wolken des Himmels wiederkommen, ein Gericht über die Gläubigen und Ungläubigen, Guten und Bösen zu halten; und alsdenn werde das Reich der Herrlichkeit angehen.“ Ein jeder erkennet nun leichte, und die Apostel selbst gestehen es, daß [156] für das ganze Christenthum zuvörderst es auf die Wahrheit der Geschichte der Auferstehung Jesu von seinem Tode ankommen. Man weiß, daß solches Factum von ihnen theils durch das äußerliche Zeugniß der Wächter Pilati vor dem Grabe: theils durch der Apostel eigene Aussage und Bekräftigung: theils durch die Weissagungen des alten Testaments erhärtet wird. Wir wollen ihnen demnach folgen, und diesen dreyfachen Beweis in dreyen besondern Capiteln durchgehen. Wo aber auch die Verheissung, von Jesus Wiederkunft in den Wolken des Himmels, auf eine solche Zeit bestimmt ist, daß sie schon hätte müssen geschehen seyn: so kann uns auch dieser Punkt in den Stand setzen, von der Wahrheit des Systematis zu urtheilen; welches wir in dem vierten Capitel untersuchen wollen. Ich setze demnach vors erste alle äusserliche Umstände, welche dem Christenthum entweder guten oder widrigen Schein geben können, wohlbedächtlich bey Seite. Denn aus bloß äusserlichen Umständen lässet sich nichts sicher schliessen: sie gehen das Wesen einer Sache nicht an, und geben keinen festen Beweis. Nur diejenigen, welche sich in ihren Vorurtheilen zu nähren, und andere damit einzunehmen gedenken, [157] pflegen den Weg zu erwehlen, daß sie ihrer Sache zuerst durch ausgesuchte äusserliche Umstände und Nebendinge, eine gute Farbe anstreichen, und die Gemüther zum voraus damit einnehmen, ehe sie noch von der Hauptsache etwas berührt haben: damit es ihnen hernach desto eher erlaubt sey, über die Haupsache behutsam hinzuschlüpfern. Ich will gerade zur Sache selbst, worauf alles ankömmt, schreiten, und darin mein Urtheil nach klarem und deutlichem Widerspruch und Uebereinstimmung der Dinge richten. Lässet sich nun dadurch die Wahrheit im Hauptpunkte überzeuglich herausbringen, so können die äusserlichen, an sich zweydeutigen Umstände darnach desto zuverläßiger beurtheilt werden.

 

 

§. 10.

Die vornehmste und erste Frage * – –

* Hier tritt das Fragment über die Auferstehungs­geschichte ein, welches ich den Bibliothekarischen Beyträgen einverleibet habe. Es läuft von diesem 10ten §. bis auf den [158] 32sten, worauf der Verfasser mit dem 33sten in seiner Materie folgendermaßen fortfähret

 

§. 33.

Da aber die Zeugen der Auferstehung Jesu sich auf niemand anders berufen können, sondern alleine wollen gesehen haben, was für andere ehrliche Menschen unsichtbar gewesen, selbst aber in ihrer Aussage sich vielfältig widersprechen: so lasset uns doch weiter untersuchen, ob ihr Beweis aus der Schrift eine bessere Ueberführung giebt. Der gute Stephanus war der erste, welcher die Auferstehung Jesu so behauptete, daß er sich auch darüber steinigen ließ. Da er aber sich auf seine Erfahrung nicht berufen konnte, und also nirgend sagt, daß er ihn selber lebendig und auferstanden nach seinem Tode gesehen hätte: so wendet er sich zu einem Beweise aus der Schrift des alten Testaments, und wird, um solchen recht vollkommen zu geben, vorher des heiligen Geistes voll. Wäre es nicht zu weitläuftig, so wollte ich die ganze Demonstration für die Wahrheit der christlichen Religion wörtlich hieher setzen: denn [159] sie ist gar sonderbar. Ein jeder aber wird sich von selbst erinnern können, daß ich nichts wesentliches auslasse oder verdrehe, wenn ich den Hauptinhalt hersetze. Er erzehlet erstlich hundert Dinge, die einer nicht wissen will, und die zur Sache nichts dienen: Wie Abraham aus Mesopotamien berufen worden nach Canaan, wie seinen Nachkommen dieses Land verheißen sey nach vierhundert Jahren zu besitzen, wie er die Beschneidung empfangen, und Isaac, Jacob und Joseph von ihm entsprossen, wie Joseph nach Egypten verkauft, und da hoch empor kommen sey, endlich aber seine ganze Familie nach sich gezogen habe, wo Jacob und seine Söhne begraben worden, wie die Nachkommen in Egypten unters Joch gebracht, wie Moses gebohren, von der Tochter Pharao erzogen und unterrichtet sey, wie er einen Egypter erschlagen, und diese seine That ruchtbar worden, und zu seiner Flucht nach Midian Anlaß gegeben, wie Mosis nach 40 Jahren den Beruf bekommen, Israel zu befreyen, wie er solches durch viele Wunder ins Werk gerichtet, und das Gesetz auf dem Berge Sinai empfangen, wie sich die Israeliten zu der Egyptischen Abgötterey [160] des Kalbes, Molochs und Remphan gewendet, wie sie das Gezelte des Zeugnisses empfangen, und solches NB. mit Jesu ins Land gebracht bis zur Zeit Davids, wie darauf David Gott ein Haus bauen wollen, Salomo solches würklich gethan, obgleich Gott nicht in Häusern wohnet. Nun wird man denken, wozu soll alle diese Erzehlung, die mit Jesu und seiner Auferstehung nicht die geringste Verwandschaft hat? Denn daß Jesus mit oder in dem Gezelte des Zeugnisses soll ins Land Canaan gebracht worden seyn, das begreifet kein Mensch. Geduld! jetzt kommt der Beweis: Wenigstens fängt er ex abrupto an den hohen Rath zu schelten: Ihr Halsstarrige und Unbeschnittene an Herzen und Ohren, ihr widerstrebet allezeit dem heiligen Geist, wie eure Väter, also auch ihr. Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Ja sie haben getödtet diejenigen, die da zuvor verkündigten die Zukunft dieses Gerechten, dessen ihr nun Verräther und Mörder worden seyd, die ihr das Gesetz empfangen habt durch den Dienst der Engel, und habts nicht gehalten. Hier scheint sein [161] Beweis zu Ende zu seyn, und nichts mehr zu fehlen als das W. Z. E [Was Zu Erweisen war]. Als aber die halsstarrige, unbeschnittne, verräthrische, mördrische, gottlose Obrigkeit dem guten Manne noch nicht glauben will, sondern vielmehr zornig wird, siehe da wird Stephanus voll heiligen Geistes, starret in dem Himmel und siehet die Herrlichkeit Gottes und Jesum stehen zur Rechten Gottes; sagt es auch dem hohen Rath, daß er Jesum da im Himmel siehet; aber Schade für alle diese siebzig erleuchtete Männer, daß keiner unter ihnen so klare Augen hat, das auch zu sehen, es ist nur dem einzigen Stephanus sichtbar: und also sind sie nicht fähig seinen augenscheinlichen Beweis zu fassen, er wird verurtheilt und gesteiniget.

 

 

§. 34.

Einen andern etwas künstlichen Beweis für die christliche Religion und Auferstehung Jesu giebt Paulus zu Antiochia in der Synagoge. Er winket vorher mit der Hand, daß man schweigen sollte, und spricht: ihr Männer von Israel und die ihr Gott fürchtet, höret zu. So merke denn auch auf, mein Leser, [162] ich will Paulum selbst reden lassen, jedoch meine Gedanken auch eröffnen, die mir, wenn ich mich an die Stelle der zu bekehrenden Antiochier setze, bey diesen Reden einfallen.

Der Gott dieses Volks hat erwählet unsre Väter, und hat erhöhet das Volk, daß sie Fremdlinge wären im Lande Egypten, und hat sie mit einem hohen Arm aus demselbigen geführet:

Das ist hoch angefangen!

Und bey vierzig Jahr lang hat er geduldet ihre Weise in der Wüsten, und als er sieben Völker in dem Lande Canaan vertilget hatte, hat er unter sie nach dem Loose jenes Land ausgetheilet.

Wo will doch dieses hinaus? was thut es zur Sache?

Darnach gab er ihnen Richter bey vierhundert und funfzig Jahrlang, bis auf den Propheten Samuel. Und von derselben Zeit an baten sie um einen König: und Gott gab ihnen Saul den Sohn Kis, einen Mann aus dem Stamme Benjamin vierzig Jahre. Und er setzet ihn ab, und erweckte ihnen David zum [163] Könige; welchem er auch Zeugniß gab, und sprach: ich habe funden David, den Sohn Isai, einen Mann nach meinem Herzen, der allen meinen Willen thun wird.

Das wissen wir alles aus der Lesung der Schrift: was soll nun endlich daraus gefolgert werden.

Von dieses Saamen hat Gott, der Verheissung nach, dem Israel erwecket den Heiland Jesum.

Aber lieber Paulus, wenn dieses sollte erwiesen werden, wäre es denn nicht besser gewesen, alle die bekannten Historien von den Israeliten wegzulassen und diese Verheissung vielmehr namhaft zu machen, ihren eigentlichen Verstand zu zeigen, und daß sie auf keinen als Jesum zu deuten sey, darzuthun?

Da Johannes vor seinem Eintritt zuvor verkündigte die Taufe der Bekehrung dem ganzen Volk Israel. Als aber Johannes den Lauf erfüllete, sprach er, wen wähnet ihr, daß ich sey? Ich bins nicht; aber siehe er kommt nach mir, dessen Schuh von den Füssen los zu machen ich nicht würdig bin. [164]

Wir müssen zwar den eilfertigen Sprung, von den Verheissungen der Propheten auf Johannem gelten lassen; allein wo dieses den vorigen Satz beweisen soll, so folget ja daraus, daß Johannes die Bekehrung geprediget, und auf Jesum als den Messias gewiesen, nicht, daß dieser Jesus von Nazareth in den Propheten als ein Heiland Israel sey verheissen worden. Soll aber Johannis Zeugniß für sich allein beweisen, daß dieser Jesus der Messias sey: so können wir es wohl auf dessen Wort nicht allerdings ankommen lassen. Denn er hat uns das nimmer aus der Schrift altes T. bewiesen, und sich auch durch keine Wunder oder Weissagung als einen neuen Propheten, dem wir glauben müßten, erzeiget. Das wissen wir von ihm, daß er ein naher Vetter von Jesu gewesen seyn soll.

Ihr Männer lieben Brüder, ihr Kinder des Geschlechts Abraham, und die unter euch Gott fürchten, euch ist das Wort dieses Heils gesandt.

Die Anrede klingt lieblich, und möchte sonst die Gemüther gewinnen, aber wir sind noch so weit nicht, daß wir von dem Worte des Heils [165] überzeugt sind: wir haben noch nicht verstanden, daß die alten Propheten Jesum von Nazareth als einen Heiland verheissen; oder daß er es deswegen seyn müsse, weil es Johannes gesagt. Ohne Ueberführung aber ein Heil versprechen, hiesse sich blindlings mit eitler Hoffnung schmeicheln; ohne allen Grund seine Religion fahren zu lassen, und eine neue annehmen, hiesse mit der Religion spielen.

Denn die zu Jerusalem wohnen und ihre Oebersten, dieweil sie diesen nicht erkenneten, haben sie beyde die Stimme der Propheten, welche auf alle Sabbathe gelesen werden, mit ihren Urtheilen erfüllet: und wiewohl sie keine Ursache des Todes an ihm funden, haben sie doch Pilatum gebeten, daß er umgebracht wurde: als 'sie aber alles vollendet haben, was von ihm geschrieben ist, haben sie ihn von dem Holz genommen, und haben ihn in ein Grab gelegt.

Wenn unsre Obersten nicht mehr Beweis von Jesu gehöret haben, als wir noch bis jetzo; so haben sie ihn nicht als den Heiland erkennen können. Denn in den Propheten, die wir [166] gleichfalls alle Sabbathe lesen, stehet weder sein Name, noch sonst ein Kennzeichen, das uns auf diese Person verwiese. Da er sich nun dennoch für einen Meßias ausgegeben, so wundert uns nicht, daß der hohe Rath ihn desfalls zum Tode verurtheilet. Wenigstens haben wir allewege die billige Vermuthung für die hohe Obrigkeit, daß sie recht richte; für siebzig schriftverständige Männer, daß sie die prophetischen Kennzeichen des Meßias an ihm nicht müssen funden haben; für die ansehnlichen Väter des Volks, daß sie eine Unruhe und Verwirrung in Israel aus seinem Betragen besorget.

Aber Gott hat ihn auferweckt von den Todten, und er ist erschienen viele Tage lang denen, die mit ihm hinauf gen Jerusalem gegangen waren, welche seine Zeugen sind bey dem Volke.

Ja, wäre er denn von den Todten erwecket, so folgte doch noch nicht, daß er der Heiland sey. Denn wir lesen ja in der Schrift auch von andern die Gott vom Tode erwecket hat, deren er doch deswegen keinen dem Volke zum Meßias bestimmt. Allein eben dieses, daß Jesus vom Tode erwecket seyn soll, können wir [167] so nicht annehmen. Die Zeugen davon sind, wie wir hören, seine Anhänger und Jünger: und diese sind es eben, welche schon einen bösen Ruf bey uns haben. Der hohe Rath zu Jerusalem hat uns durch abgeordnete Männer ausdrücklich davor warnen lassen, und gesagt, daß diese Jünger des Nachts heimlich zum Grabe kommen, und den Leichnam gestohlen, und nun gingen sie herum und sprächen, er sey auferstanden. Wir kennen keinen von den Jüngern; es ist uns aber nicht zu verdenken, daß wir in dieser Sache dem ganzen hohen Rathe in Jerusalem mehr trauen, als solchen uns unbekannten und schon verdächtigen Zeugen.

Und auch wir verkündigen euch die Verheissung, die zu den Vätern geschehen ist, daß dieselbige Gott ihren Kindern erfüllet hat, nemlich uns, indem er Jesum erwecket hat: wie dann im andern Psalm geschrieben stehet: Du bist mein Sohn, heut hab ich dich gezeuget.

Du, Paule, willt also, nicht zwar aus deiner Erfahrung als Zeuge, sondern aus den Verheissungen der Schrift beweisen, daß Gott Jesum erwecket hat. Aber sage uns doch, wie [168] stehet das im andern Psalm geschrieben? Du (David) bist mein Sohn, heute hab ich dich gezeuget, soll so viel heißen, als, ich will künftig Jesum von Nazareth, des Josephs Sohn, vom Tode erwecken. Wer kann doch deine Schrift-Erklärung dulden? Der Text verheisset ja weder, daß jemand künftig einmal vom Tode auferstehen soll, noch daß der, welcher auferstehet, Gottes Sohn sey; oder umgekehrt, daß der welcher Gottes Sohn ist, auferstehen müsse, oder daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn sey. Wir mögen den Text kehren und wenden wie wir wollen, so kömmt nichts heraus, welches nur die geringste Verknüpfung mit deinem Satze hätte. Wir verstehen die Worte natürlicherweise von David, den Gott als seinen Geliebten zu seinem Sohne angenommen, und von den Schaafhürden zum Könige gemacht. David spricht, der Herr habe zu ihm gesagt, (nemlich durch Samuel und Nathan) du, (David) bist mein Sohn, (mein Geliebter und Auserwählter) ich habe dich heute (jetzo und von nun an) gezeuget (als einen Sohn angenommen, und zum Könige ausersehen.) Der ganze neun und [169] achtzigste Psalm des Ethans ist eine Auslegung dieser Worte. Da wird Gott redend eingeführt: ich habe einen Bund gemacht mit meinem Auserwählten, ich habe David meinem Knecht geschworen, ich will deinen Saamen bevestigen bis in Ewigkeit, und will deinen Stuhl bauen für und für. Der Prophet spricht: – Dazumal redtest du im Gesicht zu deinem Geliebten und sprachest: ich habe einenHelden erweckt, der helfen soll; ichhab erhöhet einen Auserwählten aus dem Volk, ich hab funden David meinen Knecht, ich hab ihn gesalbet mit meinem heiligen Oel. Er wird mich nennen, du mein Vater, mein Gott und Fels meines Heils: ich will ihn zum Erstgebohrnen machen, zum höhesten über die Könige auf Erden: ich will ihm ewiglich bewahren meine Gutthätigkeit und mein Bund soll ihm treulich gehalten werden etc. So ist denn ja David auch derjenige im andern Psalm, zu dem Gott redet: und er heisset ein Sohn Gottes, wie dort ein Auserwählter, ein Erstgebohrner, der Gott seinen Vater nennet. Den hat er, nach prophetischer [170] Redensart, gezeuget, das ist, als einen Sohn angenommen, wie es dort bey Mose heisset, daß Gott Israel (welches gleichfalls Gottes Sohn genannt wird) gezeuget habe; und wie Israel selbst bey dem Propheten die Fremdlinge, welche es in die Kirche aufnimmt, erzeuget. Was beweiset nun dieses alles von Jesu aus Nazareth?

Daß er ihn aber hat von den Todten auferweckt, dergestalt, daß er hinfort nicht wieder ins Grab kommen soll, spricht er also (Es. LV. 3.): Ich will euch geben die gewissen Gutthaten David.

Andere mögen diese Erklärungskunst verstehen; für uns ist sie zu künstlich. Ich will euch geben die gewissen Gutthaten David, heisset so viel, als ich will Jesum von Nazareth von den Todten auferwecken, daß er hinfort nicht wieder ins Grab kommen soll. Uns dünkt, der Prophet Esaias sagt, Gott wolle einen ewigen Bund mit den Israeliten machen, und ihnen das Gute wiederfahren lassen, was er auch dem David verheissen und gehalten, nemlich daß ihm viele Völker unterwürfig seyn sollten. So erkläret er sich gleich im folgenden Vers: Siehe ich habe ihn (David) den Leuten zum [171] Zeugen gestellet, zum Fürsten und Gebieter den Völkern.

Darum spricht er auch an einem andern Ort (Ps. XVI. 10): Du wirst es nicht zugeben, daß dein Heiliger die Verwesung sehe. Denn David zwar, da er zu seiner Zeit dem Rath Gottes gedient hat, ist er entschlafen, und zu seinen Vätern hinzugelegt worden, und hat die Verwesung gesehen. Den aber Gott auferwecket hat, der hat die Verwesung nicht gesehen.

Wenn wir anders die Folgerung recht fassen, so wird sie deutlicher so lauten. ‚Der Psalm redet von einem der die Verwesung nicht sehen soll: David aber hat die Verwesung gesehen: Also ist es David nicht, von dem der Psalm redet.“ Ferner: ‚Wer von Gott auferweckt ist, der hat die Verwesung nicht gesehen. Nun hat Gott Jesum auferwecket. Also hat er die Verwesung nicht gesehen. Also ist er derjenige, davon der Psalm redet.“ Bey dem ersten Schlusse wird die Frage seyn, ob die Worte die Verwesung nicht sehen, schlechterdings zu nehmen, oder ob sie auf eine gewisse Zeit, und [172] obschwebende Todesgefahr zu ziehen sind. Uns dünkt, wer Davids Schreibart kennet, der wird in diesen Worten nichts ausserordentliches suchen. Es ist bekannt, daß David sich sonst selbst unter den Namen des Heiligen oder Frommen verstehe, und man siehet leicht, daß er hier in diesem Psalm die Hülfe Gottes rühmt, welche ihn aus der Todesgefahr, darin er vor Saul schwebte, errettet, so daß ihm nun das Loos aufs angenehmste gefallen, und er zu einem schönen Erbtheil kommen. Er hat also damals nicht ohne Grund gehoffet und gebeten: du wirst meine Seele (das ist mich) nicht verlassen bis zur Hölle, (sogar, daß ich ins Reich der Todten fahren müsse) noch zugeben, daß dein Frommer (David) die Verwesung (oder Grube) sehe (und sterbe;) sondern vielmehr geben, daß ich länger lebe, und deine verheissene Gutthat erfahre. So redet David sonst von einem langen Leben. Kein Bruder kann den andern vom Tode erlösen, ob er gleich lange lebet, und die Verwesung nicht siehet. So bedeutet denn die Verwesung nicht sehen, nicht so viel, als gar nicht sterben, oder nicht ewig todt bleiben, sondern [173] nur, nicht alsofort, nicht bald sterben, länger leben. Denn er saget gleich darauf von solchen die die Verwesung nicht sehen: man wirds sehen, daß solche Weisen doch (nemlich zuletzt) doch einmal sterben, sowohl als die Thoren. Und an einem andern Orte: Wo ist jemand, der da lebt und den Tod nicht sehe, und seine Seele errettete aus der Höllen Hand? Demnach ist der erste Satz Pauli nicht richtig, daß der Psalm von einem rede der die Verwesung schlechterdings nicht oder nimmer sieht; und also der Schluß falsch, daß der Psalm nicht von David rede. Was sollte uns also bewegen, von David selber abzugehen, da er in dem ganzen Psalm von sich selber spricht, und immer die Zueignungswörter ich, mir, mein, meine Seele etc. gebrauchet? Und wie könnte David begehren, daß wenn er so redet, jemand auf Jesum von Nazareth, einen Mann, der noch nicht gebohren war, denken sollte? – In dem andern Schlusse scheinet Paulus vergessen zu haben, was er beweisen wollte. Denn er nimmt seinen Hauptsatz, welcher bewiesen werden sollte, unvermerkt im Vordersatze ohne Beweis an. Der [174] Hauptsatz, welcher bewiesen werden sollte, war nach Pauli eigenen Worten: daß Gott Jesum auferweckt hat, dergestalt, daß er hinfort nicht wieder ins Grab kommen soll. Nun nimmt Paulus in dem andern Schlusse zum Vordersatze an, daß Gott Jesum auferwecket hat, und schließt daraus; also redet der Psalm von Jesu, daß er die Verwesung nicht gesehen. Dieses heisset ja nicht beweisen, wenn man das, so erwiesen werden soll, ohne Beweis zum Vordersatze annimmt. Daraus wird nichts als ein eitler Kreislauf der Gedanken. Du sagest: Gott hat Jesum auferweckt. Wir fragen: woher beweisest du das? Dann sprichst du: weil er derjenige ist, von welchem David sagt, daß er die Verwesung nicht sehen werde. Warum muß aber David eben von Jesu reden, und woher wissen wir, daß Jesus die Verwesung nicht gesehen? Du fährest fort: weil er auferwecket ist: denn welchen Gott auferwecket hat, der hat die Verwesung nicht gesehen.

 

 

§. 35.

Ich unternehme mir zwar nicht zu behaupten, [175] daß die Antiochier bey Pauli Rede so gedacht haben; aber da wir heutiges Tages noch oft Antiochier seyn müssen, und Pauli Beweis für die Auferstehung und christliche Religion anhören: so bezeuge ich aufrichtig, daß wenn ich aufs ehrlichste damit verfahren will, ich nichts anders herauszubringen weiß: und ein jeder der so weit im Denken kommen ist, daß er einen wilden Discurs in ordentliche Vernunft-Schlüsse auflösen, und also auf die Probe stellen kann, wird mir Recht geben müssen, daß sich aus Pauli Rede keine andere Folgerung erzwingen lasse. Und so ist es ganz klar und deutlich, daß der Beweis aus der Schrift für die Auferstehung Jesu, vor dem Richterstuhl der gesunden Vernunft in Ewigkeit nicht bestehen könne, sondern eine gar elende und handgreifliche Petitionem principi per circulum in sich halte. Nun sind diese beiden Beweise Stephani und Pauli die vornehmsten und weitläuftigsten im neuen Testament, und was sonst im II. und III. Capitel der Apostelgeschichte zur Behauptung des Satzes von der Auferstehung Jesu von den Aposteln aus dem alten Testamente angebracht wird, enthält nichts neues, [176] was von diesen beiden Beweisen unterschieden sey. Daher werde ich nicht nöthig haben ein mehres davon anzuführen. Es ist hier auch der Ort nicht, da ich der Evangelisten ihre aus dem alten Testament angeführte Zeugnisse der Schrift von der Geschichte Jesu überhaupt, untersuchen kann. Das soll zu seiner Zeit nicht vergessen werden. So viel siehet ein jeder nach obigen, daß, wenn man den Hauptsatz, welcher bewiesen werden soll, nemlich den Satz, dieser Spruch redet von Jesu aus Nazareth, nicht aus dem neuen Testamente auf guten Glauben voraussetzen will, kein einziger Spruch etwas beweise, sondern daß sie vielmehr natürlicherweise von ganz andern Personen, Zeiten und Begebenheiten reden. Niemand unter den Evangelisten führet bey seiner Erzählung mehr Sprüche der Schrift an, als Matthäus. Aber es ist auch nichts offenbarer, wenn man die Schriftstellen nachschlagen will, als daß sie entweder gar nicht in der Schrift stehen, oder nicht in denen Büchern stehen, aus welchen sie angeführet sind, oder auch den Worten nach falsch angezogen worden, alle mit einander aber dem Verstande nach nichts von dem in [177] sich fassen, weswegen sie Matthäus anbringt, und nicht anders als ausser dem Context oder Zusammenhange, durch ein bloßes Wortspiel in einer gezwungenen Allegorie dahin zu ziehen sind. Und so ist es besonders, wenn Jonas ein Zeichen oder Zeugniß von der Auferstehung Jesu seyn soll. Wer kann doch in aller Welt bey diesen vorgegebenen Zeichen auf die bedeutete Sache kommen? Ich lese, es ist ein Prophet Jonas gewesen, der den heidnischen Nineviten nicht hat Busse predigen wollen, sondern aufs Meer geflohen ist. Also, soll ich schliessen, wird ein Jesus aus Nazareth aufstehen, der den Israeliten gerne Buße predigen will, und desfalls nicht aufs Meer fliehet, sondern willig nach Jerusalem gehet, um da zu leiden und zu sterben. Ich lese: Jonas ist von den Schifleuten in einem Sturm ins Meer geworfen, und hat da drey Tage und drey Nächte lebendig im Bauche des Wallfisches zugebracht. Also, soll ich schliessen, wird Jesus aus Nazareth nicht drey Tage und drey Nächte, sondern einen Tag und zwo Nächte, nicht lebendig, sondern wahrhaftig todt, und das die Zeit über nicht im Meere, sondern in der Erden, [178] oder vielmehr im Grabe in einem Felsen zubringen. Meine Schließkunst gehet so weit nicht.

 

 

§. 36.

Es ist bisher gezeiget worden, daß das Neue veränderte Systema der Apostel von einem geistlichen leidenden Erlöser, der vom Tode auferstehen solle, und nach seiner Himmelfarth bald mit großer Kraft und Herrlichkeit vom Himmel wiederkommen werde, in seinem ersten Hauptgrunde, nemlich der Auferstehung von den Todten, erdichtet und falsch sey: 1) weil das vorgegebene auswärtige Zeugniß der Römischen Wache, bey dem Matthäo, in sich höchst ungereimt ist, und von keinem der übrigen Evangelisten und Apostel jemals erwähnt, sondern ihm durch vielerley Umstände widersprochen wird, so daß es vielmehr ganz möglich und höchst wahrscheinlich bleibt, was eine gemeine Rede bey den Juden worden war, daß nemlich die Jünger Jesu des Nachts gekommen und den Leichnam gestohlen und darnach gesagt, er sey auferstanden: 2) weil die Jünger Jesu selbst, als Zeugen seiner Auferstehung, [179] in ihrer Aussage in den Hauptpunkten nicht allein gewaltig variiren, sondern sich auch einander auf vielfältige Art klar und gröblich widersprechen: 3) weil ihr Beweis der Auferstehung Jesu und ihres ganzen Systematis aus der Schrift A. T. aus lauter nicht dahin gehörigen Dingen, aus Schelten und Schmähen, aus Verdrehung der Schriftstellen und aus falschen Schlüssen und Petitionibus Principii bestehet. Nun kommen wir also zu dem andern Grundsatze des neuen Systematis der Apostel, daß nemlich Jesus nach seiner Himmelfahrt bald in großer Kraft und Herrlichkeit aus dem Himmel wiederkommen, und alsdenn sein herrliches Reich anfangen werde.

 

 

§. 37.

Dieses Vorgeben desto besser zu verstehen, und dessen Ungrund zu entdecken, will ich nur vorläufig einige Erinnerungen machen. Erstlich ist zu wissen, daß die Juden selbst zweyerley Systemata von ihrem Meßias hatten. Die allermeisten zwar erwarteten in solcher Person einen weltlichen Regenten, der sie von der Sklaverey erretten und ihnen andere Völker [180] unterthänig machen sollte. Und in diesen Systemate war nichts als Herrlichkeit; kein vorgängig Leiden, keine Wiederkunft: sondern das gewünschte Reich sollte nach dieser Hoffnung Israels alsobald angehen, wenn der Meßias käme. Es waren aber jedoch andere, obwohl weit wenigere Juden, welche sagten, ihr Meßias würde zweymal, und zwar in ganz verschiedener Gestalt kommen. Erst würde er armselig erscheinen, leiden und sterben; dann aber würde er aus den Wolken des Himmels wiederkommen und alle Gewalt empfangen. Der Jude Trypho beym Justino Martyre gestehet diese zweyfache Zukunft des Meßias: sie findet sich im Talmud und folgenden Schriften der Juden: ja die neuern haben gar einen gedoppelten Meßias aus dieser zwiefachen Zukunft gemacht; den einen aus dem Stamm Joseph, welcher leiden und sterben solle: den andern aus dem Stamm Juda vom Geschlecht Davids, welcher auf seinem Stuhl sitzen und herrschen werde. Nemlich die Juden hatten, in der Zeit ihrer Gefangenschaft, die süße Hoffnung auf einen Erlöser nachgerade durch so viele Schriftstellen zu bestärken und zu unterhalten gesucht, [181] daß sie nunmehr vermittelst der pharisäischen Allegorien ihren Meßias in unzähligen Sprüchen und fast aller Orten funden. Daher liefen diese Schriftstellen, die an sich von nichts weniger redten, dermaßen wider einander, daß sie sich, um alle zusammen zu reimen, nicht anders zu helfen wußten, als wenn sie eine zwiefache und so verschiedene Zukunft des Meßias setzten. Es war, zum Exempel, einmal angenommen, Zacharias rede vom Meßia, wenn er spricht: Hüpfe vor Freuden du Tochter Zions, jauchze du Tochter Jerusalems: siehe dein König wird kommen zu dir, derselbe ist gerecht und ein Heiland. Aber siehe, er beschreibt ihn auch als arm, und auf einen Esel reitend. Und so waren auch noch andere Stellen der Schrift mehr, die ihnen wegen einiger Umstände schienen von dem gehoften Könige und Erlöser zu reden, aber die doch seinen elenden Zustand, Bedruck und Verfolgung mit einmischen. Hergegen siehet Daniel in seinen nächtlichen Gesichten, und es kam einer in den Wolken des Himmels, wie eines Menschen Sohn, und kam bis zu dem Altbetagten, und demselbigen ward [182] gegeben alle Gewalt und Ehre, und Königreich, daß ihm alle Völker, Nationen und Zungen dienen sollten. In dessen Zukunft ist lauter Macht und Herrschaft; wie es auch an andern Orten, die der Juden Meinung nach einen Meßias verhiessen, lautet. Demnach konnte es nicht fehlen, daß nicht einige Juden, die die verschiedene Beschreibung zusammen hielten, darauf verfielen, daß ihr Meßias zweymal und zwar in ganz verschiedener Gestalt kommen würde. Man begreift also von selbst, daß sich die Apostel dieses Systema, ob es gleich nur wenige hatten, nunmehro, da ihr erstes und den meisten schmeckendes Systema durch den Ausgang widerlegt war, zu Nutze gemacht, und also auch von Jesu, als dem Meßia, nach seinem Sterben eine andre herrliche Zukunft versprochen haben. Es ist ferner zu wissen, daß die Juden gemeinet, die Auferstehung der Todten würde auf die andere Zukunft des Meßias erfolgen, dann würde er über Todte und Lebendige Gericht halten: und alsdenn würde das Himmelreich oder die andere Welt angehen: wodurch sie aber nicht, wie die Christen heutiges Tages die selige oder [183] unselige Ewigkeit nach der Zerstöhrung dieser Welt, im Himmel und in der Hölle, sondern das herrliche Reich des Meßias auf dieser Erden, verstunden, und solches der vorigen oder damals noch gegenwärtigen Welt, nemlich ihrem Zustande vor dem Reiche des Meßias, entgegen setzten. Es mußten also auch die Apostel, vermöge ihres neuen Systematis, eine andere Zukunft Christi aus den Wolken des Himmels versprechen, worin das, was sie jetzt vergeblich gehoffet hatten, erfüllet werden, und seine gläubigen Anhänger, nach gehaltenem Gerichte, das Reich ererben sollten. Wenn die Apostel keine solche herrliche Zukunft Christi verheißen hätten, so würde kein Mensch nach ihrem Meßias gefragt, oder sich an ihre Predigt gekehret haben: dieses herrliche Reich war der Trost Israels in allen ihren Drangsalen, in dessen gewisser Hoffnung sie alles erduldeten, und alles ihr Vermögen willig hergaben, weil sie es hundertfältig wieder empfahen würden.

 

 

§. 38.

Wenn nun die Apostel damals gesagt hätten, [184] es würde noch wohl siebzehn, achtzehn oder mehrere Jahrhunderte dauren, ehe Christus aus den Wolken des Himmels wiederkäme, sein Reich anzufangen, so hätte man sie nur ausgelacht. Man hätte geglaubt, indem die Erfüllung ihrer Verheissung über so vieler Menschen und Geschlechter Leben hinausgesetzt würde, daß sie nur dadurch ihre und ihres Meisters Schande zu bergen suchten. Kein Jude sonderte die andere Zukunft des Messias so weit von der ersten ab, und da die erste um der andern willen geschehen seyn müßte, so war keine Ursache anzugeben, warum das Reich der Herrlichkeit nicht bald seinen Anfang nähme. Wenn niemand den erwünschten Zustand erleben sollte, wer hätte deswegen seinen Lebens-Unterhalt und Vermögen weggegeben, und sich vor der Zeit und umsonst arm gemacht? Wovon hätten denn die Apostel ihren Unterhalt ziehen, und noch so vielen Neubekehrten reichlich mittheilen wollen? Es war also für die Apostel allerdings nöthig, daß sie die andere Zukunft Christi zu dem Reiche der Herrlichkeit aufs zeitlichste, und wenigstens auf die Lebzeit der damals vorhandenen Juden versprächen. Und [185] dahin gehen demnach die Reden auch würklich, welche sie Christo beylegen, daß er balde und ehe das damalige Geschlecht der Juden vorbey wäre, wiederkommen wollte. Im XXIV. Capitel Matthäi fragen die Jünger Christum, als er von der Verstöhrung Jerusalems und von seiner zweyten Zukunft geredet hatte: Sage uns, wann wird das geschehen? und welches wird das Zeichen seyn deiner Zukunft, und des Endes der Welt? Sie meinen durch das Ende der Welt, nach Jüdischer Sprache, das Ende der Zeiten vor dem Reiche des Messias, oder die Aufhebung des jetzigen Reiches der Juden, womit das neue Reich unmittelbar sollte verknüpft seyn. Da legen nun die Evangelisten und Apostel ihrem Meister eine solche Antwort bey, daß er sie erstlich für falsche Christos und Messiasse gewarnet, welche sich für ihn ausgeben würden, ehe noch das Ende da wäre. Bald aber nach der Drangsal derselbigen Tage, spricht er, wird die Sonne verfinstert werden, und der Mond wird seinen Schein nicht geben, und dieSterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden erschüttert [186] werden: das heißt, nach prophetischer Schreibart der Hebräer, so wird die jetzige Welt, oder die jetzige Verfassung der Jüdischen Republik ein Ende nehmen: und alsdenn wird erscheinen das Zeichen des Sohnes des Menschen im Himmel, und alsdenn werden an die Brust schlagen alle Geschlechte auf Erden, und werden sehen kommen den Sohn des Menschen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit u. s. w. Warlich ich sage euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis daß dieses alles geschehe. Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand. Darum wachet, denn ihr wisset nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommen wird. Darum auch ihr seyd bereit, dann der Sohn des Menschen wird kommen zu einer Stunde, da ihr nicht meinet. Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle heilige Engel mit ihm, alsdann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, und es werden vor ihm alle Völker versammlet werden, und er [187] wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte die Schaafe von den Böcken scheidet. Durch diese Reden wird die Zeit der sichtbaren Wiederkunft Christi auf den Wolken des Himmels zu dem Reiche seiner Herrlichkeit klar und genau bestimmet, bald nach den bevorstehenden Drangsalen der Juden, noch ehe dieses Geschlecht, oder die zu Jesu Zeiten lebenden Juden gänzlich vergangen oder gestorben wären. Und ob zwar Tag und Stunde niemand vorher wissen sollte, so sollten doch die damals Lebende, und besonders die Jünger wachsam und bereit seyn, weil er kommen würde zu einer Stunde, da sie es nicht meinten. Daß dieses der wahre Verstand der Worte bey dem Evangelisten sey, erhellet noch deutlicher aus einer andern Stelle bey eben demselben. Denn nachdem Jesus gesagt, er müsse hingehen nach Jerusalem, und würde daselbst getödtet werden, und wieder auferstehen, fügt er hinzu: Dann es wird je geschehen, daß der Sohn des Menschen komme in der Herrlichkeit seines Vaters, mit seinen Engeln, und alsdann wird er einem jeglichen vergelten nach seinen Werken. [188] Warlich ich sage euch, es sind etliche unter denen die hie stehen, die den Tod mit nichten schmecken werden, bis daß sie den Sohn des Menschen kommen sehen in seinem Reich. Klärers kann auf der Welt nichts gesagt werden, das die Zeit der sichtbaren herrlichen Wiederkunft Christi auf einen gewissen nicht gar entferneten Zeitlauf festsetzte, und in dessen Schranken einschlösse. Die Personen, welche damals um Jesu auf derselben Stelle herumstunden, sollten noch vor dieser Zukunft nicht alle gestorben seyn, sondern etliche davon sollten ihn noch vor ihrem Tode kommen sehen in seinem Reich.

 

 

§. 39.

Allein weil Christus zum Unglück binnen der Zeit, ja in so vielen Jahrhunderten nachher, nicht auf den Wolken des Himmels wiederkommen ist; so sucht man heutiges Tages der offenbaren Falschheit dieser Verheissung durch eine gekünstelte aber gar kahle Deutung der Worte zu Hülfe zu kommen. Die Worte, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, müssen sich foltern lassen, und nunmehro das Jüdische Volk, [189] oder die Jüdische Nation bedeuten. Damit, sagt man, könne ja die Verheissung bestehen; das jüdische Volk sey ja noch nicht vergangen: und also die Zeit der andern Zukunft Christi noch nicht verstrichen. Es ist wahr, man hegt und pflegt die Juden in der Christenheit nur allzu sehr, daß ja das saubre Volk nicht vergehen soll. Und es scheint, als wenn man sich die Rechnung macht, daß diese Ausflucht noch vielleicht eben so viele Jahrhunderte als vorhin nöthig seyn dürfte. Aber sie kann nun und nimmer eine sichre Zuflucht gewähren. Ich will jetzt nicht sagen, daß die andere kurz vorher beregte Stelle eben des Evangelisten Matthäi, oder so man will Christi eigene Worte, den Verstand ausser Streit setzen: denn von denen Personen, welche auf einer gewissen Stelle, um Jesus, vor seinem Leiden herumgestanden sind, kann man doch wohl gewiss nicht sagen, daß sie die ganze Jüdische Nation in so vielen Jahrhunderten nach einander bedeuten: noch auch behaupten, daß etliche davon den Tod noch nicht geschmeckt hätten, man müsste denn, weil nichts mehr übrig ist, einen ewigen wandernden Juden erdichten, der von den Zeiten Jesu an noch lebe. [190] Ich will jetzo nur aus den angeführten Worten selbst zeigen, daß das Grund-Wort γενεὰ die Bedeutung einer Nation oder Volkes nimmer habe. Das Volk oder die Nation der Juden, wird, so wie andere Völker durch die Wörter λαὸς oder ἔθνος ausgedruckt, γενεὰ aber heißt im neuen Testament, und allenthalben Generationem, oder Leute, die zu einer Zeit zusammen auf der Welt leben, und hernach durch ihren Abtritt von diesem Schauplatz einer andern Generation Platz lassen.

 

 

§. 40.

Ein jeder besinnet sich ja alsobald des Anfangs von Matthäi Evangelio, daß von Abraham bis auf David gerechnet werden γενεαὶ δεκατέσσαρες vierzehn Geschlechte oder Generationen: und wieder vom David bis auf die Babylonische Gefängniß γενεαὶ δεκατέσσαρες vierzehn Generationen: endlich von der Babylonischen Gefängniß bis auf Christum γενεαὶ δεκατέσσαρες vierzehn Generationen: welche auch bey dem Matthäo in dem Geschlecht-Register alle namhaft gemacht werden. Die andern Generationen nun, ausser der zu Jesu Zeiten [191] lebender, hiessen παρωχημέναι, ἑτέραι, ἀρχαῖαι γενεαίvergangene, andere, alte Generationen. Die aber zu Jesu Zeiten lebte, war die gegenwärtige, ἅυτη γενεά, diese Generation die aber auch zu ihrer Zeit vergehen werde παρέλθη. Die damalige Generation beschreibt Jesus öfters als böse, ehebrecherisch und ungläubig, weil sie ihn sowohl als Johannes verläumdet, und ein Zeichen vom Himmel begehret. Er sagt es würde den Nineviten und der Königin von Saba erträglicher ergehen an jenem Gerichte, als dieser Generation, welche einen viel größern Propheten als Jonas, einen viel weisern als Salomon hörten, und doch verachteten. Jesus rechnet insbesondere seine damaligen Jünger als diese Generation, und schilt sie als eine ungläubische und verkehrte Generation, daß sie einen gewissen Teufel nicht hatten austreiben können, und frägt: wie lange soll ich bey euch seyn? Diese Bedeutung hat das Wort γενεά in allen übrigen Stellen des ganzen Neuen Testaments, wie ein jeder sehen kann, dem beliebig ist die Fächer der Concordanz durchzuwandern. Und eben den Begriff verknüpfen die siebzig Dolmetscher, die Apocrypha, Philo, Josephus ja auch die Profan-Scribenten damit. Es ist auch besonders [192] bey den Hebräern nichts anders als das Hebräische דּוֹר Dor. So sagt Salomon, Dor holech vedor ba, γενεὰ

πορεύεται καὶ

γενεὰ ἔρχεται, eine Generation vergehet, die andere kommt. Moses spricht, Gott hätte die Israeliten hin und her ziehen lassen, in der Wüsten vierzig Jahr, bis daß die ganze Generation vergienge, die übel gethan hatte vor dem Herrn, ἕως ἐξανηλώθη πᾶσα ἡ γενεά, οἱ ποιοῦντες τὰ πονηρά. Und an einem andern Ort: ἕως οὗ διέπεσε πᾶσα γενεὰ ἀνδρῶν πολεμιστῶν. Wiederum heißt es von denen die zu Josua Zeiten gelebt hatten, daß die ganze Generation zu ihren Vätern versammlet worden, καὶ πᾶσα ἡ

γενεὰ ἐκείνη

προσετέθησαν

πρὸς τοὺς

πατέρας αὐτῶν.

 

 

§. 41.

Es ist demnach unwiedertreiblich, daß in Jesus Rede bey dem Matthäo ἅυτη γενεά dies Geschlecht, nichts anders heisse, als diese Generation, oder die Juden welche zu Jesu Zeiten lebten. Die sollten nicht vergehen, oder aussterben, ehe und bevor er würde aus den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit [193] wiederkommen seyn zu seinem Reich. Da nun unleugbar ist, daß solches nicht geschehen sey, so ist es eine kahle Bemäntelung der Falschheit dieser Verheissung, daß doch das ganze Jüdische Volt nicht vergangen, sondern noch in der Welt sey. Diese Generation, die vergehen könnte und würde, ist ja nicht das ganze Volk mit allen Generationen zu verschiednen Zeiten. Jesus und die Juden haben nimmer geglaubt, daß ihr Volk oder Nation vergehen würde; aber daß in dem Volke eine Generation nach der andern vergehen würde, das erkannte Moses, Josua, Salomon, und das wußte ein jeder aus der gemeinen Erfahrung der Sterblichkeit. Es liesse sich also von einer Generation der Juden sagen, daß sie vergehen würde, und also liesse sich auch die Zeit einer zukünftigen Begebenheit durch die Schranken des Lebens der gegenwärtigen Generation bestimmen: aber von dem ganzen Jüdischen Volk sagte kein Jude, daß es vergehen würde; und also liesse sich die Zeit einer zukünftigen Begebenheit nicht durch die Vergänglichkeit oder das Ende des ganzen Volkes bestimmen. Ueberhaupt lässet sich ja eine Erfüllung einer verheissenen [194] gewissen Sache nach ihrer gehoften Würklichkeit nicht durch etwas feste setzen, daß in einem fortdauret, und von Jahrhunderten zu Jahrhunderten bis in Ewigkeit fortgehet. Denn wenn ich einem sagte: dieses Wasser soll nicht vergehen bis ich wiederkomme; und ich wäre etwa an der Donau, Elbe, Oder, Rhein, und verstünde die Ströme in ihrer ganzen Folge des Laufs; würde das nicht vielmehr so viel heissen als, ich will in Ewigkeit nicht wiederkommen? Es wäre demnach eine artige Bestimmung der Wiederkunft Jesu aus den Wolken des Himmels, wenn die Meynung wäre: das ganze Jüdische Volk in allen seinen fortwährenden Generationen soll nicht vergehen, bis ich wiederkomme. Das hiesse ja wohl bey einem Juden nichts anders, als, er will wiederkommen, ehe der Jordan verlaufen ist, ehe die Ewigkeit zu Ende ist. Es ist also nicht möglich, daß dieses Geschlecht, oder diese Generation, in Christi Verheissung der Zukunft was anders bedeuten könne, als die damals lebende Juden. Und was kann auf der Welt in solchem Verstande und Absicht klärers gesagt werden, als was Jesus anderwärts spricht: etliche von denen, [195] die hier bey mir stehen, werden den Tod nicht schmecken, bis daß sie den Sohn des Menschen kommen sehen, in sein Reich. Die Meynung ist einerley mit der vorigen Redensart: diese Generation wird nicht vergehen. Denn die etliche, welche da bey Jesu stunden, waren gewisse Personen der damaligen Generation, oder der damals lebenden Juden: und die sollten den Tod nicht schmecken, das ist, nicht sterben oder vergehen, bis sie ihn sahen aus den Wolken wiederkommen. Aber in soferne in der letztern Ausdrückung, die damalige Generation der Juden durch das Leben gewisser einzelner nahmhafter Personen beschränket wird, so bestimmt sie doch die Sache noch etwas genauer und mehr ins besondere: so daß einer gar alle Schaam müßte verlohren haben, wenn er gegen den so umständlich determinirten Verstand noch Einwendungen machen wollte. Gewiß, die erste Zukunft des Meßias ist bey weiten nicht so genau auf eine gewisse Zeit im alten Testament festgesetzt, als die andere Zukunft im neuen festgesetzt wird. Und ein Jude kann noch weit vernünftigere und billigere Auslegungen und Einwendungen vorschützen, daß sein gehoffter [196] Meßias noch gar nicht kommen ist; als ein Christ sich und das Christenthum retten kann, daß sein Meßias noch nicht wiederkommen ist.

 

 

§. 42.

Man erkennet durchgehends im Neuen Testament, daß alle Jünger Jesu diesen Begriff von der verheissenen andern Zukunft desselben gehabt, und denen neubekehrten beygebracht haben, daß sie gar bald, und noch bey ihrem Leben geschehen würde. Die sämmtlichen Jünger werden von Luca so aufgeführt, daß sie Jesum nach seiner Auferstehung gefragt: Herr, wirst du nicht zu dieser Zeit das Königreich denen Israeliten wieder herstellen? Und sie thun nachmals, in ihren Schriften an die Gläubigen, dieser Zukunft Jesu als einer baldigen, gar fleißige Erwehnung, und ermahnen sie, auf dieselbe wacker zu seyn, und sich bereit zu machen, als die noch zu ihrer Zeit kommen würde, ja alle Stunde und Augenblick kommen könnte; damit sie in dem Stande erfunden würden, daß sie an dem herrlichen Reiche Theil nehmen könnten. Jacobus nimmt daher seine Ermunterung zur Geduld. So [197] seyd nun geduldig, lieben Brüder, bis auf die Zukunft des Herrn, – – so seyd auch ihr geduldig, weil die Zukunft des Herrn nahe ist – – siehe der Richter stehet vor der Thür. Paulus schreibt an seine Thessalonicher, daß etliche unter ihnen zwar entschlafen wären, ehe Christus wieder gekommen, daß aber diese ihm nicht später in die Wolken würden entgegen geführet werden, als die so unter ihnen noch lebten und überblieben wären, wenn Christus erschiene. Ich will aber nicht, spricht er, lieben Brüder, daß euch unbewußt sey, von denen die entschlafen sind, auf daß ihr nicht trauret, wie die andern die keine Hoffnung haben. Dann so wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden ist: also wird Gott auch die, die da entschlafen sind durch Jesum, mit ihm führen. Dann dis sagen wir euch durch des Herrn Wort, daß wir, die wir leben und überbleiben werden in der Zukunft des Herrn, denen nicht vorkommen werden, die da entschlafen sind. Denn er selbst der Herr, wird mit einem Feldgeschrey, mit einer Stimme des Erz-Engels, und [198] mit der Posaune Gottes hernieder kommen vom Himmel, und die Todten in Christo werden auferstehen zuerst. Darnach wir, die wir leben werden und überblieben seyn, werden zugleich mit denselbigen hingerückt werden in den Wolken, dem Herrn entgegen in der Luft, und werden also bey dem Herrn sein allzeit. So tröstet euch nun mit diesen Worten untereinander. Von den Zeiten aber und bestimmten Stunden, lieben Brüder, habt ihr nicht vonnöthen, daß man euch schreibe. Denn ihr selbst wißt eigentlich, daß der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Dann, wann sie werden sagen, es ist Friede und alles sicher, alsdann wird sie ein schnell Verderben überfallen, gleichwie die Kindesweh ein schwanger Weib, und werden nicht entfliehen. Ihr aber, lieben Brüder, seyd nicht in der Finsterniß, daß euch derselbe Tag wie ein Dieb ergreife. Eben so redet Paulus zu den Corinthern: Siehe, ich sage euch ein Geheimniß: wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verändert [199] werden. In einem Punkt, in einem Augenblick, mit der letzten Posaune, dann sie wird posaunen, und die Todten werden auferwecket werden unverderblich, und wir werden verändert werden.

 

 

§. 43.

War es nun den ersten Christen bey so klaren Worten Jesu selbst, und seiner Apostel, zu verdenken, daß sie diese Zukunft Christi in den Wolken alle Tage vermuthen waren, daß sie auf das herrliche Reich immer hofften und, wenigstens glaubten, daß einige unter ihnen, noch leben würden, wenn es angienge? War es ihnen zu verargen, daß ihnen die Zeit zu lange währte, und die Geduld vergienge, als einer nach dem andern entschliefe, ohne es zu erleben? Ja darf man sich wundern, daß endlich Spötter gekommen, und gesagt: Wo ist die Verheissung seiner Zukunft? Dann von dem Tage an da die Väter entschlafen sind, bleibt es alles wie es vom Anfang der Schöpfung gewesen ist. Paulo muß ja wohl zu Ohren kommen seyn, daß die Thessalonicher, sowohl durch anderer Lehrer Reden, als aus [200] seinem eigenen ersten Briefe an sie, Christi Zukunft so nahe stellten, daß die Verheißung nicht würde zu retten gewesen seyn. Darum spricht er in seinem andern Briefe, mit geheimnißvollen Worten, von einer Abweichung, von einem Menschen der Sünde, von dem Sohn des Verderbens, dem Gottlosen, der zuvor kommen müsse; der sey zwar jetzt schon im Werk, aber er werde aufgehalten, und wenn er sich denn endlich offenbahre, so werde ihn der Herr umbringen mit dem Athem seines Mundes, und werde ihn abschaffen durch die Erscheinung seiner Zukunft. Darum bittet er die Thessalonicher, durch die Zukunft des Herrn, daß sie sich weder durch Geist noch durch Worte, noch durch Briefe, als von ihm geschrieben, bewegen liessen, als wann der Tag Christi vorhanden sey. Allein diese finstere dilatorische Vertröstung, will doch nicht lange Stich halten. Denn soll der Sohn des Verderbens Kayser Caligula oder ein anderer der folgenden seyn, wie viele glauben, so wäre er denn doch bald offenbahret worden: warum wäre er denn nicht abgeschaffet durch die Erscheinung der Zukunft Christi? Soll es aber [201] einer seyn der ins andere oder in spätere Jahrhunderte fällt, so würde nicht erfüllet, was Jesus selbst soll gesagt haben, daß etliche derer, die bey ihm stunden, den Tod nicht schmecken würden, bis daß sie den Sohn des Menschen kommen sehen in sein Reich. Es würde nicht erfüllt, was Paulus selber an die damaligen Thessalonicher und Corinther geschrieben, daß etliche unter ihnen noch nicht entschlafen seyn würden, wenn Christus mit der Posaune Gottes zu seinem Reiche in den Wolken kommen würde. Die Wahrheit ist, man mag Pauli Worte ziehen auf welche Geschichte man will, so schicken sie sich in der ganzen Historie zu keiner einzigen, und man kann fast nichts anders daraus denken, als daß er sich, um nur mit Ehren aus der Sache zu kommen, mit Fleiß ins Dunkle verstecket, damit die Aufhaltung der Zukunft Christi nach Belieben immer weiter hinausgesetzt werden könnte.

 

 

§. 44.

Jedoch der gute Paulus verstehet die Kunst dilatorische Antworten zu geben noch nicht [202] vollkommen. Petrus weiß es viel besser. Wisset, sagt er, daß in den letzten Tagen Spötter kommen werden, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln werden, und werden sagen: wo ist die Verheissung seiner Zukunft? Dann von dem Tage an, da die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es vom Anfang der Schöpfung gewesen ist. Nach einigen Dingen, die dahin gar nicht gehören, antwortet er: Dieses einige aber sey euch unverhalten, Geliebte, daß ein Tag bey dem Herrn ist wie tausend Jahr, und tausend Jahr wie ein Tag. Der Herr verzeucht nicht die Verheissung, wie es etliche für einen Verzug achten; sondern er gebrauchet Langmüthigkeit gegen uns. – Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb , in der Nacht etc. Es scheinen schon damals solche Spötter gewesen zu seyn, weil Petrus hernach seine Gläubige warnet, daß sie sich für sie bewahren, und sich nicht von ihnen hinreissen lassen sollten. Wenn also auch noch Spötter seyn sollten nach siebenzehn hundert Jahren, die da frügen, wo ist die Verheissung seiner Zukunft? so hat ihnen [203] Petrus schon zum voraus geantwortet, daß sie nur ein wenig über anderthalb Tage des Herrn über die Gebühr gewartet haben, und daß dieser Verzug aus Langmüthigkeit entstanden sey. Wenn also die Zukunft Christi sich noch ein Paar tausend Jahre verziehet: Petrus hat dem Spötter schon begegnet, es ist falsch gerechnet, es sind nur ein paar Tage, die Christus zu ihrem Besten im Himmel gewartet hat, ehe er sich herabgelassen. Aber ich fürchte sehr, daß dergleichen Antwort den Spöttern am allerwenigsten, und andern vernünftigen, aufrichtigen Menschen auch keine Genugthuung geben wird. Die Sache muß gewiß sehr schlecht stehen, der man nicht anders als durch solche Stützen aufhelfen kann. Was soll der Spruch aus Psalm CX. hieher? Christus bestimmet seine zweyte Zukunft vom Himmel, nach der Evangelisten Bericht, so genau, daß noch etliche derjenigen, so damals bey Christo stunden, am Leben seyn würden, wenn er aus den Wolken des Himmels wieder käme. Daher es ungereimt seyn würde, diese Zukunft dadurch ins weite Feld zu schieben, daß tausend Jahre bey Gott sind wie ein Tag. Denn die Zukunft war ja nicht nach den Tagen [204] Gottes, sondern nach den Tagen des Lebens der Menschen, nemlich der Umstehenden, bestimmet. Es ist überhaupt ungereimt, der Dauer Gottes Tage zuzuschreiben, wenn sie auch hundert tausend menschliche Jahre lang wären; soll aber dies auf menschliche Weise verstanden werden, warum macht Petrus denn ein menschlich Jahr zu tausend?

 

 

§. 45.

Aber es war hie kein anderer Rath, als die genaue Bestimmung der Zeit in Vergessenheit zu bringen, gleich als ob sie gar nicht aufgezeichnet wäre; und hergegen einen so weiten Terminum zu setzen, den man bis in Ewigkeit hinausdehnen kann. Denn es müßten 365000 menschliche Jahre verlaufen, ehe ein göttlich Jahr zum Ende wäre: und dieser Verzug würde doch für keinen Verzug zu rechnen seyn, weil bald die Langmuth, bald andere Eigenschaft Gottes Ursache wäre, daß man seine Vorhersehung, Weissagung, und Wahrheit nicht so genau untersuchen dürfte. Unterdessen haben die Apostel bey der ersten einfältigen Christenheit so viel damit gewonnen, daß, nachdem [205] einmal die Gläubigen eingeschläfert worden, und der eigentliche Terminus ganz verstrichen war, die folgende Christen und Kirchenväter sich durch eitle Hoffnung bis in alle Ewigkeit hinhalten konnten. Wir lesen, daß der Evangeliste und Apostel Johannes, welcher zu Christi Zeiten ganz jung war, und am längsten gelebet hat, sich noch für denjenigen ausgiebt, der vielleicht Christi Zukunft erleben könnte. Er führet Petrum ein, daß er zu Jesu gesagt: was soll aber dieser? (Johannes?) Jesus habe geantwortet: so ich will, daß er bleibe bis ich komme, was geht es dich an? Jesus aber hätte nicht gesagt, daß er nicht sterben würde, wie hievon die Rede gegangen, sondern nur, so ich will, daß er bliebe bis ich komme, was gehet es dich an? Johannes schliesset daher auch seine Offenbahrung so: Es spricht der diese Dinge bezeuget: Ja! ich komme bald, amen. Ja komme, Herr Jesu! Die ersten Kirchenväter nach den Aposteln haben noch immer gehoffet, Christus würde zu ihren Zeiten erscheinen, und sein Reich auf Erden anfangen, und so ist es von einem Jahrhundert zum andern gegangen, so daß man endlich [206] die unerfüllte Zeit der andern Zukunft Christi ganz in Vergessenheit gebracht, und die heutigen Theologi über diese Materie, weil sie ihren Absichten nicht förderlich ist, hinwischen, auch die Zukunft Christi aus den Wolken des Himmels auf einen ganz andern Zweck ziehen, als Christus selbst, und die Apostel gelehret haben. Wie viel sind, die heutiges Tages, da man mehr lernet was in den Catechismo und den Compendiis Theologiae, als was in der Bibel stehet, daran einmal gedenken, daß die offenbar bestimmte Zeit der andern Zukunft Jesu längst vorbey gegangen sey, und daß also ein Hauptgrund des Christenthums dadurch gänzlich unrichtig befunden werde? Wir sind nun durch die Länge der Zeit gewöhnet, uns die Zeit nicht mehr lange werden zu lassen, und die Zukunft Christi sogerne noch tausend Jahre weiter hinaus zu setzen, als man sonst gewöhnet ist, noch gerne einen Tag länger zu warten. Lasset uns nunmehro nicht über die Juden triumphiren. Hätten sie gleich so viele hundert Jahre über die gesetzte Zeit, auf die erste Zukunft des Meßias vergeblich gewartet, was haben wir uns zu rühmen, da wir über die noch viel [207] deutlicher gesetzte Zeit auf die andre Zukunft des Meßias fast eben so lange, von einem tausend Jahre ins andere warten? Wollen wir sagen, tausend Jahre sind bey Gott wie ein Tag: warum haben sie weniger Recht, solche schöne Zeitrechnung für sich anzuwenden, da David im alten Testamente der Lehrmeister davon ist? Wir halten uns an die klaren dürren Worte, diese Generation wird nicht vergehen – etliche von denen die hier bey mir stehen, werden den Tod nicht schmecken, bis sie sehen den Sohn des Menschen kommen in sein Reich. Und wir glauben nicht, daß irgend eine Verheissung in der ganzen Schrift genauer bestimmet sey, noch etwas offenbarer durch die That selbst als falsch befunden werden könne.

Die beiden Facta und Sätze, Christus ist von den Todten auferstanden: und wird in den Wolken des Himmels binnen gesetzter Zeit wiederkommen zu seinem Reiche, sind ausser Streit die Grundsäulen, worauf das Christenthum und das neue Systema der Apostel gebauet ist. Ist Christus nicht auferstanden, so ist unser Glaube eitel, wie Paulus selber sagt: und ist oder wird er nicht wiederkommen zur Vergeltung [208] der Gläubigen in seinem Reiche, wie uns versprochen worden, so ist der Glaube eben so unnütze als er falsch ist. Man wird also aus der bisherigen Betrachtung wohl erkennen, daß ich nicht auf zufällige Nebendinge, sondern gerade zu auf das Wesen und die Hauptsache des Christenthums gedrungen habe, da ich sowohl das alte Systema der Apostel von einem weltlichen Erlöser des Israelitischen Volkes mit Jesus Absichten in Lehre und Wandel, nach dem Berichte der Evangelisten, zusammen gehalten, und gegründete Ursachen gefunden, zu glauben, daß solches allein wahr sey, und da[ß] es bloß wegen fehlgeschlagener Hoffnung von den Aposteln verlassen worden: hergegen daß das veränderte neue Lehrgebäude der Apostel, von einem geistlichen Erlöser des menschlichen Geschlechts, auf zweene vorgegebene Facta als Grundsätze aufgeführet worden sey, davon der vielfältige Widerspruch der Zeugen und die That selbst offenbar weiset, daß sie falsch und erdichtet sind. Hergegen will ich gerne jeden aufrichtigen Leser urtheilen lassen, ob sie in allen den Büchern, so für die Wahrheit der christlichen Religion geschrieben sind, etwas [209] gefunden haben, das meinen obangeregten Zweifeln nur einigermaßen Genüge thut, oder so begegnet, daß sie schon zum voraus beantwortet wären, und von selbst wegfallen müßten. Ich muß nach meiner Erfahrung gestehen, daß ich ein gut Theil, und zwar die besten derselben, ja noch eher als ich zu zweifeln anfing, gelesen; aber daß ich, seit dem mir durch eigenes Nachdenken Zweifel aufgestossen sind, einen einzigen derselben bey obgedachten Schreibern gründlich gehoben, sehr viele auch nicht einmal berühret gefunden. Wir müßten uns ja doch auf dem Wege einander begegnen, und wenn die Vertheidiger gerade zu gingen auf die Hauptsache; und dieselbe klar und deutlich erwiesen hätten, so würde es nicht fehlen, daß meine vornehmsten und meisten Zweifel nicht zum voraus entkräftet und vernichtet wären, oder von selbst wegfielen. Ich sehe aber von dem Gegentheil keine andere Ursache, als daß gedachte Vertheidiger des Christenthums, den rechten Grund gar leise überhüpfen, und alle Kräfte ihres Verstandes und ihrer Redekunst auf Nebenumstände wenden, welche zwar dem Christenthum einen Schein geben können, zumal [210] bey Leuten die nichts gründlich zu untersuchen vermögend sind, aber die theils an sich unerweislich befunden worden, theils keinen sichern Schluß und Beweis von der Wahrheit des Christenthums gewehren.

 

 

§. 46.

Vielleicht wird dieses, was ich sage, manchem fremde dünken, der bisher Wunder gemeynet, was er für unwidertreibliche Gründe des Christenthums bey solchen Schriftstellern gelesen. Allein ich will mich über das, was ich für wesentliche oder Nebendinge halte, und wie weit diese theils an sich zuverläßig sind, oder wie weit sie schliessen, mit wenigen erklären. Wesentliche Stücke des Christenthums sind die Glaubensartikul, wegen welcher Verläugnung oder Unwissenheit ich aufhören würde ein Christ zu seyn: und dahin gehören ja wohl hauptsächlich die geistliche Erlösung Christi durch sein Leiden und Sterben: die Auferstehung vom Tode, als eine Bestättigung des vollgültigen Leidens: und die Wiederkunft zur Belohnung oder zur Strafe, als eine Frucht und Folge der Erlösung. Wer demnach diese ersten Grundsätze [211] beweiset ober angreifet, der gehet auf das Wesen der Sache. Hergegen sind Nebendinge in Absicht auf das Christenthum, die zwar mit dem Christenthum bestehen können, aber doch keine Glaubensartikul ausmachen, noch mit demselben so genau verknüpft sind, daß die Glaubensartikul ohne solche Dinge unmöglich für sich bestehen, und mit solchen unmöglich fallen könnten. Dahin rechne ich erstlich die Wunder, worauf man jedoch gegenseits insonderheit dringt. Denn niemand wird behaupten können, daß die Wunder an sich einen einzigen Glaubensartikul ausmachen. Und gesetzt, die Glaubensartikul führten eine innre Glaubwürdigkeit, Beweis, oder Gewißheit mit sich, was dürfen wir nach Wundern verlangen, um sie zu glauben? Demnach will Christus selbst die Wunder in Betrachtung des Glaubens als Nebendinge angesehen wissen, darum schilt er die für eine böse und verkehrte Art, die nicht glauben, wenn sie nicht Zeichen und Wunder sehen. Gesetzt die Facta, als die Auferstehung wäre nur an sich durch unwidersprechliche, geprüfte, einstimmige Zeugnisse genugsam glaublich gemacht, wie es billig seyn sollte, so würde [212] sie geglaubt werden können, ohne daß man von andern Wundern wüßte. Gesetzt, Christus wäre in der That in den Wolken des Himmels wiederkommen und führte noch sein Reich auf Erden, wie er nach der Verheissung hätte thun sollen, so brauchte es keiner Wunder solches zu beweisen. Setzen wir hergegen, daß obgedachte Facta theils auf verdächtige und sich selbst widersprechende Zeugen beruhen, theils offenbarlich nicht geschehen sind, oder daß Lehren einen Widerspruch in sich halten: so können das keine Wunder wieder gut machen. Einmal, weil die Wunder als übernatürliche Begebenheiten für sich eben so ungewiß und unglaublich sind, und eben so viel Untersuchung bedürfen, als das was sie beweisen sollen: und zum andern, weil darin an sich nichts enthalten ist, woraus der Schlußsatz folgte: ergo ist das und jenes geschehen: ergo ist diese oder jene Lehre wahr: ergo ist dis oder das kein Widerspruch.

 

 

§. 47.

Ich sage einmal, die Wunder an sich brauchen eben so viele Untersuchung ob sie wahr sind, als das was dadurch soll bewiesen werden. Wir [213] haben schon bey der Historie Mosis und folgender Zeiten gesehen, daß es ihren Schreibern keinen Verstand, Kunst oder Mühe koste, Wunder zu machen, und daß es bey dem Leser noch weniger Verstand erfordere, sie zu glauben. Der Schreiber macht alles Vieh Pharaonis dreymal nach einander todt, so daß kein einziges überblieben sey; und also sind immer frische wieder da in seiner reichen Einbildungskraft, daß sie aufs neue können erschlagen werden: wo sie hergekommen sind, da bekümmert er sich nicht um. Er giebt denen Israeliten hergegen all ihr Vieh mit auf den Weg, daß keine Klaue dahinden bleibt: und dennoch, wenn er Wunder machen will, so ist keins da; so leiden sie alle Augenblick Hunger, und es muß Fleisch regnen. Er bringt dreißig mal hundert tausend Menschen, mit Weibern, Schwangern, Kindern, Säuglingen, mit Alten und Kranken, Lahmen und Blinden, mit Gezelten und Bagage, mit Wagen und Geräthe, mit 300000 Rindern, und 600000 Schaafen in stockfinsterer Nacht, in drey Stunden ganz und wohlbehalten über den ausgetrockneten Boden einer See, die wenigstens eine teutsche Meile muß [214] breit gewesen seyn, deren Boden hie von Moos und Schlamm, dort von Sand oder Corallen-Stauden, hie von Klippen, dort von Inseln unwegsam ist. Es kostet ihm weiter kein Bedenken, wie das möglich ist, genug er denkt und schreibt sie in einer Nachtwache hinüber. Er lässet um seinen siegenden Israeliten zu leuchten, die Sonne 24 Stunden stille stehen. Was daraus in der Welt für ein Zustand geworden wäre, davon ist die Frage gar nicht: es kostet ihm nur ein Wort, so stehet die Sonne und ganze Maschine der Welt. Er bläset und schreyet die festesten Mauren herum, ob er gleich die verzweifelten eisernen Wagen weder wegschreyen kann, noch still stehen heissen. Er verwandelt die Dinge eins ins andre nach seinem Gefallen, Stäbe in Schlangen, Wassser in Blut, Staub in Läuse. Er lässet das Wasser wider sein Wesen und Natur aufgethürmet stehen ohne Haltung, oder aus einem dürren Fels mit einem Stabe herausschlagen. Er macht eine Welt, darin die Menschen durch die Luft fliegen, darin ein Esel, ein Engel und ein Mensch ein Gespräch mit einander halten. Mit einem Wort, die ganze Natur stehet ihm [215] zu Gebote, er bildet sie wie er will, aber auch wie einen Traum, Mährlein und Schlaraffenland, ohne Ordnung, Reguln, Uebereinstimmung, Wahrheit und Verstand. So daß der einfältigste Schreiber fähig ist, dergleichen Wunder zu machen, und daß man allen Reguln eines gesunden Verstandes entsagen muß um sie zu glauben, gleichwie denn die Geschichtschreiber sich selbst verrathen, daß sie zu denen Zeiten da sie geschehen seyn sollen, nimmer bey den Israeliten selbst Glauben gefunden.

 

 

§. 48.

Die Wunder im Neuen Testament, sind zwar nicht durchgehends so gewaltig und abscheulich, sondern sie bestehen guten Theils in Heilung der Lahmen, Blinden, Tauben, Kranken, Besessenen; aber die Schreiber verwickeln sich doch auch hin und wieder in offenbaren Widerspruch, nirgend aber gewehren sie uns eine Nachricht der Umstände, und zuverläßige Untersuchung, daraus man urtheilen könnte, ob das was etwa geschehen ist, ein wahres Wunder gewesen. Sie schreiben alles nur so platt und trocken hin, und setzen denn [216] ein Siegel des Glaubens darauf: Wer glaubet wird selig werden, wer aber nicht glaubet der wird verdammet werden. Jesus selbst konnte keine Wunder thun, wo die Leute nicht vorher glaubten: und wenn verständige Leute nemlich die Gelehrten und Obrigkeiten damaliger Zeit, Wunder von ihm verlangen, die einer Untersuchung könnten unterworfen werden, so fängt er, statt solche vor ihren Augen zu thun, an zu schelten: so daß kein Mensch von dieser Gattung an ihn glauben konnte. Dreißig bis sechzig Jahre nach Jesu Tode kommen erst Leute, welche diese Wunder, als geschehen in die Welt hinein schreiben, in einer Sprache, die ein Jude in Palästina nicht verstand, zu einer Zeit, da die Jüdische Nation und Republik in der größten Verwirrung und Unruhe war, und da sehr wenige, die Jesum gekannt hatten, mehr lebten. So daß ihnen nichts leichter seyn konnte, als Wunder zu machen so viel als ihnen beliebte, ohne daß ihre Handschriften so leicht bekannt oder verstanden, oder widerlegt werden konnten. Denen Bekehrten aber ward es vom Anfang eingeprägt, daß es ein Verdienst und seligmachend Werk [217] sey zu glauben, und seine Vernunft gefangen nehmen unter dem Gehorsam des Glaubens; und daher war bey ihnen so viel Glaubwilligkeit, als bey ihren Lehrern Pia Fraus, oder Betrug aus guter vorgegebener Absicht; welches beydes bekanntermaßen bey der ersten christlichen Kirche im höchsten Grad geherrschet hat. Wiewohl allerdings auch andere Religionen voller Wunder sind, die aus keinen bessern Quellen geflossen. Das Heidenthum selbst rühmt sich vieler Wunder, der Türke beruft sich auf Wunder, keine Religion und Secte ist arm an Wundern. Und eben dieses macht auch die Wunder des Christenthums ungewiß: ob die Facta würklich geschehen, ob die Umstände dabey so beschaffen gewesen, wie erzehlet wird, ob es auch natürlich, oder durch Kunstgriffe und Betrügerey, zugegangen, oder ob es so von ohngefehr zusammen getroffen? u. s. w. Wer die Sachen und Geschichte inne hat, wird wohl sehen, daß ich die Wahrheit schreibe: aber ich verlange hier von denen, welche davon kein Erkenntniß haben, noch nicht, daß sie mir Recht geben. Unterdessen habe ich ihnen doch die Zweifel, welche Verständigen bey denen Wundern des Neuen [218] Testaments einzufallen pflegen, vorhalten müssen, daß wenn sie diese Zweifel nicht zu beantworten wissen, sie wenigstens erkennen, daß Wunder keine so gewisse Facta sind, wodurch man die Wahrheit anderer nicht vor sich glaublicher Factorum oder Lehren beweisen und in Gewißheit setzen könne: Und daß folglich diejenigen, welche das Christenthum auf Wunder bauen wollen, nichts festes oder inneres und wesentliches zum Grunde legen.

 

 

§. 49.

Es ist schon ein Zeichen, daß eine Lehre oder Geschichte keine innre Glaubwürdigkeit hat, wenn man sich um deren Wahrheit zu beweisen auf Wunder berufen muß. Aber die Wunder halten auch an und vor sich keinen Grundsatz in sich, worin nur ein einziger Glaubens-Artikul oder Factum als ein Schlußsatz enthalten wäre. Es folget nicht, ein Prophet hat Wunder gethan; also hat er wahr geredet: weil auch falsche Propheten und Zauberer Zeichen und Wunder gethan, und falsche Christi solche Wunder verrichtet, dadurch auch die Auserwählten konnten verführet werden. Es folget nicht: [219] Jesus hat einen Blinden sehend, einen Lahmen gehend gemacht: ergo ist Gott dreyeinig in Personen, ergo ist Jesus wahrer Gott und Mensch. Es folget nicht, Jesus hat Lazarum vom Tode erwecket, folglich ist er auch selbst vom Tode auferstanden. Was brauchen wir von der Hauptsache abgeführet, und auf was äusserliches gewiesen zu werden, da wir in der Sache selbst Merkmahle genug haben, wodurch sich das Wahre vom Falschen unterscheiden lässet? und da diese Merkmahle sich durch tausend äussere Wunder nicht auslöschen lassen? Die untrieglichen Merkmahle des Wahren und Falschen sind, klare und deutliche Uebereinstimmung, oder Widerspruch: welche soferne auch bey einer Offenbahrung gelten müssen, als sie dieses mit allen Wahrheiten gemein hat, daß sie vom Widerspruch frey seyn muß. Und so wenig sich durch Wunder beweisen lässet, daß zweymal zwey fünfe machen, oder daß ein Dreyeck vier Winkel habe; so wenig kann ein Widerspruch, der offenbar in den Lehrsätzen und Geschichten des Christenthums liegt, durch eine Menge von Wundern gehoben werden. Lasset Jesum, lasset die Apostel noch so viele Blinde und Lahme [220] gesund gemacht, und noch so viele Legionen Teufel ausgetrieben haben; dadurch heilen sie den Widerspruch in ihrem Systemate von dem Messias, und in ihren wider einander laufenden Zeugnissen von seiner Auferstehung und Wiederkunft nicht: der Widerspruch ist ein Teufel und Vater der Lügen, der sich nicht austreiben lässet, weder durch Fasten noch Beten, noch Wunder. Lasset durch diese wunderthätige Leute geschehen seyn was da will, sie können dadurch nicht machen, daß nicht geschehene Dinge geschehen sind, daß Christus in den Wolken des Himmels wiederkommen sey, ehe alle die vor seinem Tode bey ihm stunden, den Tod geschmecket. Kein Wunder beweiset, daß der Spruch, aus Egypten hab ich meinen Sohn gerufen, von Christo handle, oder daß es in der Schrift bey irgend einem Propheten stehe: er soll Nazarenus heissen.

 

 

§. 50.

Was ich von den Wundern gesagt, daß sie an sich ungewiß sind, und daß sie den Beweis der Wahrheit nicht in sich halten: eben das muß ich auch von den Prophezeyungen sagen, worauf [221] die Vertheidiger des Christenthums dringen. Wenn eine Weissagung sollte gewiß seyn; so fordere ich billig, daß sie buchstäblich, klar, deutlich und bestimmt vorher sage, was zum voraus kein Mensch wissen kann, und daß solches hernach auf dieselbe bestimmte Zeit eintreffe, aber auch nicht darum eintreffe, weil es vorher gesagt ist. Wenn aber die vorgegebene Weissagung bloß durch allegorische Deutung der Sachen und Wörter kann herausgebracht werden: wenn sie in dunkeln zweydeutigen Worten verfasset ist: wenn die Ausdrückungen nur allgemein, vage und unbestimmt lauten: wenn die Sache durch menschlichen Witz vorher zu sehen, oder zu muthmaßen war: wenn sie eben darum geschiehet, weil sie vorher gesagt war: oder wenn die Worte eigentlich von ganz was anders reden, und nur durch ein Wortspiel auf das geweissagte gezogen werden: wenn es nach der geschehenen Sache erst niedergeschrieben ist, daß es vorher gesagt sey, oder ein prophetisch Buch oder Stelle für älter ausgegeben als sie sind: oder endlich das vorhergesagte nicht eintrifft: so sind die Prophezeyungen theils ungewiß, theils falsch. Wenn wir nun nach diesen Kennzeichen [222] eine Untersuchung der Weissagungen Altes Testaments, worauf man sich im neuen beziehet, anstellen: so findet sich offenbarlich von den meisten, daß sie nichtig und falsch sind. Die klaren sind nicht eingetroffen, als daß der Messias auf dem Stuhl David auf dem Berge Zion sitzen, und von einem Meere zum andern, ja bis an der Welt Ende regieren sollte: und was sonst von dem weltlichen Reiche des Erlösers Israels geweissaget worden. Andere Weissagungen sind mit einem bloßen Wortspiel herbeygezogen, und reden eigentlich von ganz was anders; davon ich kurz vorher ein Paar Exempel angeführet. Und ich will zu seiner Zeit zeigen, daß nicht ein einziger Spruch, den Matthäus z. E. auf die Geschichte Jesus deutet, in dem Verstande, von den Schriftstellern altes Testaments geschrieben sey, worin ihn Matthäus anwendet. Andre Stellen altes Testaments enthalten Dinge, welche bloß durch eine Allegorie auf Christum gezogen werden, als das Zeichen des Propheten Jonas der drey Tage und drey Nächte im Bauche des Wallfisches gewesen, und der Spruch: ich will sein Vater seyn, er soll mein Sohn seyn. So daß auch [223] unsere Herrn Theologi in dergleichen Stellen keinen andern Rath wissen, als sich in einen Circul zu begeben, nemlich das neue Testament und dessen Lehre, durch die Weissagungen des alten, und daß dieses im alten Testament gesagt oder gemeynet sey, durch das neue, nemlich durch die Zeugnisse des heiligen Matthäi, Pauli etc. zu beweisen. Andere Dinge haben mit Fleiß deswegen von Christo geschehen können, damit erfüllet würde was gesagt ist, als: siehe dein König kommt – reitend auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselinn. Mit einem Worte, ich könnte überhaupt sagen, es ist keine einzige vorgegebene Weissagung worauf man sich im Neuen Testament beziehet, die nicht falsch wäre. Wenn ich aber gelinde reden will, so erhellet doch wohl, daß sie alle sehr ungewiß und zweifelhaft, und von solchen Schreibern, welche so mit Worten und Sachen spielen, nicht ohne genaue Untersuchung anzunehmen sind.

 

 

§. 51.

Nun kann man leicht gedenken, wie die Folgerung auf allen Seiten hinket. 1) Indem [224] der Beweis aus Weissagungen, welche nicht klärer und deutlicher sind als die obangeregten im neuen Testamente, in einen Circul laufen, und eine Petitionem Principii begehen muß. Der Satz des Christenthums aus Paulo ist: Jesus von Nazareth ist Gottes Sohn. Woher das? Denn es stehet geschrieben. Ich will sein Vater seyn und er soll mein Sohn seyn: du bist mein Sohn, heute hab ich dich gezeuget. Aber mich dünkt, jenes rede vom Salomon, dieses vom David. Ja, wenn das auch wäre, so stellet es doch unter dem Vorbilde David und Salomons eine weit höhere Person vor. Es ist gut: aber woher kann ich das wissen? erklären sich die Schreiber altes Testaments darüber? Das wohl nicht; aber der heilige Apostel Paulus, aus Eingeben des heiligen Geistes, weiset uns den höheren Verstand und das Gegenbild, worauf es zielet. So ist denn Pauli Lehre wahr, weil sie Paulus saget: und so gehet es mit hundert andern Stellen mehr; nemlich überhaupt bey allen, daraus man nichts eher für das Christenthum folgern kann, bis man aus dem Christenthum selbst annimmt, daß sie einen allegorischen Verstand haben, der auf das Christenthum [225] ziele.

Am rechten Rand fehlen die letzten Buchstaben; ich habe die Zeilen vervollständigt, so gut es ging.

2) Gesetzt der Verstand der Stellen Altes Testaments sey an sich und überhaupt recht getroffen: so folget doch noch bey weitem nicht, daß Jesus von Nazareth damit gemeynet sey. Gesetzt der Messias sollte aus Bethlehem kommen: sind denn alle die aus Bethlehem entsprossen sind, Messiasse? Gesetzt der Messias sollte aus Egypten kommen: sind denn alle die aus Egypten kommen sind, darum Meßiasse? Gesetzt er sollte in Nazareth wohnen: kann darum einer der sich in Nazareth aufhält, sagen, also bin ich der Messias? Ja, wird man sagen, wenn so viele, wenn alle Kennzeichen bey einer Person eintreffen: so ist auch die Person, und keine andere gemeynet. Allein ich fürchte, wir kommen wieder in den vorigen Circul. Die Schreiber des Neuen Testaments haben die Lebens-Umstände Jesu, dergleichen ich jetzt etliche erzehlet habe, als wahre Geschichte, an ihm bemerket. Nun haben sie einen Messias aus ihm machen wollen. Darum haben sie diese Lebens-Umstände als prophezeyet und an Jesu erfüllet vorgestellet: und da solche Prophezeyungen die das in der That sagten, nicht zu finden waren, so haben sie durch [226] ein Wortspiel, und durch Allegorien bald diese, bald jene Stelle des Alten Testaments dahin gedrehet: und wenn man denn nicht finden kann, daß das in dem Verstande gesagt werde und auf den Messias oder besonders auf Jesum ziele: so läuft es doch endlich darauf hinaus: wir müssen es glauben, daß das der Verstand der Weissagungen sey, weil es die Schreiber des Neuen Testamentes uns so erklären. Es ist 3) eine schlechte Folgerung: dieses und jenes ist von dem Messias der Juden vorhergesagt worden: ergo ist es von Jesu erfüllet und geschehen. Das heisse ich zweene Sätze zugleich erschleichen, davon eben die Frage ist. Ich würde so schliessen: dies und das ist geschehen, und vorher gesagt, ergo ist die Vorhersagung in dem Geschehenen erfüllet. Es muß nemlich zuvor bewiesen seyn, daß dieses und jenes von einer gewissen Person geschehen sey, und daß solche That oder Begebenheit von der Person zuvor verkündiget sey: alsdenn kann man erst annehmen, daß die Prophezeyung wahr sey, und daß sie an der Person erfüllet worden. So lehret uns Moses selbsten schliessen. Wer aber von der Prophezeyung anfängt, und voraussetzet, [227] daß sie habe eintreffen und wahr werden müssen; wer die Facta nicht erst beweiset, daß sie wirklich geschehen sind, sondern aus der, als wahr angenommenen Prophezeyung erweiset, der erschleichet beydes wovon die Frage ist. Z. E. Laß es seyn, daß von dem Messias vorher gesagt sey, er würde Wunder thun, Blinde sehend, Lahme gehend machen; er würde vom Tode wieder aufstehen: folgt denn darum, daß es wahr prophezeyet sey?

 

 

§. 52.

Ein jeder geübter Leser wird leicht einsehen, daß ich die häufig erzehlten Wunder der Apostel, ihre vorgegebene Ehrlichkeit und Frömmigkeit im Erzählen, in ihren Lehren und Leben, ihren Martyr-Tod den sie über ihrem Bekenntniß ausgestanden, und endlich den schleunigen Wachsthum des Christenthums und worauf man den Beweis des Christenthums mehrentheils ankommen läßt, als lauter Nebendinge ansehe, welche die Wahrheit der Hauptsache gar nicht ausmachen. Denn wenn ich auch jetzt unerörtert lassen will, ob ein jedes dieser Stücke auch an sich erweislich und ungezweifelt [228] sey, oder wie es zugegangen, so ist doch offenbar genug, daß keines von diesen allen das Wesen der Sache rühre, oder die Zweifel und Anstöße hebe und gut mache. Viele andere Religionen haben dergleichen zweydeutige Beweisgründe vor sich; die Folgen die man daraus für die Wahrheit einer Religion ziehen will, sind nicht bündig; und wo klare Kennzeichen der Falschheit sind, da vermögen sie gar nichts. Tausend vorgebliche Wunder können mir keinen einzigen klaren Widerspruch bey der Auferstehung, der mir vor Augen liegt, heben und gut machen: alle Frömmigkeit und Heiligkeit der Apostel kann mir nicht wahr machen, Jesus sey, noch ehe die bey ihm stehende alle gestorben, in großer Kraft und Herrlichkeit sichtbar wieder vom Himmel gekommen und habe sein herrlich Reich auf Erden aufgerichtet: alle Märtyrer mit aller ihrer ausgestandenen unerhörten Quaal beweisen mir nicht, daß der Spruch: aus Egypten habe ich meinen Sohn gerufen, von Jesus aus Nazareth gemeynet sey, oder daß der Satz, er soll Nazarenus heissen, in der jetzt vorhandenen Schrift Altes Testaments stehe: und wenn noch so viel Leute zu [229] einer Meynung und Religion getreten sind; so sehe ich daraus nicht, daß sie dazu Recht gehabt, und ihre Wahl mit Vernunft und Ueberlegung getroffen. Da mir also durch alle diese Dinge in der Hauptsache kein Licht, noch Auflösung meiner Zweifel gegeben werden kann, so mag ich auch mich durch deren besondere Betrachtung von meinem geraden Wege nicht abkehren lassen; und ich glaube, meine Leser werden es nicht einmal verlangen, daß ich hier ohne Noth ausschweifen und meine Gedanken von einem jeden eröffnen solle, weil alles bey reiferer Betrachtung des vorigen von selbst wegfällt, sondern sie werden gar wohl zufrieden seyn, wenn ich bloß so viel von einem jeden berühre, als mir in meinem Wege begegnen und etwa hinderlich zu seyn scheinen wird. Jetzt ist aber Zeit nachzuforschen, was doch der Jünger Jesu ihre wahre Absicht, bey Erdichtung ihres neuen Lehrgebäudes gewesen, und wie sie dasselbe nach und nach ausgeführt, welches ich aus der Zusammenhaltung aller Umstände gründlich untersuchen und, so weit es will möglich seyn, ausfindig zu machen suchen will. [230]

 

 

§. 53.

Die Apostel waren anfangs mehrentheils geringe, und schlecht bemittelte Leute, die sich mit Fischen oder anderer Handthierung nach Nothdurft nähreten: es sey nun daß sie nichts anders als ihr Handwerk gewußt, oder daß sie nach Art der Juden bey dem Studiren, ein Handwerk daneben getrieben, dazu sie nur im Fall des Mangels der Nahrung griffen, wie Paulus ein solcher Gelehrter war, der bey Nothfällen seinen Unterhalt vom Teppichmachen zu suchen pflegte. Wie sie nun sich entschlossen Jesu nachzufolgen, verliessen sie ihr Handwerk und alles Geräthe gänzlich, und höreten Jesum lehren, giengen allerwärts mit ihm herum, oder wurden auch von ihm hie und da in die Städte Israel ausgesandt zu verkündigen, daß das Himmelreich nahe herbeykommen wäre; wie denn ihrer zwölfe vor andern ausdrücklich dazu abgesondert wurden, daß sie sollten Bothen des Reichs Gottes werden. Wir brauchen hiebey keiner Schlüsse und Folgerungen, was damals die Apostel bewogen habe, alles zu verlassen und Jesu nachzufolgen, denn die Evangelisten geben uns die ausdrückliche Nachricht, [231] daß sie sich die Hoffnung gemacht, Jesus würde als Meßias ein weltlich Reich aufrichten, oder König in Israel werden, und sich auf dem Stuhl Davids setzen. Dabey war ihnen von Jesus selbst die Verheissung gegeben, daß sie auch alsdenn auf zwölf Stühlen sitzen und die zwölf Geschlechte Israel richten sollten; ja sie saßen schon in ihren Gedanken darauf so feste, daß sie bereits zum voraus unter einander um die Oberstelle, und vornehmste Gewalt nach Jesu stritten, der eine wollte zu seiner Rechten der andre zur Linken sitzen: und sie wußten Jesu inzwischen ihre Verdienste gegen ihn anzurechnen, daß sie alles verlassen und ihm nachgefolgt wären, frugen also, was ihnen davor würde? und wie Jesus sie vertröstet, daß so jemand um seinetwillen Aecker oder Häuser oder dergleichen verlassen habe, der solle es hundertfältig wieder haben: da geben sie sich auf künftige Hoffnung zufrieden, und sind nur nach der Zeit und Stunde begierig, wenn er sein Reich anfangen würde, und diese Erwartung währte so lange, bis die Hinrichtung Jesu ihnen alle diese eitle Hoffnung auf einmal darnieder schlug, sie klagen: Wir hofften, er sollte Israel erlösen! Es [232] braucht braucht also keines Beweises, sondern ist aus ihren eignen Nachrichten klar, daß die Apostel und alle Jünger Jesu sich durch lauter zeitliche Absichten, nemlich theils der Hoheit und Herrschsucht, theils reicher Vortheile an Gütern, bewegen lassen, Jesu als einem weltlichen Meßias nachzufolgen; und daß sie diese Hoffnung und Absicht bey seinem Leben nimmer fahren lassen, sondern noch nach seinem Tode äussern. Dieses muß also ein jeder bis dahin nothwendig zugestehen, und niemand kann es ohne die größte Unverschämtheit ableugnen. Nun ändert sich schleunig der Jünger Jesu Lehrgebäude, ändern sich darum auch ihre Absichten? Nein, vielmehr da sie bloß wegen ihrer fehlgeschlagenen Hoffnung und Absichten ein neues Lehrgebäude aufrichten, daran sie noch kurz nach Jesus Tode gar nicht dachten, und das offenbar falsch und erdichtet scheinet, so können wir auch nicht anders denken, als daß sie bey ihren bisher gehegten Absichten geblieben, und sie nur bloß auf eine andere Weise, so gut es sich thun lassen wollte, zur Erfüllung zu bringen gesucht. Wenn wir ihr neues Lehrgebäude noch nicht untersucht hätten, ob es wahr oder falsch sey, [233] sondern nur ihre vorhergehende Gemüthsverfassung und Begebenheit wüßten, nemlich daß sie bisher beständig nach weltlicher Hoheit und Vortheilen in einem weltlichen Reiche Jesu getrachtet, daß ihnen diese Absicht mit dem Tode Jesu fehl geschlagen, daß sie darauf ein neues Lehrgebäude von Jesu als einem geistlichen leidenden Erlöser aufgebracht, daran sie vorher nicht gedacht hatten, und daß sie sich für Bothen und Lehrer dieses neuen Evangelii aufwerfen, so hätten wir schon billig einen Argwohn auf sie zu werfen, ob sie nicht dieses bloß in ihrer vorigen Absicht vorgäben, weil es viel wahrscheinlicher ist, daß ein Mensch aus eben den Hauptabsichten fortfahre zu handeln, darnach er vorhin allezeit unstreitig gehandelt hat, als daß er dieselbe fahren lassen und verändern sollte. Allein nun sind wir einen gradern Weg gegangen; wir haben den Grund des neuen Lehrgebäudes an sich schon oben weitläuftig untersucht, und alles offenbar erdichtet und falsch befunden: und dadurch erhält es alle mögliche Gewißheit in dieser Art, daß die Apostel dabey nichts anders als ihre alte Absichten, nemlich weltliche Hoheit und Vortheile gehabt. [234] Denn die wissentliche vorsetzliche Erdichtung einer falschen Begebenheit, kann nicht anders als aus einem vorhergehenden Willen, und aus einem Zweck oder Absicht die schon in dem Gemüthe ist, entspringen. Wer mit Fleiß etwas falsches erdichtet, muß eine Absicht dabey haben, damit er vorher schon schwanger gegangen, ehe er etwas aussinnet das seine Absicht befördern soll: und je dreister und wichtiger diese Erdichtung ist, desto tiefer muß vorher der Vorsatz in dem Gemüthe eingewurzelt seyn, und desto mehr muß sie dem Menschen am Herzen liegen. Da nun der Apostel neues Lehrgebäude erdichtet ist, so haben sie es auch in einer Absicht, die schon vorher in ihrem Gemüthe und Willen war, und damit sie schon lange schwanger gegangen, ersonnen. Nun ist der Apostel vorhergängige Absicht beständig und bis an diese Erdichtung auf weltliche Hoheit und Vortheile gerichtet gewesen. Folglich hat es alle moralische Gewißheit, daß die Apostel ihr neues Lehrgebäude aus voriger Absicht auf weltliche Hoheit und Vortheile erdichtet haben. Wir dürfen auch nicht zweifeln, daß [235] alle Umstände ihrer Handlungen diesen Schluß bewahren werden.

 

 

§. 54

Anfangs regierte wohl nach Jesus Tode bey den Jüngern lauter Angst und Furcht, daß sie auch möchten verfolget und zur Strafe gezogen werden, weil sie Anhänger eines Mannes gewesen, der sich zum Könige hatte aufwerfen, und das Volk wider den hohen Rath aufwiegeln wollen. Denn so kühn sie gewesen waren mit Jesu in den Tod zu gehen, und wohl gar mit dem Schwerdt drein zu schlagen: so feig wurden sie, als sie sahen, daß es mit seiner Vervestung und Hinrichtung ein Ernst werden wollte: sie verliessen ihn alle und flohen, und Petrus, der sich noch so viel erdreistet von ferne zuzusehen, was aus dem Handel werden wollte, verläugnet seinen Meister dreymal und mit einem Meyneide, daß er ihn nicht kenne und nichts von ihm wisse. Denn die Sache lief ganz wider ihre Absicht: ihre zwölf Stühle, darauf sie sitzen und richten wollten in Jesu Reiche, waren mit einmal umgestossen, und sie verlangten nunmehr weder zu seiner Rechten [236] noch zu seiner Linken zu seyn. Diese Furcht währte noch eine Weile nach Jesus Tode: sie lassen die Weiber mit Joseph und Nicodemus sein Begräbniß beschicken, und entfernten sich auch von der letzten Pflicht: sie hielten sich heimlich zusammen in verschlossenen Thüren aus Furcht vor den Juden, und ihre gemeinschaftliche Noth und Anliegen machte, daß sie stets einmüthig bey einander waren. Es wagt es aber bald einer oder andere auszuschlüpfen; sie hören, daß weiter keine gerichtliche Nachfrage nach ihnen geschiehet: sie merken, daß die Obrigkeit, nach der Hinrichtung Jesu, als der Hauptperson, seinen Anhang nicht groß achtet, oder auch für Pilatum nicht weiter gehen kann: sie schöpfen bald Muth, und denken nunmehr nach überstandener Gefahr auf ihr künftiges Glücke. Was sollten sie nun weiter beginnen? Wollten sie zu ihrer vorigen Handthierung wieder greifen, so wartete lauter Dürftigkeit und Beschimpfung auf sie. Dürftigkeit; denn sie hatten alles, und insonderheit ihr Handwerkszeug, ihre Netze und Schiffe verlassen, und waren der Arbeit entwöhnet. Beschimpfung; weil sie von ihren hohen Gedanken [237] gewaltig herunter gesetzt waren, und da sie allenthalben durch Jesu Nachfolge bekannt worden waren, so würde ein jeder mit Fingern auf sie gewiesen haben, daß aus den vermeynten Richtern Israels und nächsten Freunden und Ministern des Meßias nun wieder arme Fischer und wohl gar Bettler geworden wären. Beides war ihnen nothwenbig, als das völlige Gegentheil ihrer beständig gehegten Absichten und Hoffnung, höchst empfindlich und zuwider. Sie hatten hergegen unter ihrem Meister schon einen kleinen Vorschmack gehabt, daß das Lehren Ansehen gäbe und nicht unbelohnet bliebe. Jesus selbst hatte von sich nichts. Die alten Nachrichten sagen, daß er sich bis an sein Lehramt mit einem Handwerk genähret. Das legt er aber im 30sten Jahre bey Seite, er fing an zu lehren. Dieses versprach ihm zwar keinen ordentlichen Gehalt (denn das war bey den Juden nicht gebräuchlich) allein darum durfte er nicht darben. Man war mit milden Gaben gegen die Lehrer desto freygebiger. Wenn er sich zu Jerusalem oder in einer andern großen Stadt aufhielte, so lud ihn Freund und Feind fleißig zu Gaste, [238] so daß daher auch die Nachrede entstand, er wäre ein Fresser und Weinsäufer, und er entsehe sich nicht auch mit Zöllnern und Sündern zu essen; insonderheit waren viele Marthaen die sichs recht sauer werden liessen, ihm gute Speisen zu bereiten. Wenn er auch reisete, so zogen diese gutthätigen Weiber als Maria Magdalena, Johanna das Weib Chusa des Schaffners Herodis, und Susanna, und viele andre mit, die ihm Handreichung thaten von ihrer Haabe, wie Lucas berichtet VIII. 1. bis 3. Man versorgte ihn also nicht allein mit Essen sondern auch mit Gelde, und Judas, der den Beutel trug, war der Caßmeister, der hie und da auf den Reisen wo es ja nöthig war, kaufen, bezahlen, und Rechnung davon thun mußte. Wo nun Jesus speisete, da speiseten die Jünger mit, wo Jesus reisete, da zehrten die Jünger aus einem gemeinschaftlichen Beutel, so daß die milden Gaben, die Jesus bey seinem Lehramt bekam, wenigstens für 13 Personen zureichlich waren. Und die Apostel waren einmal bey Jesus Leben, gleichsam als zum Versuch, daß man bey dieser Lebensart keinen Mangel haben könne, selbandre durch alle [239] Städte Juda zur Verkündigung des Reichs Gottes ohne Tasche oder Beutel ausgesandt, und wie sie nach ihrer Zurückkunft gefragt wurden, ob sie auch je Mangel gehabt? so mußten sie gestehen, sie hätten nie keinen verspüret. Also hatten sie schon einen Vorschmack, daß das Lehramt, zumahl die Verkündigung des Meßias niemand darben lasse. So verhielt sichs auch mit der Ehre und Hoheit. Denn sie hatten gesehen, daß alles Volk Jesu wegen seiner Lehre nachgelaufen war, sie waren selbst schon einiger maßen in Achtung bey dem Volke, weil ihr Meister sie als geheime Jünger, die mehr als andre zu wissen bekämen, von dem Pöbel unterschieden, sie hattens selbst erfahren, als sie das Reich Gottes als Bothen und Gesandten des Meßias verkündiget: überhaupt wußten sie auch, wie viel damals das Ansehen der Lehrer bey den Juden galt, indem die Pharisäer als die vornehmsten Lehrer ihre Aussprüche statt der prophetischen gelten machten, und das Volk gewöhnet hatten, dieselbe blindlings anzunehmen. Dieses Ansehen konnte noch um so viel höher steigen, wenn einer bey diesen Zeiten, da sonst Prophezeyung und Wunder aufgehöret [240] hatten, sich den Schein zu geben wußte, als ob er göttliche Offenbarungen bekommen, und Wunder thun konnte: und niemand konnte es höher treiben, als wer sich der allgemeinen Erwartung eines Meßias zu Nutze machte, dessen baldige Zukunft lehrte, und die Leute glauben machte, daß er zu dessen Himmelreiche die Schlüssel führe. Es ist in der menschlichen Natur nicht anders: wer die Leute erst überreden kann, daß er ihnen den Weg zur höchsten Glückseligkeit, den andere nicht wissen oder davon alle andere ausgeschlossen, zeigen, und öffnen, aber auch wieder versperren kann; der wird eben dadurch Meister über alles übrige, was denen Menschen sonst lieb ist, über seine Gedanken, über seine Freyheit, über seine Ehre und Vermögen: es ist nunmehr alles andre gegen diese große und süsse Hoffnung ein geringes. Wenn wir zum voraus einen Blick in der Apostel nachmaliges Betragen thun dürfen, so weiset der Verfolg, daß die Apostel wirklich in alle diese Wege zum hohen Ansehen getreten sind, und sich so viel Macht über die Gemeinen als immer möglich herausgenommen; sie schreiben ihnen sowohl in ihrem Concilio [241] sämtlich, als jeder besonders im Nahmen des heiligen Geistes vor, nicht allein was sie glauben, sondern auch was sie thun und lassen, essen und trinken sollen: sie keiffen, sie drohen, als aus Macht, sie thun in den Bann, und übergeben die Leute dem Satan, sie setzen ihnen Bischöfe, Vorsteher, Aeltesten, sie nöthigen die Leute alle ihre Haabe zu verkaufen, und das Geld zu ihren (der Apostel) Füssen zu legen, und dann theilen sie dieselbe wieder nach Gefallen aus, daß auch die, so vorhin die Güter besessen, nunmehro ihrer Gnade leben mußten; geschweige daß andre so nichts gehabt, nunmehro allein auf der Apostel mildreiche Hände sehen: und wo sie dergleichen Gemeinschaft der Güter nicht einführen konnten, da wußten sie die Beysteuren so triftig anzudringen, daß es noch als ein geringes angesehen ward, daß sie denen, wodurch sie der geistlichen und himmlischen Güter theilhaftig worden waren, etwas von ihren leiblichen Gütern mittheileten.

 

 

§. 55.

Die Apostel hatten demnach nicht allein aus der vorigen Erfahrung Vorschmacks genug, daß sich bey dem Lehramt und bey der Verkündigung [242] vom Reiche des Meßias, ausser zureichlichen Unterhalt, Ehre, Hoheit und Macht erwerben lasse; sondern sie besaßen auch, (wie ihre nachmalige Aufführung zeiget) Verstand genug, sich alle diese Vortheile aufs beste zu Nutze zu machen. Kein Wunder also, daß sie nach ihrer einmal fehlgeschlagenen Hoffnung auf die Hoheit und Vortheile im Reiche des Meßias den Muth nicht alsofort sinken lassen, sondern sich durch eine kühne Erfindung einen neuen Weg dazu bahnen.

 

 

§. 56.

Wir haben schon bemerkt, daß einige, ob wohl wenigere, der damaligen Juden, eine zwiefache Zukunft des Meßias geglaubt, da er erst in armseliger Gestalt und leidend erscheinen, nachmals aber bald herrlich und herrschend in den Wolken des Himmels wiederkommen würde. Dieses kam denen Aposteln vortreflich zu statten, und sie sahen, daß sie noch nicht verlohren Spiel hätten. Die Erwartung der Zukunft des Meßias um diese Zeit war noch allgemein, und wenn sie sich gleich in der Person eines Theudas und Judas Galiläus (Apostg. V. 36.f.) betrogen hatten, so höreten sie doch [243] nicht auf, denselben in andern und auf eine andere Art zu erwarten; wie auch die nachmalige Geschichte der Juden weiset. Die Apostel konnten auch vermuthen, daß ein groß Theil derer, die Jesum als einen Propheten angesehen, der in Worten und Thaten mächtig gewesen wäre, nunmehro dieses Lehrgebäude auch ergreifen, und sein Leiden als einen Theil seines Messias-Amtes, und als eine Folge seiner ersten Zukunft betrachten, daher aber auch seine andere herrliche vom Himmel desto eher glauben und erwarten würden. Sie durften auch nicht zweifeln, daß manche der vorigen Anhänger Jesu aus eben der Furcht für Dürftigkeit und Beschimpfung, welche die Apostel selbst trieb, mit in ihr Schiff treten, und gerne glauben würden, was sie wünschten, damit sie nur nicht möchten geirrt und sich betrogen haben. In ihren verschlossenen Thüren und bey dem gemeinschaftlichen Anliegen, da sie noch einmüthig bey einander waren, hatten sie die beste Zeit zu überlegen und mit einander zu verabreden, wie sie diese Meynung zu ihrem Vortheil anwenden könnten; und dazu war vor allen Dingen nöthig, den Körper Jesu bald [244] wegzuschaffen, damit sie vorgeben konnten, er sey aufgestanden und gen Himmel gefahren, um von dannen nächstens mit großer Kraft und Herrlichkeit wieder zu kommen. Es war ihnen ein leichtes, solche Entwendung des Körpers ins Werk zu richten. Er lag in Josephs Garten in einem daran schließenden Felsen begraben, der Herr und der Gärtner litten, daß die Apostel bey Tage und bey Nacht das Grab besuchten: sie verrathen sich selbst mit ihrem Geständniß, daß jemand den Körper habe heimlich wegtragen können: sie haben die Beschuldigung, daß sie solches selbst in der Nacht wirklich gethan, von hoher Obrigkeit leiden müssen und haben sich nirgend von solcher gemeinen Rede zu retten unterstanden. Kurz, alle Umstände geben, sie haben dieses Unternehmen in der That ausgeführt, und nachmals zum Grundstein ihres neuen Lehrgebäudes gelegt. Es scheinet wohl aus dem Verfolg, daß sie damit nicht lange gesäumet, sondern den Leichnam bald nach vier und zwanzig Stunden, ehe er vollends in die Verwesung getreten, bey Seite geschaffet haben, und daß sie, wie dieses geschehen und kund worden, als voller Verwunderung, [245] und unwissend von irgend einer Auferstehung, sich auch mit dahin begeben, und die leere Städte beschauet. Allein noch war es zu frühe dieses öffentlich zu sagen, und zu behaupten. Sie warten damit ganzer funfzig Tage, um hernach, wenn es nicht mehr Zeit wäre, nach dem Körper zu forschen oder von ihnen zu fordern, daß sie den auferstandenen Jesum öffentlich zeigen sollten, desto dreister zu sagen, daß sie ihn hie und da gesehen, daß er bey ihnen gewesen, mit ihnen gesprochen, und gegessen hätte, und endlich von ihnen geschieden und gen Himmel gefahren sey, um bald herrlicher wieder zu kommen.

 

 

§. 57.

Was konnten sie sich aber bey solchem Unternehmen für einen Fortgang versprechen? Allerdings einen guten. Einmal konnte sie niemand augenscheinlich einer Falschheit oder Lügen überführen: das Corpus delicti war nicht vorhanden, und wenn ja einer kommen sollte der ihn an einem andern Orte anzeigte, so waren es nunmehro schon 50 Tage nach dem Tode, da alles in die Verwesung getreten seyn [246] mußte. Wer konnte ihn jetzt mehr kennen und sagen: dies ist Jesu Körper. Diese geraume Zeit stellete sie für eine handgreifliche Ueberführung des Betruges sicher, und vereitelte alle darauf zu wendende Nachforschung. Sie half ihnen aber auch dazu, daß sie ein Haufen erzehlen konnten, wie oft und auf mancherley Art er ihnen inzwischen erschienen sey, und was er mit ihnen geredet habe, damit sie als aus Jesu Reden und Befehl nach dem Tode, alles was sie selbst für gut funden, lehren und anordnen konnten. Ja wollte nun nach 50 Tagen jemand fragen, wo ist der auferstandene Jesus, zeiget mir ihn: so hatten sie die Antwort bereit, nunmehr ist er schon gen Himmel gefahren. Es kam nur auf ein dreistes standhaftes bejahen und bezeugen an, daß sie Jesum gesehen, gesprochen, getastet, mit ihm gegessen und gewandelt hätten, worinnen sie alle einstimmig waren; ein solch Zeugniß konnte man nach dem Gesetze nicht verwerfen, weil in zweyer oder dreyer Zeugen Munde die Wahrheit bestehen sollte, wie vielmehr, wenn es ihrer zwölfe einhellig bezeugten. Die Auferstehung an sich ward damals von dem allergrößten Haufen, [247] nemlich den Pharisäern und ganzem Volke geglaubt: es waren vorhin durch die Propheten Leute vom Tode erweckt worden, und folglich mußten sie die Möglichkeit der Auferstehung Jesu nach ihrem eigenen Lehrsatze zugeben. Dieser wußten sich die Apostel, oder vielmehr Paulus, als der Klügste unter allen, vor Gericht zur Vertheidigung und Rettung meisterlich zu bedienen. Denn um die Pharisäer und Sadducäer, welche beyderseits in den Gerichten saßen, an einander zu hetzen, und dadurch zu entwischen, saget er alsdenn nicht besonders, daß er die Auferstehung Jesu behaupte, sondern er verdrehet die auf ihn gebrachte Beschuldigung, als ob sie einen allgemeinen Lehrsatz betreffe. Denn als Paulus zu Jerusalem vor Gerichte war, Apostg. XXIII. 6. und wußte, daß das eine Theil Sadducäer waren, das andere Theil aber Pharisäer, schrie er im Rath: ihr Männer, lieben Brüder, ich bin ein Pharisäer und eines Pharisäers Sohn; ich werde für Recht gestellet von wegen der Hoffnung und Auferstehung der Todten. Daraufward ein Aufruhr zwischen den Pharisäern und Sadducäern, und die Menge [248] spaltete sich – und die Schriftgelehrten von der Pharisäer Theil stunden auf, stritten und sprachen: wir finden nichts arges an diesem Menschen. Hat aber ein Geist oder ein Engel mir ihm geredt, so lasset uns nicht wider Gott streiten. Und so spricht Paulus auch hernach zu Cäsarea vor dem Landpfleger, Apg.XXIV. 20. f. laß diese Juden selbst sagen, ob sie etwas Unrechts an mir funden haben, als ich für dem Rathe stund: es sey dann bloß, daß ich geschrieen habe: von wegen der Auferstehung der Todten werde ich heute von euch für Recht gestellet. Und so macht ers vor dem König Agrippa; und verweiset es den Juden in dessen Gegenwart: Apostg. XXVI. 8. wie? spricht er, wird das für unglaublich bey euch gehalten, daß Gott die Todten auferweckt? Er will sagen: es ist ja euer eigen Glaubens-Bekenntniß, daß eine Auferstehung der Todten sey: es stehen ja in der Schrift Exempel, daß es vielmal wirklich geschehen. Paulus wußte also die Juden recht bey ihren eigenen Lehrsätzen zu fassen, und wenn er besonders auf Jesus Auferstehung kommt, so beruft er sich auf seine Batkol, auf [249] die Stimme vom Himmel, die ihm zugerufen: für eine solche Batkol hatten sie damals alle Ehrerbietung, und mußten sie gelten lassen: hat ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet, so lasset uns nicht wider Gott streiten. Und so wissen die Apostel mehrmal von himmlischen Stimmen, von dem heil. Geist, Erscheinungen der Engel, Gesichter, Entzückungen bis in den dritten Himmel und dergleichen zu reden, wenn sie ihr Vorgeben beweisen sollen. Bey Leuten die noch etwa eine Hochachtung für Jesu Person behalten, und von seinen vielen Wundern gehöret hatten, ja daß er selbst andere sollte auferwecket haben, konnte es so viel glaublicher seyn, daß Jesus nun selbst von den Todten auferstanden wäre. Dazu hatten die Apostel von ihrem Meister gelernet Wunder zu thun, oder wenigstens wie man es machen müßte um den Schein zu haben, und solches unter die Leute zu bringen, und ich habe anderwärts gezeiget, daß es gar keine Kunst sey, Wunder zu erzählen oder auch zu machen, wenn sich viele mit Mund und Hand hierin einander behülflich sind, und wenn sie mit einem Volke zu thun haben, das gewohnt und geneigt ist, [250] Wunder zu glauben. Diese Willfährigkeit zu glauben wußten auch die Apostel nach Jesu Exempel vortreflich zu bestärken, indem sie den Leuten den Glauben als ein verdienstlich seligmachend Werk anpriesen, und den Unglauben als verdammlich abmahlten. Kam es auf Beweise an, so hatten sie alle Handgriffe der allegorischen Auslegungskunst, und also Mosen und alle Propheten zu ihren Diensten, daraus es ihnen nicht schwer ward, Jesum als den verheissenen Meßias, seine Geburt, seine Flucht nach Egypten, seinen Aufenthalt zu Nazareth, seine Thaten und Wunder, seine Kreuzigung, Begräbniß, Auferstehung, Himmelfarth, andere Zukunft, mit einem Worte alles was sie wollten, aus allen Stellen erweislich zu machen. Man achtete damals diese Pharisäische Vernunftkunst für den größten Witz, für die gründlichste Gelehrsamkeit, und für unwidertreiblich. Und wo ja endlich etwas an Ueberzeugung mangelte, da konnten sie die Gemüther durch die Hoffnung reicher Belohnungen bey der baldigen Wiederkunft Jesu zu seinem herrlichen Reiche geneigt machen zu glauben. Denn dieses Reich des Meßias sollte nach der Meynung der damaligen Juden, und [251] der ersten Christen, kein unsichtbares Reich im Himmel von bloß geistlichen Gütern seyn, denn das hätte vielleicht weniger Eindruck gehabt, sondern ein sichtbares tausendjähriges Reich auf Erden seyn, darin man ässe und trinke und lebte, wie vorhin, nur alles aufs herrlichste und in dem größten Ueberfluß und Lust, mit Unterdrückung und Beherrschung aller Feinde. Das rühret die Sinne, und durch solche süße Vorstellungen lässet sich die Begierde der Menschen, und dadurch auch der Verstand blenden, daß sie in der lebhaftesten Hoffnung des künftigen Ueberflusses der Güter und Glückseligkeit, alle Untersuchung der Wahrheit, ja selbst die gegenwärtigen Vortheile versäumen und verachten. Hiedurch funden sie also auch Gelegenheit manche zu bereden, daß sie auf die künftige überschwengliche Belohnung alle ihr Haab und Güter zum gemeinen Gebrauche hergaben: das war eine Heylands-Casse, darin sich ein jeder mit seinem wenigen Vermögen Actien des bald zu erwartenden Himmelreichs zu kaufen, bemühet war, und die Vertheilung dieser Güter zu Allmosen, setzte die Apostel in den Stand, nicht nur selbst ihre Dürftigkeit in [252] Ueberfluß zu verwandeln, sondern auch tausende von Armen zu dem gegenwärtigen Genuß dieser nothdürftigen, und so dann künftig der reichsten überschwenglichsten Güter herbey zu locken.

 

 

§. 58.

Da der Erfolg weiset, daß die Apostel diese Mittel zu ihrem Vorhaben wirklich angewandt, und daß dieselbe gut angeschlagen sind, und da gezeiget ist, woher sie sich bey damaligen Zeiten die Rechnung machen können, damit durchzukommen, so kann auch fast kein Zweifel seyn, daß sie solche Mittel zu ihren Absichten vorausgesehen, beliebt, und in den Tagen, da sie so einmüthig bey einander waren, mit einander verabredet haben. Allein mußten sie sich nicht auch die Hindernisse vorstellen, welche ihnen die Sache schwer machen würden? Das ist allerdings wohl zu vermuthen. Jedoch wer die Umstände des Jüdischen Volkes kennet, wird wohl einsehen, daß dieselben ihnen so unüberwindlich nicht haben scheinen können, daß sie nicht mit standhaftem Muthe damit durchdringen sollten. Sie verkündigten vors erste bloß die Auferstehung [253] Jesu von den Todten, eine Sache, die den Römern bloß belachenswürdig schiene, und in ihre Herrschaft über die Juden keinen Einfluß hatte: die aber den Pharisäischen Juden nicht irrglaublich oder ganz unglaublich dünken konnte, wenigstens nicht zu widerlegen war, weil das Gegentheil, nachdem der todte Leichnam nun schon über 40 Tage bey Seite geschaffet war, unmöglich auf eine handgreifliche Art konnte dargethan werden; und hergegen das Factum auf eine mehr als gesetzmäßige Art, das ist, durch mehr als zwey oder drey Zeugen bestätiget ward. Denn für ein ordentliches genaues Zeugen-Verhör durften sie nicht bange seyn, da man eine eydliche Aussage jedes Zeugen besonders auf vorgelegte Fragen zu Papiere nimmt, und hernach alle zusammenhält, ob sie sich auch einander, oder auch einer sich selbst, und denen Umständen der Sache widerspreche. Nein, alles ward damals selbst in Römischen Gerichten, geschweige denn bey den Juden, sehr tumultuarisch und obenhin vorgenommen; und man verstand die Kunst noch nicht, dem Betruge und Irrthum in Dingen die geschehen seyn sollen, durch eine vernunftmäßige [254] Prüfung zu begegnen. Die Geschichte des Neuen Testaments und der Apostel weiset solches genugsam, so oft jemand vor Gerichte gestanden. Wenn sie sich denn auch ja von der andern herrlichen Zukunft Jesu aus den Wolken des Himmels zu seinem Reiche etwas verlauten lassen, so mußte doch solches gleichfalls von Römern und Juden als ein eitler Traum und nichtiges Vorgeben, das die Zeit selbst widerlegen würde, verachtet werden. Und was konnte ihnen allenfalls die Jüdische Obrigkeit anhaben? Das Halsgerichte hatte sie nicht mehr, sie durfte niemand tödten, das gehörte für den Römischen Landpfleger. Die Geisselung konnte ihnen zuerkannt werden, oder man konnte sie aus der Synagoge weisen und in den Bann thun. Das war es alles. Darauf aber hatten sie es hingesetzt, und nun ihr Meister in seiner Kreuzigung den schmäligsten Tod erdulden müssen, so machten sie sich aus dieser geringeren Schande, eine Ehre; und bliesen diesen Martyr-Geist auch denen ein, welche sich zum Christenthum bekannten. Jedoch, wie gesagt, die Jüdische Obrigkeit konnte ihnen nichts sonderliches anhaben. Ihr Ansehen war [255] ganz herunter, und die öffentliche Zucht in der größten Verwirrung. Man kann solches aus ein paar Begebenheiten abnehmen, die uns in der Apostel ihren Geschichten aufgezeichnet sind. Denn als Paulus vor dem hohen Rath gestellet ward (Apostg. XXIII. 2. f.) und anfing sich zu verantworten, hieß ihn der Hohepriester Ananias aufs Maul schlagen, vermutlich weil er ohne Erlaubniß geredet, das einem Beklagten nicht geziemet, und weil er auf vorhergehendes Verbot dennoch nicht schweigen wollen. Paulus aber erdreistet sich den Hohenpriester zu schelten und zu fluchen. Gott, sprach er, wird dich schlagen, du übertünchte Wand; sitzest du und richtest mich nach dem Gesetz, und heissest mich schlagen wider das Gesetz? Was konnte verwegner seyn gegen den vornehmsten Richter im hohen Rath? Nun ward er zwar darüber zur Rede gestellet; allein weiter wiederfuhr ihm nichts. Seine Entschuldigung würde ihm wohl nicht gerettet haben, nemlich daß er nicht gewußt, daß es der Hohepriester sey. Denn es stehet geschrieben, einem Obristen deines Volks sollt du nicht fluchen. Die Antwort war sehr kahl, der Hohepriester konnte [256] ihm ja so unbekannt nicht seyn; und wenn er ihn ja nicht gekannt hätte, so mußte er ihn doch für einen Rathsherrn ansehen, der im hohen Rathe besonders was zu sagen hätte, und der folglich seine Obrigkeit und hier sein Richter wäre: war es ihm denn erlaubt, ausser den Hohenpriester sonst einen jedweden in diesem Gerichte zu fluchen? Er sagt ja selbst, es stehe geschrieben: dem Obristen deines Volks sollt du nicht fluchen: war denn nicht ein jeder Richter und Mitglied des Raths ein Obrister im Jüdischen Volk? schlägt sich denn Paulus nicht mit seinen eigenen Worten? Allein, wie gesagt, seine Entschuldigung machte ihn nicht frey, sondern die Schwäche des Jüdischen Synedrii, und das geringe Ansehen aller Obrigkeitlichen Personen, die bey der Römischen Herrschaft ein paar Scheltworte so genau nicht nehmen durften. Dieses Schwache wußte Paulus so gut, als ihre innerliche Uneinigkeit und Zänkereyen, da der Rath aus Pharisäern und Sadducäern bestand, und also die Richter oft verschiedener Meynung waren, und in Partheyen rissen, die gegen sich selber angiengen, und die Beklagten fahren liessen. Weil also [257] Paulus wußte daß die Sadducäer die Auferstehung läugneten, die Pharisäer aber behaupteten, so spielt er nur das divide, er schlägt sich zu der Pharisäischen Parthey: er spricht, ich bin ein Pharisäer und eines Pharisäers Sohn, ich werde angeklagt um der Hoffnung der Auferstehung willen: gleich entstehet unter den Richtern selbst Lermen und Streit: die Pharisäer nehmen sich seiner an, sie erklären ihn und seine Sache für unschuldig, und dadurch ward der Ausspruch wider Paulum vereitelt. Paulus spottet also nur der ohnmächtigen Jüdischen Gerichte, und ist gewiß daß die ihm nichts sonderliches anhaben konnten. Wenn aber dergleichen Religionshändel für die Römischen Gerichte gezogen wurden, so fiel allemal der Ausspruch für die Beklagten: die Römer sahen es entweder für unnütze Zänkereyen an, da sie über ihre innere Secten und Ketzer nicht richten konnten und wollten; oder wie man aus vielen Anzeigen schliessen muß, sie nährten auch den inneren Zwiespalt unter den Juden, und suchten die Macht und das Ansehen der Jüdischen Obrigkeit immer weiter herunter zu setzen; damit sie desto bessere Gelegenheit hätten, [258] das Volk einst vollends unter ihr Joch zu bringen, wie auch bald hernach geschehen ist.

 

 

§. 59.

So war auch damals die bürgerliche Zucht unter den Juden sehr schlecht, und ein jeder konnte fast ungestraft thun was er wollte. Ich will eben jetzo nicht darauf dringen, daß es den Aposteln frey ausgieng, daß sie eine Gemeinschaft der Güther einführeten, obwohl dieses allerdings den Wohl eines Staats höchst nachtheilig ist. Denn die bemittelten Bürger werden dem Staat dadurch entzogen, daß sie alle ihr Haab und Guth, Aecker und Häuser verkaufen, und alles daraus gelöste Geld in die gemeinschaftliche Casse ihrer Secte legen. Sie werden also arm, und können künftig auf keine Weise die allgemeine Lasten tragen helfen, noch den Wachsthum des Staats durch Gewerbe oder Handlung ferner befördern helfen. Hergegen werden Privatpersonen Meister und Besitzer von so vieler wohlhabenden Bürger Gelde, daran das allgemeine Wesen und die Schatzkammer einen gerechten Antheil und Anspruch hatte: und diese Leute sind dadurch im Stande [259] Tausend andere Bürger an sich zu ziehen, die nun auf ihre milde Hand sehen, und ihrer Wohlthäter und Führer Wink und Willen folgen müssen, und die mithin der Bothmäßigkeit und dem Gehorsam der Obrigkeit geraubt, und wohl gar entgegen gestellet werden. Allein, wie gesagt, ich will diese Stöhrung solcher Beeinträchtigung des öffentlichen Vortheils von der verworrenen Jüdischen Policey nicht fordern. So hatten denn doch die Apostel freye Hände sich dieser öffentlichen Fahrläßigkeit und Verwirrung zu bedienen, und mitten im Staat einen andern Staat aufzurichten, darin die Religion und Meynung, die Haab und Güther, und deren Vertheilung, und sodann auch das Thun und Lassen ihrer Anhänger, nicht mehr von der Obrigkeit, sondern von ihrem der Apostel Wink und Willen abhing, und gegen Obrigkeitlich Gebot oder Verbot gebrauchet ward, unter dem Vorwand, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen. Allein dieses ist doch dabey am meisten zu verwundern, daß gleich anfangs bey dieser Stiftung zween Menschen in der Apostel ihrem Gemach schleunig nach einander ums Leben [260] kamen, und todt von ihnen hinausgetragen wurden, und daß keine Obrigkeitliche Nachfrage und Untersuchung geschiehet, wie und auf was Weise die beyden Leute ums Leben kommen, da doch die Begebenheit nothwendig ziemlichen Verdacht erwecken mußte. Apostg. V. 1. u. f. Ananias und sein Weib Sapphira werden mit einander eins, daß sie auch eine Actie in dieser Heylands-Casse nehmen wollen. Sie entschliessen sich also mit Vorwissen der Apostel, ihren Acker, nach dem Exempel anderer, zu verkaufen. Das war schon an sich eine Sache die wider Mosis Gesetz und Stiftung lief, und dadurch die Apostel die ganze Verfassung der Jüdischen Policey über einen Haufen wurfen, indem nach Mosis Ordnung ein jeder bey seinem väterlichen Erbguth bleiben sollte. Allein die Leute mußten ja wohl an andern gesehen haben, daß ihnen, wenn sie sich einmal ihres Vermögens entäussert, die Nothdurft etwas sparsam gereichet werden würde: daher bereden sie sich, daß sie nicht den ganzen Werth ihres väterlichen Erbtheils dran wenden, sondern etwas für sich zurück behalten wollen, um hernach nicht andern alles aus den Händen zu sehen. [261] Nun brauchte es ja wohl keines heiligen Geistes , der Petro das sagte, wie viel Geld sie aus dem Acker gelöset hätten, er hatte den Preis gehöret, er frägt oder zehlet nach, wie viel Ananias hier bringe; und da er merket, daß etwas daran mangele, ist er nicht zufrieden, er will alles haben, er stellet ihn zur Rede, giebt sich ein Ansehen, als ob ihm etwas vorlügen einerley sey, als Gott oder dem heiligen Geist etwas vorlügen: kurz, der Mann fällt (Gott weiß auf was Art) todt zur Erde nieder. Es werden Leute hereingerufen, die ihn aufheben, gleich wegtragen und begraben müssen, und in drey Stunden ist die ganze Handlung vorbey. Die Frau Sapphira kommt mittlerweile auch vor die Apostel, sie wird auch gefragt ob nicht mehr aus dem Acker gelöset sey? als sie läugnet ein mehres bekommen zu haben, geht es ihr eben so: man trägt sie auch alsofort todt hinaus und begräbt sie bey ihrem Manne. Ich will keine Frage anstellen, wo das Geld geblieben, welches zu der Apostel Füßen gelegt war, ob es gleich nicht alles ihr Vermögen gewesen: denn es scheinet wohl, daß die Apostel dieses, ungeachtet daß die Leute selbst nichts [262] dafür geniessen konnten, denen Erben nicht wieder gegeben, sondern dennoch alles als eine gute Priese erkläret, und behalten haben; aber ist es möglich in einer Stadt oder Staat, da noch einige Ordnung gilt, daß zwo bekannte Leute, Mann und Frau, gähling an einem Tage in einem Zimmer umkommen, innerhalb ein paar Stunden bey Seite geschafft und begraben werden, ohne daß einige Nachfrage geschiehet, auf was Weise sie ums Leben gekommen sind? Konnte dieses ohne Ahndung, ohne Inhaftirung der Gegenwärtigen, ohne peinliche Untersuchung geschehen? Was haben die Apostel in einem so zerrütteten Zustande nicht unternehmen und wagen können?

 

 

§. 60.

Hieraus erhellet zur Gnüge, daß die Apostel bey ihrem Unternehmen sich nicht sonderliche Schwierigkeiten vorzustellen und zu befahren Ursache hatten. Laßt uns also sehen, wie sie wirklich zum Werke schreiten. Nachdem alles einmüthig zwischen den Vornehmsten verabredet war, so wurden die übrigen vornehmsten Anhänger Jesu, ohngefehr 120 an der Zahl, (Apostelg. II. 1. u. f.) [263] deren ein Theil vielleicht ehrlicher Weise glaubten daß Jesus erstanden und von den andern wirklich gesehen sey, versammlet; es ward statt des Judas ein neuer Apostel geweihet, endlich geschahe den funfzigsten Tag nach Ostern oder den Pfingsttag, (Apostg. II. 1. u. f.) der erste öffentliche Ausbruch ihres Vorhabens mit einem Wunder, darin viererley merkwürdig ist, 1) ein Brausen und Getöse als eines starken Windes, daß von oben in das Haus zu fahren und das ganze Haus zu erfüllen schien, 2) sahe man an den Aposteln die Zungen zertheilet als die Zungen des Feuers scheinen 3) und er (ich glaube der Wind) satzte sich auf einen jeglichen unter ihnen 4) redeten die Apostel ein jeder mit fremden Sprachen, so daß die Auswärtigen, Parther, Meder, Elamiter, Mesopotamier, Juden, Cappadocier, Ponter, Asier, Phrygier, Pamphylier, Aegyptier, Libyer, Cyrener, Römer, fremde Juden, Creter und Araber, ein jeglicher die Apostel in ihrer Sprache reden und Gott preisen höreten. Darauf werden alle Zuhörer bestürzt, was doch daraus werden wolle: andere spotten, sie müßten sich berauscht haben, bis Petrus aufstehet und einen [264] Beweis führet aus dem Joel, daß dieses Wunder in den letzten Tagen habe geschehen sollen, und aus des Davids Psalmen, daß Jesus habe sollen auferstehen, weil David spricht, du wirst nicht zugeben, daß dein Heiliger verwese. Darauf hatten sie willig den Glauben angenommen sich taufen lassen, und denselben Tag waren bey dreytausend bekehret worden. Warum aber sollte wohl Gott, in der Absicht Jesus Auferstehung erweislich und glaublich zu machen, erstlich Jesum nach seiner Auferstehung keinem Menschen ausser den Aposteln zeigen, hernach aber wenn er nicht mehr vorhanden wäre, die Auferstehung durch ein Wunder der Apostel beweisen? Wäre nicht seine Auferstehung ohne Wunder ganz natürlich mit allgemeinem Beyfall geglaubt worden, wenn Gott ihn nach seiner Creuzigung und Begräbniß wieder lebendig im Tempel vor dem Synedrio und allem Volke hätte sehen und tasten lassen? Dieses natürliche leichte und kräftige Mittel zum Zweck aber nicht wählen, und hernach ein unnatürliches, unbegreifliches, wenig fruchtendes gebrauchen, ist Gottes Weisheit nicht gemäß. Wunder, die so angebracht werden, sind überaus [265] verdächtig. Menschen die das mit Wundern erhärten wollen, was sie hätten augenscheinlich und handgreiflich darthun können und sollen, wenn sie eine reine Sache hätten; die suchen ganz unfehlbar die Leichtgläubigkeit unverständiger Leute zu berücken, welche sich am besten durch das unbegreifliche fangen lassen. Wenn sie damals geschwiegen als es hieß, daß Jesus noch lebendig auf der Erden war, so laß sie nun nachhero mit noch so viel Wundern spucken, und dabey sagen, Christus ist hie oder da gewesen, er ist bey uns in der Cammer gewesen, er ist am Galiläischen Meer gewesen. Die Vernunft sagt, ihr sollt es nicht glauben. Allein laßt uns das vorgegebene Wunder selbst ein wenig genauer betrachten. Ich weiß nicht, ob Lucas der dieses erzehlt, dabey gewesen, als alles dieses geschehen seyn soll; wenigstens wird ein vernünftiger Leser wünschen, daß ihm alles verständlicher gemacht wäre, wie es zugegangen und möglich gewesen. Bey dem Getöse so das Haus erfüllet, will ich mich zwar nicht aufhalten, wie leicht ist nicht ein Getöse gemacht? aber wer kann begreifen, was Lucas damit sagen wolle, die Zungen wären an den Aposteln [266] zertheilet gesehen worden, wie des Feuers Zungen sind. Es ist ja wohl das Wort Zunge, nicht wie sonst von der Sprache zu verstehen, weil man die Sprache nicht sehen kann, und weil alsdenn die Beschreibung dieser zertheilten Zungen, wie des Feuers spitzige Flammen in Gestalt einer Zunge schiessen, alsdenn keinen Statt fünde. Sind es denn der Apostel eigene Zungen gewesen, die sie zum Halse herausgeschossen, und die durch das geschwinde Herausschiessen zertheilet gelassen, wie der Schlangen Zunge, und die etwa in diesem Hervorschiessen feurig ausgesehen? oder sind es fremde Zungen gewesen, die oder deren Bild und Gestalt man an ihnen gesehen? und wo hat man sie gesehen? über ihren Kopf, wie es gemeiniglich gemahlt wird, oder als Flammen aus ihrem Mund schiessen, welches glaublicher die Meynung ist? und wer ist der, so sich auf einen jeglichen gesetzt? der Wind? denn sonst ist vorher nichts genannt. Es scheint die ganze Beschreibung nicht sowohl einer Geschichte als einem prophetischen Gesichte zu gleichen, welches die Einblasung der fremden Sprachen von dem H. Geist vorstellen soll. Der brausende Wind [267] stellet den Heil. Geist vor, der bläset in die Apostel, und bläset in ihnen ein Feuer auf, das mit verschiedenen Zungen aus ihnen hervorschiesset, die Gabe der verschiedenen fremden Sprachen anzudeuten. Das ist ein gut Gemählde und Gesichte in der Einbildungskraft eines prophetischen Schreibers, aber mit einer wirklichen Geschichte, die man mit Augen sehen kann, will es sich auf keine Weise reimen. Und warum sollen etliche der Gegenwärtigen noch ihren Spott damit getrieben, und die Apostel für besoffen gehalten haben, wenn sie solche Wunderdinge an den Aposteln klar vor Augen gesehen hätten? Das widerspricht sich. Der Menschen Spötterey mag so weit gehen wie sie will, so würde doch eine solche augenscheinliche übernatürliche Begebenheit eine allgemeine Bestürzung und Entsetzen, und keine Spötterey veranlasset haben. Denn die Spötterey höret bald auf, wenn man etwas klar vor Augen siehet, und nicht vor Gaukeley und Blendwerk halten kann. Dieses erste Wunder scheinet also bloß von Lucas mit einer ganz undeutlichen Einbildungskraft, und weniger Uebereilung dazu gedichtet zu seyn. Allein [268] eben diese Spötterey so vieler Hörer und Zuschauer beweiset uns auch genugsam, daß das, so wirklich geschehen seyn mag, einer blossen Gaukeley und Blendwerk ähnlich gesehen. Denn warum treiben sie einen Spott damit, und sagen daß sie voll süsses Weins seyn müßten. Wenn wir setzen, daß die Apostel einer nach dem andern ordentlich, deutlich und vernehmlich geredet was sie geredet, und daß sie sich dabey als vernünftige, sittsame und nüchterne Menschen geberdet, so hat diese Spötterey gar keine Statt. Wir müssen demnach nothwendig daraus schliessen, daß sie sich dem äusserlichen Ansehen nach als Besoffene betragen: das ist, daß sie ein durchs andere geschrien, wie es eine betrunkene Gesellschaft zu machen pflegt, und daß sie dabey ganz ausschweifende Geberden gemacht, wie gleichfalls Betrunkene zu thun pflegen. Man siehet also leicht daraus, daß die Apostel eine prophetische Begeisterung angenommen haben, wobey sich die Menschen so verstelleten, als ob sie toll und rasend waren, so daß Hith nabbe, weissagen und toll seyn mit einem Worte ausgedeutet wird; ferner aber daß sie in ihrer angenommenen Begeisterung [269] alle auf einmal und durch einander gewisse fremde Sylben und Wörter mit vollem Halse geschrien: in welcher Verwirrung der Töne, ein jeder Leichtgläubiger eine Sprache die er wollte und wußte, hören konnte. Dies stimmet mit der Spötterey vollkommen überein: und eben das erhellet ziemlich offenbar aus dem Briefe Pauli an die Corinther (I Cor. XIV.) da er die Gabe der Sprachen in ihrer Gemeine zwar nicht ganz und gar zu verwerfen das Herze hat, damit er nicht die Apostel selbst, und die übrigen Wundergaben der Corinther einer Gaukeley beschuldige; aber er giebt doch genung zu verstehen, daß es besser sey, sich dessen zu enthalten, weil es etwas unverständliches sey, und ohne beygefügte Erklärung was es heissen solle, der Gemeine nichts nütze. Etliche Leute nemlich haben sich in der Gemeine ein Ansehen mit solcher Wundergabe geben wollen, und sich als begeisterte mit allerley wunderlichen nichts heissenden Wörtern hören lassen, daraus Unverständige denken sollten, sie redeten mit fremden Sprachen: oder es ist auch möglich, daß ihre Einbildungskraft sich so erhitzet, daß sie in einer Art von Ekstasi [270] allerley seltsames gesprochen, wie man viele dergleichen Exempel hat. Wenigstens war es nicht von Gott oder Eingeben des Geistes Gottes, der seine Sprachwissenschaft gewiß da nicht verschwenden würde, wo sie nichts nutzte, und wo sie Paulus auch zu tadeln Ursache hatte. Allein wir wollen setzen, welches ich doch wegen der angenommenen Begeisterung und der darüber entstandenen Spötterey nicht glaube, die Apostel haben einer nach dem andern vernehmliche Sätze in fremden Sprachen hervor gebracht: war es denn nicht möglich, daß einer und der andere von ihnen irgend einen Spruch in einer fremden Sprache aus dem Umgange mit so vielerley Völkern, vorlängst gewußt hätte, oder jetzt in dieser Absicht erlernet hätte? Was leuchtete daraus für ein groß Wunder hervor? und wie schlecht wäre der Schluß: Einige Leute reden einige Sätze in einer fremden Sprache: also ist Jesus von Nazareth von den Todten wieder lebendig worden? Ja wird man sagen: aber so viele ganz entfernte Sprachen! die Parther, Meder, Elamiter, Creter, Araber, Cappadocier, Ponter, Asier und so ferner hören und verstehen, [271] daß sie die Wunder Gottes preisen, und dadurch sich auf einmal 3000 Seelen zum christlichen Glauben bekehren lassen: das kann doch gewiß kein Blendwerk gewesen seyn, das muß ausser wenig Spöttern, die es vielleicht nicht verstanden, eine allgemeine Ueberführung und starken Eindruck gewirket haben. Allein, Lucas hat hier vergessen, daß er die Apostel in einem Hause, in einem Zimmer sitzend vorgestellet hatte. Denn so spricht er gleich anfangs: es geschahe schnell ein Brausen, als eines gewaltigen daher fahrenden Windes, welcher erfüllete das ganze Haus darin sie sassen, v. 2. Nun pflegten die Apostel im obersten Zimmer des Hauses ἐν τῶι ὑπερώωι, gerade unter dem flachen Dache, ihre Versammlungen zu halten. Mein! wie haben da 3000 und mehrere Menschen Raum gehabt? Denn diese 3000 machen noch nicht alle Zuhörer aus: diejenigen von der Menge liessen sich nur taufen, welche seine Rede gern annehmen v. 41: so sind denn auch etliche gewesen die Petri Rede nicht annehmen wollen. Ausser diesen belief sich die Gesellschaft der vorhin Gläubigen, die da versammlet war, auf 120. Apostg. I. 15. [272] und also können wir an die 4000 rechnen. So viele Personen erfordern eine große Kirche: wie pfropft sie denn Lucas in seinen Gedanken in dies eine Gemach der Apostel hinein? Ich wollte ihm gerne damit helfen, daß etwa die Menge des Volks mehrentheils auf der Gasse oder im Vorhofe des Hauses gestanden. Allein so fällt aller Grund ihrer Ueberzeugung und Bekehrung weg. Wie konnten Leute, die auf der Gassen oder im Vorhofe nach dem Zimmer hinauf kuckten, sehen, hören, wissen, was vor Wunderdinge darin vorgingen, was für Sprachen darin geredet wurden, was der Inhalt dieser Reden sey? Und dennoch führet sie Lucas sagend ein: Sind nicht diese alle die da reden aus Galiläa? wie hören wir sie dann ein jeglicher in seiner Sprache, in welcher wir gebohren sind v. 7. 8. Nein, es ist dem Lucas nicht zu helfen; er hat vergessen was er geschrieben, und da er nur der Leute fein viel machen will, die bekehret sind, so denkt er nicht daran, daß er die Apostel in einem Zimmer niedergesetzt, und ist daher unbekümmert, wo diese drey bis vier tausend Menschen Platz bekommen sollen. Wie will er es auch gut machen, daß [273] gleich auf ein Windbrausen drey bis vier tausend Menschen zusammen laufen? Denn hat sich der Wind durch die ganze Stadt mit Brausen hören lassen, so war keine Ursache, daß sie daraus was wunderbares machten, oder daß sie nach einem Hause der Stadt besonders hinliefen. Hat der Wind aber nur auf dies Haus allein gebrauset, wie bekommen es denn gleich so viel tausend Leute an den entferntesten Enden der Stadt, Parther, Meder, Elamiter, Creter, Araber, Phrygier, Cappadocier etc. zu wissen? Das ist nicht zu begreifen. Zudem so sollen es Juden und Judengenossen, gottesfürchtige Männer gewesen seyn: wie kömmts, daß die am ersten Pfingsttage nicht zum Tempel und zu ihrer Synagoge eilen, wie ihre Gottesfurcht erforderte, sondern aus Neubegierde von dem äussersten Ende der Stadt zu einem Hause laufen, darinn oder darüber sich ein Brausen hätte hören lassen? Das reimt sich nicht zusammen. Es ist ja in dieser Geschichte alles so, als wenn sie der Wind den Augenblick zusammen wehet: da die Stimme geschahe, kam die Menge zusammen v. 6. Es ist auch besonders, daß diese in Jerusalem [274] Zusammenlaufende nicht einheimische Juden sind, sondern lauter Auswärtige aus allen Völkern unter dem Himmel, deren hier 15 nahmhaft gemacht werden: recht als wenn diese ausdrücklich vorher bestellt und berufen wären, von der neuen Polyglotta Ohrenzeugen zu werden, die übrigen aber nicht dazu eingeladen wären. Da es aber hier auf eine ohngefehrliche Nachricht ankam, welche etwa zu der Leute Ohren kommen, und da gegen 1000 einheimische Juden aus Palästina, die auf das Pfingstfest kamen, kaum ein Fremdling gerechnet werden konnte, so hätten in der Anzahl von drey bis vier tausend ohngefehr zusammengelaufener Menschen kaum 3 ober 4 Fremdlinge seyn können: wie kömmt es nun, daß hier 14 Fremdlinge gegen einen Einheimischen erscheinen, so daß Lucas in deren Aufzehlung seine ganze Geographie erschöpfen muß? Das fällt schwer zu glauben. Einem Schreiber, der Wunder berichten will, gebührte ja vor allen Dingen, in einer an sich unglaublichen Sache, die Möglichkeit zu erklären und begreiflich zu machen. Hier aber sieht man nicht allein keinesweges, wie ein jedes möglich gewesen, sondern [275] man siehet bey allen Umständen die Unmöglichkeit der Erzählung klar und deutlich. So geht es denen Schreibern, die da Wunder machen. Es ist ihnen zwar nichts leichter, als dieses: es kostet nicht mehr Mühe 3000 als 300 zu schreiben, ihre Feder regieret und ordnet die ganze Natur, sie lassen den Wind brausen, wenn und wo sie wollen, die Sprachen sich verwirren, die Leute aus allen Völkern unter dem Himmel, in einem Augenblick zusammen kommen. Aber es kuckt hier und da die Verwirrung der Einbildungskraft heraus, die sich selbst vielfältig in Widersprüche verwickelt. Das kann nur eine heilige Einfalt blindlings glauben: der gesunden Vernunft wird es ein Spott und Gelächter. Und wenn gleich Lucas 30 Jahre nachher geglaubt haben mag, daß er nun, da fast ein ganzes menschliches Lebensalter verstrichen, getrost Wunder in die Welt hinein schreiben könnte, so erblicken doch Verständige noch itzt die Erdichtung an allen Ecken und Orten, und wissen sie von der Wahrheit gar leichtlich zu unterscheiden. Es kann mir und meinen Lesern genug seyn, daß ich dieses an diesem ersten Wunder der Apostel gezeiget, ich werde mich künftig bey allen den übrigen, als nicht zu achtenden Dingen nicht aufhalten. Man sieht schon ein, wie viel wahres daran gewesen. Es ist ohne Zweifel von den 3000 Menschen, die sich sogleich zur Taufe und zum Glauben an Jesum bequemt haben sollen, vieles abzudingen: und der Bewegungsgrund bey denen die nachbleiben, ist nicht das Wunder gewesen (als welches erst in Lucas seiner Einbildungskraft nach 30 Jahren erzeugt worden) sondern [276] der liebe Genuß der gemeingemachten Güter, davon allen mildiglich ausgetheilt ward, daß sie zusammen aßen und trunken und niemanden nichts mangelte. Denn so stehet gleich darauf v. 42. 44. Sie beharreten aber in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft (der Güter,) und im Brodbrechen und im Gebet. Denn alle die da gläubig waren, waren bey einander und hielten alle Dinge gemein, und ihre Güter und Haabe verkauften sie und theilten sie aus unter allen, nach dem ein jeder von nöthen hatte. – Sie brachen auch das Brod täglich hin und her in den Häusern. Cap. IV. 32. Die Menge aber derer, die gläubig worden waren, war ein Herz und eine Seele. Und keiner sagte von Etwas seiner Güter, daß es sein wäre, sondern es war ihnen alles gemein. Es war keiner unter ihnen, der Mangel hatte, denn wie viel ihrer waren, die da Aecker und Häuser hatten, die verkauften sie und brachten das Geld des verkauften Gutes, und legten es zu der Apostel Füssen. Aber es ward ausgetheilt einem jeglichen nachdem er vonnöthen hatte. Sehet hier: dies ist der wahre Grund des Zulaufs, der so natürlich wirkt und zu allen Zeiten gewirkt hat, daß wir keines Wunders brauchen, alles zu begreifen und verständlich zu erklären: dies ist der rechte brausende Wind, der so viel Leute so geschwind zusammen wehet: dies ist die rechte Grundsprache, welche Wunder thut.