B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Anna Louisa Karschin
1722 -1791
     
   



G e d i c h t e

N a c h   d e r   D i c h t e r i n   T o d e
n e b s t   i h r e m   L e b e n s l a u f f
H e r a u s g e g e b e n   v o n   I h r e r   T o c h t e r
C .   L .   v .   K l [ e n k e ]   g e b :   K a r s c h i n ,
B e r l i n   1 7 9 2


V e r m i s c h t e   G e d i c h t e .

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Versuch einer Danksagung
an König Friedrich Wilhelm

den Vielgeliebten.
Im Februar 1787.

Monarch und Schöpfer eines Glücks,
Das meinem Alter Blumen streuet,
Ich habe nur im Ausdruck meines Blicks
Die Sprache, die kein Wörterbuch verleihet,
5
Nur Thränen hab' ich, statt des Tons,
Wenn ich Dir danken will, Dir Schutzgott auf der Höhe
Des landesväterlichen Throns -

Ich fühl's, daß ich auf Rosen gehe,
Auf Rosen schlummre leicht und süß,
10
Seitdem Dein Wöllner mir's verkündet,
Was ihm sein König hieß:
Ein Haus, ein Haus wird mir gegründet,
Wird aufgebauet, wird geschmückt,
Als wär's ein Tempelchen der Musen -
15
O wenn's mein Auge nun erblickt,
Dann wird mein abgelebter Busen
Zu enge für des Herzens Drang,
Es flammt bei dieser Augenweide
Vielleicht nur Tage lang,
20
Wird wonnekrank
Und stirbt den schönen Tod der Freude:
Sein lezter Schlag ist Dank!

 
Ein Gebet an den Mars.
1762.

Du Gott des Krieges, laß die Erde!
Die Schritt, mit Blut bemerkt, ist fürchterlich, ist schwer,
Verändre doch die schreckliche Gebärde,
Und schüttle länger nicht den Speer.
5
Dein wartet der Olymp, und Amor mit dem Bogen
Lauscht an der Mutter Fuß. Steig von des Mordens Bahn
Zur Göttin; dann betrüg' den schlafenden Vulkan,
Wie er vor Zeiten ward betrogen.
Von Waffenschmieden ist er matt,
10
Wie Venus, die nach dir sechss Jahr geschmachtet hat.
Wie reizend liegt sie da im Elisäer Lenze!
Die Nymphe windet dir und Venus Mirtenkränze,
Mit Blumen untermengt. Schon gießt sie Nectartrank
In goldne Schaalen ein; und wenn auch Götter krank
15
Zur heißer Sehnsucht sind, so ist's gewiß Cythere,
Horch im Getümmel auf, sie seufzet göttlich, höre!
Begieb vom Kampfplatz dich zurück,
Geharnischt wie du bist, an Haupt, an Arm und Fuße.
Cupido zieht dich aus, und deinem ersten Kusse
20
Dankt unsre ganze Welt ihr Glück.
Der Zorn in einer Frau rief, Mavors, dich hernieder,
Die Sehnsucht einer Frau hol' dich den Göttern wieder,
Und ewig komm' uns nicht zurück.

 
An die Frau von Reichmann,
Kommendantin zu Magdeburg.
1762.

Der Winter hauchet Frost an diese dünne Wand;
Ich aber troz ihm in dem Bette.
Hier sitz ich, und hier schreibt die kaltgewordne Hand
An Dich, und wenn der Nord durch meine Fenster redte
5
Gewaltiger als sonst, wenn dieser Finger krumm
Von Frost geworden wär, so würd ich doch nicht stumm,
Ich sänge Dir ein Lied, Dir! der ich alle Tage
Des Herzens' ersten Gruß in einem Liede sage.
Viel Kälte stand ich aus, als Armuth mich gejagt
10
Früh Morgens aus dem Bett, sobald es nur getagt,
Wie ängstlich lief ich da nach Holze,
Bei mir vorüber ging das stolze
Und reiche Bürger-Volk, nicht vornehm, aber doch
Sehr aufgebläht durch kluges Wissen
15
Des Geldbesitzens, das sie noch
Vielleicht, wie Rauch, verlieren müssen.
Du hättest laut geweint, von Mitleid hingerissen,
Wenn ich bei Dir vorbeigegangen wär!
Der arme Körper war inwendig kalt und leer,
20
Von außen war er schlecht behangen;
Ein Bündel Holz trug unter jedem Arm,
Das Weib, nach welcher izt so warm,
So eifrig Alt und Jung verlangen.
Ich schleppte mühsam mich und brach das Reisicht klein,
25
Saß vor dem Ofen hin, und heitzte zitternd ein,
Die Kinder vor dem Frost zu schützen;
O Dein Gedanke sieht mich bei dem Ofen sitzen,
Ein Topf mit Wasser steht bei trockner Fichtengluth;
Er kocht, ich heb ihn ab, um Mehl darin zu schütten,
30
Die Suppe, schlecht und ohne Schmalz, war gut.
Izt dürfte keiner mich darauf zu Gaste bitten.
Seit dem berühmten Sieg bei Leuthen tadle ich,
Den Kaffee, wenn er nicht so kräftig ist, daß mich
Sein wärmend Oehl beschützt vor einen bösen Husten,
35
Den alle Suppen mir nicht zu vertreiben wusten;
Jezt eben komm ich, Frau, und wenn ich Dich geküßt,
So frägt mein erster Blick: ob Kaffee fertig ist!

 
Ueber die Vergleichung.
An Nanntchen.
Den 5. Okt. 1779.

Laß Dich bey Leibe nicht vergleichen
Mit meiner Kleinigkeit,
Ich lief nur unter Haselsträuchen
In früher Jugendzeit,
5
Wenn unter einer Bacchuslaube
Dein zartes Füßchen ging,
Wo Dir die schönste Purpurtraube
Ins Rosenmäulchen hing -
Ich kannte nur die Nachtigallen;
10
Kein buntes Papchen ließ
Im Hause meinen Namen schallen,
Fürs Futter fein und süß.
Mein Sopha war nur Wiesenerde:
Da schwatzete mein Mund
15
Mit Blumen und mit meiner Heerde,
Die trieb ich ohne Hund.
Mir horchten auf ein Wort drey Rinder,
Wie Dir Fidelchen Boll,
Ich pflegte meiner Mutter Kinder,
20
Wenn Du von Liebe voll
Auf Deinem Schoße Zuckerküchlein
Dem Kläffer gabst, und ihn
Das Maul mit einem seidnen Tüchlein'
Verstopftest, weil es schien,
25
Daß er Mamachen wecken möchte -
Du warst geboren reich;
Ich bin vom Ackerbaugeschlechte,
Darum ist ein Vergleich
Nie zwischen Dir und mir zu machen.
30
Du singst dem Mann allein,
Bist groß, kannst über Fürsten lachen;
Ich darf so stolz nicht seyn!
Doch dring ich nicht auf Marmorstufen
An karger Fürsten Ohr:
35
Der König selber ließ mich rufen
Nach Sanssouci empor,
Ob er gleich nicht das Deutsche liebet;
Und was kann ich davor,
Daß Ferdinand mir Antwort giebet,
40
Der große Ferdinand!
So vielmal Ihm mein Herz geschrieben,
Von aller Haabsucht rein:
Er muß bey hohen Heldentrieben
So stolz wie Du nicht seyn.

 
Lied einer alten reichen Wittwe,
die gern Dame werden will.

Warum sollt ich mich denn härmen,
Hab ich doch Reichthum noch,
Junges Muths zu schwärmen!
Reichthum, Reichthum soll mir geben
5
Einen Mann, der mich kann
Uebern Pöbel heben -

Dann bin ich Hochwohlgeboren !
Für mein Geld, alle Welt
Staunt und spitzt die Ohren.
10
Freude wird mich überladen,
Wenn die Magd schüchtern fragt;
«Was befehl'n Ihr' Gnaden?&lraquo;

Wenn ich sie zum Dienstvergelten
Ihrer Müh tolles Vieh,
15
Dumme Gans darf schelten;
Wenn Sie mich wird bitten müssen
Oben drein, um Verzeihn,
Und den Rock mir küssen -

Hat sie mich nun angekleidet,
20
Stück vor Stück, daß mein Blick
Sich im Spiegel weidet:
Dann trägt ein Gespann von Rappen,
Im Gallop, hop, hop, hop!
Mich und auch mein Wappen!

25
Welche Wollust, welch Entzücken!
Wenn im Saal mein Gemahl
Links und rechts mit Blicken
Zu verstehn giebt, daß sein Name
Stolz gebeut: seyd gescheit
30
Kropzeug, weicht der Dame !

 
Zuruf an den Fremdling
beim Marmorsarge Friedrichs des Großen
Am 18. August 1786.

Wandrer, weile noch und steh,
Dich mit unsern Herzen zu betrüben
Bei dem weißen Marmor, überschrieben:
Friedrich, der Alleinzige.

5
Siehe nur, so viel ist hier geblieben
Von dem Ersten aller Könige -
Nur ein enges Beingehäuse
Ward die Wohnung eines theuren Haupts,
Voll Gedanken! stark, und hoch, und weise!
10
Keine Nachwelt glaubts,
Was Ihm unter Seinen Zeitgenossen
Biographen, Redner, Dichter hier,
Als ein Todtenopfer, ausgegossen,
Da Sein Geist mit hoher Flugbegier
15
Ueber Länder, Meere, Gräber, Thronen,
Sich erhob ins unbekannte Reich
Zu den Königen, die ihre Kronen
Wohl geschützet, und zugleich
Süßen Landesvaternamen
20
Lieber hörten, als den Titelklang
Eines Ueberwinders, wenn sie kamen
Aus dem Siegesthatendrang.

Vaterlandesvater war der Große,
Der Gepriesne, wenn Er weit
25
Von des Vaterlandes Schooße
Unter fürchterlichem Streit,
Unter Kriegesblitz und Donnerschlägen,
In Gefahr wie Berg und Felsen stand. -

So viel Blicke, so viel Vaterseegen
30
Gab Er Seinem Volke, wenn das Land
Friedensseeligkeit genossen.
Ach, auf Seiner lorbergrünen Bahn
Ist nie eine Tagesfrist verflossen
Ohne daß Er Guts gethan -
35
Niemals kam ein junger Morgen,
Der in Seiner rechten Hand
Den Regierungsstab nicht fand,
Schwer von Königlichen Sorgen,
Oder großer Feldherrn Pflicht.
40
Immer war Sein Angesicht
Vor der Morgenröthe munter,
Bis Sein Augenglanz sich unter
Todesdunkelheit verlor -
Dörfer hieß Er aus der Erde steigen,
45
Wenig Tage noch zuvor,
Eh Sein Mund auf immer mußte schweigen:
Ihm zum Hymnus blühen sie empor!

 
Ob Sappho für den Ruhm schreibt?
An die Frau von Reichmann
Den 10. März 1762.

Frau, schreib ich für den Ruhm, und für die Ewigkeit?
Nein, zum Vergnügen meiner Freunde!
O das Gerüchte trägt nur eine kurze Zeit
Mit unserm Ruhme sich; sobald wir von dem Feinde
5
Der Menschheit überwunden sind,
Verflattert er so leicht wie Blätter, die der Wind
In irgend einen Fluß gewaltig fortgetrieben,
Homer, Virgil, Horaz und Pindar sind geblieben;
Die Griechin aber nicht, die meine Leyer trug,
10
So zärtlich war wie ich, nach ihrem Phaon frug
Und nach dem Leben nicht; sie flog zum Tode wieder.
Nichts blieb uns als ein Brief und zwey beflammte Lieder.
Die andern schrieb der Neid sich diebisch heimlich ab,
Und endlich fanden sie in einem Brand ihr Grab!
15
O Sapho war berühmt! ihr Volk, ein Volk von Prinzen,
Trug seine Dichterin auf viel Gedächtniß-Münzen,
Und mancher Künstler hieb ihr Bild in Marmor aus,
Und Kenner redeten ihr Lob bey jedem Schmauß.
Halb Göttin war das Weib; neun Bücher schrieb sie voll
20
So schön, als wären sie geschrieben vom Apoll.
Und ach! von alle dem, was sie so schön geschrieben,
Ist nur ein kleiner Rest für unsre Zeit geblieben!
Frau, solch ein Schicksal trift auch meine Lieder einst!
Wenn Du voll Zärtlichkeit bey meiner Asche weinst.
25
Noch ehe sich an mir die Würmer satt gefressen,
Dann, Frau, hat schon die Welt mich und mein Buch vergessen.

 
An die Ostersonne.
1791.

Ostersonne! du bist schön
Meiner Freundin aufgegangen,
Kinder werden um sie stehn,
Ihren Seegen zu empfangen,
5
Und dazu ein buntes Ei,
Und ich hoffe, daß sie heiter
Wie der Ostermorgen sey,
Hoffe, daß sie mich noch weiter
Lieb behalten wird, ob ich
10
Gleich ihr Antlitz nicht mehr sehe -
Osterwasser läßt Sie sich
Wol nicht schöpfen in der Nähe
Aus der Elbe, wo du dich
Dreymal hüpfend hast gespiegelt,
15
Sie will nicht verschönert seyn -
Grüße hat Sie fortgeflügelt,
Und vielleicht ist einer mein
Unter diesen Ostergrüßen,
Und in diesem Erdenthal
20
Werd ich heute Dich genießen
Ganz gewiß zum letztenmal;
Denn ich darf nichts mehr versuchen
Vom gebratnen Osterlamm,
Oder auch vom Osterkuchen;
25
Ich bin wie ein Weidenstamm,
Den der Wurm ganz hohl gefressen
Und die Fluth halb abgespühlt
Von dem Raum, wo er gesessen.
Meine Seele lebt und fühlt
30
Nur noch deinen Glanz, du milde
Süße Knospenöfnerin!
Nur mein Auge sicht noch hin
Ins beblümte Grasgefilde,
Bleibt noch munter, bis es bricht;
35
Brechen wirds eh du vorhanden
Wieder bist, und singen hörst:
Von dem, den du hüpfend ehrst,
Er sey auferstanden -
Auferstehen soll auch ich,
40
Aber ob mit diesem Leibe,
Den du wärmest, wenn ich dich
Sehe durch die Fensterscheibe,
Ob mit dieser welken Haut
Und mit diesen morschen Knochen?
45
Ob mein Grab wird durchgebrochen
Von dem Kopfe, der jezt sich
In die Höhe kann erheben,
Wenn die Nacht dem Tage wich
Und du Thätigkeit gegeben
50
Einer halben Welt wie mir -
Ob du mich siehst auferstehen,
Oder ob auch deine Zier
Mit den Bergen untergehen,
Mit den Thürmen stürzen muß? -
55
Ach! dies kann kein Weiser sagen,
Und ich wills auch beim Genuß
Nicht ergrübeln, nicht erfragen,
Will genießen deinen Glanz
In des jungen Frühlings Tagen,
60
Will mir einen Blumenkranz
Noch um meine Schläfe winden,
Wo sich hin und wieder nur
Läßt ein graues Härlein finden,
Des gestiegnen Alters Spur.-
65
Soll mir nun mein Auge brechen,
Ehe noch ein Jahr entschlüpft
Und von dir viel Christen sprechen,
Daß du dreimal aufgehüpft
An des Ostertages Morgen,
70
Dann hab' ich den Engel lieb,
Der aus einer Welt voll Sorgen
Mich in eine beßre trieb -

 
Der Skorpion, die Schildkröte und die Gans.
Eine Traumfabel.

Am weidenreichen Spreegestade,
Wo die gesicherte Najade
Ihr lockigt Haupt noch stolzer trug,
Seitdem in Sachsenland Held Heinrich Feinde schlug;
5
Am Spreegestade kroch aus einem holen Baum
Ein Skorpion, das glaubt man kaum.
Giebts zu Berlin auch Skorpionen?
Ich dachte, daß sie nur in heißen Ländern wohnen.
Mein Leser, höre doch, ich sah ihn nur im Traum.
10
Er kroch am Ufer hin und wieder,
Und sah, von bittern Neid bewegt,
Ins grüne Schilf scheelsüchtig nieder
Auf ein Geschöpf, das sich mit breitem Schilde trägt,
Und schmackhaft ist am Fleisch, und nach dem Tode glänzet
15
In seinem Deckel schön polirt.
Der Skorpion mit Gift zum Schadenthun geschwänzet
Von der Natur, und nicht geziert
Mit bunten Flecken, wie die Schlangen,
Der Skorpion kroch an das Schilf
20
Und sprach: dir Freundin sey geklaget mein Verlangen,
Dort übern Strome will mein Bruder mich umfangen,
Und schwimmen kann ich nicht; du aber kannst, ach hilf
Mit deinen Rudern mir herüber!
Die Kröte mit dem Schilde spricht:
25
Gefälligkeit ist meine Pflicht,
Und kein Geschäfte war mir lieber
Als dies; mein Schild ist breit genug.
Sie sprichts: er setzt sich auf und da sie nun getreulich
Den giftigen Verräther trug,
30
Schwamm eine Gans daher und schlug
Mit beiden Flügeln auf, und schrie: das ist abscheulich!
Jetzt flößt dir guten Schwimmerin
Der, den du trägst, das Gift im Rücken.
Verdammter! sprach hierauf die treue Trägerin,
35
Mich panzert die Natur zu sehr vor deinen Tücken,
Dein Gift floß schadlos in den Fluß;
Sey du ihm nachgestürzt! Hier tauchte sie ihn nieder -
Der Skorpion hat noch viel Schwestern und viel Brüder.
O daß nicht jeder Mensch nach dem Verräther Kuß,
40
Den er gegeben hat, also ersaufen muß!

 
Der Adler und die Pfeifvögel.
Eine Fabel.

Ein Adlererbe gab vor Zeiten
Der ersten Nachtigall den Preis,
Er hatte sie behorcht von weiten
Schon manchen Mai, da noch der Greiß
5
Sein Vorfahr königlich regierte,
Der auf ihr Lied nie Acht gehabt.
Jezt ward sie öffentlich begabt
Mit Ehre, die ihr längst gebührte.
Ha! nun erhub sich ein Geschrei:
10
Der neue Felsbesitzer sey
Ein großer Freund des Singechores -
Da pfiffen Amsel, Drossel, Staar,
Und Gümpel, und die ganze Schaar
Versprach sich auch des Adlerohres
15
Gehör bei ihrem Schnabelschall;
Er aber ließ herab befehlen:
Schont Eure Schnäbel, eure Kehlen!
Mein Ohr gehört der Nachtigall.