BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Ludwig von Knebel

1744 - 1834

 

Schweizer Wanderungen

An den Großherzog Carl August

 

1780

 

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[128]

Bern, den 1. August 1780.

 

Ich dächte, Du solltest es so müde werden, als ich es bald geworden bin, immer nur von Gegenden und Gegenden zu hören. Der schönste Gegenstand, wenn er nur von Einer Seite behandelt wird, hat durch die Wiederholung etwas Ermüdendes, und wie ist es möglich, daß die Natur sich unter [132] der Feder nicht beständig wiederhole, da die Nuancen, welche ihr in ihrer Wirklichkeit die Abwechslung verschaffen, unter derselben größtentheils verloren gehen müssen. Ich will Dir also den Fortgang meiner Spazierreise nur summarisch erzählen, und Dich hie und da auf einzelne Plätze aufmerksam machen. Ich verließ das böse Lager von Oberwald, nachdem ich vorher einige Krystallen und Gemshörner, der Seltenheit wegen, eingekauft hatte, und stieg sogleich des andern Morgens geradezu den Grimsel wieder hinauf. Dieß ist ein Stieg von drei Stunden hinter einander, wo man meist wie an einer Treppe hinaufsteigt. Unten zirpten und sprangen die muthwiligen Heuschrecken auf dem trockenen Gras, der Wald wurde kühler, die Stämme nach gerade kleiner und seltner, endlich erschienen zerstreute Wachholder- und Schwarzbeerenbüsche, dann kam die Alprose in niedern rosenrothen Sträuchern, zuletzt nur einige Glockenblümchen und dünnes Gras, bis wir in die Gegend der scharfen Winde, leichten Nebel und des Schnees kamen; dieß Alles in einer Zeit von nicht gar vier Stunden.

 

Grimsel – Hospiz und Grimselsee (Aquatinta, koloriert)

 

Wir stiegen herzhaft, und nun geht die felsichte, kahle Plattform noch drei Stunden bis Hospital (im Bernerlande) fort. Man steigt dahin die steilen Felsen hinab, und sieht die nackten, unwirthbaren Berge in einem weiten Kessel umherliegen, von welchen sich die Aar herunterstürzt. Man ist hier noch immer wie in einem Lande der abgeschiedenen Seelen; die fruchtbringende Natur ist kalt; die Teiche und kleinen Seen haben keine Fische, schmales Gras und dünne Pflanzen wachsen an den Ufern. Ich hielt hier mein Mittagsmahl, und begab mich Nachmittags noch vier Stunden weiter, nach Gutthannen. Der Himmel war heiter und schön, und die Gegend ist äußerst interessant. Ich ging über Brücken, die an Kühnheit der Teufelsbrücke nichts nachgeben; ich sah das Loch auf einem der höchsten Gipfel, welches durch die Zusammenstellung zweier Felsen aussieht, als wenn man eine Kanonenkugel durchgeschossen hätte, und welches zu gewissen Zeiten, [133] wenn gerade die Sonne dieselbe Linie trifft, einen ganz sonderbaren Effect machen soll.

In Gutthannen kam ich in dem Quartiere, das ich genommen, unter eine angenehme Familie. Sechs oder sieben Töchter im Hause, von ächtem Schweizerkern und voller, doch zierlicher Bildung, froh und schalkhaft, bei wohlhabenden guten Eltern. Sie waren eben beschäftigt, Käse zu machen, und hatten sich deshalb insgesammt am Feuerheerde in der Küche um den großen Kessel versammelt. Ich bat sie, mir dieß Geheimniß auch mitzutheilen und mich in ihrer Kunst zu unterrichten. Der Alte that es mit vieler Munterkeit; mir wurde ein Stuhl herbeigeholt, um zu sitzen, und die Mädchen scherzten am Heerd und in den Ecken mit derjenigen frohen Bescheidenheit oder bescheidnen Fröhlichkeit, welche die schönste Zierde der Jugend ist. Ich wurde hier an Leib und Seele gut unterhalten, und hatte noch außerdem Wohlgefallen an der zierlichen Tracht der Mädchen, die ihnen gar wohl steht, zu der meist graziösen, längern und vollern Gestalt, die sie haben. Sie tragen die Haare zu beiden Seiten wohlgescheitelt, mit zwei hinterwärts geflochtenen Zöpfen, und ohne weitern Kopfputz.

Bei Trauer schlagen sie die Zöpfe auf. Übrigens haben sie hohe bis unter die Brust aufgeschürzte Röcke, von grauem leichtem Zeug, und das Mieder mit einigen schwarzsammtnen Bändern verziert, was ihnen Alles gar wohl steht.

Den andern Morgen hatte ich Noth. Ich wollte weiter, und es war Niemand da, meine Bagage zu tragen. Die älteste Tochter vom Hause, ein Mädchen von neunzehn Jahren, entschloß sich endlich, die Last auf sich zu nehmen, und mich weiter zu führen. Dieß war für meine Achtung für sie ein schwerer Kampf, und so lieb mir ihre Begleitung war, so hätte ich lieber die Last zweimal so gern getragen, wenn es sich für mich hätte schicken wollen. Als sie meine Verlegenheit merkte, machte sie einen Scherz daraus, und nahm leicht den Mantelsack auf ihren Kopf und ging so weiter. Es war mir, [134] als wenn ich in Begleitung einer vornehmen Dame ginge, und ich suchte die Honneurs und Unterhaltung der Reise zu machen, so gut ich konnte. Auch von ihrer Seite fehlte es nicht an Artigkeiten, sie sang mir manch hübsches Schweizerliedchen, und brachte mit sehr gemäßigter Stimmung manch herzige und neugierige Frage vor. Zumal wollte sie Nachrichten von dem Lande haben, wo ich her wäre, und konnte nicht begreifen, wie ich die schönen Ebenen mit den wüsten Bergen vertauschen könnte.

Wir kamen nach Imhof. Es sind wenig zerstreute Häuser in einem lieblichen Grunde, ungefähr eine Stunde von Meyringen, wohin ich nach dem Essen zu Fuß ging. Der Pfarrer, den ich in Meyringen besuchte, machte mir Abends, den Gegenbesuch in Imhof, und da das Thal unendlich lieblich ist, der Tag warm war, und mein Geistlicher ein vernünftiger, unterrichteter Mann, so hielten wir hier manche philosophische Unterredung, vor der Hütte spazieren gehend und eine Pfeife rauchend.

 

Landschaft bei Meyringen

 

„Die Blümlisalp hier,“ sagte er (indem er sie mir zeigte, mit ihrem Schneekopfe hinter den übrigen Bergen hervorragend), „war sonst eine Viehweide und hat den Namen von den schönen Blumen, die da wuchsen; jetzt ist sie seit zwanzig Jahren wenigstens mit Schnee und Eis, bedeckt, und das Eis wächst jährlich auf derselben. Dieß findet man auf mehrern unserer Gebirge so. Die Erde veraltet und stirbt an ihren äußersten Enden zuerst ab. Man kann solches an allen ältern Gebirgen bemerken. Auch die Wasserquellen vertrocknen, Wir haben mehrere in diesen Gegenden, die gänzlich ausgeblieben und vertrocknet sind. Was meinen Sie, daß es mit uns werden soll? Es ist wahrscheinlich, daß die ganze Schweiz nach und nach ein Eisklumpen wird, und seine Thäler ein unbewohnbares, wüstes Land.“ –

Ich hatte auf alles dieß nicht viel zu sagen. Der Abend war zu feierlich, als daß ich hätte scherzen mögen, und mich [135] faßte eine weite große Trauer. So war es auch meinem Gesellschafter, der aber mehr dabei im Gleichen blieb; doch habe ich bemerkt, daß wirklich diese Gegenden für den denkenden, empfindsamen Geist zu ernsthaft sind, zumal wenn er nicht durch Gesellschaft erheitert wird, Dabei ist Kost und Lebensart zu einfach, und der Geist zehrt sich auf, wenn er nicht geistig und leiblich mannichfach unterhalten wird. Die Kenntniß ist ein acquirirter Zustand, und Fähigkeiten der Seele sind ein in Bewegung gebrachtes Kunstwerk, das mancherlei Triebwerk und Unterhaltung nöthig hat, wenn es im Stande erhalten werden soll, und die Räder nicht, aus Mangel der Bewegung, verfaulen. Darum sind auch immer Genies in den Städten gereift, selten auf dem Lande; und selbst das Widrige, das ihnen dort zuweilen begegnet, ist ihnen ein neuer Antrieb, eine neue Triebfeder zu vollendeteren Arbeiten. –