BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Philipp Moritz

1756 - 1793

 

Anton Reiser

 

1. Theil

 

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[Vorrede 1785]

 

Dieser psychologische Roman könnte auch allenfalls eine Biogra­phie genannt werden, weil die Beobachtungen größtentheils aus dem wirklichen Leben genommen sind. – Wer den Lauf der menschlichen Dinge kennt, und weiß, wie dasjenige oft im Fortgange des Lebens sehr wichtig werden kann, was anfänglich klein und unbedeutend schien, der wird sich an die anscheinende Geringfügigkeit mancher Umstände, die hier erzählt werden, nicht stoßen. Auch wird man in einem Buche, welches vorzüglich die innere Geschichte des Menschen schildern soll, keine große Mannigfaltigkeit der Charaktere erwarten: denn es soll die vorstellende Kraft nicht vertheilen, sondern sie zusammendrängen, und den Blick der Seele in sich selber schärfen. – Freilich ist dieß nun keine so leichte Sache, daß gerade jeder Versuch darinn glücken muß – aber wenigstens wird doch vorzüglich in pädagogischer Rücksicht, das Bestreben nie ganz unnütz seyn, die Aufmerksamkeit des Menschen mehr auf den Menschen selbst zu heften, und ihm sein individuelles Daseyn wichtiger zu machen.