Hermann Samuel Reimarus
1694 - 1768
Von dem ZweckeJesu und seiner Jünger
1778
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I.Von demZwecke der Lehre Jesu.
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§. 1.Aus dem vorigen Buche, und dessen letzterem Capitel insonderheit, ist zu ersehen, daß die Lehre von der Seelen Unsterblichkeit und Seligkeit, welche das wesentliche einer Religion, und zumahl einer geoffenbarten, seyn muß, von den Schreibern Altes Testaments noch nicht vorgetragen, und also bey den Juden, zu den Zeiten ihrer eignen Propheten, unbekannt gewesen sey. Daß hergegen die nachmaligen Juden diesen wichtigen Articul der Religion durch den Umgang mit vernünftigen Heiden und deren Weltweisen gelernet, und angenommen; daß [4] ihn die Pharisäer vornehmlich wider die Sadducäer behauptet und getrieben; und da sie ihn aus Mose und den Propheten nicht nach dem wahren buchstäblichen Sinn erweisen konnten, sich dazu einer gekünstelten allegorischen und cabbalistischen Erklärung bedienet haben. Es hatten demnach die Pharisäer schon vor Jesu Zeiten das Gesetzliche, so in ihren väterlichen Schriften enthalten war, auf den rechten Zweck einer Religion zu lenken gesucht; und so weit wäre es ihnen nicht eben so sehr zu verargen gewesen, wenn sie, um den Schein einer Neuerung bey dem Volke zu vermeiden, Mosen und die Propheten, auch wider die Wahrheit, auf diesen großen Zweck gezogen hätten. Allein wie sie in diesem einen Stücke den Grund zu einer Religion zu legen schienen: so verdarben sie auf der andern Seite fast alles wieder, da sie zu diesem großen Zwecke fast keine andere Pflichten als die äußerlichen Ceremonien des Gesetzes vorschrieben, ja dieselbe durch ihre Zusätze noch unendlich schärften und vermehrten, so daß dadurch wahre Frömmigkeit und Tugend fast gänzlich verdunkelt und ersticket ward, und alles auf lauter Heucheley und Scheinheiligkeit hinaus lief.
§. 2.Wie nun Jesus anfing zu lehren, so nahm er sich zwar hauptsächlich vor, den Tand und Mißbrauch der Pharisäer zu bestrafen und zu reformiren, und eine bessere Gerechtigkeit, als jener ihre war, zu predigen; wie denn einem jeden aus der Lesung des Neuen Testaments bekannt seyn kann, daß ein großer Theil der Reden Jesu wider die verkehrte Scheinheiligkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten in äusserlichen Ceremonien gerichtet ist: nichts destoweniger gab er ihnen in dem andern Punkte von der Unsterblichkeit und Seligkeit recht, und vertheydigte die Meynung nicht allein wider die Sadducäer, sondern schärfte sie auch dem Volke fleißig ein; er führet Abraham und Lazarum in seinen Gleichnissen ein, als in dem Reiche der Herrlichkeit in vieler Freude lebend; er heisset die Leute sich nicht fürchten für die, so den Leib tödten, die Seele aber nicht zu tödten vermögend sind, sondern für Gott, der Leib und Seele in die Hölle stützen kann; er redet fleißig von dem Himmelreich und jüngsten Gerichte, das Gott halten werde, u. s. w. Demnach hatte seine Lehre einen großen Vorzug, nicht allein [6] vor der Pharisäer Lehre, sondern auch vor jener im alten Testamente, wo an dergleichen wesentliche Grundsätze der Religion nicht gedacht, und von lauter irdischen Verheissungen und Belohnungen gesprochen, nach dem Tode aber dem Menschen alle Hoffnung abgeschnitten wird. Daher Paulus billig von ihm sagt, daß er den Tod abgeschafft, hergegen das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durchs Evangelium. Denn das Gesetz machte nicht vollkommen, sondern die Einführung einer bessern Hoffnung durch welche wir zu Gott nahen. Augustinus spricht, jam Christi beneficio etiam idiotis notam creditamque animae immortalitatem vitamque post mortem fururam. Dannenhero scheint es der christlichen Lehre hauptsächlich zuzuschreiben zu seyn, daß sich die Sadducäer mit ihrem Anhange seit der Zeit fast gänzlich unter den Juden verlohren hat. Ich füge diesem Vorzuge der Lehre Jesu noch dieses hinzu, daß Jesus auch die Heiden zum Reiche Gottes mit einladet, und nicht, wie Moses, zu hassen und mit Feuer und Schwerdt zu vertilgen gebeut. Gehet hin, spricht er, und lehret alle Heiden, prediget [7] das Evangelium aller Creatur: ja, er will sogar diejenigen Heiden von dieser Hoffnung nicht gänzlich ausgeschlossen wissen, welche noch in ihrem finstern Erkenntniß stecken bleiben; er spricht, es werde Tyro und Sidon erträglicher ergehen, am jüngsten Gericht, als manchen Juden.
§. 3.Gleichwie demnach kein Zweifel seyn kann, daß Jesus in seiner Lehre die Menschen auf den rechten großen Zweck einer Religion, nemlich eine ewige Seligkeit, verwiesen: so bleibt uns nur die Frage übrig, was Jesus selbst für sich in seiner Lehre und Handlungen für einen Zweck gehabt habe? Jesus hat selbst nichts schriftlich hinterlassen, sondern alles, was wir von seiner Lehre und Handlungen wissen, ist in den Schriften seiner Jünger enthalten. Was nun seine Lehre besonders betrift, so haben zwar unter seinen Jüngern nicht allein die Evangelisten, sondern auch die Apostel, ihres Meisters Lehre vorzutragen unternommen: allein ich finde große Ursache, dasjenige, was die Apostel in ihren eignen Schriften vorbringen, von dem, [8] was Jesus in seinem Leben wirklich selbst ausgesprochen und gelehret hat, gänzlich abzusondern. Denn die Apostel sind selbst Lehrer gewesen, und tragen also das ihrige vor, haben auch nimmer behauptet, daß Jesus ihr Meister selbst in seinem Leben alles dasjenige gesagt und gelehret, was sie schreiben. Dagegen führen sich die vier Evangelisten blos als Geschichtschreiber auf, welche das hauptsächlichste, was Jesus sowohl geredet als gethan, zur Nachricht aufgezeichnet haben. Wenn wir nun wissen wollen, was eigentlich Jesu Lehre gewesen, was er gesagt und geprediget habe, so ist das res facti, so frägt sichs nach etwas das geschehen ist; und daher ist dieses aus den Nachrichten der Geschichtschreiber zu holen. Da nun dieser Geschichtschreiber gar viere sind, und sie alle in der Haupt-Summe der Lehre Jesu übereinstimmen: so ist weder an der Aufrichtigkeit ihrer Nachrichten zu zweifeln, noch auch zu glauben, daß sie einen wichtigen Punkt oder wesentlich Stück der Lehre Jesu sollten verschwiegen oder vergessen haben. Daher denn auch nicht zu gedenken steht, daß Jesus durch seine Lehre etwas anders intendiret oder abgezielet habe, als [9]sich aus den eigenen Worten Jesu bey den Evangelisten abnehmen lässet. So erkennet denn wohl ein jeder, daß ich gegründete Ursache habe, warum ich in meiner Untersuchung von dem Zweck der Lehre Jesu, mich blos an die Nachrichten der vier Evangelisien, als die eigentliche und einzige Urkunde halten werde, und dasjenige, was die Apostel für sich gelehret oder zum Zweck gehabt, nicht mit hinein mische: indem die Apostel selbst keine Geschichtschreiber von der Lehre ihres Meisters, sondern für sich Lehrer abgeben wollen; und sich hernach, wenn wir die eigentliche Lehre und Absicht Jesu aus den vier Urkunden der Geschichtschreiber zuvor ausgemacht, erst zuverläßig urtheilen lässet, ob die Apostel einerley Lehre und Absicht mit ihrem Meister geführet haben.
§. 4.Die Reden Jesu bey dem vier Evangelisten sind nicht allein bald durchzulaufen, sondern wir finden alsobald den ganzen Inhalt und die ganze Absicht der Lehre Jesu in seinen eigenen Worten entdecket und zusammen gefasset. Bekehret euch und gläubet dem Evangelio; [10] oder wie es sonst heisset: Bekehret euch, denn das Himmelreich ist nahe herbeikommen. So sagt er anderwärts: ich bin kommen die Sünder zur Bekehrung zu rufen; und: ich muß das Evangelium vom Reiche Gottes predigen, denn dazu bin ich gesandt. Und eben dieses ist es auch, was de[n] Vorläufer Jesu, Johannes, trieb, ihm den Weg zu bereiten: Bekehret euch, denn das Himmelreich ist nahe herbeikommen. Beides, das Himmelreich und die Bekehrung, hänget so zusammen, daß das Himmelreich der Zweck ist, und die Bekehrung ein Mittel oder eine Vorbereitung zu diesem Himmelreich. Durch das Himmelreich, so jetzt nahe herbeykommen war, und wovon das Evangelium oder die fröhlige Bothschaft, denen Juden verkündiget ward, verstehen wir, nach Jüdischer Redensart, das Reich Christi oder des Meßias, worauf die Juden so lange gewartet und gehoffet hatten. Das giebt die Sache selbst; da Jesus kommen war als der Meßias, und Johannes eben dieses verkündigte: es giebt es auch der Gebrauch eben der Redensart bey den Juden damaliger Zeiten, [11] so daß, wenn sie von dem Himmelreich, das da kommen sollte, hörten, sie nichts anders, als das Reich des Meßias darunter verstanden. Da nun Jesus und Johannes diese Redensart nicht anders erklären, so haben sie auch dieselbe in der bekannten und üblichen Bedeutung wollen verstanden wissen. Wenn es demnach heißet, das Himmelreich ist nahe herbeykommen, so hat es den Verstand: der Meßias wird sich bald offenbahren und sein Reich anfangen. Wenn es heisset: gläubet an das Evangelium, so ist es eben so viel gesagt, als: gläubet an die fröhlige Bothschaft von der nahen Zukunft des Meßias und seines Reiches. Zu diesem jetzt nahen Reiche des Meßias sollten sich die Leute vorbereiten und geschickt machen, durch die Bekehrung, das ist, durch eine Aenderung des Sinnes und Gemüthes, daß sie vom Bösen und von der Neigung dazu abließen, und sich von Herzen zum Guten und zur Frömmigkeit lenkten. Diese Forderung war nicht allein zu allen Zeiten billig, sondern wurde auch insonderheit gegen die Zukunft des Meßias bey den Juden für nöthig gehalten, wie sie denn noch bis auf den heutigen Tag glauben, [12] daß eben der Mangel der Buße und Besserung, des Meßias Zukunft zurückhalte; und so sie nur einmal rechtschafne Buße thun würden, so würde der Meßias alsobald kommen. Wer nun alle Reden Jesu durchgehen und überdenken will, der wird finden, daß der Inhalt derselben insgesamt auf diese zwo Stücke gezogen werden muß, daß er entweder das Himmelreich beschreibet, und solches seinen Jüngern zu verkündigen befiehlet, oder auch zeiget, wie sich die Menschen rechtschaffen dazu bekehren, und nicht bey dem scheinheiligen Wesen der Pharisäer beharren müßten.
§. 5.
Ich will zuvor von der Bekehrung, die Christus geprediget, ein wenig umständlicher reden; jedoch wird mir das Gedächtniß meiner Leser, die das neue Testament von Jugend auf so fleißig gehöret haben, zu Hülfe kommen. Da wird nehmlich einen jeden erinnerlich seyn, wie alle Lehren Jesu auf Demuth, Sanftmuth, Barmherzigkeit, Friedfertigkeit, Versöhnlichkeit, Mildthätigkeit, Dienstfertigkeit, Aufrichtigkeit, wahre Liebe und Vertrauen zu Gott, [13] Gebet, Ablesung alles Hasses, auch sogar wider die Feinde, Vermeidung böser Lust und unnützer Reden, Verleugnung sein selbst, und überhaupt auf ein inneres thätiges Wesen gerichtet sey; und wie er gegen die großen Gebote der Liebe gegen Gott und den Nächsten, alle äusserliche Gebräuche für gering, und ohne jene für unnütz erkläret, auch die heuchlerische Scheinheiligkeit der Pharisäer, welche sie in äusserlichen Kleinigkeiten, mit Hintansetzung der Liebe und Herzens-Besserung prahlerisch suchten, tadelt und bestrafet. Man darf nur die schöne Berg-Predigt Jesu, welche die ausführlichste von allen seinen Reden ist, durchgehen: so wird man lebhaft überzeugt werden, daß die Buße, Bekehrung und Besserung der Menschen, sofern sie in einer wahren innern und aufrichtigen Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu allem Guten bestehet, sein einziger Zweck ist. Wenn er demnach auch sonst das Sitten-Gesetz besser erkläret, als es bisher geschehen, oder die Heucheley der Pharisäer bestraft, oder seine Hintansetzung des Ceremonien-Gesetzes vertheidiget: so hat solches mit dieser Hauptlehre Jesu die genaueste Verbindung. Da zeigt er, wie falsch [14] und eingeschränkt, bisher das Gesetz, du sollt nicht tödten, du sollt nicht ehebrechen, du sollt nicht falsch schwören, nur auf die groben äusserlichen Laster sey gedeutet, und zum Theil noch zur Rechtfertigung vieler bösen Thaten gemißbrauchet worden; wie unrecht man das Recht der Vergeltung zum Deckmantel des Hasses und der Rache wider den Feind gebraucht; wie heuchlerisch man mit dem Allmosen verfahren sey, wenn man vor sich her posaunen lassen; mit dem Beten, da man solches auf den Ecken der Gassen verrichtet; mit dem Fasten, da man sein Geberden und Gesichte dabey verstellet; er druckt den Pharisäern die Schwären auf, daß sie ihre Denkzettel und Saume fein breit und groß machten, lange Gebete verrichteten, die Berührung unreiner Dinge sorgfältig vermieden, ihre Hände und Gefässe fleißig wüschen, Münte und Till sogar verzehnteten, der Propheten Gräber tünchten: da sie doch voller geistlichen Hochmuth, titul- und rangsüchtig wären, der Witwen Häuser an sich zögen, falsch und leichtsinnig schwören, dem Raube und Frasse ergeben wären, die Propheten zu tödten, und den Eltern [15] die schuldige Liebe unter eitelm Vorwand zu versagen, kein Bedenken trügen. Davon sagt Jesus billig, das heißt Mücken säugen und Cameele verschlucken: sich für Kleinigkeiten in Acht nehmen, aber hergegen die größten Gebote der Demuth, Liebe und Barmherzigkeit überhin sehen; ja gar Gottes Gebote durch die Deuteleyen und Aufsätze der Menschen aufheben. Jesus bekommt oft von den Pharisäern selbst Gelegenheit, den großen Vorzug der sittlichen Pflichten, vor den äusserlichen Ceremonien zu zeigen. Wird er zur Rede gestellet, warum seine Jünger sich nicht zuvor waschen, ehe sie Brodt essen: so weiset er, wie nicht sowohl das, was in den Mund gehet, sondern was aus demselben, ja aus dem Herzen kommt, Mord, Ehebruch, Hurerey, List, Schalkheit, u. d. gl. den Menschen verunreinige. Wundert man sich, daß er mit Zöllnern und Sündern speise: so heisset er sie lernen, daß Gott an Barmherzigkeit und Bekehrung der Sünder mehr Gefallen habe, als an Opfern. Wird es ihm übel ausgelegt, daß er am Sabbath die Kranken heilet; daß seine Jünger am Sabbath Aehren ausrupfen, und [16] also eine Art der Arbeit (nemlich des Mähens) verrichten: so unterrichtet er sie, daß der Sabbath um des Menschen willen geordnet sey, folglich dem Gesetze der Noth und Liebe weichen, und nicht hindern müsse, dem Nächsten Gutes zu thun.
§. 6.
So ist denn die Absicht der Predigten und lehren Jesu auf ein rechtschaffenes thätiges Wesen, auf eine Aenderung des Sinnes, auf ungeheuchelte Liebe Gottes und des Nächsten, auf Demuth, Sanftmu[t]h, Verläugnung sein selbst, und Unterdrückung aller bösen Lust gerichtet. Es sind keine hohe Geheimnisse oder Glaubens-Punkte, die er erkläret, beweiset, und prediget: es sind lauter moralische Lehren und Lebens-Pflichten, die den Menschen innerlich und von ganzem Herzen bessern sollen, wobey er das gemeine Erkenntniß von der Seele des Menschen, von Gott und seinen Vollkommenheiten, von der Seligkeit nach diesem Leben, u. s. w. schlechterdings als bekannt voraussetzet; nicht aber aufs neue erklärt, vielweniger auf eine gelehrte und weitläuftige [17] Art vorträgt. Wie er nun für seine Person das Gesetz nicht aufheben, sondern erfüllen wollte: so zeigt er auch andern, daß das ganze Gesetz und die Propheten an diesen zweyen Geboten hangen: Gott von ganzem Herzen, und seinen Nächsten als sich selbst zu lieben: und daß folglich in dieser Hauptsumme der ganzen Schrift alten Testaments die Belehrung und Besserung des Menschen enthalten sey. Hierauf weiset Jesus die Leute, wenn sie zu ihm kommen und fragen, was sie thun sollen um selig zu werden? Thue das, so wirst du leben. Er sagt, daß die Seligkeit bloß darauf ankomme, daß einer thue den Willen seines himmlischen Vaters, und alle die solches thun erkennet er für seine Brüder. Wenn gleich an jenem Tage die Menschen sagen wollten: Herr, Herr! haben wir nicht in deinem Namen geweissaget? Haben wir nicht in deinem Namen Wunder gethan: so wird doch Jesus sprechen, weichet von mir, ihr Uebelthäter. Das hergegen sind Schaafe die er zu seiner Rechten stellen will, und die Gesegneten die das Reich ererben sollen, welche die Hungrigen gespeiset, die Durstigen getränket, die Gäste [18] beherberget, die Nackten gekleidet, die Gefangnen besucht haben. Wenn er daher seine Jünger in alle Welt sendet, zu lehren: so erklärt er sich bald, worin dies Lehren bestehen soll: lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Das Kennzeichen, was er auch von falschen Propheten giebt, ist nicht, ob sie diese oder jene irrige Meynung hegen, ob sie ein fremdes Lehrgebäude haben, ob sie Heterdoxe, Ketzer, und Irrgläubige sind, ober andere dazu machen; sondern an den Werken sollt ihr sie erkennen. Das sind bey ihm falsche Propheten, die in Schaafskleidern einher gehen, inwendig aber reissende Wölfe sind, d. i. die unter dem Schein der Liebe und Unschuld nichts anders suchen, als andern Menschen zu schaden; die da solche Früchte bringen, als ein fauler Baum; die den Willen des Himmlischen Vaters nicht thun, sondern Uebelthäter sind.
§. 7.
Ich kann nicht umhin, einen gemeinen Irrthum der Christen zu entdecken, welche aus der Vermischung der Lehre der Apostel mit der Lehre Jesu, sich einbilden, daß Jesu Absicht [19] in seinem Lehr-Amte gewesen, gewisse zum Theil neue und unbekannte Glaubensarticul und Geheimnisse zu offenbahren, und also ein neues Lehrgebäude der Religion aufzurichten, dagegen aber die Jüdische Religion nach ihren besonderen Gebräuchen, als Opfern, Beschneidung, Reinigung, Sabbathen und andern levitischen Ceremonien, abzuschaffen. Ich weiß wohl, daß die Apostel, und insonderheit Paulus, hieran gearbeitet, und daß die nachfolgende Lehrer theils immer mehrere Geheimnisse und Glaubensarticul geschmiedet, theils auch sich immer mehr von den Jüdischen Ceremonien zurückgezogen: bis endlich Mosis Gesetze gar abgeschaft und eine ganz andere Religion eingeführet worden. Allein in allen Lehren, Reden und Gesprächen Jesu, kann ich von beyden nicht die geringste Spur finden. Er trieb nichts als lauter sittliche Pflichten, wahre Liebe Gottes und des Nächsten: darin setzet er den ganzen Inhalt des Gesetzes und der Propheten: und darauf heisset er die Hofnung zu seinem Himmelreich und zur Seligkeit bauen. Uebrigens war er ein gebohrner Jude und wollte es auch bleiben: er bezeuget er sey nicht kommen [20] das Gesetz abzuschaffen, sondern zu erfüllen: er weiset nur, daß das hauptsächlichste im Gesetze nicht auf die äusserlichen Dinge ankäme. Was er sonst von der Seelen Unsterblichkeit und Seligkeit, von der Auferstehung des Leibes zum Gerichte, von dem Himmelreich und von dem Christ oder Meßias, der in Mose und den Propheten verheissen wäre, vorbringet, das war alles sowohl den Juden bekannt, und der damaligen Jüdischen Religion gemäs, als es insonderheit dahin zielte, daß er als der Meßias ein solches Himmelreich unter den Juden aufrichten, und also den glückseligen Zustand in der Religion sowohl als im äusserlichen, wozu ihnen vorlängst Hofnung gemacht wäre, unter ihnen einführen wollte. Damit man dieses desto deutlicher einsehen möge, will ich von der Lehre Jesu zwey Stücke ausführlicher beweisen: 1) daß er keine neue Geheimnisse oder Glaubensarticul vorgetragen habe: 2) daß er das levitische Ceremonien-Gesetz nicht habe abschaffen wollen.
§. 8.
Was nun das erste betrift, daß Jesus keine [21] neue Geheimnisse oder Glaubensarticul gelehret, oder zu lehren sich vorgesetzet habe: so kann ich mich guten Theils schon auf das Gesagte beziehen, als woraus genugsam erhellet, daß Jesus sein ganzes Lehramt darin gesetzet, die Bekehrung, und ein rechtschaffnes thätiges Wesen zu predigen. Es ist aber auch merkwürdig , daß wenn Jesus den Glauben von jemand fordert, er immer gewisse Lehrsätze nahmhaft machet, die man glauben und für wahr annehmen solle. Nun wäre das ja ein ungereimter blinder Köhler-Glaube, der sich auf gewisse den Glaubenden selbst unbekannte Lehrsätze bezöge: sie sollten glauben, und wüßten selbst nicht was sie glauben sollten. Der Glaube, den Jesus fodert, ist bloß ein Vertrauen zu ihm; daher er an den meisten Stellen der Reden Jesu sich beziehet auf seine Wunder-Macht: Glaubet ihr daß ich euch solches thun kann? O Weib, dein Glaube ist groß. Fürchte dich nicht, glaube nur. Solchen Glauben habe ich in Israel nicht funden, dir geschehe wie du geglaubet hast. Jesus sahe ihren Glauben, als sie den Gichtbrüchtigen zu ihm brachten. Dein Glaube hat dir geholfen. [22] So ihr Glauben habt als ein Senfkorn, werdet ihr Berge versetzen. Zuweilen beziehet sich dieser Glaube oder dies Vertrauen auf Jesum als den Meßias. Wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinest du daß er werde Glauben finden: daß man ihm zutrauen werde, daß er das Reich des Meßias werde aufrichten? Thut Buße und glaubet ans Evangelium: hoffet und vertrauet auf die fröhlige Bothschaft, daß das Reich Gottes, das Reich des Meßias nahe herbeykommen sey. Glaubestu an den Sohn Gottes, sagte Jesus zu dem Blindgebohrnen. Herr, sprach er, welcher ists? auf daß ich an ihn gläube? Jesus sprach, der mit dir redet, der ists. Bekümmere dich also nicht, daß man dich aus der Schule gestossen: ich werde bald ein ander Reich anfangen, das Vertrauen habe nur. Wer glaubet (an das Evangelium) und getaufet wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubet der wird verdammet werden, d. i. wer hoffet und vertrauet, daß die fröhlige Bothschaft von dem wahren Reiche des Meßias bald werde erfüllet werden, und haben durch die Taufe [23] der Buße sich dazu bereitet, der wird selig werden. Dies Vertrauen ist offenbahrlich der Glaube, den Jesus fordert; sonst findet man in seinen Reden keinen Lehr-Glauben oder Glaubens-Punkte. Daher kam es auch, daß in der ersten christlichen Kirche der Catechismus und das Glaubens-Bekenntniß so kurz war. Sie durften nur das Evangelium glauben, oder das Vertrauen haben, daß Jesus das Reich Gottes bald anfangen würde, wenn sie dabey sich busfertig bezeigten, so wurden sie getauft, und waren vollkommne Christen. Da nun viele unter den Juden waren, welche schon auf das Reich Gottes warteten: so war es kein Wunder, daß in einem Tage, ja in ein Paar Stunden, etliche tausend gläubig wurden, denen doch nichts anders war vorgesaget worden, als daß Jesus der verheissene Prophet sey, durch Thaten und Wunder, und durch seine Auferstehung als ein solcher bewiesen vor allem Volke.
§. 9.
Dieser Catechismus ist sehr kurz, und bestehet nur aus einem Articul. Und doch finden wir [24] in den Reden Jesu nicht einmahl, daß er diesen einen Haupt-Articul von den verheissenen Meßia und dessen Reiche erkläret, oder beweiset, sondern er setzet bloß das gemeine Erkenntniß der Juden aus den Verheissungen der Propheten nach damaliger Auslegung, voraus. Daher sagt Jesus so wenig als Johannes, wer oder was Christus, d. i. der Meßias, oder das Reich Gottes, und das Himmelreich, oder das Evangelium sey: sie sprechen schlechthin, das Himmelreich, oder das Evangelium ist nahe herbeykommen. Jesus sendet seine Jünger eben das Evangelium zu predigen, sagt aber nichts dabey, worin das Himmelreich bestehen sollte, worin die Verheissung ihren Grund hatte, worauf das Reich abzielte: er beziehet sich also bloß auf die gemeine Meynung und Hoffnung davon. Und wenn Jesus sonst das Himmelreich durch Gleichnisse beschreibt, es sey gleich einem Menschen, der einen guten Saamen auf seinem Acker säete, einem Senfkorn, einem Sauerteige, einem verborgenen Schatze, einem Kaufmann der gute Perlen suchte, einem Netze, einem Könige, der mit seinem Knechte rechnen wollte, einem Hausvater, der Arbeiter [25] dinget in seinem Weinberg, einem Könige der seinem Sohne Hochzeit machte: so kann man gewiß wohl nicht viel klüger daraus werden: und wenn wir nicht aus den Schriften der Juden etwas mehr wüßten, was man damals vor eine Meynung von dem Meßias, von dem Himmelreiche oder Reiche Gottes gehabt, so würde uns dieser Haupt-Articul noch sehr dunkel und unverständlich seyn. Jesus erkläret zuweilen seine Gleichnisse den Jüngern insbesondere, und sagt denn dabey, daß ihnen allein gegeben sey die Geheimnisse des Reiches Gottes zu wissen. Allein da diese Geheimnisse bloß in einer Erklärung der verblümten Vorstellung bestehen, und die erklärte Vorstellung, soferne sie von Gleichniß-Reden entblößet ist, wiederum nichts anders als das gemeine Erkenntniß von dem verheissenen Reiche Gottes unter dem Meßias in sich hält: so muß man gestehen, daß unter diesen Geheimnissen keine besondere neue, oder unbegreifliche Lehrsätze verstanden werden. Sehet demnach, wie sehr man sich durch Wörter betriegen lässet! Man ist heutiges Tages gewohnt, unter dem Worte Glauben oder Evangelium den ganzen Inbegrif der christlichen Lehre, [26] welche geglaubet werde" soll, oder alle Articul des christlichen Glaubens in ihren Zusammenhange, den ganzen Catechismum, und Glaubens-Bekenntniß zu verstehen: und man nennet diejenigen Glaubens-Lehren insbesondre Geheimnisse welche über die Vernunft gehen, oder durch die bloße Vernunft weder zu erfinden noch zu beweisen sind. Mit solchen Catechismus-Begriffen der Wörter Glaube, Evangelium und Geheimnisse kömmt man hernach zur Lesung des neuen Testaments: und wenn man da findet, daß Jesus den Glauben ans Evangelium fordert, so stellet man sich bey diesen Worten den ganzen Inbegrif der jetzigen christlichen Catechismus-Lehre mit allen Articuln und Geheimnisten vor, welchen man in seiner Jugend gelernet hat, und so zu nennen gewohnt ist; und denket denn, daß Jesus einen solchen Inbegrif der Lehre meyne, und den zu glauben fodern, wo man wolle selig werden. Da doch aus obigen erhellet, daß Jesus durch den Glauben ans Evangelium nichts anders andeute, als das Vertrauen zu ihm und zu der Bothschaft welche er verkündigen ließ, daß jetzt unter ihm das Reich des Meßias seinen Anfang [27] nehmen sollte: und daß er durch Geheimnisse verstehe die Gleichniß-Reden von eben diesem Reiche, soferne sie nicht einem jeden von dem gemeinem Manne gleich verständlich waren, sondern einer Erklärung brauchten.
§. 10.
Weil heutiges Tages die Lehre von der Dreyfaltigkeit der Personen in Gott, und von dem Werke der Erlösung durch Jesum, als den Sohn Gottes, und Gott-Menschen, die Haupt-Articul und Geheimnisse des christlichen Glaubens ausmachen: so will ich insbesondere zeigen, daß man in Jesu Reden diese Lehren nicht finde. Zu dem Ende will ich erklären, in welchem Verstande Jesus der Sohn Gottes genannt wird; was der heilige Geist bedeute, und endlich was es heisse, wenn bey der Taufe, Vater, Sohn und heiliger Geist zusammen gesetzt werden. Erstlich nennet sich Jesus den Sohn Gottes, und lässet sich von andern, insbesondere von seinen Jüngern, so nennen. Was das bedeute, müssen wir nicht aus unserer angenommenen Catechismus-Meynung, sondern aus den Stellen des alten Testaments und der Evangelisten [28] ausmachen. Weil aber noch viele mit der Catechismus-Bedeutung dieser Redens-Art noch ganz eingenommen seyn möchten, so will ich die Stellen des alten Testaments hersetzen, damit man erkenne, daß die Hebräer einen ganz andern Begriff mit diesem Worte verknüpft haben, und daß es nichts weiter heisse, als der Geliebte Gottes (Jeddjah). Gott erkläret nach der Sprache der Schrift diejenigen für seine Söhne, die er liebt: so wie wir auch heutiges Tages noch aus Liehe zu einem jüngern und geringern sagen, mein Sohn. Gott spricht zu Mose: Du sollt zu Pharao sagen; Israel ist mein Sohn, mein Erstgebohrner – – laß meinen Sohn ziehen, daß er mir diene. Moses hält den Israeliten vor: daß sie Gott getragen hat in der Wüsten, wie ein Mann seinen Sohn trägt. Nathan muß auf göttlichen Befehl dem König David den Salomo verheissen, von dem Gott spricht: ich will sein Vater seyn, er aber wird mein Sohn seyn – – meine Gütigkeit wird nicht von ihm weichen. Im andern Psalm sagt David in gleichem Verstande, daß Gott zu ihm so gesprochen habe: du bist mein Sohn, ich habe [29] dich heute gezeuget: küsset den Sohn, aus daß er (Gott) nicht zürne. In einem andern Psalm hält der Verfasser zur Zeit, da das Israelitische Volt ganz zerstöhret war, Gott die Verheissung vor: dazumal redetest du im Gesichte: Er (David) wird mich nennen also, du bist mein Vater, mein Gott, und der Fels meines Heils, auch will ich ihn zum erstgebohrnen Sohn machen – – ich will ihm ewiglich bewahren meine Gutthätigkeit. Jeremias führt Gott redend ein von Israel: ich bin Israels Vater, und Ephraim ist mein erstgebohrner Sohn, ist er mir nicht ein Kind, an welchem ich alle Lust habe? Im Buche der Weisheit sprechen die Gottlosen von dem Gerechten überhaupt: Lasset uns den armen Gerechten überwältigen, lasset uns der Wittwen nicht schonen, noch für des Alten graue Haare uns schämen. Laßt uns auf den Gerechten lauren, denn er ist uns verdrieslich: er giebt für, daß er Gott kenne, und nennet sich Gottes Knecht, oder Kind (παῖδα). Wohlan lasset uns sehen, ob seine Worte wahr seyn, und versuchen wie es mit ihm ein Ende nehmen will. [30] Denn so der Gerechte Gottes Sohn ist, so wird er sich sein annehmen und ihn erretten von der Hand der Widersacher. Wir wollen ihn zum schändlichen Tod verdammen; dann es wird eine Aufsicht auf ihn geschehen nach seinen Worten. Hier sind ohne Streit lauter bloße Menschen, die Söhne Gottes heissen, und zwar, wie ein jeder erkennet, darum weil Gott sie liebet, an ihnen Lust hat, ihnen seine Gutthätigkeit beweiset, und sie schützet. Ob die Redens-Art im neuen Testamente was anders bedeute, wollen wir jetzt sehen.
§. 11.
Wir haben gleich anfangs im neuen Testamente einen Engel, der der Maria verkündiget, daß der Heilige, so von ihr gebohren würde, Gottes Sohn genennet werden sollte! und hernach bey der Taufe Jesu, und bey seiner Verklärung auf dem Berge eine Stimme vom Himmel, die da sagt: dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Es wird also nach der göttlichen Stimme Jesus ein Sohn Gottes genannt, weil er ihn liebte [31] und Wohlgefallen an ihm hatte; welches mithin auf gleichem Fuß geschieht, wie im Alten Testamente David, Salomon, ja ganz Israel Gottes Sohn genennet ward. Die Versuchung des Satans, welche gleich auf die Taufe Jesu folgt, erkläret es vollends. Denn da spricht der Satan zu Jesu, als ihn nach langen Fasten in der Wüsten hungerte: Bist du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steine Brod werden; das ist, bist du der Geliebte Gottes, so wird er dich nicht hungern lassen, so wird er dir eher aus den Steinen Brod schaffen, wenn du ihn darum bittest. Weiter spricht der Satan, als er Jesum auf die Spitze des Tempels gestellt: bist du Gottes Sohn, so laß dich hinab: denn es stehet geschrieben, er wird seinen Engel über dir Befehl thun, daß sie dich auf den Händen tragen, auf daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Die Worte sind aus dem 91. Psalm, da die Rede ist von den Frommen, welche unter dem Schutze des Höchsten sind, und ihr Vertrauen auf seine Bewahrung setzen können, im Gegensatze von dem Gottlosen. Die Frommen aber geniessen der besondern Vorsorge [32] Gottes wegen der Liebe die er zu ihnen trägt: so daß es wohl im alten Testamente heisset, daß Gott selbst (so wie da von den Engeln, gesagt wird) die Israeliten getragen, wie ein Mann seinen Sohn trägt. Was antwortet aber Jesus dem Satan hierauf? sagt er etwan: ich bin von Gott als meinem Vater von Ewigkeit gezeuget, ich bin Gott von Wesen und Natur, und meinem Vater gleich, oder eines Wesens mit ihm? Nein; er spricht auf das erste: es stehet geschrieben, der Mensch lebt nicht vom Brodte allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes gehet. Der Ort ist aus dem fünften Buche Mose, da Moses den Israeliten vorhält, daß Gott sie zwar hungern lassen: aber auch mit Man gespeiset. Da setzt er hinzu: so erkennest du ja in deinem Herzen, daß der Herr dein Gott dich gezogen hat, wie ein Mann seinen Sohn zeucht. Demnach da Jesus beweisen will, er dürfte als ein Sohn Gottes eben nicht aus den Steinen das Brod suchen; so beweiset er, daß er ein Mensch sey, der von dem göttlichen Wort lebe, und auf Gottes Verheissung, Liebe und Vorsorge baue. Denn wie ein Vater sein [33] Kind zuweilen hungern lässet, und ihm auch zu rechter Zeit so viel Brod giebt als ihm dienet: wie Gott vorzeiten seinen geliebten und erstgebohrnen Sohn Israel zuweilen in Mangel und Hunger gerathen lassen, aber auch hernach mit dem Himmel- oder Engelbrodt gespeiset: so werde ihm Gott auch nach seiner besondern Liebe und Vorsorge zu rechter Zeit Speise geben; wie denn bald hernach die Engel kamen, und ihm dienten, das ist, Essen zutrugen. Weiter sagt Jesus auf das andere: wiederum stehet auch geschrieben, du sollt Gott deinen Herrn nicht vesuchen. Die Worte sind abermal aus demselben Buche Mosis, da Moses die Iraeliten sowohl überhaupt aufmuntert zur Beobachtung der Gebote Gottes des Herrn, als auch insonderheit sie warnet, ihn nicht wieder so zu versuchen, wie zu Massa bey dem Hader-Wasser. Demnach, da Jesus beweisen soll, daß er sich als ein Sohn Gottes nicht vom Tempel herunterlassen dürfte, so beweiset er es daher, daß er Gott seinen Herrn nicht versuchen solle, indem er Wunder verlange. Ein Sohn Gottes erkennet demnach Gott für seinen Herrn, von dem er nicht mehr ausserordentliche [34] Liebeszeichcn verlanget, als seine weise Führung zulässet. Endlich, wie der Satan verlanget von Jesu angebetet zu werden, so antwortet dieser: es stehet geschrieben, du sollt Gott deinen Herrn anbeten, und ihm alleine dienen: welche Worte aus eben dem Orte Mosis geholet sind, und den Beweis in sich halten, daß Jesus als ein Sohn Gottes denselben allein anbeten und ihm dienen müsse. Also erhellet aus allen dreyen Stellen, daß weder der Satan, noch Jesus selbst einen andern Begrif mit den Worten Gottes Sohn verknüpfet, als daß derselbe ein Mensch sey, der von Gott geliebet, besonders geliebet und geschützet wird: und Jesus will insonderheit dadurch erweisen, daß er ein rechter Sohn Gottes sey, weil er von Gottes Wort der Verheissung lebet, Gott seinen Herrn nicht versuchet, und ihn anbetet und verehret. Auch haben die Juden insgemein diese Benennung nicht anders vrstanden. Sie sprachen zum Exempel zu Jesu, als er schon am Kreuze hieng: Bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuze: Er hat Gott vertraut, der erlöse ihn auch, lüstets ihn; denn er hat gesagt, ich bin Gottes Sohn. Die Rede scheinet auf die Worte [35] des Buchs der Weisheit zu zielen, welche ich vorhin angeführt habe. Er (der Gerechte) giebt für, daß er Gott kenne, und rühmet sich als Gottes Kind – – und rühmet, daß Gott sein Vater sey. – Ist der Gereckte Gottes Sohn, so wird er ihm helfen und erretten von der Hand der Widersacher. Und hierin steckt eine so deutliche Erklärung von der Spötterey der Juden wider Jesum, daß ich sie nicht besser geben kann; aber auch ein genügsamer Beweis, daß die Juden durch einen Sohn Gottes nichts anders gemeinet, als einen Frommen oder Gerechten, den Gott besonders liebe, und sich also auch desselben auf eine wunderthätige Art annehmen würde. Gleichwie hergegen der Hauptmann und die bey ihm waren, als sie sahen das Erdbeben und was da geschehen, sprachen: dieser ist warlich Gottes Sohn gewesen: ein frommer und bey Gott beliebter Mensch, über dessen unbilligen Tod Gott zürnet.
§. 12.
Man verstehet hieraus genugsam, daß die allgemeine Bedeutung der Ausdrückung, Gottes [36] Sohn, auch im neuen Testamente, bey den Juden und in Jesu eigenem Munde, einen von Gott besonders geliebten Menschen anzeige. Jedoch muß ich noch hinzufügen, daß das Wort zuweilen in einem ausnehmenden Verstande genommen werde. Es wird aber ein Wort in ausnehmenden Verstande genommen, wenn es zwar an sich vielen einer Art zukommt, aber alsdenn nur ein gewisses individuum oder einzelnes Ding derselben Art anzeiget, welches sich durch einen Vorzug oder Grad der Vollkommenheit von andern seiner Art unterscheidet. So ist ein Prophet, oder der Prophet im ausnehmenden Verstande, ein größerer Prophet: der Gesalbte oder Meßias, ist im ausnehmenden Verstande, ein größerer König. So ist denn auch der Sohn Gottes im ausnehmenden Verstande, der mehr von Gott geliebet ist, als alle andre Geliebte. Alles dreyes im ausnehmenden Verstande aber ward zu den Zeiten bey den Juden von dem Erlöser Israels gesagt. Denn je mehr das arme Volk in Bedruck gerieth, je mehr suchten sie sich mit diesem Trost Israels aufzurichten, und alles, was groß und angenehm im A. T. war, auf ihren gehoften Erlöser zu deuten.“ Und dazu gab ihnen ihre [37] allegorische Erklärungs-Art guten Zuschuß. Vermöge welcher es ihnen nicht schwer fiel, alles was sie wollten in allen Worten und in allen Sachen zu finden. Demnach mußten sie den gehoften Erlöser Israels nicht allein zum großen Könige, sondern auch zum großen Propheten, und zu einem besonders von Gott Geliebten zu machen; und da mußten David, Salomon, ja selbst das Volk Israel, Vorbilder des Meßias werden, nicht nur in soferne jene große Könige, und David zugleich ein großer Prophet war, sondern in soferne Gott alle drey seine Söhne oder Geliebte geheissen. Auf solche allegorische Weise wird der Spruch beym Mose: aus Egypten habe ich meinen Sohn gerufen, ob er gleich lediglich vom Volke Israel redet, auf Jesu Wiederkunft aus Egypten gezogen; blos damit anzudeuten, daß Jesus der Geliebte Gottes ober der Meßias sey. Und wenn dergleichen Stellen A. T. noch nicht genug sind, Jesum als einen solchen zu erweisen: so kömmt eine Bat-Kol, eine Stimme vom Himmel, die solches bekräftiget: Dis ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe: weil damals die Juden gewohnt waren, alles was nach der Schrift noch streitig seyn [38] mögte, durch eine Bat-Kol oder Stimme vom Himmel zu beweisen und zu entscheiden. Obwohl in dieser Stimme auch auf den Spruch beym Esaias, den die Juden vom Meßias an, zunehmen pflegten, zugleich mit gezielet werden mag, da es heisset: siehe dis ist mein Knecht, den ich erhalten will, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. So war denn die Benennung des Meßias, daß er im ausnehmenden Verstande der Sohn Gottes hieß, das ist, den Gott besonders liebte und an dem er Wohlgefallen hätte, damals bey den Juden eingeführt, und daher heisset, der Sohn Gottes seyn, und der Christ der Meßias seyn, einerley. Es ist offenbar aus dem Bekenntniß Petri, da er zu Jesu sagt: du bist Christus der Sohn des lebendigen Gottes: denn Jesus verbot darauf seinen Jüngern, daß sie niemand sagen sollen, daß er der Christ, (d. i. Meßias) wäre. So beeidiget auch der Hohepriester Jesum, daß er sagen soll, ob er sey Christus der Sohn Gottes. Auch wird der Hohenpriester und übrigen Juden Spottfrage: Bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuze, bald darauf so erklärt: ist er der König Israels, so steig er herab vom Kreuze. [39] Gleichwie sich nun die ursprüngliche Bedeutung des Propheten nicht verlieret oder verändert, wenn das Wort im ausnehmenden Verstande auf den gehoften Erlöser Israels gezogen wird; sondern in der That damit gesagt wird, daß dieser Erlöser Israels zugleich ein großer Prophete seyn werde; gleichwie das Wort Christ, Gesalbter oder Meßias, auch in seinem ausnehmenden Verstande von dem Erlöser Israels nichts anders sagt, als sonsten, nemlich daß er werde ein großer König seyn: so können wir auch in der Redens-Art, der Sohn Gottes, soferne sie ausnehmend den verheissenen Erlöser Israels anzeigen soll, keine fremde und unerhörte Bedeutung annehmen, sondern wir müssen blos die gebräuchliche erweitern, und verstehen, daß der Meßias darum so heisse, weil er besonders von Gott geliebt seyn werde. Dieses ist klar aus der himmlischen Stimme, welche ihn zu Gottes Sohn macht, in sofern er ein Sohn der Liebe ist, und Gott Wohlgefallen an ihm hat: es ist klar aus den Sinnbildern des A. T., dem David, dem Salomon, und dem Volke Israel, in welchen Bildern sich die Juden ihren Messias vorstelleten, in soferne sie, wegen der ausnehmenden Liebe Gottes zu denselben, [40] Gottes Söhne heissen: es ist klar aus des Hauptmanns Rede, da er, was die Hohenpriester spottsweise sagten, im Ernste wiederhohlt: Dieser ist wahrlich Gottes Sohn gewesen. Denn wie die Hohenpriester die ausbleibende liebreiche Hülfe Gottes zum Beweise setzen, daß Jesus nicht Gottes Sohn gewesen, bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuze: so schliesset der Hauptmann, daß er Gottes Sohn gewesen, weil Gott durch das Erdbeben an den Tag legte, daß er ihn geliebet hätte. Es ist endlich klar aus Jesu eigener Unterredung mit dem Satan: da der Satan behauptet, er könne nicht der Sohn Gottes in solchem ausnehmenden Verstande seyn, weil sonst Gott diese ausnehmende Liebe durch eine wunderthätige Hülfe bey ihm darthun würde: Jesus aber an dem Beyspiel des Volks Israel, welches gleichfalls Gottes Sohn heisset, zeiget, daß Gott wohl jemand lieben könne, ob er ihn gleich eine Weile hungern lässet, und daß ein Geliebter Gottes auch das Vertrauen zu Gott habe müsse, er werde ihm zu rechter Zeit helfen, nicht aber Gottes Liebe auf die Probe stellen müsse, daß er unnöthige Wunder verlange. [41] So offenbar nun diese Bedeutung ist, so unschriftmäßig, neu und unerhört ist die andere, da man aus dem Sohne Gottes eine Person machet, die Gott und aus Gottes Wesen von Ewigkeit gezeuget ist, und wiederum mit dem Vater, der ihn gezeuget hat, eine dritte göttliche Person von sich ausgehen lässet. Einen solchen Sohn Gottes kennet das alte Testament, kennen die Juden, kennen die Evangelisten nicht, und Jesus selbst giebt sich nicht davor aus; sondern die Apostel haben zuerst in dieser Benennung was höheres gesucht. Der Verfasser des Briefes an die Hebräer spricht daher: zu welchem der Engel hat er jemals gesagt: du bist mein Sohn, ich habe dich heute gezeuget? und abermals: ich werde sein Vater seyn,und er wird mein Sohn seyn? Demnach schliesset er, müsse derselbe höher seyn, denn die Engel sind. Nun ist doch offenbar, daß diese Benennung in der Schrift nicht allein den Engeln gegeben wird, da sie Söhne Gottes, ja selbst Götter heissen; sondern daß sie sogar bloßen Menschen, als insonderheit dem Volke Israel, das doch aus so vielen Gottlosen bestand, beygeleget wird. Wie lässet sich denn daraus [42] erzwingen, daß wenn einer ein Sohn Gottes genannt wird, er einer höhern Natur und Wesens als die Engel selbst seyn müsse? Dazu wußte ja der Verfasser des Briefes wohl, daß die angeführten Stellen eigentlich von Menschen, von dem David und Salomon reden, und nur durch seine gewohnte Allegorie auf den Meßias gezogen würden. Wenn nun die Benennung eines Sohnes Gottes von den eigentlich gemeinten Menschen blos sagen will, daß sie besonders von Gott geliebet sind: kann sie in der Allegorie was anders bedeuten? Das wäre eine neue Art zu allegorisiren, dadurch man aus allem alles machen könnte. Eine Allegorie ist nemlich, wenn man statt des Subjecti, welches eigentlich gemeinet ist, ein anderes Subjectum als ein Gegenbild nimmt, und darauf dasselbe Praedicatum appliciret, welches dem eigentlichen Subjecto beygelegt ward, könnte man in der Allegorie auch das Praedicatum ändern, oder welches einerley ist, in einem andern Verstande nehmen, so wäre es gar eine ungezähmte Art der Deutung, und der Satz, so herausgebracht würde, hätte nicht die geringste Verwandschaft mit demjenigen, [43] worin er soll enthalten seyn. Zum Exempel Paulus nimmt den Satz aus dem A. T. Hagar ist die Magd, Sara ist die Freye. Er allegorisiret, wenn er Hagar auf die Kirche alten Testaments, Sara auf die Kirche neuen Testaments deutet. Aber er lässet doch die Bedeutung des Praedicati bey seiner Allegorie, daß jene Kirche knechtisch gewesen, diese aber frey sey. Wenn er auch das Praedicatum hätte ändern wollen, so hörte es auf, eine Allegorie zu seyn, es wäre ein Satz, der gar keine Verknüpfung mit dem vorigen behielte, und da also gar kein Grund vorhanden wäre, warum er eben in diesem Satze und nicht vielmehr in einem jeden sey gesuchet worden. Denn so könnte ich nur sprechen, der Satz: Hagar ist die Magd, heisset so viel, als die Kirche altes Testaments ist eine Theocratie gewesen: Sara ist die Freye, heisset so viel, als die Kirche neues Testaments hat zehn große Verfolgungen ausstehen müssen. Wo wollte die ausschweifende Auslegung hin? Da an sich die Allegorie, welche statt des eigentlich gemeinten Subjecti ein anderes Subjectum setzet, schon ein Spielwerk der Einbildungskraft ist, so würde aus solcher [44] Allegorie, da vollends auch das Praedicatum geändert würde, gar ein Traum werden. Wollte nun der Verfasser des Briefes an die Hebräer ja allegorisiren, so mögte er etwa sprechen: David ist Gottes Sohn (oder Geliebter); Salomon ist Gottes Sohn (oder Geliebter); wir haben einen andern David und Salomon, den Meßias; folglich ist der auch der Geliebte Gottes: so liesse er bey der Allegorie das Praedicatum des Vorbildes, und applicirte es auf das Gegenbild. Aber da er spricht: also ist er höher als die Engel, so verändert er auch die Bedeutung des Praedicati; indem offenbar ist, daß die Redensart von dem David und Salomon das nicht bedeutet, daß sie höher als die Engel wären. Folglich gehet des Verfassers Allegorie ganz von allen Regeln einer Allegorie ab, und hat um so viel weniger in den angeführten Stellen Grund.
§. 13.
Ich will unterdessen nicht in Abrede seyn, daß Jesus sich alle diejenigen Vorzüge zueignet, welche aus den Benennungen eines ausnehmenden Propheten, Königes und Geliebten Gottes [45] fliessen, und den damaligen Meinungen der Juden von dem Meßias gemäß waren: aber es bleibt dennoch alles in den Schranken der Menschlichkeit. Er sagt wohl, Hier ist mehr denn Jonas, aber nur in soferne er als der Meßias ein größerer Prophet seyn sollte: er sagt, Hier ist mehr denn Salomo; aber nur in soferne er als der Meßias ein grösserer König seyn sollte. Er nimmt es wohl an, daß er sey Gottes Sohn, aber nur insoferne dieses den Christ bedeutet: und wenn der Hohepriester ihn beschwöret, ob er sey Christus der Sohn Gottes, so antwortet er: du sagst es, ich bins, und von nun an werdet ihr sehen des Menschen Sohn sitzen zur rechten Hand der Kraft, und kommen in den Wolken des Himmels. Es ist ihm also einerley Gottes Sohn seyn, und ein Menschen Sohn seyn, der von Gott so sehr erhöhet wird. Und man wird finden, daß Jesus sich selbst am allerliebsten und öftersten des Menschen Sohn nennet, weil diese Benennung eine Geringschätzlichkeit von sich selbst und eine Demuth anzeiget, und weil Jesaias den Geliebten an dem Gott Wohlgefallen hat, nach [46] der Eigenschaft der Demuth beschreibet. Er heisset Gott zum öftern seinen Vater: aber auch dieses war eine damals gebräuchliche Benennnung Gottes, die alle Menschen, ihre Ehrfurcht und Vertrauen anzuzeigen, von Gott gebrauchten: und er hat es kein Hehl zu gestehen, der Vater ist größer denn ich. Er lehret die Jünger daher auch nur beten: Unser Vater, der du bist im Himmel, nicht aber unser Vater und Sohn Gottes. Er giebt wohl zu verstehen, er sey ein Herr Davids, aber in soferne er als der Meßias ein Reich aufrichten sollte, dazu alle Todten, auch selbst David, von Gott erwecket würden, und darin er König seyn und alle Welt richten sollte: wie auch die Juden sich das Reich des Meßias damals vorstellten. Er sagt wohl, er sey ehe denn Abraham; aber nur in soferne seine Zukunft verheissen war, die nicht allein Abraham, sondern längst vor ihm die Erzväter, im Glauben gesehen. Denn so wie Abraham den Tag Jesu gesehen, so ist Jesus auch gewesen zu Abrahams Zeiten, und vor Abraham. Der Tag Jesu aber ist, nach seinem Verstande, gesehen worden im Glauben an die Verheissungen; [47] demnach ist auch Jesus, nach dem Verstande dieser Worte, eher gewesen als Abraham, in dem Glauben der Erzväter und in den Verheissungen: so wie es anderwärts heisset, daß Jesus als das Lamm geschlachtet sey, von Anbeginn der Welt. Man erkennet aus diesem obenangeführten abermal, was ich schon mehrmals fliessen lassen: wie leichte man aus Unwissenheit der jüdischen Redensarten, Meinungen und Allegorien, zu einem ganz ungegründeten Verstande und Lehrgebäude könne verleitet werden. Denn das kann man überhaupt feste setzen: die hebräischen Redensarten der Juden klingen nach orientalischer Weise hoch und schwülstig; und man sollte Wunder meinen, was für eine große Sache darunter verborgen wäre: sie bedeuten aber allezeit weniger, als wie die Worte anzudeuten scheinen. Man muß sie daher lernen von ihrem Pracht entkleiden und entblößen, so verstehet man erst ihre Sprache recht, und die Geschichte von den Meinungen, welche unter den Juden geherrscht haben, befestiget uns alsdann, daß wir den Verstand getroffen. Da aber die Juden ihre Meinungen, welche seit der babylonischen [48] Gefängniß aufgekommen waren, nicht allemal mit dem Wort-Verstande der Schrift, bestätigen konnten, verfielen sie auf Allegorien, und daher kann man auch keine mehrere Schärfe des Beweises in ihrer Schriftgelehrtheit suchen, als die Art einer Allegorie leidet. Diese Reguln haben mir den Weg gewiesen, auch besonders den wahren Verstand der Redensart zu finden, wenn ein Mensch, und wenn der Meßias Gottes Sohn genannt wird: und ich habe daraus erkannt, daß wenn Jesus sich Gottes Sohn nennet, er nichts anders damit andeuten wolle, als daß er der ausnehmend von Gott geliebte Christ oder Meßias sey: folglich auch hiedurch keine bey den Juden neue Lehre oder neues Geheimniß aufgebracht habe.
§. 14.
Eben die angeführten Reguln werden uns nöthig seyn zu verstehen, was die Hebräer vor einen Begriff gehabt, wenn sie von dem heiligen Geiste reden. Denn die Hebräer spielen überhaupt mit dem Worte Geist. Es bedeutet bey ihnen 1) die Seele selbst. 2) die [49] Gaben und Geschicklichkeit des Gemüths, und 3) den Zustand und die Bewegungen desselben. Daraus entstehen so fremde Redensarten, daß wer die Sprache nicht gewohnt ist, sich gar leicht verkehrte Vorstellungen von der bedeuteten Sache machen könnte. Wer verstehet zum Exempel so leicht, was Lucas sagen will: ein Weib habe einen Geist der Krankheit gehabt achtzehn Jahre lang, und sey krumm oder contract gewesen. Es soll aber nach seiner Art zu reden nichts anders anzeigen, als eine schlimme Beschaffenheit des Gemüths, und Hypochondrie, welche auf eine Nerven-Krankheit und contractes Wesen ausgeschlagen. So wenn von Saul gesagt wird, ein böser Geist habe ihn beunruhiget; würde man sich irren, wenn man ihn für besessen halten wollte. Es war nichts anders als eine böse Gemüths-Beschaffenheit, die in einer Melancholie, verdrießlichen Humeur, Jachzorn und halber Unsinnigkeit bestand. Denn aller Zustand und alle Leidenschaft des Gemüths ist Geist bey den Hebräern, ein Geist des Zorns, ein freudiger Geist, ein geängsteter Geist, ein geduldiger Geist, ein falscher Geist, ein unreiner Geist, ein guter [50] Geist, ein neuer vester Geist sind lauter verschiedene Gemüths-Beschaffenheiten, Bewegungen, Tugenden und Laster, die ein jeder durch diesen Schlüssel leicht selbst erklären kann. Eben so ist es mit der Bedeutung des heiligen Geistes beschaffen. Es bedeutet 1) Gott selbst. Denn wie sonst der Name Gottes, das Angesicht Gottes, die Seele Gottes, Gott selbst bedeutet, so ist auch Gottes Geist und Gott einerley. Darum sagt David: wo soll ich hinfliehen vor deinem Geist, und wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Weil nun Gott heilig ist, so ist auch der heilige Geist und Gott einerley; wie Esaias spricht: sie erbitterten seinen heiligen Geist, darum verkehrte er sich, und ward ihr Feind. Das heißet eben so viel, als sie erbitterten den heiligen Gott, den heiligen Israel. 2) Werden durch dies Wort angezeigt, die heiligen Gaben des Gemüths bey den Menschen, sofern sie von Gott kommen, sie seyn nun ordentlich und natürlich, oder ausserordentlich, als Weissagungen und Wunder. So braucht es Esaias bald darauf: wo ist der seinen heiligen Geist unter sie gab? wodurch auf die Weissagung der [51] siebzig Männer im Lager zu Mosis Zeiten gezielet wird. Also heissen die Worte soviel: wo ist der Gott, der jenen die Gabe der Weissagung mittheilete? 3) Soll es die gute Beschaffenheit des Gemüths und die heiligen Regungen desselben vorstellen; als in dem bekannten Buß-Psalm, da David nach Bereuung seiner Sünde bittet, um Erneuerung eines festen Geistes, das ist, um einen geänderten Sinn, der beständig sey im Guten; darnach, daß der heilige Geist nicht möge von ihm genommen werden, welches eben der erneuerte Sinn und fester Vorsatz im Guten ist, um dessen Beständigkeit er gebeten hatte; endlich, daß der freudige Geist ihn enthalten und unterstützen möge, das ist, sein Gemüth möge Freudigkeit und gute Zuversicht zu Gottes Gnade haben. Er tröstet sich auch damit, daß Gott ihm werde gnädig seyn, weil ein zerbrochener Geist, nemlich ein Gemüth voll Reue und Leid Gott wohl gefalle. Wie man nun nicht besonders einen heiligen Geist, und wieder einen festen Geist, dann einen freudigen Geist in Gott selbst annehmen kann, so sind alle diese Geister, daß ich so rede, nichts anders, als die verschiedene [52] Gemüths-Regung und Beschaffenheit bey dem David. Jedoch in soferne die Regungen des Menschen gut sind, und alle gute Gaben von Gott kommen, so wird denn auch ein jeglicher guter Geist Gott zugeschrieben, und sonst auch wohl der Geist des HErrn, der Geist Gottes genannt, der über die Menschen gekommen, oder über sie ausgegossen worden, u. s. w.
§. 15.
Im neuen Testamente ist die Erwehnung des heiligen Geistes sehr häufig, jedoch in eben dem dreyfachen Verstande, 1) Bedeutet es Gott selbst, als wenn es vom Ananias heisset, er habe dem heiligen Geist gelogen, welches hernach erkläret wird, er habe Gott gelogen. 2) Am öftersten sind darunter die ordentlichen so wohl als ausserordentlichen Gaben zu verstehen. So sollte Johannes noch im Mutterleibe erfüllet werden mit dem heiligen Geist, das ist, mit besondern Gaben. Es heisset, der Vater wird den heiligen Geist geben denen, die ihn darum bitten, wo es mit den Gaben, welche Väter ihren Kindern geben, verglichen wird, und also heilige Gaben anzeiget. Mit dem heiligen Geiste [53] getaufet werden, heisset mit allerley geistlichen Gaben ausgerüstet werden. Daß der heilige Geist noch nicht da war, wie es beym Johannes lautet, kann nichts anders bedeuten, als daß die ausserordentlichen Gaben noch nicht mitgetheilet waren. Und so wußten die Jünger Johannis noch nicht, ob ein heiliger Geist sey: nemlich ob solche ausserordentliche Gaben unter den Jüngern herrschten. Hernach aber als sie getaufet waren, kam der heilige Geist auf sie, und redeten mit Zungen und weissagten. Dahin gehöret auch der heilige Geist als Advocate, welchen Jesus verheissen, nemlich eine besondere Gabe zu reden und sich zu vertheidigen. 3) Sind durch den heiligen Geist die heiligen Regungen und Triebe zu verstehen. So ward Elisabeth und Zacharias des heiligen Geistes voll, das ist, sie empfunden einen heiligen Trieb, Gott zu loben. So ist die Lästerung wider den heiligen Geist vermuthlich zu verstehen, als eine Lästerung wider den innern Trieb des Gewissens. Mit mehrern Stellen der Schrift mag ich meine Leser nicht beschweren: und Verständige werden von selbst sehen, daß die übrigen hieraus leicht zu erklären sind, und daß darin [54] kein Begriff einer besondern Person in Gott verborgen lieget.
§. 16.
Nun will ich auch noch mit wenigen der Stellen gedenken, wo man gemeiniglich glaubt, daß alle drey Personen der Gottheit, Vater, Sohn und heiliger Geist, zugleich aufgeführet werden. Dieser Stellen sind bey den Evangelisten nur zwo; die eine bey der Taufe Jesu, und die andere bey der Tauf-Formul, welche Jesus seinen Jüngern soll vorgeschrieben haben. Wegen der letztern muß ich um einen kleinen Aufschub bitten: weil ich sie nicht eher in ein volles Licht setzen kann, bis ich die Tauf-Ceremonie selbst werde erläutert haben, welches bald darunter geschehen soll. Mit der Taufe Jesu selbst war es so beschaffen. Der Meßias sollte, vermöge der Weissagungen, als der von Gott besonders Geliebte mit ausserordentlichen Gaben reichlich überschüttet seyn, Gott wollte seinen Geist über ihn ausgiessen, oder, wie es sonst heisset, ihn mit Freuden-Oel salben mehr denn seine Gesellen. Diese reiche Schenkung geistlicher Gaben konnte nicht besser vorgestellet [55] werden als bey der Taufe: darum auch Johannes und die Apostel die Redens-Art brauchen, mit dem heiligen Geist getaufet werden, wenn sie sagen wollen, daß die Menschen mit besondern geistlichen Gaben überschüttet sind. Demnach da Johannes der Täufer, seinen Vetter Jesus dem Volke als den Meßias vorstellen will: so siehet er den Himmel offen, und den heiligen Geist als eine Taube herab fahren, dabey höret er eine Stimme vom Himmel, (eine Bath-Kol) dis ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe. Wir wollen aus dem Lucas annehmen, daß hier eine körperliche Gestalt der Taube gemeinet sey: jedoch war alles dieses nur ein Gesichte, und geschahe nicht würklich. Der eine Johannes der Täufer stehet und höret alles alleine, Marcus sagt: er (Johannes) sahe den Geist Gottes herunterfahren als eine Taube: und bey dem Evangelisten Johannes spricht Johannes der Täufer selbst: ich habe den Geist als eine Taube vom Himmel herunter fahren sehen, und er blieb auf ihm. Wäre die Sache würklich geschehen, so würde alles Volk, so dabey stand, solches mit gesehen und gehöret haben: und dann würden die Evangelisten solches Sehen [56] und Hören auch nicht so sorgfältig auf den einen Johannes einschränken; sondern sie hätten vielmehr Ursache, sich auf alles gegenwärtige Volk, als Augen- und Ohren-Zeugen zu berufen. Nun aber da Johannes alleine siehet und höret, wovon andere nichts wissen: so ist es ein solches Gesichte, wie Stephanus gehabt, der unter so vielem Volke alleine den Himmel offen siehet und Jesum zur rechten Hand Gottes sitzen; welches kein vernünftiger Mensch für eine wahre Begebenheit halten kann. Und wie Cornelius in einem Gesichte einen Engel sahe, und mit sich reden hörte, und Petrus bald darauf in einem Gesichte den Himmel offen und allerley Thiere vom Himmel herunter kommen sahe, und eine Stimme mit sich reden hörte: so sahe auch Johannes den Himmel offen und eine Taube herab kommen, und hörte darauf eine Stimme. Und wie könnte sich wohl der Himmel in der That aufthun? wie können vernünftige Menschen sich dergleichen gedenken? Die Einbildungskraft aber, worin die Gesichte vorgesiellet werden, kann dergleichen mahlen: und Grotius bemerket gar wohl, id velut solenne signum παῖς ὀπτασίαις, die Oeffnung [57] des Himmels sey ein gewöhnlich Zeichen der Gesichte, welches vorangesetzet wird, als beym Ezechiel: da that sich der Himmel auf, und Gott zeigete mir Gesichte. So wenig demnach der Himmel sich in der Wahrheit öffnen kann, so wenig GOtt mit leiblichen Augen kann gesehen werden, oder ein Menschenkind bey ihm zur rechten Hand im Himmel stehen kann: so wenig ein Tuch an vier Zippeln gebunden allerley Thiere in sich fassen, und so mit den Thieren aus dem Himmel herunter kommen kann: eben so wenig kann der Himmel, in welchem und aus welchem dieses soll geschehen und gehöret seyn, sich in der That öffnen, oder auch aus dem geöffneten Himmel eine Taube herunter fliegen. Es ist auch die Meinung und Absicht der Hebräischen Schreiber nicht einmal, daß sie dergleichen Dinge als eine würkliche Begebenheit vorstellen wollten; sondern wer ihre Sprache verstehet, der weiß wohl, daß sie in dergleichen Fällen, und unter solchen Redensarten nichts als prophetische Gesichte und Träume erzählen wollen, wenn sie gleich dieselbe als eine Geschichte oder Historie einkleiden. Abermal ein Zeichen, wie sehr man [58] sich, ohne genaue Kunde der Schreibart der Hebräer, in dem wahren Verstande ihrer Worte betriegen kann.
§. 17.
Wir setzen es demnach als gnugsam bewiesen voraus, daß dasjenige, so bey der Taufe Jesu erzehlt wird, selbst nach der Absicht und Meinung der Evangelisten, nichs anders als ein Gesichte Johannis des Täufers seyn soll. Weil nun Gesichte nichts anders, als Vorstellungen in der Einbildungskraft sind, und die Einbildungskraft mit lauter sinnlichen Bildern beschäftiget ist: so ist kein Wunder, daß Johannes die geistlichen Gaben, welche Gott vom Himmel dem Meßias mittheilet, in einem sinnlichen Bilde, und zwar einer Taube, die vom Himmel herab kommt, vorstellet. Grotius hat auch hier mit guter Einsicht bemerket, daß der Grund dieses ganzen Gesichtes in dem Orte des Esaias liege, woraus auch die Worte der himmlischen Stimme hergeholet sind: dis ist mein Auserwählter, an dem ich Wohlgefallen habe. Nun wird in dem angeführten Orte der Meßias bey alten seinen Gaben als sehr sanftmuthig abgebildet. Folglich, da die [59] Tauben ein Bild der Sanftmuth sind, und das Sprichwort πραότερος περιστερός sanftmüthiger als eine Taube, ohne falsch wie eine Taube, bekannt ist: so stellete die Einbildungskraft in dem Gesichte den heiligen Geist, oder die geistlichen Gaben, die auf Jesum, als den Meßias von Gott kommen sollten, durch eine Taube vor, welche vom Himmel auf ihn herab gefahren und auf ihn geblieben. Denn alle gute Gaben kommen von oben herab von dem Vater des Lichts, und wenn die sinnliche Einbildungskraft diese Gaben vorstellen will, so bekommen sie eine Gestalt und Bilde. So stellet Daniel den Rathschluß der Vorsehung Gottes über den König Nebucadnezar vor unter dem Bilde eines Wächters, der vom Himmel herabgefahren. So stellet die Einbildungskraft in dem Traume Jacobs den göttlichen Schutz über ihn vor unter dem Bilde der Engel, die auf einer Leiter vom Himmel zu ihm herabsteigen. So wird das Verhängniß Gottes, daß Ahab denen falschen Propheten mehr Glauben zustellen mußte als dem Micha, vorgestellet durch einen falschen Geist, der vom Himmel herab geschicket worden, und sich in der Propheten [60] Mund gesetzet. Und wenn Johannes die Heiligungs-Gaben in der Kirche des Neuen Testaments als von Gott geschenket vorstellen will, so siehet er ein neues Jerusalem, die heilige Stadt, vom Himmel herabfahren, und höret eine große Stimme, die da spricht: siehe da eine Hütte Gottes bey dem Menschen. Da demnach Johannes der Täufer Jesum vorstellen will, als mit ausserordentlichem Geiste, oder Gaben, jedoch voller Sanftmuth von Gott ausgerüstet, und als den Geliebten Gottes, den Meßias: so siehet er den heiligen Geist in Gestalt einer Taube vom Himmel herab fahren, und auf ihn bleiben: und siehe da, eine Stimme vom Himmel rufet: dis ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Es sind also in diesem Gesichte nicht drey verschiedene göttliche Personen vorgestellet; sondern wie oben deutlich erwiesen ist, daß der Sohn Gottes bloß einen Menschen bedeute, den Gott sonderlich liebet, und ausnehmend, den Meßias; und wie jetzt gezeiget ist, daß der heilige Geist, der auf Jesum in Gestalt einer Taube vom Himmel herab fahret, in dem Gesichte nichts anders vorstelle, als Jesu ausserordentlichen Geist oder Gaben, so [61] ihm vom Himmel geschenket sind: so bleibet nur eine göttliche Person in diesem Gesichte übrig, nemlich die vom Himmel rufet. Johannes hat demnach so wenig als die Evangelisten in diesem Gesichte einen dreyeinigen Gott vorstellen wollen. [61]
§. 18.
Wenn aber Jesus selbst diese fremde und den Juden ganz unbekannte Lehre von dreyen verschiedenen Personen in einem göttlichen Wesen hätte vortragen wollen, oder derselben Erklärung zu den Pflichten seines Lehramts gerechnet hätte: sollte er wohl davon bis nach seiner Auferstehung geschwiegen haben? sollte er sie alsdenn, da er eben Abschied von seinen Jüngern nehmen will, bloß in dem Tauf-Formular mit drey Worten versteckt haben? Sollte er sich in seinem Leben immer geringer machen als den Vater, alle Macht, die er sich selber zuschreibt, demselben als Geber beymessen, und seine Schuldigkeit, demselben zu dienen, zu gehorchen, und ihn anzubeten erkennen? Sollte er nicht auch als Mensch, wenn er selber betet, den Vater und den heiligen Geist, als beydes gleiche [62] Mitpersonen eines Wesens anrufen? Sollte er nicht die Jünger gelehret haben in ihrem Gebet Gott Vater, Sohn und heiligen Geist anzurufen, oder dasselbe mit einem Preis: Ehre sey Gott dem Vater, Sohn und heiligen Geist, zu beschliessen? Wir finden von allen das Gegentheil; und also ist seine Absicht nicht gewesen, einen dreyeinigen Gott vorzustellen, sich selbst, wie viel er auch aus sich machet, Gott gleich zu machen, oder darunter eine neue von dem Judenthume abgehende Lehre einzuführen. Nur eins muß ich noch berühren, das wiederum, aus unvorsichtigem Misverstande der hebräischen Redens-Arten, anders genommen werden könnte, als es in der That zu verstehen ist: nemlich wenn Jesus sagt: ich und der Vater sind eins. Denn das möchte um soviel eher dahin ausgedeutet werden, als es die Juden selbst so auslegten, daß er sich dadurch selbst zum Gott mache. Allein Jesus hatte gleich vorher bedächtlich gesagt: der Vater, der sie (die Schaafe) mir gegeben hat, ist größer denn alles; nämlich größer nicht allein als die Schaafe, sondern auch als der Hirte. Und nach der Beschuldigung der Juden erklärt er sich, [63] daß er darunter verstehe, daß ihn der Vater geheiliget habe, daß er Gottes Sohn sey, daß er die Werke seines Vaters thue, daß der Vater in ihm sey, und er in dem Vater. Was heisset aber das, daß der Vater in ihm, und er in dem Vater ist, und sie also beyde eins sind? Jesus redet ein andermal auch so zweydeutig: Wenn ihr mich kennetet, so kennetet ihr auch meinen Vater, und von nun an kennet ihr ihn, und habt ihn gesehen. Da spricht Philippus zu ihm: Herr zeige uns den Vater, so genüget uns. Jesus spricht zu ihm: Philippe, wer mich gesehen hat, der hat auch den Vater gesehen; wie sprichst du dann, zeige uns den Vater. Gläubst du nicht, daß ich im Vater, und der Vater in mir ist? Das war noch alles hohe und dunkle Zweydeutigkeit: die Auflösung folget erst: an demselbigen Tage werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater bin, und ihr in mir, und ich in euch. Wer meine Gebote hat und hält sie, der ists der mich liebet. Wer mich aber liebet, der wird von meinem Vater geliebet werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren. So waren denn die Jünger Jesu [64] in ihm, sofern sie von ihm geliebet werden, und in seinem Herzen waren. Jesus war wiederum in seinen Jüngern, so ferne er von ihnen geliebet ward; und der Vater war in ihm, weil er seinen Vater liebte, und nach seinem Willen that. Da nun die Redens-Art, ich und der Vater sind eins, durch die andere erkläret wird, so bedeutet sie auch nichts weiter als gegenseitige Liebe, welche eine Einigkeit der Gemüther und des Willens stiftet. Das erhellet gar deutlich aus einem andern Orte, da Jesus für seine Jünger zum Vater bittet: auf daß sie alle eins seyn, gleich wie du Vater in mir bist und ich in dir, daß auch sie in uns eins seyn. – – – Ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit die du mir gegeben hast, auf daß sie eins seyn, gleichwie wir eins sind: ich in ihnen, und du in mir, auf daß sie vollkommen seyn in eins, und daß die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast, und sie geliebet hast, gleichwie du mich geliebet hast. Da werden die drey Redens-Arten, eins seyn, in einander seyn, und sich einander lieben ganz gleichlautend gebraucht, und durch einander erklärt: wie denn auch die Vereinigung [65] zwischen Jesu und seinen Jüngern in gleichem Verstande wie die Vereinigung zwischen ihm und dem Vater, und zwischen dem Vater und den Jüngern genommen, und eine mit der andern desfalls verglichen wird, so daß die Jünger mit in die Gesellschaft der Einheit oder vielmehr Einigkeit Jesu und des Vaters gezogen werden. Und so bedeutet eins seyn im ganzen neuen Testamente nimmer etwas anders, als eine consensionem animorum, eine Uebereinstimmung oder Vereinigung der Gemüther; wie ich aus allen und jeden Stellen darthun könnte, wenn es der Zweck litte. Wenn demnach Jesus sagt, ich und der Vater sind eins, so ist gar seine Absicht nicht, sich dem Wesen nach zu Gott, oder eines Wesens mit dem Vater, und sich also zu einem und demselben, vom Vater nur persönlich unterschiedenen Gott zu machen; sondern blos, auf eine kräftige Art die Liebe zu seinem Vater, und des Vaters zu ihm auszudrücken: welches allerdings von dem Geliebten Gottes oder dem Meßias, auch nach Jüdischer Religion konnte gesagt werden. Demnach ist auch in diesen obwohl etwas zweydeutigen und hohen Worten keine [66] neue Lehre oder Geheimniß verborgen: und das war es was ich erweisen wollte.
§. 19.
Ich wollte ferner erweisen, daß Jesus weder das Ceremonien-Gesetze abzuschaffen gesucht oder befohlen, noch selbst neue Ceremonien eingeführet habe. Das erkenne ich freylich wohl, und habe es auch schon oben erinnert, daß Jesus das Sitten-Gesetz und die innere Bekehrung des Herzens, dem Ceremonien-Gesetze und denen äußerlichen Geberden weit vorziehe: und wenn eins dem andern im Fall der Noth weichen muß, das Ceremonien-Gesetz zurücke stelle; und die gegenseitige Heucheley der Pharisäer und Schriftgelehrten hart bestrafe, welche bloß auf ehrliche äusserliche Scheinheiligkeit hielten und die großen Gebote der Liebe und der Barmherzigkeit darüber hindan setzten. Allein übrigens lässet Jesus das ganze Ceremonial-Gesetze in seinem Werth und Gange. Er bezeugt sich demselben in seinem Wandel selbst alle Wege gemäß: er wohnet dem Gottesdienst in den Synagogen und im Tempel fleißig bey: er höret Mosen und die Propheten, nach alter [67] Gewohnheit an den Sabbathen lesen: er reiset nach Verordnung des Gesetzes auf die hohen Feste, insonderheit Ostern, sodann auch Laubhütten und Kirchweihe nach Jerusalem, und verrichtet daselbst, was die Ordnung des Gottesdienstes mit sich brachte; lässet auch für sich und seine Jünger das Osterlamm schlachten, und isset es mit den gewöhnlichen Lob-Gesängen. Allein er betheuret auch überhaupt, daß er nicht kommen sey, das Gesetze aufzuheben, sondern alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Er verwirft nicht, daß die Pharisäer auch die geringsten Kräuter verzehndeten; er tadelt nur, daß sie dabey das vornehmste im Gesetz verabsäumten: dieses, spricht er, sollte man thun, und jenes nicht lassen. Er erklärt es an sich nicht für unrecht oder thöricht, daß die Pharisäer Gedenk-Riemen trügen, wobey sie sich der Beobachtung des Gesetzes erinnerten, wie es Moses befohlen hatte, und Christus auch vermuthlich selbst that; er bestraft nur, daß sie dieselben vor andern groß und breit hätten, um sich damit sehen zu lassen, als ob sie vor andern auf das Gesetz sorgfältig acht hätten. Er befiehlet dem Aussätzigen, [68] nachdem er rein worden war, sich den Priestern zu zeigen, und die Gabe zu opfern, welche Moses im Gesetze geboten hatte. Er sagt dem Volke und seinen Jüngern: auf Mosis Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer: alles nun was sie euch sagen daß ihr halten sollet, das haltet und thuts: aber nach ihren Werken sollt ihr nicht thun. Er spricht von sich selber: ihr sollt nicht wähnen, daß ich kommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn, Amen, ich sage euch, bis daß der Himmel und die Erde zergehe, wird nicht vergehen der kleinste Buchstab noch ein Strichlein im Gesetze, bis daß es alles geschehe. Wer nun eins von diesen geringsten Geboten auflöset, und lehret gleichwohl die Leute also, der wird der Kleinste heissen im Himmelreich; wer es aber thut und lehret, der wird groß heissen im Himmelreich. Dis zeiget so klar als immer möglich ist, daß Jesus das Gesetz Mosis in allen Stücken bis auf die geringsten Kleinigkeiten (so wie andere Juden auch thaten) für ewig [69] und so lange die Welt stehet, unveränderlich gehalten, das nicht allein nicht abgeschaffet werden und aufhören würde, sondern hauptsächlich in seinem Himmelreich, welches nahe herbeykommen wäre, in dem Reiche Gottes unter dem Meßias, gelten und genau beobachtet werden sollte; so daß wer auch nur der geringsten Gebote eins (als das Verzehnden bis auf alle Kleinigkeiten und dergleichen) nicht hielte, und andere Leute überreden wollte, daß mans so genau nicht halten dürfe, in diesem Reiche des Meßias der Kleinste seyn sollte; wer es aber alles genau hielte und zu halten lehrte, der würde in seinem Himmelreich groß seyn. Es ist also sonnenklar, daß Jesus die Absicht in seinem Lehramte und bey seinem vorstehenden Himmelreiche nicht gehabt, einen einzigen Buchstab oder Strichlein im Gesetze, das ist, nach seiner Sprache ein einziges Ceremonial-Gesetz, welches in Vergleichung der Liebe und Barmherzigkeit und andern solchen Pflichten des Sitten-Gesetzes klein heisset, abzuschaffen, aufzulösen, und als nicht mehr nöthig vorzustellen: sondern vielmehr das ganze Gesetze in diesem bevorstehenden Himmelreiche [70] noch besser in Schwange zu bringen. Da nun die Jüdische Religion durch das Ceremonial-Gesetze hauptsächlich, die Jüdische wird, und sich von andern Religionen unterscheidet: so ist auch zugleich offenbar, daß Jesus die Jüdische Religion in keinem Stücke abschaffen, und statt derselben eine neue einführen wollte. Es folget demnach hieraus auch unwidertreiblich, daß die Apostel der Lehre, Absicht und Befehl ihres Meisters Schnurgrade entgegen gelehret und gehandelt: da sie nicht allein die Heiden von diesem Gesetze entbunden, sondern auch die aus dem Judenthum Bekehrten von solcher Bürde, als die weder sie noch ihre Väter tragen können, los gemacht. Sie hörten nemlich selber auf, das Gesetz Mosis zu beobachten, ohne nur wenn sie aus Noth und zum Schein noch so was mit machen mußten: und lehreten öffentlich, das Gesetze sey nur ein Schatten und Vorbild auf Christum; nun aber der, als der Körper selbst kommen sey, so höre das Schattenwerk auf: es sey nur ein Zuchtmeister auf Christum, der für Kinder gehöre; nun sie aber in die Freyheit der Kinder Gottes versetzet wären, hätten sie dieses Zuchtmeisters [71] nicht mehr nöthig: ja, sie sagten, dieses Gesetze sey nicht allein in sich nicht nütze und vermöge nicht selig zu machen, sondern wenn einer auch z. E. sich beschneiden ließe, dem sey Christus nichts nütze. So wurden denn bald Beschneidung, Opfer, Reinigung, Sabbathe, Neumonden, Festtage, und dergleichen gänzlich abgeschaffet, und das Judenthum zu Grabe gebracht. Dies lässet sich unmöglich mit der Lehre und dem Vorsatze Jesu reimen, und fand auch anfangs großen Widerspruch. Denn sie löseten nicht etwa einen Buchstab oder Strichlein im Gesetze, sondern vielmehr das ganze Gesetze, und alle Gebote, große mit den kleinen, auf, die doch bis Himmel und Erden vergingen, auch in dem Himmelreiche, das die Apostel predigen und fortpflanzen wollten, bestehen sollten: sie lebten und lehreten anders als ihr Meister; nicht wie die, so die Größten seyn wollten im Himmelreich, und die Stämme Israel auf zwölf Stühlen nach diesem Gesetze richten, folglich auch die allergeringsten Gebote dieses Gesetzes selber thun und andere zu thun lehren sollten, wie Jesus befohlen hatte; sondern wie die, so die Kleinsten [72] in diesem Himmelreiche seyn sollten, ja gar nicht dazu gehörten. Mit einem Worte, die Apostel sind ganz und gar in Lehre und Leben von ihrem Meister abgegangen, und haben die Religion und den Zweck desselben fahren lassen, und umgekehrt, und ein ganz neues Lehr-Gebäude eingeführet.
§. 20.
Es stehet auch dahin, ob Jesus selbst die Absicht seines Himmelreichs weiter als auf die Jüdische Nation erstrecket. Denn die Worte sind doch klar, da er seinen Aposteln, die er zur Verkündigung des Himmelreichs ausschicket, diesen Befehl mitgiebt: des Weges zu den Heiden sollt ihr nicht ziehen, noch in eine Stadt der Samariter hinein gehen, sondern gehet vielmehr zu den verlohrnen Schafen des Hauses Israel. Und Jesus sagt selbst von sich, ich bin nicht gesandt denn nur zu den verlohrnen Schafen vom Hause Israel. Ich gestehe, daß ich mit diesen und dergleichen Reden denjenigen Befehl nicht zusammen zu reimen weiß, welchen er nach seiner Auferstehung soll gegeben haben: Gehet [73] hin und lehret alle Heiden und taufet sie. Wenn die Apostel kurz vorher als sie anfangen wollten das Evangelium zu predigen, dergleichen Befehl, alle Heiden zu Jüngern zu machen, von Jesu bekommen hätten: was durfte denn der Apostel Petrus sich Bedenken machen zu dem Hauptmann Cornelius zu gehen um ihn zu bekehren, gleich als ob er sich dadurch verunreinigte? was brauchte er durch ein besonder Gesichte belehret zu werden, daß Gott auch Heiden zum Christenthum ausersehen hätte? Wie sollten die Apostel und Brüder, da er wieder gen Jerusalem kam, darüber mit ihm gezankt haben, daß er zu einem Heiden eingegangen wäre? Act. XI. sq. und warum sollte Petrus in seiner Verantwortung sich allein darauf berufen, daß Jesus zu ihnen gesagt: ihr (verstehe Apostel) sollet mit dem heiligen Geist getaufet werden? Denn die Verheissung gienge an sich die Heiden gar nicht an; und er konnte daraus nur durch einen Vernunft-Schluß seine Vertheidigung herausbringen: so nun Gott den Heiden gleiche Gaben gegeben hat wie uns, wer war ich daß ich Gott wehren sollte? Warum sollte [74] der Apostel Petrus sich nicht auf den ausdrücklichen Befehl Jesu und Sendung an alle Heiden berufen? Wenn ein solcher gewesen wäre; so hätte er nur gerade zu sagen können: ihr wisset ja, lieben Brüder, den Befehl Jesu, daß wir hingehen sollen und alle Heiden zu Jüngern machen, aller Creatur das Evangelium predigen: so ist ja dies der Wille des Herrn und unser Amt dazu wir berufen sind. Allein davon sagt Petrus kein Wort. Auch ist mir bey diesem Befehl das Taufen sehr bedenklich. Jesus hatte sich zwar selbst taufen lassen, und Johannes der Täufer hatte bey der Verkündigung des herankommenden Himmelreichs alle Juden die zu ihm kamen getaufet, um sie dazu zu bereiten. Allein in dem ganzen Leben Jesu, nachdem er sein Lehramt angetreten, lesen wir nicht weiter daß jemand getaufet sey: selbst die Jünger Jesu sind von ihm nicht durch dieses Mittel angenommen worden. Jesus hat niemand getauft, und die Apostel sind nicht getauft: haben auch, da sie von Jesu ausgesandt wurden, nicht Befehl bekommen diejenigen so sie zu ihm bekehren sollten, zu taufen; sondern nur zu verkündigen, das Himmelreich [75] sey herbeykommen, und die Kranken zu heilen, die Aussätzigen zu reinigen, die Todten zu erwecken, und die Teufel auszutreiben. Woher wird denn dieses Mittel nach Jesus Tode so nothwendig gemacht? Vermuthlich weil jetzt erst, nach der Apostel Absicht, das Himmelreich auch bis auf die Heiden sollte ausgedehnet werden, bey welchen das Taufen so feyerlich nöthig und üblich war, wenn sie sich bekehrten. Jedoch wir wollen und können das, was nach dem Tode Jesu geschehen, noch jetzo nicht so gründlich untersuchen. Gesetzt, Jesus habe nachmals seinen Jüngern befohlen, was er vorhin verboten hatte, nemlich auch denen Heiden das Himmelreich anzutragen. Gesetzt, er habe die Taufe bey dem Eintritt in die Kirche eingesetzt, und dieselbe nicht allein für die bekehrten Heiden, sondern auch Juden verordnet: so ist doch auch wiederum wahr, daß er den Juden dabey und dadurch nicht gebiete, ihr Judenthum und die Beobachtung des Gesetzes Mosis fahren zu lassen; noch denen Heiden, als Proselytis, verbiete, das ganze Gesetze und das völlige Judenthum anzunehmen. Vielmehr, wie er selber in seinem ganzen Leben [76] alle die, so er zu Jüngern und zu Mitgenossen seines Himmelreichs angenommen hatte, beständig ließ Juden bleiben, so wie er auch war; ja ihnen vielmehr bezeugte, daß er nicht gekommen sey, das Gesetz aufzulösen, und solches auch seinen Jüngern in seinem Himmelreiche zu thun und zu lehren verbot: so siehet man im geringsten nicht, wie dieses alles nachher durch die einzige Ceremonie der Taufe sollte umgestoßen und aufgehoben werden, ohne weiter ein Wort zu sagen. Denn die Taufe konnte ja bey dem ganzen Judenthum und dem Gesetze Mosis bestehen, und war an sich schon eine Jüdische Ceremonie, wie ich gleich zeigen will. Auch sind die ersten Christen, welche ursprünglich Juden gewesen waren, so sehr von dieser Absicht Jesu, daß nemlich das volle Judenthum bey dem Christenthum bestehen sollte, überzeugt gewesen, daß sie, ihres Christenthums ungeachtet, stets alle jüdische Ceremonie beybehielten, ja Eiferer des Gesetzes waren. Denn es war nach Jesus Lehre keine weitere Veränderung in ihrer Religion vorgegangen, als daß sie bisher geglaubet an einen Erlöser Israels der da kommen sollte, nun aber glaubten [77] an einen der schon gekommen sey. Und es haben auch in neuern Zeiten vernünftige Gottesgelehrte so geurtheilet, daß man die gebohrne Juden, wenn sie wollten Christen werden, dabey dennoch sollte lassen in ihren jüdischen Gebräuchen, und in der Beobachtung des Gesetzes Mosis fortfahren. Denn ein Jude, der einmal das alte Testament annimmt, und Moses Gesetze für göttlich, und nach der Schrift für eine ewige Satzung in allen ihren Geschlechten hält, da man nichts dazu und nichts davon thun dürfe: der kann sich unmöglich überreden, daß ein solcher der von Mose und den Propheten verheissene Meßias sey, welcher Mosis und aller Propheten Gesetze und Vermahnungen hätte zernichten wollen. Was nun auch die Heiden betrift, welche durch die Taufe zu Christen gemacht werden sollten, so wären sie eben deswegen als jüdische Proselyti anzusehen, welche dadurch das Judenthum und Gesetze Mosis, wo nicht ganz, jedoch zum Theil auf sich nehmen. Denn die Taufe war bey denen Juden damals dasjenige Mittel oder die Ceremonie, wodurch die Heiden zum Judenthum eingeweihet, und Judengenossen wurden. [78] Ob nun wohl nicht alle Proselyti gleich waren, sondern einige nur dem unvernünftigen Heidenthum absagten und als Proselyti portae unter den Juden zu wohnen Freyheit bekamen: andere nicht allein das Heidenthum fahren liessen, sondern auch als Proselyti Justitiae alle Gerechtigkeit des Gesetzes zu erfüllen über sich nahmen: so mußten doch alle Proselyti, auch die Proselyti portae, einige, nemlich die leichtern Gesetzen beobachten, wo sie unter den Juden ohne Anstoß wohnen wollten, und es war ihnen unverboten, wenn sie sich zum vollen Judenthum bequemen wollten; ja die Proselyti besonders, so sich taufen ließen, erklärten sich eben durch diese Ceremonie, daß sie völlige Judengenossen werden wollten.
§. 21.
Dieses giebt mir Gelegenheit zu zeigen, daß wenn ja Jesus die Taufe für alle und jede Juden und Heiden geordnet hätte, so sich zu seinem Himmelreiche bekennen wollten, er dennoch keine neue Ceremonie eingesetzt, oder eine Aenderung in der Jüdischen Religion vorgenommen hätte. Diejenige Handlung an sich, [79] welche wir taufen nennen, bestand darin, daß sich einer mit nacktem Leibe ganz und zum öftern ins Wasser tauchte, um sich recht von allem Unflate über den ganzem Leibe zu waschen und zu reinigen, daher es auch βαπτίζειν tauchen, waschen, baden in der Grundsprache genannt wird, welches Wort eigentlich von dem leiblichen waschen, und reinigen zu verstehen: wie denn der Pharisäer, bey dem Jesus zu Gaste geladen war, sich wundert, daß Jesus sich nicht wüsche ehe er zu Tische gienge. Da stehet dasselbe Wort βαπτίζειν was wir sonst Taufen geben. Dieses Waschen aber bedeutete bey heiligen Handlungen eine Abwaschung und Reinigung von Sünden. Daher Ananias zu dem Saul sagt: und nun stehe auf, laß dich taufen und deine Sünden abwaschen. Es war also an sich eine leibliche Reinigung wie die Juden vielfältig brauchten: und diese leibliche Reinigung ward gebraucht, so oft man sich zu einer heiligen Handlung bereit und geschickt machen wollte, um zu zeigen, daß man zuvor alle Sünde wollte ablegen. Daher als Jacob mit seiner Familie nach Bethel ziehen wollte, um Gott daselbst einen Altar zu bauen [80] und ihm für die gnädige Bewahrung zu danken, so befahl er allen die bey ihm waren, die fremden Götter weg zu thun, sich zu reinigen oder zu waschen und andere Kleider anzulegen. Und als das Volk Israel das Gesetze empfangen sollte, mußte es sich dazu zween Tage heiligen, daß sie sich und ihre Kleider wuschen und reinigten. Wenn die Priester zu ihrem Amte eingeweihet wurden, und wenn sie den Gottesdienst verrichteten, mußten sie sich zuvor, ja der Hohepriester an dem einen Versühnungstage fünfmahl waschen. Daher war es kein Wunder, daß Jesus selbst, da er sich zu seinem Lehr-Amt heiligen wollte, in den Jordan hinab stieg, und sich taufen oder waschen ließ, und daß Johannes, der die Leute zu dem nahen Himmelreich durch Buße und Bekehrung bereiten wollte, dieselbe sich zu waschen oder zu taufen heißet. Ganz Judea kömmt fast zu ihm, und thut solches: Keiner wundert sich über die Sache als über ein neues Beginnen oder einen neuen Gebrauch. Sie wußten das schon, daß es dem Gesetze Mosis gemäß sey, sich zu allen heiligen Handlungen auf solche Art äußerlich zu reinigen, [81] um dadurch die innere Reinigung des Herzens anzudeuten. Und daher war es auch bey den Juden der beständige Gebrauch, daß wenn Heiden zu ihnen traten und Judengenossen wurden, sie sich dazu durch ein Taufen bereiten und weihen mußten; welches denn insonderheit die proselyti justitiae, beyde Manns- und Weibs-Personen thun mußten, die sich zur Beobachtung des ganzen Gesetzes Mosis bekenneten, und daher auch aller Vorrechte der gebohrnen Juden, theilhaftig wurden. Die Sache ist so bekannt, daß ich nicht brauche weitläuftiger darin zu seyn. Wenn nun die Taufe, oder das Waschen und Reinigen des ganzen Leibes im Wasser, sowohl bey Juden als Judengenossen, soferne sie sich zu einer heiligen Handlung bereiten und weihen wollten, gesetzmäßig und gebräuchlich war: ja wenn diejenigen, so noch bisher ausser der jüdischen Kirche gelebt, sich eben durch ein feyerlich Waschen oder Taufe zur Beobachtung des ganzen Gesetzes Mosis verpflichtet: so war ja das Taufen, welches Jesus bey dem Eintritt in sein Himmelreich geordnet hat, keine den Juden fremde Ceremonie, die eine Neuerung in der [82] Religion anzeigen könnte: und zielete nicht zur Abschaffung, sondern vielmehr zur Uebernehmung und Vesthaltung des ganzen Gesetzes Mosis. Denn wie Paulus sagt, derjenige so sich beschneiden liesse, das ist, eine Manns-Person, so durch die Beschneidung ein Proselytus wird, sey eben dadurch des ganzen Gesetzes schuldig worden: so verhält sichs auch mit der Taufe, als dem noch allgemeinern Gebrauche der Proselyten sowohl männliches als weibliches Geschlechtes: wer sich taufen liesse bey den Juden, der ward dadurch des ganzen Gesetzes schuldig.
§. 22.
Ja, spricht man; mit dieser Taufe ist es ein ganz anderes: hier wurden sie nicht getauft um Juden, sondern um Christen zu werden, und zwar mit einer ganz ungewohnten, und ein Geheimniß der Christlichen Religion in sich haltenden Formul: im Namen des Vaters, Sohnes und heiligen Geistes. Ich antworte: eben diese Formul machet die ganze Sache vollends verdächtig, und bringt mich dazu, daß ich nicht glauben kann, Jesus habe [83] solchen Befehl der Taufe und solche Tauf-Formul seinen Aposteln gegeben. Denn ausser dem, was ich oben schon überhaupt erwehnt habe, daß solcher Befehl dem schnurgerade entgegen wäre, was Jesus in seinem Leben zu den Aposteln sagte, sie sollten nicht zu den Heiden gehen, ihnen das Evangelium zu predigen; und daß Jesus selbst in seinem Leben während seines ganzen Amts keinen Jünger getauft, noch taufen lassen, noch andere Bekehrte zu taufen befohlen: so kömmt auch hier eine Formul dazu, welche kein einziger Apostel jemals bey irgend einem getauften Juden oder Heiden gebraucht hat. Man schlage alle Stellen des neuen Testaments nach, wo die Apostel getauft und eine Formul dabey gebrauchet haben, man wird diese nirgend finden. Petrus spricht zum ersten bey der Pfingst-Versammlung zu denen, welche frugen, was sie thun sollten; bekehret euch, und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünde. Die Bekehrten zu Samaria waren allein getauft auf den Namen des Herrn Jesu. Als der Kämmerling der Königin Candaces von Philippo die Taufe verlangte, hieß [84] es: so du gläubest von ganzem Herzen, so mags wohl geschehen. Wie lautete aber das Glaubens-Bekenntniß? lautete es nach dieser Formul: ich glaube an den Vater, Sohn und heiligen Geist? Nein, sondern: ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes (oder Messias) ist; darauf ward er getauft. Als Petrus zu dem Hauptmann Cornelius kommen war, und sahe, daß die daselbst versammleten Heiden die Gabe des heiligen Geistes empfingen, machte er keine Schwürigkeit, daß sie nicht feyerlich durch die Taufe zu Christen geweihet würden, und befahl, daß sie getaufet würden auf den Namen des Herrn, das ist, auf den Namen Jesu. Als Paulus zu Epheso etliche Jünger fand, frug er sie, ob sie den heiligen Geist empfangen hätten, als sie gläubig geworden? Sie sprachen: wir haben auch nie gehört, ob ein heiliger Geist sey. Paulus frug weiter: worauf seyd ihr denn getauft? Sie sprachen, auf Johannis Taufe. Ja spricht Paulus: Johannes hat wohl getauft mit der Taufe der Bekehrung, aber dabey gesagt, daß sie gläuben sollten an den, der nach ihm käme, das ist, an Christum Jesum. Wie die Jünger [85] das hörten, liessen sie sich taufen auf den Namen des Herrn Jesu. Paulus erzählet selber von sich, wie Ananias bey seiner Taufe zu ihm gesagt: stehe auf und laß dich taufen und deine Sünden abwaschen, und rufe den Namen des Herrn (Jesu) an. Er schreibt an die Römer: wisset ihr nicht, daß wir alle die wir auf Jesum Christum getauft sind, die sind auf seinen Tod getauft. Er schmälet mit den Corinthern, daß sie sich nicht alle nach Christo nenneten, sondern einige auch wohl Paulisch oder Apollisch. Wie, spricht er, seyd ihr auf Pauli Namen getauft? Er will sagen, es mag euch Paulus, oder Apollo, oder ein anderer getauft haben, so seyd ihr doch alle auf Christi Namen getauft. In welchem Verstande er auch nachmals schreibt: wir sind durch einen einigen Geist alle zu einem einigen Leibe getauft, nemlich, alle Glieder Christi zu seyn. Und an die Galather: ihr seyd alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesum: denn wie viel euer auf Christum getauft sind, die haben Christum angezogen. Sehet da die Stellen alle mit einander, welche irgend einer Tauf-Formul, [86] oder eines dabey abgelegten Glaubens-Bekenntnisses, erwehnen! Keine einzige lautet nach einer solchen Vorschrift, auf den Namen, oder in dem Namen des Vaters, Sohnes und heiligen Geistes; sondern lediglich auf den Namen Jesu Christi, auf den Namen des Herrn Jesu, auf den Namen des Herrn, auf Christum. Wenn jene Formul denen Aposteln von Jesu selbst wäre vorgeschrieben worden, wenn ein solch Geheimniß des Glaubens, nemlich die Dreyfaltigkeit der Personen in Gott, darin steckte, wenn das ein Glaubens-Articul und dessen Bekenntniß zur Bekehrung und zum Christenthum nöthig wäre: würden sich wohl die Apostel bey der Taufe unterfangen haben, diese Formul zu ändern, den Vater und heiligen Geist weg zu lassen, und auf Jesum alleine zu taufen, und auch hierin die Worte zu ändern, und bald Jesum, bald den Herrn, bald Christum, bald Jesum Christum, nimmer aber den Sohn Gottes, zu sagen? Behält doch Paulus, und die Evangelisten alle, die Formul der Einsetzung des Abendmahls so genau, wie sie dieselbe von dem Herrn empfangen: würde Paulus und die übrigen [87] Apostel die Tauf-Formul nicht auch wörtlich und heilig beybehalten, wenn sie sie von dem Herrn empfangen hätten? Und woher kömmt es doch, daß sogar kein einziger Evangelist außer den einzigen Matthäus dieser Formul erwehnt, welche um so viel mehr wehrt seyn würde erzehlet, und unverändert aufgeschrieben zu werden, je mehr sie ein Sacrament beträfe und ein sonst nirgend vorgetragenes Glaubens-Geheimniß der Dreyeinigkeit göttlicher Personen in sich hielte. Es ist, deucht mich, mehr als zu klar, daß diese Formul in spätern Zeiten in den Matthäus, (ein Evangelien-Buch, das auch sonst durch die Uebersetzung aus dem hebräischen jetzt verlohrnen Original, nicht in allen Stücken unverfälscht zu uns kommen, und andere mehrere verdächtige Stellen in sich hält) eingerücket worden. Und es erhellet aus obigen, daß die Apostel die Taufe zu nichts anders gebraucht, als zum Bekenntniß des Glaubens, daß Jesus der Messias sey.
§. 23.
Allein wir wollen einmal dieses alles ausgestellt seyn lassen; wir wollen setzen, daß Jesus [88] nicht allein die Taufe für alle Bekehrte geordnet, sondern sie auch mit dieser Formul zu taufen befohlen habe: so würde doch dadurch die Taufe gar nicht zu einer neuen Ceremonie gemacht, welche in der Jüdischen Religion etwas änderte, oder zu deren Abschaffung und zur Einführung einer andern Religion, einen Endzweck gerichtet hätte. Wenn die Juden die neubekehrten Judengenossen tauften, so pflegten sie dieselben auf einen gewissen Namen (Leschem, εἰς ὄνομα) zu taufen. Denn entweder waren es ihre Knechte; so wurden sie auf den Namen der Freyheit oder der Knechtschaft getauft; das ist, daß sie hinführo als Judengenossen annoch Knechte, oder auch freye Leute genannt und wirklich seyn sollten. Oder es waren andere; so mußte doch ihre Taufe einen gewissen Namen oder Titul haben, worauf sie getauft und wozu sie eingeweihet wurden. Und da ist besonders zu wissen, daß die Juden die neubekehrten als neugebohrne Kindlein ansahen, die in einen ganz andern Zustand kämen, ihre vorige Anverwandten, Familie, Namen, ablegten und verlöhren, und hergegen als Judengenossen in ein völlig ander [89] Volk und Familie träten und einen neuen Namen haben müßten. Da wurden sie denn schlechthin auf den Namen der Judengenossen (Gerim) getauft; das ist, daß sie hinführo Judengenossen heissen und aller der Vorrechte des jüdischen Volks würklich geniessen sollten. Auf diese Weise müßte denn, nach der Art, wie Juden von der Taufe zu reden pflegten, auch Jesu Tauf-Formular verstanden werden; wenn die neubekehrten Jünger oder Christen, welche glaubten, daß der verheissene Messias schon gekommen, daß Jesus der Messias sey, und daß sein Himmelreich nahe herbey kommen, εἰς ὄνομα, auf einen gewissen Namen sollten getauft werden; nemlich daß sie von diesem Glauben und Bekenntniß eine gewisse Benennung empfingen, welche mit dem würklichen Genuß gewisser Vorrechte verknüpft wäre. Daß dieses die Meinung der Redens-Art, auf einen Namen taufen, sey, siehet man ganz offenbar aus denen obangeregten und andern mehreren Stellen. Denn als die Corinther sich nicht allein Christisch, sondern auch einige Apollisch, andre Paulisch nannnten, so frägt der Apostel, ob sie denn auf den Namen [90] Pauli getauft wären, und danket Gott, daß er niemand ausser einige wenige getauft hätte, damit niemand sagen könnte, daß er (Paulus) auf seinen Namen getauft. Sie waren alle auf Christum oder auf Christi Namen getauft, daß sie sollten Christen seyn und heissen; das ist Leute, die den Messias bekennen, und an seinem Himmelreiche Theil haben. Denn die auf Christum getauft sind, die haben Christum angezogen; die tragen seine Liberey und Namen, die sind Christi, wie es eben daselbst erkläret wird. Demnach wurden auch die Jünger, welche schon an Jesum glaubten, aber doch bisher nur auf Johannis Taufe getauft waren, so daß sie jedoch darnach nur Johannis Jünger hießen, noch einmal getauft, auf den Namen des Herrn Jesu, daß sie Jünger und Nachfolger Jesu heissen, und seyn sollten. Denn Johannes taufte mit Wasser auf die Bekehrung, das ist, daß sie von der Zeit an Bekehrte seyn und genannt werden sollten: aber darum hatten sie noch die Gabe des heiligen Geistes nicht empfangen, welche Jesus seinen Jüngern die sich zu ihm bekenneten, verheissen. Und wenn Paulus sagt, die [91] auf Christum getauft sind, seyn auf seinen Tod getauft: so verstehet er, daß wie sie Christen heissen und seyn wollten, sie auch wie Christus getödtet ist, auf gewisse Weise getödtet seyn und heissen müßten, nemlich getödtet und abgestorben denen Sünden. Eben der Apostel allegorisiret von denen Israeliten, welche durch die Wolke und durchs Meer gegangen sind, sie sind alle auf Mosen getauft, das ist, sie haben sich alle, eben dadurch daß sie mit der Wolke durchs Meer gegangen sind, für Mosis Nachfolger bekannt, nemlich da sie mit ihm durch die Wüste nach dem gelobten Lande ziehen wollten. Es ist aber einerley in der Schrift, ob es heisset auf jemand getaufet seyn, oder auf jemandes Namen getaufet seyn, der Name und die Person, genennet werden und seyn, gilt bey den Hebräern eins; auf Jesum getauft seyn, und auf den Namen Jesu getauft seyn, auf Christum getauft seyn und auf den Namen Christi getauft seyn, auf Mosen oder auf Mosis Namen, auf die Freyheit oder auf den Namen der Freyheit, auf die Bekehrung oder auf den Namen der Bekehrung getauft seyn. Demnach erhellet, [92] daß die Redens-Art auf den Namen einer Person oder Sache taufen, eigentlich und zuerst bedeutet, jemand zu dem Ende taufen, daß er eine gewisse Benennung von der Person oder Sache bekomme und annehme: hiernächst aber, daß er auch dasjenige seyn und geniessen möge, was der Name mit sich bringt.
§. 24.
Nun wird nicht schwer seyn, den wahren Verstand der Tauf-Formul einzusehen, wenn ja die Proselyti des Messias der Juden auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes haben sollen getauft werden. Es muß eine Benennung der Getauften von denen Personen oder Sachen, nebst einem gewissen damit verknüpften Zustand anzeigen. Durch den Vater wird bey den Juden der Vater im Himmel, oder Gott verstanden: das ist eine bekannte und unleugbare Sache, wovon uns allein das Gebet, Unser Vater, der du bist im Himmel, genugsam überführen kann. Folglich sollten die getauften von dem himmlischen Vater benannt werden, und seyn Kinder ihres Vaters im Himmel, oder wie es Paulus ausdrückt, Gottes Kinder. Der Sohn [93] des Vaters oder Gottes hiesse in ausnehmenden Verstande Christus oder der Meßias, wie sich Jesus nannte. Demnach sollten die getauften Nachfolger oder Jünger Jesu als des Sohns seyn und heissen, oder wie es Paulus giebt, durch die Taufe Christum anziehen, Christi seyn. Der heil. Geist bedeutet allerley geistliche auch ausserordentliche Gaben, welche insonderheit durch die Taufe oder nach der Taufe denen Bekehrten sollten geschenkt werden. Demnach sollten die getauften begeisterte oder voll des heiligen Geistes genannt werden und seyn, das ist, wie es Paulus giebt den heiligen Geist empfahen, weissagen, und mit allerley Sprachen reden. Kurz, taufen auf den Namen des Vaters, Sohnes und heiligen Geistes heisset, zu dem Ende jemand taufen, daß er ein Kind Gottes in der Nachfolge des Meßias, und voll geistlicher Gaben werde. Und was wäre denn hierin für eine neue Lehre, welche dem, was sich die Juden von den Tagen des Meßias versprachen, nicht völlig gemäß wäre? oder was wäre es für eine neue Ceremonie, welche mit dem Taufen der Juden, als einer Vorbereitung zu einer heiligen Handlung, oder [94] als einer Einweihung zu dem Judenthum, nicht gänzlich übereinkäme? Es ist aber fast nicht Wunder, daß diejenigen, welche die Bedeutung der kurzen Formularum solennium der Juden nicht kennen, aus dieser Tauf-Formul ich weiß nicht was herausbringen, zumal da sie durch eine falsche Uebersetzung, die den Catechismus-Vorurtheilen zu Hülfe kömmt, noch mehr verleitet werden. Denn da geben einige die Worte εἰς ὄνομα in dem Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes; und dann setzet man noch wohl dazu, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, wie es in der Absolutions-Formul lautet. Gleich als ob ein Befehl dreyer göttlicher Personen dadurch angezeiget würde, da doch der Vater allein bey den Juden wahrer Gott ist, und allein statt Gott gebraucht wird: auch auf eines Namen taufen nichts weiter als eine Benennung andeutet, welche sowohl von Menschen als von Gott, sowohl von Sachen als Personen hergenommen seyn konnte. Mein! wie müssen sich doch Unwissende und Einfältige von ihren zum Theil selbst blinden Leitern hintergehen lassen! [95] und wie werden doch aus ein Paar dunklen Wörtern, die man nicht verstehet, und an deren echten Alterthum sehr zu zweifeln ist, so leichte große Geheimnisse ja eine ganz neue Religion geschmiedet, und damit so viele hundert Jahre hindurch menschliche Vernunft und Gewissen gefesselt! Die christliche Taufe hat heutiges Tages nichts mehr gemein mit der Taufe die Jesus eingesetzt haben soll, oder die Apostel gebraucht haben. Die Taufe Johannis, Jesu, der Apostel und aller Juden überhaupt war ein Niedertauchen, Baden und Waschen des ganzen Leibes im Wasser, um durch die leibliche Reinigung die Seelen- Reinigung von allem Unflath der Sünden vorzustellen. Dagegen man jetzt drey Tropfen Wasser auf dem Kopf giesset, wodurch keine Reinigung des ganzen Leibes entstehen, und also auch keine geistliche Reinigung kann vorgebildet werden. Jesus und die Apostel hiessen zu taufen auf den Namen des Vaters etc. oder auf den Namen Christi. Die Christen aber taufen jetzt im Namen des Vaters, des Sohnes, und des heiligen Geistes, und kein Mensch verknüpfet mit diesen Worten denselben Begriff, welchen Jesus [96] und die Apostel damit verknüpfet. Der Gebrauch der ersten Kirche zeiget, daß wenn ja der Befehl und die Formul, auf den Namen des Vaters, Sohnes und heiligen Geistes zu taufen, von Jesu selbst herstammte, sie dennoch kein Glaubens-Geheimniß von dreyen Personen in Gott darin gesucht, sondern von den Worten abgegangen sind, und allein auf den Namen Christi getauft, als welches die Hauptsache war, daß sie sich zu den Messias bekennen wollten. Jetzt sucht man in den Worten ein Geheimniß, daran Jesus und die Apostel nicht gedacht, und würde es für eine Tod-Sünde halten von den Worten abzugehen; hingegen lässet man die Hauptsache fahren. Vorzeiten ward kein ander Bekenntniß eines Glaubens bei der Taufe abgelegt, als daß Jesus der Christ sey. Nun aber bekennet man eine Dreyeinigkeit in Gott, eine Menschwerdung der andern Person in Gott, und ein Haufen mehr andere Catechismus-Artikel dabey, worauf die ersten Christen und vielleicht die Apostel selbst zum Theil nicht würden haben zu antworten wissen. In der ersten Kirche wurden alte und erwachsne Leute getauft, welche wußten, [97] worauf sie getauft wurden, und also das Christenthum mit dem Gebrauch ihres Verstandes und aus freyen Willen annahmen. Heutiges Tages macht man die Kinder zu Christen, ehe sie noch denken können, und ehe sie wissen wie ihnen geschieht, und lässet andere an ihrer Statt denken und wollen und ein Bekenntniß ablegen. Nach der ersten Stiftung sollte man sich durch die Taufe zu dem Meßias bekennen, welcher selbst sagte, daß er nicht gesandt sey, denn nur zu dem Hause Israel, zu den Juden, und keinen Buchstab des ganzen Jüdischen Gesetzes aufgelöset, sondern alles erfüllt wissen wollte; mit einem Worte, man sollte sich taufen lassen um ein vollkommener Jude zu werden. Nun aber wird ein Jude getauft um kein Jude mehr zu bleiben, und ein jeder um das ganze Gesetze aufzuheben, und anders zu lehren und zu leben als Jesus selbst, und als die so Jesus in sein Himmelreich haben wollte.
§. 25.
Damit wir nun wieder zu unserm Vorhaben kommen, so erhellet, daß wenn auch Jesus nach seinem Tode die Taufe für alle so sich [98] zu ihm bekennen würden, mit eben den Worten, wie es der eine Matthäus erzählet, gestiftet hätte; dennoch keine neue Ceremonie oder Religion, noch Abschaffung der Jüdischen Religion und Ceremonien darunter verborgen seyn könnte. Da aber dieser Bericht des Matthäus und der übrigen Evangelisten, auf ihre Glaubwürdigkeit in denen Stücken, welche nach dem Tode Jesu sollen geschehen seyn, ankömmt: so wird sich nach der Untersuchung dieser Frage erst von der Wahrheit urtheilen lassen, ob Jesus nach seinem Tode würklich eine Taufe geordnet: wenigstens ist aus obangeregten schon zu ersehen, daß man Ursache habe daran zu zweifeln, weil Jesus in seinem ganzen Leben, so lange er gelehret und Jünger gemacht, von niemanden was weiters als den Glauben, nicht aber die Taufe gefordert, und also weder selbst getaufet, noch getaufte Apostel gehabt, noch durch die Apostel andere taufen lassen: gleichwie denn auch bey den gebohrnen Juden, zu welchen Jesus allein gesandt zu seyn glaubte, eine solche feyerliche Handlung wie sie für die Proselytos gehöret, nicht so nöthig war; indem die Juden durch Annehmung ihres [99] Meßias nichts anders thaten, als was Juden zukam, nicht aber wie die Heiden von einer Religion zur andern traten. Ich könnte auf gleiche Weise von der Stiftung des Abendmahls, was einige mit unterlaufende Worte betrifft, Zweifel erregen; allein weil die Stiftung an sich nichts Widersprechendes in sich hält, so will ich mich von meinem Zweck nicht entfernen, und nur mit wenigen erörtern, ob Jesus durch die Einsetzung des Abendmahls eine neue Ceremonie gestiftet, welche zur Abschaffung und Aufhebung anderer Jüdischer Ceremonien, und des Jüdischen Gesetzes und Religion dienen sollte.
§. 26.
Hiebey muß man sich erinnern, daß die Stiftung des Abendmahls keine besondere Handlung und eigene Mahlzeit gewesen, sondern die gewöhnliche Oster-Mahlzeit war es ohne die geringste Veränderung, bey welcher diese Stiftung nebenher geschahe. Jesus war zum Osterfeste nach Jerusalem gekommen, und gedachte auch die Oster-Mahlzeit nach dem Gesetze zu halten: seine Jünger frugen ihn daher, wo sie [100] sollten das Osterlamm für ihn bereiten. Ob nun zwar der eigentliche Tag zur Schlachtung des Osterlamms noch nicht da war, indem Jesus noch vor den Juden-Ostern gekreuziget worden, so scheinet er doch mit seinen Jüngern eine solche Erinnerungs-Mahlzeit auf Art der Ostermahlzeit gehalten zu haben, und sagt daher bey derselben, mich hat herzlich verlangt das Osterlamm zu essen; und man sieht nicht, daß er irgend etwas weggelassen oder geändert habe, was bey der Oster-Mahlzeit gebräuchlich war. Es war nemlich die Oster-Mahlzeit im Gesetze geordnet zur Erinnerung der Ausführung aus der Egyptischen Dienstbarkeit, und bestand nach der Vorschrift Mosis hauptsächlich aus einem ganzen gebratenen Lamm, welches nebst ungesäureten Brodte und einem Salat gegessen ward: wobey die Gewohnheit der Juden auch ein Gemüse in Form eines Ziegelsteins zur Erinnerung ihrer Egyptischen Arbeit, und einige Becher mit Wein zu trinken, nebst Lobgesängen aus den Psalmen Davids zu sprechen eingeführt hatte. Bey dem ungesäurten Brodte, welches der Hausvater oder der Vornehmste der Familie und speisenden Gesellschaft in Stücken [101] brach und herum gab, pflegte derselbe nach Jüdischer Weise die Worte zu gebrauchen: Dis ist das Brodt der Trübsal, welches unsere Väter in Egypten gegessen haben. Das ist, sie sollten sich bey dem ungesäureten, unschmackhaften Brodte erinnern, in welchem Kummer ihre Vorfahren ihr Brodt in Egypten gegessen. Und nach einiger Meinung sollte der Kelch, welcher mit rothem Weine insgemein gefüllet war, ein Erinnerungszeichen seyn, so das viel Blut, welches Pharao in Egypten vergossen, vorstellete. Hier siehet man wohl, daß bey der Ostermahlzeit vieles von den Juden willkührlich eingeführet worden, welches im Gesetze nicht enthalten war, und daß sie sich dabey beliebige Erinnerungszeichen des vergangenen gesetzet; welches denn der Hauptsache auch nicht hinderte. Da nun Jesus das Osterlamm und was dem Gesetze gemäß war, alles in seinem Gange und Gebrauch lässet, warum sollte es ihm nicht auch übrigens frey stehen, seinen Jüngern ein beliebiges Erinnerungszeichen seines Todes bei der Ostermahlzeit zu setzen, da ihm sein Leiden an eben diesem Feste bevorstund? Er nimmt daher auch das Brodt [102] als der Vornehmste dieser speisenden Gesellschaft, bricht es und giebt es den Jüngern, mit ein wenig veränderten Worten: Dis ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Und nachdem sie den Lobgesang gesprochen hatten, nimmt er den rothen Wein und sagt: Dis ist mein Blut, das für euch vergossen wird. Wie also bloß von Menschen der Gebrauch eingeführet war, daß sie sich bey dem Brodte am Ostern des Brodts der Trübsal ihrer Väter erinnerten, mit den Worten, dis ist das Brodt der Trübsal: so will Jesus, daß seine Jünger allezeit an diesem Feste bey eben dem Brodte eingedenck seyn möchten, daß er seinen Leib für sie dahin gegeben; und spricht auf gleiche Weise: dis ist mein Leib. Wie die Juden sich bey dem Weine das häufig vergossene Blut ihrer Vorfahren in Egypten vorstelleten: so sollten künftig Jesus Jünger auch nicht vergessen, daß Jesus sein Blut für sie vergossen: dis ist mein Blut, sagt er, das für euch vergossen wird. Er füget desfalls hinzu: solches thut zu meinem Gedächtniß; welches Paulus so ausdrücket: sie sollten seinen Tod dabey verkündigen. [103]
§. 27.
Nun mögte ich gern wissen, was hierin für eine Aenderung in der Religion und gesetzlichen Ceremonien liegen soll? Hat denn Jesus bey diesem gesetzten Erinnerungszeichen, daß er sein Leib und Leben am Ostern für seine Jünger dahin gegeben habe, die Ostermahlzeit oder das Osterfest abzuschaffen befohlen? Hat er gesagt, inskünftige könnten sie zu allen Zeiten, an allen Orten bey jedem Brodte und Weine das feierliche Gedächtniß seines Leidens halten? Es ist vielmehr offenbar, daß Jesus selbst mit seinen Jüngern damals eine Ostermahlzeit gehalten, und dieses ohne die geringste Veränderung der gesetzlichen oder üblichen Ceremonien. Es ist ja auch an sich nichts widersprechendes, daß man sich zu einer Zeit, bey einerley Handlung mehrerer Dinge erinnern kann die zur selben Zeit geschehen sind; und daß sich folglich die Jünger Jesu künftig am Ostern und bey der Ostermahlzeit allemal beydes zu Gemüthe führten, sowohl, daß ihre Vorfahren an dem Tage aus der Egyptischen Dienstbarkeit errettet worden, als auch daß Jesus, um Israel zu erlösen, sein Leib und Leben um dieselbe [104] Zeit dahin gegeben. Man muß vielmehr natürlicher Weise so schliessen: da Jesus die Ostermahlzeit zum willkührlichen Erinnerungszeichen seines Leidens brauchet, so schaffet er dieselbe nicht allein nicht ab, sondern bestätiget sie vielmehr; indem die Sache mit dem Erinnerungszeichen eine Verbindung bekömmt; und folglich auch nunmehro das Andenken des aufgeopferten Leibes und Lebens Jesu an die Ostermahlzeit, und besonders an dem Essen des ungesäureten Brodtes und dem Trinken des gesegneten Kelches (welchen die Juden Calicem benedictionis nennen) gebunden war. Die Sache selbst macht es offenbar, daß diese Erinnerungs-Mahlzeit von Jesu Leiden, von der Ostermahlzeit nicht getrennet und unterschieden seyn solle, sondern, daß vielmehr eben die Ostermahlzeit und keine andere die feyerliche Erinnerung davon geben sollen. Denn das Leiden, dessen man sich erinnern sollte, geschahe ja am Ostern. Alle Erinnerungs-Zeichen aber von einer Geschichte, die öffentlich gesetzt werden, und zur Gewohnheit gedeihen sollen, binden sich an die Zeit des Jahrs, da dieselbe vordem geschehen sind; wie es mit den Feyertagen und öffentlichen [105] Mahlzeiten bey den Hebräern sowohl als andern Völkern gehalten worden ist, und wie es besonders bey der Erinnerung des Todes einer berühmten Person unter den Juden üblich war, daß sie dieselbe einmal im Jahre öffentlich und feyerlich präcise auf dem Sterbe-Tag ansetzten. Da nun diese Ostermahlzeit zugleich die letzte Mahlzeit war, welche die Jünger Jesu mit ihrem Meister hielten, und der Verräther schon mit am Tische saß, ihn zum Tode zu überantworten: so konnte für die Jünger nichts bequemer seyn, das Andenken davon feyerlich zu begehen, als eben diese betrübte Ostermahlzeit. Ja was noch mehr ist, Jesus giebt selbst bey dieser Einsetzung zu verstehen, daß er das Osterlamm, und also auch das ungesäurete Brodt, was dazu gehörte, imgleichen den Segens-Kelch und das Gewächse des Weinstocks selber wieder aufs neue zu essen und zu trinken hoffte, wenn das Reich Gottes angehen würde; welches er sonst das Himmelreich, oder seines Vaters Reich nennet: Dieses sollte nemlich geschehen bey seiner andern Zukunft, da er bald in den Wolken des Himmels wiederkommen wollte mit großer Kraft und Herrlichkeit, und [106] seine zwölf Jünger sitzen sollten auf zwölf Stühlen zu richten die zwölf Geschlechte Israel. Daher auch Paulus die Worte der Einsetzung zu meinem Gedächtniß, so erkläret, sie sollten des Herrn Tod verkündigen bis daß er kömmt. Demnach sollten die Jünger Christi mittlerweile, bis er sich lebendig wieder darstellte zu seinem Reiche, und bis er in demselben aufs neue Ostern halten, das Brodt essen und von dem Gewächse des Weinstocks trinken würde, seinen Tod bey dieser Ostermahlzeit feyren und verkündigen. Ostern sollte folglich nicht allein unterdessen beständig gehalten werden, sondern es sollte auch in dem zukünftigen Reiche Gottes, welches Jesus nach seiner Wiederkunft aus den Wolken aufrichten würde, vor wie nach, und recht aufs neue gefeyret, und das Osterlamm nebst allem was dazu gehöret, dabey gegessen und getrunken werden.
§. 28.
So ist denn nun aus allem, was Jesus in Absicht, auf sein Himmelreich gelehret, zu glauben befohlen und gestiftet hat, nichts weiter übrig. Und wenn wir uns wegen dessen, was [107] in diesem Stücke von Jesu geschehen ist, bloß an die Nachricht der vier Geschichtschreiber oder Evangelisten halten, so ist im geringsten nicht zu erkennen, daß derselbe entweder die im Gesetze verordnete und übliche Jüdische Religion und Gebräuche abschaffen und ändern, oder statt derselben neue Lehren und Geheimnisse predigen, und nebst einer neuen Religion auch neue Ceremonien einführen wollte; sondern es erhellet vielmehr, daß Jesus selbst nebst seinen Jüngern vollkommene Juden gewesen, und daß er eines Theils nichts anders gelehret, als daß sich die Juden rechtschaffen bekehren, und sich einer bessern Gerechtigkeit als der äußerlichen scheinheiligen, pharisäischen, befleißigen sollten. Auf dieses thätige Wesen, auf diese Frömmigkeit des Herzens dringen alle seine Reden, Lehren und Vermahnungen, mit allerley so deutlichen als Gleichniß-Reden, die der Einfältigste begreifen konnte, und ein jeder gerne hören mochte. Es ist also in der That erwiesen, daß der eine Theil der Lehren Jesu kurz zusammen gefasset sey in dem einen Worte Bekehret euch. Nun haben wir noch den andern Theil der Lehren Jesu zu betrachten, [108] wie er als eine Haupt-Absicht der vorigen ausgedruckt ist: denn das Himmelreich ist nahe herbeikommen.
§. 29.
Das Himmelreich, zu welchem die gepredigte Bekehrung, als eine Vorbereitung und Mittel leiten sollte, und welche folglich den äußersten Zweck der Unternehmung Jesu in sich hielte, wird von ihm selbst gar nicht erklärt, was es sey, oder worin es bestehe: die Gleichnisse, welche er davon brauchet, daß es einem Säemann, einem Senfkorn, einem Sauerteige, einem verborgenen Schatze, einem Netze, einem Kaufmann der gute Perlen suchte, u. s. w. gleich sey, lehren uns nichts, oder gewiß nicht viel, wenn wir sonst nicht schon einen Begriff haben, den wir mit dem Worte zu verknüpfen wissen. Wir schliessen daraus, daß die Redens-Art denen damaligen Juden schon vor sich verständlich gewesen seyn müsse, und Jesus sich also auf dieselbe bezogen: mithin werden wir Jesus Absicht mit dem Himmelreiche nicht anders ergründen, als wenn wir uns um die übliche Bedeutung dieser Redens-Art bey den [109] damaligen Juden bekümmern. Es lehren uns aber auch ausser dem neuen Testamente andere jüdische Schriften, daß sie durch das Himmelreich nicht allein überhaupt dasjenige Reich verstehen, welches Gott unter den Juden als ein König durch sein Gesetze aufgerichtet, sondern besonders dasjenige, welches er noch viel herrlicher unter dem Messias offenbaren würde. Das Targum über Micha IV. 7. erkläret den Ort, da in den letzten Tagen, (d. i. nach der Jüden Sprache, zu den Zeiten des Messias) alle Heiden zu dem Gott Israel nach Jerusalem kommen werden, und der Herr König über sie seyn will auf dem Berge Zion ewiglich, es wird ihnen das Himmelreich offenbar werden, auf dem Berge Zion. Jmgleichen (nicht Imgleichen, vgl. Arbeitsbericht) erkläret das JalkutSchimoni fol. 178 col. 1. einen andern Ort, Zach. XVI. 9. den die Juden gleichfalls von den Zeiten des Messias verstehen, daß alsdenn die Zeit kommen wird, da das Himmelreich wird offenbar werden. Allein ohne uns viel auf Rabbinische Schriften zu beziehen, so weiset uns das neue Testament selbst diese Bedeutung ganz klar. Denn was waren diejenigen so auf das Reich Gottes warteten, [110] anders als solche, die auf die Zukunft und Offenbarung des Meßias warteten? Was wollte Johannes als der Vorläufer Jesu, für ein ander Reich, das nahe herbei kommen wäre, kund machen, ohne das von dem Meßias? Was verstehen die Pharisäer anders, Luc. XVII. 20). wenn sie Jesum fragen: Wenn kömmt das Reich Gottes? und die Jünger Jesu, wenn sie hofften, nun würde er bald sein Reich anfangen? Der Schlüssel zu dieser Redens-Art ist folgender. Weil Gott, nach dem Ausdruck der Hebräer im Himmel wohnet, und daher der Himmel bey den Juden so viel heisset, als Gott selbst: so ist das Reich Gottes und das Himmelreich einerley. Imgleichen weil der Vater-Name, bey den Juden sowohl, als besonders bey Jesu, ausnehmend den himmlischen Vater anzeigte: so verstehet Jesus durch das Reich seines Vaters eben dieses Himmelreich oder Reich des Messias, als welches er Gott oder dem himmlischen Vater beylegt, in soferne es von Gott aufgerichtet würde, und Gott darin der Oberste seyn sollte, dem Messias aber alle Gewalt übergeben hätte. Wenn Jesus also allenthalben predigte, und predigen ließ, [111] vom Reiche Gottes, und vom Himmelreiche, daß es nahe herbey kommen wäre: so verstanden die Juden wohl, was er damit sagen wollte; nemlich daß der Messias bald erscheinen, und sein Reich anfangen würde. Denn das war die Hoffnung Israels, wornach sie, laut Weissagung ihrer Propheten, seit ihrer Unterdrückung und Gefangenschaft sehnlich warteten, daß ein Gesalbter oder Messias, d. i. ein König kommen sollte, der sie von allen diesen Drangsalen erlösete und ein herrlich Reich unter ihnen aufrichtete. Selbst unter den Heiden war diese jüdische Weissagung allenthalben ruchbar worden; und denen Juden ward schon die Zeit lange, bis die Erfüllung käme. Die Verkündigung davon mußte ihnen also die frölichste Bothschaft, oder ein Evangelium seyn. Folglich heißet das Evangelium predigen auch nichts anders, als die fröliche Bothschaft bringen, daß der verheissene Messias nun bald erscheinen und sein Reich anfangen werde. Gläubet dem Evangelio, heisset nichts anders, als gläubet, daß der erwartete Messias bald kommen werde zu eurer Erlösung und zu seinem herrlichen Reiche. [112]
§. 30.
Da nun die ganze Absicht Jesu, und aller seiner Lehre und Handlung in diesen Worten enthalten ist, so ist sie überhaupt klar genug, und nach der damaligen Juden ihrer Art zu reden, verständlich genug ausgedruckt. Wenn Johannes, wenn Jesus, wenn seine Bothen oder Apostel allerwärts verkündigten das Himmelreich ist nahe herbey kommen, glaubet an das Evangelium: so wußten sie, daß ihnen die angenehme Bothschaft von der baldigen Zukunft des erwarteten Messias gebracht würde. Allein wir lesen auch nirgend, daß Johannes oder Jesus, oder die Jünger, bey dieser Verkündigung irgend was weiteres gesagt, worin das Reich Gottes bestehen, und von welcher Art und Beschaffenheit es seyn sollte. Daher die Juden mit solchem Worten von dem nahen Himmelreich nothwendig den unter ihnen herrschenden Begriff verknüpfen mußten. Der herrschende Begriff aber von dem Messias und dessen Reiche war, daß er ein weltlicher großer König seyn, und ein mächtiges Reich zu Jerusalem errichten würde; dadurch er sie von aller Knechtschaft errettete, und vielmehr zu Herren [113] über andre Völker machte. Dies war unstreitig die allgemeine Meynung der Juden von dem Messias, und folglich auch die Vorstellung welche sie sich machen mußten, wenn ihnen von der Zukunft des Messias und seines Reiches gesaget ward. Demnach wo die Juden diesem Evangelio glaubten, da ihnen die Zukunft des Himmelreiches ohne weitere Erklärung verkündiget ward: so mußten sie auch nach ihren Begriffen einen weltlichen Messias und ein zeitlich Reich erwarten. Die Spuren solcher Erwartung liegen auch gar deutlich und häufig in den Reden der Jünger und Apostel selbst, die dieses Reich andern verkündiget hatten. Sie zankten sich schon darum, wer der größte seyn würde in diesem Himmelreiche: und ob sie zwar alle zwölf sitzen sollten auf zwölf Stühlen zu richten die zwölf Geschlechte Israel, so will doch der eine zur Rechten, der andre zur Linken Jesu als des Messias sitzen, das ist, sie wollen nach dem Messias die vornehmsten seyn und am meisten zu sagen haben; und sie gedachten dabey, daß dieses Reich Gottes alsobald sollte offenbaret werden. Nun ist sehr wohl zu beobachten, daß diese Jünger Jesu [114] schon lange vorher von ihm den Befehl bekommen hatten: gehet hin und sprecht, das Himmelreich ist nahe herbeykommen; und daß sie sich darauf würklich durch ganz Judäa vertheilet, und selb zweyte in allen Städten, Schulen und Häusern herumgegangen waren zu predigen und zu verkündigen, daß das Himmelreich nahe herbey kommen wäre, und darnach zu Jesu wieder gekehret waren. Es kann aber ja niemand den Leuten eine andere Lehre und Meinung beybringen, als er selber weiß und glaubt. Demnach da die Jünger Jesu als Herolde des Himmelreichs nicht nur damals, sondern auch noch lange nachher sich ein weltliches Reich des Messias vorgestellet: so haben sie auch kein anderes, als ein weltlich Reich des Messias in allen Städten, Schulen und Häusern von Judäa verkündiget. Demnach war ganz Judäa durch solche Bothen in die Gedanken gesetzet, daß Jesus ein weltlich Reich anfangen wollte. Ja, was noch mehr ist, diese Apostel sprechen noch nach dem Tode Jesu, von seiner Absicht und Vorhaben nicht anders. Wir hofften, er (Jesus von Nazareth) sollte Israel erlösen. Die wenigen [115] Worte halten gewiß sehr viel merkwürdiges in sich. Erstlich, ist offenbar, daß sie noch eine zeitliche Erlösung und ein weltlich Reich meynen, das sie bis dahin durch Jesum gehoffet. Israel oder das Jüdische Volk sollte seyn erlöset worden, nicht das menschliche Geschlecht. Es war eine Erlösung die sie gehoffet hatten, die geschehen sollte; aber die nicht geschehen und erfüllet war. Wenn nun eine geistliche Erlösung durch einen leidenden Heiland zu verstehen wäre: so wäre es nach dem Tode Jesu keine vergebliche und unerfüllte Hoffnung mehr: und wenn diese Erlösung durch ein Leiden hätte sollen vollbracht werden, so würden sie nicht zum Grunde ihrer gehabten Hoffnung angegeben haben, daß Jesus sich mächtig bezeigt mit Thaten und Worten vor allem Volk. Es war also kein Erlöser des menschlichen Geschlechts, der durch sein Leiden und Sterben die Sünde der ganzen Welt tilgen sollte, sondern ein Erlöser des Volks Israel von der weltlichen Knechtschaft, welchen sie sich beständig in Jesu vorgestellet, und um so mehr an ihm gehoffet, als er mächtig gewesen in Thaten und Worten, und auch davor bey allem Volke angesehen gewesen. [116] Und darin bestehet ihre fehlgeschlagene Hoffnung. Es ist weiter hiebey zu merken, daß die beyden Jünger nicht von sich allein, sondern von allen überhaupt per comunicationem reden. Denn Cleophas spricht von einer bekannten Geschichte, darauf die Hoffnung von ganz Israel ankam; er spricht besonders von denen die Jesum für einen Propheten erkannt, von denen die erschreckt sind durch die Bothschaft seiner Auferstehung: es haben uns erschreckt etliche Weiber der unsern: etliche unter uns giengen hin zum Grabe. Es sind also alle Apostel, alle Jünger, Manns- und Weibs-Personen, die so von Jesu bis an seinen Tod gedacht haben, daß er seine mächtige Thaten und Worte zur Erlösung des Volks Israel von der Herrschaft anderer Völker anwenden, und solches glücklich hinausführen würde. Man hat drittens zu merken, daß sie dieses von allen Jüngern sagen, nach dem Tode Jesu: und daß folglich alle Jünger sich in Jesu, die ganze Zeit herdurch da er gelebt, bis an seinen Tod, nichts anders als einen weltlichen Regenten und Erlöser, und keinen andern Zweck seiner Lehren und Verrichtungen vorgestellet. Demnach ist [117] das nächste, was wir hieraus zu schliessen haben, dieses, daß die Apostel erst nach dem Tode Jesu das Systema von einem geistlichen leidenden Erlöser des ganzen menschlichen Geschlechts gefasset haben. Folglich haben die Apostel nach dem Tode Jesu ihr voriges Systema von der Absicht der Lehre und den Verrichtungen Jesu geändert, und also dann erst aufgehöret, auf Jesum als einen weltlichen mächtigen Erlöser des Volkes Israel zu hoffen.
§. 31.
Die Evangelisten gehören mit unter die Zahl der Jünger und Apostel Jesu, und legen also die Hoffnung von Jesu sich selber so wie allen Jüngern bey. Demnach haben sie auch auf Jesum als einen weltlichen Erlöser des Volkes Israel bis an seinen Tod gehoffet, und nach fehlgeschlagener Hoffnung, nach seinem Tode erst das Systema von einem geistlichen leidenden Erlöser des ganzen menschlichen Geschlechts gefasset: folglich auch ihr voriges Systema von der Absicht der Lehre und Verrichtung Jesu geändert. Nun haben [118] alle Evangelisten ihre Erzehlung von Jesu Lehre und Verrichtung lange nach seinem Tode geschrieben: mithin haben die Evangelisten ihre Erzehlung von Jesu Lehre und Verrichtungen geschrieben, als sie ihr Systema und Meynung von der Absicht der Lehre und Verrichtung Jesu geändert hatten. Wenn einer sein Systema und Meynung von der Absicht der Lehre und Verrichtung einer Person ändert, so erkennet er, oder giebt vor zu erkennen, daß er vorhin die Lehre und Verrichtung der Person anders und unrecht verstanden und beurtheilet habe. Folglich, wenn er seine Erzehlung nach geändertem Systemate aufsetzet, so erzehlet er die Lehre und Verrichtungen anders, als er würde gethan haben, wenn er die Erzehlung vor der Veränderung seines Systematis aufgesetzt hätte. Die Worte seiner Erzehlung sollen seine jetzige, nicht die vorige, irrige, und verworfene Gedanken ausdrucken. Er lässet also das weg, woraus auch der Leser, so wie er selbst vorhin gethan, das vorige verworfne Systema schöpfen könnte: und setzet das vielmehr umständlich hinein, woraus sein jetziges Systema zu ziehen ist. Er erzehlet die Lehren und Verrichtungen [119] nicht auf die Art und in der Verknüpfung, daß die Absicht des vorigen, sondern auf die Art und in der Verknüpfung, daß die Absicht seines jetzigen Systematis darin liege; es sey denn, daß er aus Versehen und menschlicher Unachtsamkeit einige Ueberbleibsel seines alten Systematis stehen läßet. Wir dürfen demnach auch nicht zweifeln, daß die Evangelisten, da sie nach verändertem Systemate und Meynung von der Absicht Jesu in seiner Lehre und Verrichtung, und nach verworfenem vorigen Systemate, ihre Erzehlung geschrieben, die Lehre und Verrichtungen Jesu anders vorgetragen haben würden, wenn sie vor dem Tode Jesu und bey seinem Leben sollten davon geschrieben haben, als nun, da sie es nach seinem Tode gethan. Bey Jesu Leben würde die Erzehlung so gelautet haben, daß man darin ihre damalige Hoffnung von der weltlichen Erlösung Israels durch Jesum, deutlich gelesen und erkannt hätte: dagegen können in ihrer jetzigen Erzehlung die Gründe, wodurch sie zu ihrem vorigen verworfenen Systemate veranlasset worden, nicht so klar enthalten seyn; sondern da sie den Vorsatz gehabt, ihr neues verändertes Systema darin [120] vorzutragen, so haben sie mit Fleiß weglassen müssen, was sie zu dem vorigen Systemate veranlasset hatte, und das ausführlich hinschreiben, woraus ihr jetziges Systema zu nehmen ist; auch die Art und Verknüpfung der Geschichte darnach einrichten; es wäre dann, daß sie aus Versehen einige Ueberbleibsel ihres alten Systematis hätten stehen lassen.
§. 32.
Daß diese gezogene Schlüsse ihre völlige Richtigkeit haben, zeiget die Lesung der Evangelisten selbst. Denn da ist das neue Systema, von einem leidenden geistlichen Erlöser in Jesu eigenen Worten so klar und dürre vorgetragen; und hergegen sind von der Absicht Jesu ein weltlicher Erlöser Israels zu werden, in seinen Reden und Verrichtungen, so wenige und so dunkle Spuren; daß man nach ihrer jetzigen Erzehlung der Geschichte durchaus nicht begreifen kann, wie alle Jünger, die ganze Zeit herdurch, zu der Meynung des alten Systematis hätten kommen, oder auch darin beharren können; wenn anders Jesus das würklich gesagt, was sie jetzt erzehlen, und nichts anders [121] gesagt oder gethan, was mehr auf eine weltliche Errettung gerichtet war. Es ist besonders nicht zu begreifen, wenn Jesus vor seinem Tode so deutlich von seinem Sterben und von seiner Auferstehung nach dreyen Tagen geredet hätte, warum diese so frische Verheissung keinem einzigen Jünger, Apostel, Evangelisten oder Weibe, in die Gedanken kömmt, als er nun wirklich gestorben und begraben ist. Da reden und handeln sie sämmtlich so, als ob sie ihr Lebetage nichts davon gehöret hätten: sie wickeln den Leichnam ein, sie suchen ihn mit vieler Specerey vor Fäulniß und Verwesung zu bewahren, ja sie suchen dieses noch am dritten Tage nach seinem Tode zu thun, da jetzt die verheißene Zeit seiner Auferstehung heran kam. Sie wissen folglich auch nichts von einer solchen Verheissung: sie denken an nichts anders, als daß Jesus todt seyn und bleiben werde, und wie andere Menschen in die Verwesung gehen und stinken. Sie geben alle Hoffnung einer Erlösung durch ihn gänzlich auf, und zeigen nicht die geringste Spur von einer andern Hoffnung einer Auferstehung oder geistlichen Erlösung. Sie wundern und entsetzen [122] sich, als sie den Stein von des Grabes Thür abgewälzet finden: sie denken noch, der Gärtner möchte den Leichnam wohl weggetragen haben, als sie ihn nicht mehr da sehen: und als die Weiber gar den Jüngern die Bothschaft von Jesus Auferstehung bringen, erschrecken sie, als über eine unvermuthete Sache, und wollens nicht glauben. Jst es wohl möglich, daß sich alle und jede Jünger so betragen konnten, wenn die letzten Reden ihres zum Tode gehenden Meisters die große Verheissung der Auferstehung auf einen bestimmten Tag, so deutlich enthalten, wie sie es jetzt erzehlen? Nach ihren jetzigen Bericht hatte es doch Jesus so klar und verständlich gesagt, daß auch der hohe Rath die Besorgniß eines vorhandenen Betrugs daraus schöpfet: Wir haben gedacht, daß dieser Verführer sprach da er noch lebte, ich will nach dreyen Tagen wieder auferstehen: ja daß sie würklich in Proceßion mit einer Wache von Soldaten am Sabbath zum Thore hinaus gehen, den Stein versiegeln, die Wache vonKriegsknechten dabey stellen; damit nicht die Jünger kämen und ihn stöhlen, und sagten hernach, [123] er sey auferstanden. Wenn demnach Jesus seine Auferstehung so offenbar verkündiget hatte, daß sie Stadtkundig geworden, wie der jetzige Bericht der Evangelisten lautet, so ist keinesweges zu begreifen, daß sie denen Jüngern, zu welchen er wohl noch ein Wort mehr sprach, und denen gegeben war, das Geheimniß des Reichs Gottes zu erkennen, gar nicht einmal in den Sinn kömmt. Hätten sie ja etwa noch einen Zweifel an der Verheissung gehabt, so würden sie deswegen doch wohl daran gedacht haben, und würden sämmtlich am dritten Tage hingegangen seyn in der Erwartung, wovon sogar ihre Widersacher Argwohn geschöpfet haben sollen, ob er seine Verheissung erfüllen, und würklich aufstehen werde. Aber keiner von ihnen denket einmal daran, sie gehen hin, um ihn zu seiner ewigen Ruhe in dem Grabe zu bereiten. Und was das meiste ist, so denken sie auch nicht einmal an die Wache so das Grab bewahret; sie gehen hin, als zu einem Grabe das ihnen nicht versperret ist, da die Schwürigkeit seyn würde, nicht wie sie vor der Wache dazu gelassen werden möchten, sondern wer ihnen den Stein von der Thür abwälzen [124] würde. Die Wache verschwindet hier, und die Jünger denken nicht allein selbst an Jesu Auferstehung nicht, sondern wissen auch nicht einmal, daß der hohe Rath auf eine Stadtkundige Weise an diese von Jesu vorhergesagte Auferstehung gedacht hat. Wie, wenn nun ein Evangeliste in denen paar Tagen nach Jesu Tode die Erzehlung von Jesu Reden und Thaten, nebst dem ganzen Verlauf seiner Geschichte hätte sollen zu Papier bringen: könnten wohl diese Erzehlungen von seiner verkündigten Erlösung durch das äusserste Leiden, von seiner in drey Tagen zu erwartenden Auferstehung, von dem Aufsehen, welches diese Verheissung in der ganzen Stadt nach sich gezogen, hinein gekommen seyn? Ohne Zweifel, da sie selber an keine Erlösung mehr gehoffet, an keine Auferstehung gedacht, und sich so betragen, als ob nicht das geringste von dieser allgemeinen Vorsicht des Raths geschehen sey; würde das alles aus ihrem Evangelio heraus geblieben seyn. Hergegen, da allerdings ein Grund gewesen seyn muß, daß NB., alle Jünger, NB. die ganze Zeit des Lebens Jesu herdurch, bis an seinen Tod, auf Jesum, als [125] einen weltlichen Erlöser Israels gehoffet hatten, so würden wir in ihrer Erzehlung der Geschichte Jesu nach dem alten Systemate, sonder Zweifel auch die Gründe haben zu wissen bekommen, woraus sie eine so beständige unveränderte Meynung und Hoffnung geschöpfet hatten. Die Evangelisten haben folglich, seitdem sie ihr Systema von Jesus Lehre und Verrichtungen geändert, Dinge hineingesetzt, welche sie vorher würden weggelassen haben, und Dinge weggelassen, welche sie vorher würden hineingesetzet haben: und haben dieses in den wichtigsten Puncten gethan, worauf ihr ganzes neues Systema ankömmt.
§. 33.
Da nun die Geschichte Jesu bey seinen Jüngern, nach geänderten Systemate, in den wichtigsten Puncten anders lautet, als sie vorhin würde gelautet haben; da sie Dinge, worauf ihr neues Systema hauptsächlich ankömmt, als geschehen erzehlen, wovon sie doch vor der Aenderung ihres Systematis nicht das geringste gewußt; und andere Dinge aus der Geschichte weglassen, woran sie vor der Aenderung [126] ihres Systematis nothwendig müssen gedacht haben: so richtet sich ihr neues Systema nicht nach der Geschichte, sondern die Geschichte muß sich nach ihrem neuen Systemate richten. Nemlich, so lange sie noch Jesu würkliche Reden und Verrichtungen in seinem Leben vor Augen hatten, hofften sie, er sollte Israel zeitlich erlösen, und ihr Systema gründete sich bloß auf Facta. Nun aber da ihnen die Hoffnung fehl schlägt, ändern sie in ein paar Tagen ihr ganzes Systema, und machen ihn zu einem leidenden Erlöser aller Menschen: darauf ändern sich auch ihre Facta, und Jesus muß in seinem Leben Dinge gesagt und verheißen, ja der ganze Rath desfalls gethan haben, davon sie vorhin nicht das mindeste gewußt. Wo sich nun das Systema nicht nach der Geschichte richtet, sondern die Geschichte nach dem Systemate richten muß: da sind beydes Geschichte und Systema in soferne ungegründet. Die Geschichte, weil sie nicht aus den Begebenheiten selbst, und der daraus entstehenden Erfahrung und Erinnerung, hergenommen sind, sondern bloß darum als geschehen erzehlet werden, damit sie mit der neuen und geänderten [127] Hypothesi oder dem neuen Systemate überein stimme. Das Systema aber; weil es sich auf Facta beziehet, die erst nach dem gefaßten Systemate in den Gedanken der Schreiber entstanden, und also bloß ersonnen und falsch sind. So viel sich demnach aus der Jünger Jesu, und besonders aus der Evangelisten ihrem zwiefachen und ganz geänderten Betragen, von der wahren Absicht, die Jesus in seinen Reden und Verrichtungen gehabt, schliessen lässet: so können wir nicht anders denken, als daß ihr erstes Systema von einer vorgehabten weltlichen Erlösung Israels gegründet und wahr gewesen; und daß sie nur wegen fehlgeschlagener Hoffnung nach seinem Tode ein ander Systema seiner Absichten, nemlich ein leidender geistlicher Erlöser der Menschen zu werden, ersonnen, und darnach die Erzehlung seiner Reden und Verrichtungen abgefasset haben, folglich diese Erzählung und Systema soferne ungegründet und falsch sey. |