Karl Ludwig von Knebel
1744 - 1834
Schweizer WanderungenAn den Großherzog Carl August
1780
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Schwyz, den 17. Juli 1780.
– Dein denk' ich hier und überall. Ich habe seit dem 11. dieses nicht geschrieben. Mein Herz war zu voll. Alles auf der Stelle wieder zu erzählen, macht den Werth der Dinge zur Hälfte für uns verloren. Auch diese müssen sich erst brechen in der Atmosphäre unserer Vorstellungsart, und erhalten dadurch den Reiz ihres Lichtes für Andere.Könnte ich davon die besten Strahlen Dir zuschicken! –Gestern Abends um neun Uhr kam ich hier an. Von Maria Einsiedeln waren wir um zwei Uhr Nachmittags ausgegangen. Wir wählten den Weg über den Sattel und Steinen, der weiter, aber bequemer ist, als der über den Haken und Mytenberg. Auch hielt uns ein unterwegs getroffener starker Schauerregen beinahe eine Stunde in Thurm auf. {114}
Maria Einsiedeln
Von Maria Einsiedeln werd' ich Dir öfters noch erzählen. Dieß ist ein Ort für Liebende und Betrübte. Die katholische Religion erscheint hier in Allem, was sie Inniges, Feierliches und Aufrichtendes hat. Das stille, andachtsvolle Hin- und Herwandeln von Menschen aller Orten, die hier gleichsam wie in einem See der Andacht zusammenfließen; jeder trägt, das sieht man, wenigstens Eines Jahres Schuld auf dem Herzen; und dann der Ort, die schöne Wüste, das prächtige, religiose Gebäude, der Reichthum, die Feier und Pracht des Innern, die Demuth und gänzliche Hingebung der Zusammenkommenden, ihr Beten, ihr Knieen, ihr Verlangen, ihr Beruhigen, ihr sicherer Glaube – das Bild der heiligen Jungfrau an allen Orten aufgestellt, immer herrlich, schön, glanz- und liebestrahlend, mit dem süßen Bilde der Liebe und Unschuld in ihren Armen – in der Mitte des Tempels eine von schwarz und weißem Marmor erbaute Kapelle, voll unsichtbarer verschwiegener Heiligthümer, bei Tag und bei Nacht erhellt, voll Gesang und Gebet – – das sind Dinge, die den rohesten Sinn treffen mögen, die da machen, daß Ein Geist der Andacht, Herzigkeit und Feier über Aller Sinnen ausgegossen zu sein scheint. Manche berühren nur mit den Händen die Mauern der heiligen Kapelle, und finden sich unwürdig, hineinzugehen; Andere knieen an der Thür oder auf dem Vortritt, sie liegen ruhig zu Schaaren da, ohne an den Vorbeiwandelnden hinaufzusehen – indeß ein ewiges Hinein- und Herausdrängen an den Thoren selbst ist, auf deren weiten Stufen Haufen von Pilgrimen, Fremden und Armen zerstreut liegen. Auf dem Platze vor der Kirche ist ein Brunnen von Marmor, mit dem schönen Bildnisse der Mutter Gottes geziert. Die reiche Quelle fließt aus vielen Röhren, in deren Wasser Weiber und Mädchen die Füße baden, weil sie ihm eine wunderthätige Kraft zuschreiben.Der Schätze und Reichthümer dieser Kirche sind unzählige. Perlen und Edelsteine, und diese in beträchtlicher Große, sind {115} in unglaublicher Anzahl. Dabei herrscht die größte Freiheit des Ortes, und diese Schätze scheinen nur mit geringer Sorge und ohne Ängstlichkeit verwahrt; obgleich täglich einige tausend Fremde, von allen Seiten der Berge, aus Frankreich, Österreich, Italien u. s. w., dahin kommen, welche ohne Druck, ohne Nachfrage, ohne einen Schatten von Intoleranz daselbst existiren, und auf Verlangen Alles besehen können.
Meinrad von Einsiedeln
Das Bild des heiligen Meinradus, des Stifters dieser Einsiedelei, der aus dem Hause Zollern war, hat mir unter diesen Schätzen am meisten gefallen. Es ist ein vorzüglich schöner, bedeutender Kopf, ein Mann, der gewiß große Weltkenntnisse hatte. Sein Leben endigte sich, wie das von Niklas von der Flüe, in der Einsamkeit. Er wurde auf der Stelle, wo jetzt die marmorne Kapelle steht, und wo vordem seine Einsiedelei stand, von Räubern, die Geld bei ihm vermutheten, erschlagen. Man sagt, zwei Raben hätten diese Mörder verfolgt, bis sie entdeckt worden seien, und diese Raben sind jetzt in dem Wappen der Abtei.Da der Fürst – denn so heißt der Prälat – auf den Tod krank lag, so konnte ich ihn nicht zu sehen bekommen. Er ließ mich aber durch den Decanus, einen heiligen, würdigen Mann, an seine Tafel bitten. Die Religiösen dieses Orts sind menschenfreundlicher, liebreicher und auch aufgeklärter, als ich sie noch an einem Orte, zumal unter der katholischen Geistlichkeit, gefunden. Sie sprachen mit der größten Bescheidenheit von unsern Glaubenssätzen, und als wir auf Lavater kamen, der sie zuweilen besucht hatte, so wollten sie keinen großen Unterschied unter ihnen annehmen. Sie sagten: Er lehrt die Liebe und wir auch;“ und sprachen mit großer Ehrfurcht von ihm.Ganz gerührt von meinem Aufenthalte ging ich Nachmittags zwei Uhr weg – und trug die Empfindung in meinem Herzen, daß es eine Art Hoheit unter den Menschen gebe, die von ganz anderer Art sei, als was man gewöhnlich dafür {116} ausgibt. Kälte und Untheilnehmung ist die elendeste Kleinheit der Seele. Entgegenkommende Wärme, Liebe, Demuth, Verläugnung für Andere – wie viel Hoheit liegt darin! Dieß ist der Geist der christlichen Lehre, oder es gibt keinen andern; und dieß ist eben das, worin es ihnen Heiden, Juden und Türken zuvorthun. Die Kleinen! die sich blos an den Teppichen des reichbesetzten Tisches herumzerren, und dann doch wieder einmal das Herz haben, Andere zu verfolgen und zu verdammen, als wenn sie allein Herren des Schatzes wären, den sie nie gekannt! –Geist der Liebe, wie ich ihn von Lavater aus bis hieher, gefunden, habe ich vorher noch nicht gekannt. – –Als ich nach Hause gekommen war, machte ich mich so gleich reisefertig, traf den Baron Vrints und seine Frau in demselben Gasthof, die schon des Morgens angekommen waren. Ich machte mich mit einem Dominicaner, der Mittags mit an des Fürsten Tisch gespeist hatte und als Beichtvater der hiesigen Klosterfrauen von Schwaben aus deputirt war, auf den Weg. Es war sehr warm. Mein Dominicaner fühlt' es auch. Als wir die Höhe des Berges erreicht hatten, von dessen Spitze man noch die Abtei Einsiedeln liegen sehen kann, so knieete er nieder, und verrichtete rückwärts von mir, gegen die Abtei gewendet, sein Gebet. Diese Art Abschied zu nehmen gefiel mir sehr wohl. Es ist die herzigste und die wahrste.Da hier zu Land Alles bettelt, und zumal die Kinder in Schaaren einen verfolgen, so setzte mich dieser Umstand in die Verlegenheit, entweder zu viel zu geben oder abzuweisen. Bald sah ich, daß mein Mönch links und rechts aller Welt gab.Dieß erwarb ihm erstlich den Beifall meines Herzens, und wie ich bemerkte, daß es nur Angsters (hier zu Lande Heller) waren, auch den Beifall meines Verstandes. Ich wechselte mir eine große Menge ein, und so hatte ich das Recht, auch für generös zu passiren, und mich von der Ungestümheit um Geringes loszukaufen. {117}
Steinen im Kanton Schwyz
Die Gegend, wenn man zu dem Dorfe Steinen kommt, wird wunderschön. Rechts vor uns die Abendsonne, die hinter dem hohen Riggi-Berge niedersinkend, diesen nur finstrer, und den Lowerzer-See vor ihm zu einem Feuerspiegel macht. Allmächtig, mit ihrer ungeheuern tiefen Wurzel, lagen die Berge vor uns da.
Der Lauerzersee
Das junge Landvolk in Steinen war eben versammelt, ich weiß nicht zu welchem Feste. Der Jünglinge Geschrei tönte von den Bergen, und die Mädchen waren in Haufen unten im Dorfe beisammen, schon bebändert, mit zierlichen Zöpfen und weißen Hemdeärmeln, voll muntrer Freude und beinahe muthwillig. Auch hier würde es uns bei allem dem anscheinenden und wirklichen Wohlstande nicht an Geschöpfen gefehlt haben, die uns um eine Gabe angesprochen hätten, wenn sie sich vielleicht dießmal nicht vor einander geschämt. Die hauptsächlichste Ursache von diesem häufigen Betteln ist diese: wenn ein junger Mensch, zumal in den demokratischen Cantonen, das sechzehnte Jahr erreicht hat, so ist er sein Herr, d. h. er hat eine freie Stimme in dem Canton, zur Wahl jeder obrigkeitlichen Person, und dann kann er sich verheirathen, wenn er will. Hieran kann ihm der Vater nicht hinderlich sein, er ist vielmehr verpflichtet, ihn so lange er will und zeitlebens zu ernähren; nur braucht er ihm zur Ernährung seiner Familie nichts zu geben.Da geht es dann zuweilen höchst armselig unter jungen Leuten zu, die sonst reiche Eltern haben. Die Kinder betteln, die doch, wenn der Großvater stirbt, oder die Eltern sich was erhauset haben, sehr wohlhabend sind. Verschiedene derselben betteln indeß auch oft aus Muthwillen oder Afferei, zumal weil sie alle Fremde für reich halten.
Schwyz
Abends neun Uhr kamen wir hier in Schwyz an, und waren sehr müde.Und nun war mein Erstes, diesen Morgen mich nach den hohen Bergen umzusehen, die schon von der Morgensonne erleuchtet waren. Vor mir die Schneegebirge aus dem Uri-Land, {118} hinter mir, ganz nahe, der Mytenberg.
Vierwaldstädter See. Kleiner und großer Mythen im Hintergrund
Gleich einem spitzen Zahn steigt er in die Höhe, und deckte die Sonne, die hinter ihm aufging, so, daß es auf der Seite, die er uns zuwandte, noch Nacht, obgleich die ganze übrige Gegend erleuchtet war. Gegenüber waren die schneeichten Gipfel der Uriberge erst mit leichten Nebeln umkränzt, die bald in Rauch aufdampften, der endlich über ihren Häuptern zu Wolken wurde. Schön, groß und feierlich ist dieß Schauspiel, das fast in jeder Minute abwechselt, und nicht zu beschreiben ist.Ich machte mich bald des Morgens auf, zu Herrn Hedlinger zu gehen, Dieser ist ein Neveu des berühmten Ritters Hedlinger, dessen Kunst in den Medaillen, die man von ihm hat, so bewundert wird. Er zeigte mir die ganze Sammlung seines seligen Onkels, theils in Gold, theils in Silber, meist von sehr ansehnlicher Größe. Die Simplicität seines Stichels, wie seiner Erfindungen, vereint mit der Leichtigkeit, Nachdruck und Richtigkeit seiner Zeichnung und der ganzen Ausführung, machen den großen Werth davon aus. Alles ist für die Dauer, für Erz und Ewigkeit gegraben, und doch welche Weiche, welche Anmuth in seinen Haaren, seinen Pelzen, seinen Kleidern und seinem Fleische! Man darf nur einen Kupferstich von Mecheln (der sie copirt herausgegeben), selbst einen von der schönen Haidischen schwarzen Kunst, dagegen halten, so wird man den Unterschied leicht sehen. Viele derselben bezeichnete er mit einem mir unbekannten Worte Lagom, welches auf die Unsterblichkeit der Seele deuten soll.
Portrait Johann Carl von Hedlinger (1691 - 1771), Lagom-Medaillon (Lagom = schwedisch: nicht zuviel, nicht zuwenig“, die Devise Hedlingers, mit der er in griechischen Lettern viele seiner Medaillons versah), Medaillon für Friedrich I. von Schweden
– Wir kamen etwas spät nach Hause. Ich setzte mich zur Abendmahlzeit, wobei mich meine Wirthin – nachdem sie mir Käse zur Suppe, wie hier zu Lande gewöhnlich, präsentirt – freundlichst unterhielt. Dieses ist eine Mutter von dreizehn Kindern, wovon ungefähr acht noch leben, seit ein paar Jahren Wittwe, und sah aus wie in der Blüthe ihrer Jahre.Als ein gemeines Weib gekleidet erschien sie, und wartete mir auf; indeß hatte sie einige Söhne, die in spanischen und französischen {119} Diensten als Officiere standen. Sie sprach von ihren Grundstücken, die ihr ungefähr des Jahrs 1500 Fl. eintrügen, wobei verschiedene Waldungen seien, die sie noch nie gesehen, und die man stehen ließe, bis etwa einmal das Holz sollte theuer werden.Ich ließ mich viel von ihrer Wirthschaft unterhalten. |