Karl Ludwig von Knebel
1744 - 1834
Beschreibung der Pest in Athen
1816
Text:Des T. Lucretius Carus Schauergemälde der Kriegspest in Attika:Original-Text nach der Heinrich Ca[rl] Abr[aham] EichstädtschenAusgabe, Vol. I, Leipzig 1801, Buch VI, Vers 1089 bis zu Ende.Des Herrn Obristwachtmeisters von Knebel Uebersetzung in Hexametern.Erläuternde Anmerkungen über Sprache, und aus der Geschichte;Fortlaufender arzneiwissenschaftlicher Kommentar.Quelle: Bayerische Staatsbibliothek
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Was nun die Ursach' sei, durch welche die Seuchen entstehen,Wie ansteckendes Gift so plötzliche TodesverwüstungUeber die Menschen haucht und über die Heerden der Thiere,Das entwickl' ich anjetzt. Vorerst erwies ich schon oben,Daß viel Saamen der Dinge für uns sind lebenerhaltend,Andre dagegen in Menge, die wieder verbreiten sich müssen,Krankheit fördernd und Tod. Hat diese gehäufet ein Zufall,Und die umgebende Luft damit getrübet, so wird sieSiech: doch der kränkliche Stoff und diese Gewalt der VerpestungKömmt aus dem Innern vielleicht der Luft, wie Wolken und Nebel,Die durch den Himmel ziehn; vielleicht auch selbst aus der Erde;Steiget von da empor, wenn Nässe zum faulenden Schlamm wird,Durch unmäßige Regen und Gluten der brennenden Sonne.
Zeigt die Erfahrung es nicht, daß aus ferner Gegend und WohnungKommende, vieles erleiden durch Aendrung der Luft und des Wassers,Weil in diesen an sich so große Verschiedenheit lieget?Was für ein Unterschied muß zwischen Britanniens HimmelUnd dem Aegyptischen seyn, allwo sich die Axe der Welt neigt?Welch ein verschiedener Kreis der Luft in Pontus, und Gades,Bis zu den schwarzen Geschlechtern der sonnedurchkocheten Männer ?Vier Regionen sinds, die unter verschiedenen Winden,Unter des Himmels verschiedenem Strich getheilet wir sehen;Eben so sondern sich auch an Gestalt und Farbe die Menschen;Auch Krankheiten besonderer Art sind eigen den Völkern.
Elephantiasis ist die Krankheit, die sich am Nilus,Mitten im Land Aegyptus erzeugt, und nirgend wo anders.
In der Gegend von Attika ist an Füßen die SchwächeHäufig, und im Gebiet Achajas leiden die Augen.So ist immer ein Land noch mehr als das andere feindlichTheilen und Gliedern des Leibes; der Luft Verschiedenheit wirkt es.
Hat sich nun diese Luft, die uns vorzüglich zu Gift wird,In die Bewegung gesetzt, und weiter zu ziehen begonnen,Schleicht allmählig sie fort, wie Nebel und Wolken, und trübetAlles, wohin sie gelangt, und ändert durch ihre Gewalt es.Und so kömmt es, sobald in unseren Himmel sie eintritt,Daß sie auch diesen verdirbt, ihn ähnlich sich macht, und uns widrig.
Dies entstehende Gift und dieser verpestende LufthauchSenkt sich plötzlich herab auf's Wasser, haftet an Saaten,Oder an anderer Nahrung der Menschen und Futter der Thiere:Oder er bleibt vielleicht im Luftkreis hangen, und wann wirDorther athmend die Luft einziehn, die mit ihm vermischt ist,Saugt nothwendig mit ihr der Körper auch giftige Theil' ein.Auf die nämliche Art kömmt oft ansteckende SeucheUnter gehörnetes Vieh und die matten blökenden Heerden.Auch liegt wenig daran, ob hin wir gelangen an Orte,Widrig für uns, und ob das Gewand des Himmels wir ändern;Oder ob uns die Natur von selbst den verderblichen DunstkreisZuführt; irgend ein Ding, das fremd ist unserm Gebrauche;Das durch den neuen Gebrauch den Unfall über uns herbringt.
Solch ein verderblicher Stoff und solch ein mördrischer Hauch hatEinst das Cekropische Land in Leichengefilde verwandelt;Oede die Straßen gemacht, entschöpft die Stadt von Bewohnern.Tief entsprungen im Land, von den äußersten Grenzen AegyptusKommend, Strecken der Luft und der Wassergefilde durchmessend,Ließ er sich schwer herab auf das Volk Pandions: es fielenSchaarenweise die Menschen, ein Opfer der Pest und des Todes.
Anfangs spürten im Haupt die Kranken brennende Hitze;Beide die Augen waren mit Feuerröthe durchgossen;Innen der Schlund war schwarz, und schwitzete Blut, und der StimmeDurchgang war mit Geschwüren besetzt, und zog sich zusammen:
Auch des Geist's Dollmetscherin floß, die Zunge, von EiterUnd von Blut; war rauh und schwer zu bewegen, und kraftlos.
Wann das Uebel hierauf durch den Schlund hinab in die Brust sank,Und in den Unterleib des bangen Kranken sich ausgoß,Fingen zu wanken an die Riegel alle des Lebens.
Aus dem Munde hervor quoll häßlich stinkender Athem,Gleich dem faulen Geruch, den stinkende Aeser verbreiten:Jegliche Kraft des Geistes entschwand, und jede des KörpersLößte sich auf; wie bereits schon selbst an der Schwelle des Todes.Unerträglichem Schmerz war immer ängstliches BangenBeigesellt; Wehklagen vermischt mit tiefem Geächze.Tag und Nacht hindurch zwang häufiges Schluchzen die NervenUnd die Glieder im zuckenden Krampf, und lößte beständigDie schon ermatteten auf, und regte sie wieder aufs neue.
Keine zu heftige Glut war indeß am äußeren KörperMerkbar, noch an der Haut; vielmehr nur mäßige Wärme,Lau das Gefühl der Hand: zugleich war über und überRoth der Körper, so wie von brandigen Eitergeschwüren,Oder als hätt' über ihn sich das heilige Feuer ergossen.Innen hingegen verzehrte der Brand sie bis auf die Knochen;Und wie die Esse glüht, so glüht' inwendig der Magen:So, daß keine Bedeckung, so dünne sie immer und leicht war,Ihnen behülflich. Sie sucheten Luft und suchten die Kühle,Tauchten in kalte Flüße die fieberbrennenden Glieder,Warfen entblößt in die Fluten den Leib: noch andere stürztenSich in die Wellen hinab mit offenen lechzenden Lippen.Unauslöschlicher brennender Durst taucht immer sie unter,Machte für sie die reichlichste Flut zu wenigen Tropfen.
Keine Ruhe der Qual war hier: es lagen die KörperMatt umher; still murmelte nur die furchtsame Heilkunst:Denn sie wälzten umher die offenen Lichter der Augen,Glühend vor Hitz', es hatte sie ganz der Schlummer verlassen.Auch erschienen darauf noch mehrere Zeichen des Todes:Ein verstöreter Geist, voll Furcht und drückender Schwermuth;Finstere Stirnen, und Wuth und heftiger Zorn im Gesichte;Aengstliches Ohr, das stets mit gellenden Tönen erfüllt war;Häufiges Athemziehn; dann wieder tiefer und seltner;Und ein glänzender Schweiß, der herunter tropfte vom Halse:Wenig Speichel und dünn, von safrangelblicher Farbe,Salzig, hervor gehustet mit Müh' aus heiserer Kehle:Krampfiges Ziehen der Hand, und in allen Gliedern ein Zittern.Auch allmählig begann der Frost empor von den FüßenSich in den Körper zu ziehn: und nahte die Stunde des Todes,Dann war enger gepreßt die Nase, die vorderste SpitzeDünne, die Augen hohl, und eingedrücket die Schläfe;Hart und frostig die Haut, und rauh zu fühlen beim Angriff,Und die gespannte Stirn schien wegzuscheiden: nicht langeNachher lagen gestreckt im starrenden Tode die Glieder.Meistens schieden sie hin mit dem achten Lichte der Sonne,Oder wenn diese die Fackel zum neunten Male hervortrug.
War noch einer für jetzt entgangen dem finsteren Schicksal,Mit Geschwüren am Leib und schwarzem blutigem Ausfluß,Wartete dennoch zuletzt auszehrende Schwäch' und der Tod sein:Oder verdorbenes Blut floß häufig, bei heftigem Kopfweh,Ihm zur Nase heraus, und mit diesem Leben und Kräfte.
Aber wer annoch entkam dem scharfen und häßlichen Blutfluß,Diesem warf sich das Gift auf Nerven und Glieder, ja selberHin auf die Theile der Zeugung; so, daß sich auch einige selberIhres männlichen Theiles, um fortzuleben, beraubten;Andere sich mit Verlust von Händen und Füßen das LebenNoch zu erhalten suchten, zum Theil mit Verluste der Augen:So sehr hatte die Furcht des Todes dieselben befangen.Einige hatte so sehr die Erinnerung voriger DingeAller verlassen, daß selbst sie nicht mehr erkennen sich konnten.Haufen lagen auf Haufen von unbeerdigten Leichen;Dennoch sah man die Vögel und andere Thiere des RaubesWeit von den Orten fliehn, den Pestgestank zu vermeiden;Oder kosteten sie, so sanken sie bald in den Tod hin.
Ja es erschien nicht leicht in denselben Tagen ein Vogel;Auch kam nicht aus den Wäldern hervor ein schädliches Raubthier;Denn es befiel die meisten dieselbe tödtliche Seuche,Und sie starben daran. Die treuen Hunde, vor allen,Hauchten, liegend umher in den Straßen, peinlich die Seel aus;Denn es entriß das heftige Gift mit Qualen das Leben.
Eilig und ohne Geleit' enttrug man die Schaaren der Todten;Auch kein Mittel bestand durchaus gleich wirksam für alle:Denn was dem einen gab die Lüfte des Lebens zu schöpfen,Und mit erheitertem Aug' empor zum Himmel zu schauen,War für den anderen Gift, den Tod zu beschleunigen fähig.
Aber das größeste Uebel, das jammervollste von allen,War, daß jeder von ihnen, sobald er mit Spuren der KrankheitIrgend behaftet sich sah, zum Tode sich gleichsam verdammt hielt;Ohne Hoffnung und Trost mit trauerndem Herzen sich hinwarf,Hin nach den Leichen schauend daselbst aushauchte die Seele.
Auch griff weiter umher dadurch die fressende Seuche,Daß von dem einen das Gift ein anderer immer sich einsog;Wie bei dem Wollenvieh und den hörnertragenden Heerden:Und es häuften dadurch am meisten sich Leichen auf Leichen.Scheute sich nämlich einer den krankenden Freund zu besuchen,Aus zu heftiger Liebe zum Leben und Furcht vor dem Tode;Bald ward dieser bestraft nachher durch ähnlichen Kaltsinn,Ohne Hülfe noch Trost dem häßlichen Tode geopfert.Aber wer hülfreich war, den riß ansteckendes Gift fort,Und das Bemühn um den leidenden Freund, wozu ihn die Pflicht zwang,Und die flehende Stimme, mit Klagen der Armen vermischet.So war immer der Tod das Loos des redlichsten Mannes.
Immer beschäftigt ein Volk der ihrigen unter die andernEinzugraben, erschöpften sie sich durch Thränen und Kummer;Kehrten nach Haus, und es warf der Gram die meisten danieder.Ja, zur selbigen Zeit war keiner zu finden, den Krankheit,Tod, oder Schmerz um den Freund, hätt' unverschonet gelassen.
Allbereits war der Hirt und jeglicher Führer der Heerde,Und der rüstige Lenker des krummen Pfluges, vom UebelAngegriffen. Gedrängt in die engen Hütten zusammenLagen die Körper, die Noth und Krankheit weihte dem Tode.Ueber entseeleten Leibern der Kinder konntest du ElternLiegen sehen, und wieder auf Leichen von Vater und MutterKinder den Geist aufgeben. Des Uebels beträchtlicher Theil floßVon dem Lande zur Stadt, durch Haufen des krankenden Landvolks,Welche von allen Seiten der seuchebehafteten GegendKamen, die Häuser füllten und jeglichen Winkel: so mehr nurHäuft' ansteckender Tod in Schaaren sie über einander.
Viele lagen am Wege, vom Durste daniedergestrecket;Oder sie hatten sich hin an laufende Brunnen gewälzet,Und unmäßige Lust zu trinken erstickte das Leben.An den Versammlungsplätzen des Volks, an Straßen und Wegen,Sahe man halbentseelt die Körper mit schmachtenden Gliedern,Scheuslich von Schmutz, mit Lumpen bedeckt, im eigenen Unflat,Langsam sterben: es hing die Haut nur über die Knochen,Unter häßlichem Eiter und Unrath fast schon begraben.
Alle die heiligen Tempel der Götter hatte der Tod schonAngefüllt mit Leichen; auch blieben zum Theil die CadaverLiegen, der Himmlischen Stätte belastend: die Hüter der TempelHatten solche geräumt den Fremdlingen. Wenig geachtetWurde der Götterdienst, so wie sie, die Gottheiten selber:Alles überwog der gegenwärtige Jammer.
Auch erhielt in der Stadt die Beerdigung nicht sich der Todten,Wie sie von jeher war dem frommen Volke gebräuchlich:Denn sie liefen umher voll Verwirrung; jeglicher brachteTraurig, so gut er konnte, die Seinigen unter die Erde.
Noch zu manchem Vergehn rieth Noth und die dringende Armuth:Denn sie legten die Leichen der nahen Verwandten von ihnenHin, mit großem Geschrei, auf die Scheiterhaufen, von andernAuferbauet, und steckten sie an mit Fackeln, und strittenEhe sich bis auf's Blut, als daß sie die Körper verließen. |