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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Immanuel Kant
Prolegomena
 


 






 




      A n h a n g

von dem, was geschehen kann, um
Metaphysik als Wissenschaft wirklich zu machen



      Da alle Wege, die man bisher eingeschlagen ist, diesen Zweck nicht erreicht haben, auch außer einer vorhergehenden Kritik der reinen Vernunft ein solcher wohl niemals erreicht werden wird, so scheint die Zumutung nicht unbillig, den Versuch, der hievon jetzt vor Augen gelegt ist, einer genauen und sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen, wofern man es nicht für noch ratsamer hält, lieber alle Ansprüche auf Metaphysik gänzlich auf[201]zugeben, in welchem Falle, wenn man seinem Vorsatze nur treu bleibt, nichts dawider einzuwenden ist. Wenn man den Lauf der Dinge nimmt, wie er wirklich geht, nicht, wie er gehen sollte, so gibt es zweierlei Urteile, ein  U r t e i l,  d a s  v o r  d e r  U n t e r s u c h u n g  v o r h e r g e h t,  und dergleichen ist in unserm Falle dasjenige, wo der Leser aus seiner Metaphysik über die Kritik der reinen Vernunft (die allererst die Möglichkeit derselben untersuchen soll) ein Urteil fället, und dann ein anderes  U r t e i l,  w e l c h e s  a u f  d i e  U n t e r s u c h u n g  f o l g t,  wo der Leser die Folgerungen aus den kritischen Untersuchungen, die ziemlich stark wider seine sonst angenommene Metaphysik verstoßen dürften, eine Zeitlang beiseite zu setzen vermag, und allererst die Gründe prüft, woraus jene Folgerungen abgeleitet sein mögen. Wäre das, was gemeine Metaphysik vorträgt, ausgemacht gewiß (etwa wie Geometrie), so würde die erste Art zu urteilen gelten; denn wenn die Folgerungen gewisser Grundsätze ausgemachten Wahrheiten widerstreiten, so sind jene Grundsätze falsch, und ohne alle weitere Untersuchung zu verwerfen. Verhält es sich aber nicht so, daß Metaphysik von unstreitig gewissen (synthetischen) Sätzen einen Vorrat habe, und vielleicht gar so, daß ihrer eine Menge, die ebenso scheinbar als die besten unter ihnen, gleichwohl in ihren Folgerungen selbst unter sich streitig sein, überall aber ganz und gar kein sicheres Kriterium der Wahrheit eigentlich-metaphy[202]sischer (synthetischer) Sätze in ihr anzutreffen ist: so kann die vorhergehende Art zu urteilen nicht statthaben, sondern die Untersuchung der Grundsätze der Kritik muß vor allem Urteile über ihren Wert oder Unwert vorhergehen.


Probe eines Urteils über die Kritik, das vor
der Untersuchung vorhergeht


      Dergleichen Urteil ist in den Göttingischen gelehrten Anzeigen, der Zugabe dritten Stück, vom 19 Jenner 1782, Seite 40 u. f. anzutreffen.

      Wenn ein Verfasser, der mit dem Gegenstande seines Werks wohl bekannt ist, der durchgängig eigenes Nachdenken in die Bearbeitung desselben zu legen beflissen gewesen, einem Rezensenten in die Hände fällt, der seinerseits scharfsichtig gnug ist, die Momente auszuspähen, auf die der Wert oder Unwert der Schrift eigentlich beruht, nicht an Worten hängt, sondern den Sachen nachgeht, und bloß die Prinzipien, von denen der Verfasser ausging, sichtet und prüft, so mag dem letzteren zwar die Strenge des Urteils mißfallen, das Publikum ist dagegen gleichgültig, denn es gewinnt dabei; und der Verfasser selbst kann zufrieden sein, daß er Gelegenheit bekommt, seine von [203] einem Kenner frühzeitig geprüfte Aufsätze zu berichtigen oder zu erläuteren, und auf solche Weise, wenn er im Grunde Recht zu haben glaubt, den Stein des Anstoßes, der seiner Schrift in der Folge nachteilig werden könnte, bei Zeiten wegzuräumen.

      Ich befinde mich mit meinem Rezensenten in einer ganz anderen Lage. Er scheint gar nicht einzusehen, worauf es bei der Untersuchung, womit ich mich (glücklich oder unglücklich) beschäftigte, eigentlich ankam, und, es sei nun Ungeduld ein weitläuftig Werk durchzudenken oder verdrießliche Laune über eine angedrohete Reform einer Wissenschaft, bei der er schon längstens alles ins reine gebracht zu haben glaubte, oder, welches ich ungern vermute, ein wirklich eingeschränkter Begriff daran schuld, dadurch er sich über seine Schulmetaphysik niemals hinauszudenken vermag; kurz, er geht mit Ungestüm eine lange Reihe von Sätzen durch, bei denen man, ohne ihre Prämissen zu kennen, gar nichts denken kann, streut hin und wieder seinen Tadel aus, von welchem der Leser ebensowenig den Grund sieht, als er die Sätze versteht, dawider derselbe gerichtet sein soll, und kann also weder dem Publikum zur Nachricht nützen, noch mir im Urteile der Kenner das mindeste schaden; daher ich diese Beurteilung gänzlich übergangen sein würde, wenn sie mir nicht zu einigen Erläuterungen Anlaß gäbe, [204] die den Leser dieser Prolegomenen in einigen Fällen vor Mißdeutung bewahren könnten.

      Damit Rezensent aber doch einen Gesichtspunkt fasse, aus dem er am leichtesten auf eine dem Verfasser unvorteilhafte Art das ganze Werk vor Augen stellen könne, ohne sich mit irgend einer besondern Untersuchung bemühen zu dürfen, so fängt er damit an und endigt auch damit, daß er sagt: «dies Werk ist ein System des transzendenten (oder, wie er es übersetzt, des höheren) 1)
Idealismus.»

      Beim Anblicke dieser Zeile sahe ich bald, was vor eine Rezension da herauskommen würde, ungefähr so, als wenn jemand, der niemals von Geometrie etwas gehört oder gesehen hätte, einen Euklid fände, und er[205]sucht würde, sein Urteil darüber zu fällen, nachdem er beim Durchblättern auf viel Figuren gestoßen, etwa sagte: «das Buch ist eine systematische Anweisung zum Zeichnen: der Verfasser bedient sich einer besondern Sprache, um dunkele, unverständliche Vorschriften zu geben, die am Ende doch nichts mehr ausrichten können, als was jeder durch ein gutes natürliches Augenmaß zu Stande bringen kann etc.»

      Laßt uns indessen doch zusehen, was denn das vor ein Idealism sei, der durch mein ganzes Werk geht, obgleich bei weitem noch nicht die Seele des Systems ausmacht.

      Der Satz aller echten Idealisten, von der eleatischen Schule an, bis zum Bischof Berkeley, ist in dieser Formel enthalten: «alle Erkenntnis durch Sinne und Erfahrung ist nichts als lauter Schein, und nur in den Ideen des reinen Verstandes und Vernunft ist Wahrheit.»

      Der Grundsatz, der meinen Idealism durchgängig regiert und bestimmt, ist dagegen: «Alles Erkenntnis von Dingen, aus bloßem reinen Verstande oder reiner Vernunft, ist nichts als lauter Schein, und nur in der Erfahrung ist Wahrheit.»

      [206] Das ist ja aber gerade das Gegenteil von jenem eigentlichen Idealism, wie kam ich denn dazu, mich dieses Ausdrucks zu einer ganz entgegengesetzten Absicht zu bedienen, und wie der Rezensent, ihn allenthalben zu sehen?

      Die Auflösung dieser Schwierigkeit beruht auf etwas, was man sehr leicht aus dem Zusammenhange der Schrift hätte einsehen können, wenn man gewollt hätte. Raum und Zeit, samt allem, was sie in sich enthalten, sind nicht die Dinge, oder deren Eigenschaften an sich selbst, sondern gehören bloß zu Erscheinungen derselben; bis dahin bin ich mit jenen Idealisten auf einem Bekenntnisse. Allein diese, und unter ihnen vornehmlich Berkeley, sahen den Raum vor eine bloße empirische Vorstellung an, die ebenso, wie die Erscheinungen in ihm, uns nur vermittelst der Erfahrung oder Wahrnehmung, zusamt allen seinen Bestimmungen bekannt würde; ich dagegen zeige zuerst: daß der Raum (und ebenso die Zeit, auf welche Berkeley nicht Acht hatte) samt allen seinen Bestimmungen a priori von uns erkannt werden könne, weil er sowohl, als die Zeit uns vor aller Wahrnehmung, oder Erfahrung, als reine Form unserer Sinnlichkeit beiwohnt, und alle Anschauung derselben, mithin auch alle Erscheinungen möglich macht. Hieraus folgt: daß, da Wahrheit auf allgemeinen und notwendigen Gesetzen, als ih[207]ren Kriterien beruht, die Erfahrung bei B e r k e l e y  keine Kriterien der Wahrheit haben könne, weil den Erscheinungen derselben (von ihm) nichts a priori zum Grunde gelegt ward, woraus denn folgte, daß sie nichts als lauter Schein sei, dagegen bei uns Raum und Zeit (in Verbindung mit den reinen Verstandesbegriffen) a priori aller möglichen Erfahrung ihr Gesetz vorschreiben, welches zugleich das sichere Kriterium abgibt, in ihr Wahrheit von Schein zu unterscheiden 2).

      Mein sogenannter (eigentlich kritischer) Idealism ist also von ganz eigentümlicher Art, nämlich so, daß er den gewöhnlichen umstürzt, daß durch ihn alle Erkenntnis a priori, selbst die der Geometrie, zuerst objektive Realität bekömmt, welche ohne diese meine bewiesene Idealität des Raumes und der Zeit selbst von den eifrigsten Realisten gar nicht behauptet werden könnte. Bei solcher Bewandtnis der Sachen wünschte ich nun allen Mißverstand [208] zu verhüten, daß ich diesen meinen Begriff anders benennen könnte; aber ihn ganz abzuändern will sich nicht wohl tun lassen. Es sei mir also erlaubt, ihn künftig, wie oben schon angeführt worden, den formalen, besser noch den kritischen Idealism zu nennen, um ihn vom dogmatischen des Be r k e l e y  und vom skeptischen des C a r t e s i u s  zu unterscheiden.

      Weiter finde ich in der Beurteilung dieses Buchs nichts Merkwürdiges. Der Verfasser derselben urteilt durch und durch en gros, eine Manier, die klüglich gewählt ist, weil man dabei sein eigen Wissen oder Nichtwissen nicht verrät: ein einziges ausführliches Urteil en detail würde, wenn es, wie billig, die Hauptfrage betroffen hätte, vielleicht meinen Irrtum, vielleicht auch das Maß der Einsicht des Rezensenten in dieser Art von Untersuchungen aufgedeckt haben. Es war auch kein übel ausgedachter Kunstgriff, um Lesern, welche sich nur aus Zeitungsnachrichten von Büchern einen Begriff zu machen gewohnt sind, die Lust zum Lesen des Buchs selbst frühzeitig zu benehmen, eine Menge von Sätzen, die außer dem Zusammenhange mit ihren Beweisgründen und Erläuterungen gerissen (vornehmlich so antipodisch, wie diese in Ansehung aller Schulmetaphysik sind) notwendig widersinnisch lauten müssen, in einem Atem hintereinander herzusagen, die Geduld des Lesers bis zum Ekel [209] zu bestürmen, und denn, nachdem man mich mit dem sinnreichen Satze, daß beständiger Schein Wahrheit sei, bekannt gemacht hat, mit der derben, doch väterlichen Lektion zu schließen: Wozu denn der Streit wider die angenommene Sprache, wozu denn und woher die idealistische Unterscheidung? Ein Urteil, welches alles Eigentümliche meines Buchs, da es vorher metaphysisch-ketzerisch sein sollte, zuletzt in einer bloßen Sprachneuerung setzt, und klar beweist, daß mein angemaßter Richter auch nicht das mindeste davon, und obenein sich selbst nicht recht verstanden habe 3).

      Rezensent spricht indessen wie ein Mann, der sich wichtiger und vorzüglicher Einsichten bewußt sein muß, die er aber noch verborgen hält; denn mir ist in Ansehung der Metaphysik neuerlich nichts bekannt geworden, was zu einem solchen Tone berechtigen könnte. Daran tut er aber sehr unrecht, daß er der Welt seine Entdeckungen vorenthält; denn es geht ohne Zweifel noch mehreren so, [210] wie mir, daß sie, bei allem Schönen, was seit langer Zeit in diesem Fache geschrieben worden, doch nicht finden konnten, daß die Wissenschaft dadurch um einen Fingerbreit weiter gebracht worden. Sonst Definitionen anspitzen, lahme Beweise mit neuen Krücken versehen, dem Cento der Metaphysik neue Lappen, oder einen veränderten Zuschnitt geben, das findet man noch wohl, aber das verlangt die Welt nicht. Metaphysischer Behauptungen ist die Welt satt: man will die Möglichkeit dieser Wissenschaft, die Quellen, aus denen Gewißheit in derselben abgeleitet werden könne, und sichere Kriterien, den dialektischen Schein der reinen Vernunft von der Wahrheit zu unterscheiden. Hiezu muß der Rezensent den Schlüssel besitzen, sonst würde er nimmermehr aus so hohem Tone gesprochen haben.

      Aber ich gerate auf den Verdacht, daß ihm ein solches Bedürfnis der Wissenschaft vielleicht niemals in Gedanken gekommen sein mag, denn sonst würde er seine Beurteilung auf diesen Punkt gerichtet, und selbst ein fehlgeschlagener Versuch in einer so wichtigen Angelegenheit Achtung bei ihm erworben haben. Wenn das ist, so sind wir wieder gute Freunde. Er mag sich so tief in [211] seine Metaphysik hineindenken, als ihm gut dünkt, daran soll ihn niemand hindern, nur über das, was außer der Metaphysik liegt, die in der Vernunft befindliche Quelle derselben, kann er nicht urteilen. Daß mein Verdacht aber nicht ohne Grund sei, beweise ich dadurch, daß er von der Möglichkeit der synthetischen Erkenntnis a priori, welche die eigentliche Aufgabe war, auf deren Auflösung das Schicksal der Metaphysik gänzlich beruht, und worauf meine Kritik (ebenso wie hier meine Prolegomena) ganz und gar hinauslief, nicht ein Wort erwähnete. Der Idealism, auf den er stieß, und an welchem er auch hängen blieb, war nur als das einige Mittel jene Aufgabe aufzulösen in den Lehrbegriff aufgenommen worden (wiewohl er denn auch noch aus andern Gründen seine Bestätigung erhielt), und da hätte er zeigen müssen, daß entweder jene Aufgabe die Wichtigkeit nicht habe, die ich ihr (wie auch jetzt in den Prolegomenen) beilege, oder daß sie durch meinen Begriff von Erscheinungen gar nicht, oder auch auf andere Art besser könne aufgelöset werden, davon aber finde ich in der Rezension kein Wort. Der Rezensent verstand also nichts von meiner Schrift, und vielleicht auch nichts von dem Geist und dem Wesen der Metaphysik selbst, wofern nicht vielmehr, welches ich lieber annehme, Rezensenteneilfertigkeit, über die Schwierigkeit, sich durch so viel Hindernisse durchzuarbeiten, entrüstet, einen nachteiligen Schatten auf [212] das vor ihm liegende Werk warf, und es ihm in seinen Grundzügen unkenntlich machte.

      Es fehlt noch sehr viel daran, daß eine gelehrte Zeitung, ihre Mitarbeiter mögen auch mit noch so guter Wahl und Sorgfalt ausgesucht werden, ihr sonst verdientes Ansehen im Felde der Metaphysik ebenso wie anderwärts behaupten könne. Andere Wissenschaften und Kenntnisse haben doch ihren Maßstab. Mathematik hat ihren in sich selbst, Geschichte und Theologie in weltlichen oder heiligen Büchern, Naturwissenschaft und Arzneikunst in Mathematik und Erfahrung, Rechtsgelehrsamkeit in Gesetzbüchern, und sogar Sachen des Geschmacks in Mustern der Alten. Allein zur Beurteilung des Dinges, das Metaphysik heißt, soll erst der Maßstab gefunden werden (ich habe einen Versuch gemacht, ihn sowohl als seinen Gebrauch zu bestimmen). Was ist nun, so lange, bis dieser ausgemittelt wird, zu tun, wenn doch über Schriften dieser Art geurteilt werden muß? Sind sie von dogmatischer Art, so mag man es halten wie man will: lange wird keiner hierin über den andern den Meister spielen, ohne daß sich einer findet, der es ihm wieder vergilt. Sind sie aber von kritischer Art, und zwar nicht in Absicht auf andere Schriften, sondern auf die Vernunft selbst, so daß der Maßstab der Beurteilung nicht schon angenommen werden kann, sondern [213] allererst gesucht wird; so mag Einwendung und Tadel unverbeten sein, aber Verträglichkeit muß dabei doch zum Grunde liegen, weil das Bedürfnis gemeinschaftlich ist, und der Mangel benötigter Einsicht ein richterlich-entscheidendes Ansehen unstatthaft macht.

      Um aber diese meine Verteidigung zugleich an das Interesse des philosophierenden gemeinen Wesens zu knüpfen, schlage ich einen Versuch vor, der über die Art, wie alle metaphysische Untersuchungen auf ihren gemeinschaftlichen Zweck gerichtet werden müssen, entscheidend ist. Dieser ist nichts anders, als was sonst wohl Mathematiker getan haben, um in einem Wettstreit den Vorzug ihrer Methoden auszumachen, nämlich, eine Ausfoderung an meinen Rezensenten, nach seiner Art irgend einen einzigen von ihm behaupteten wahrhaftig metaphysischen, d. i. synthetischen und a priori aus Begriffen erkannten, allenfalls auch einen der unentbehrlichsten, als z. B. den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz, oder der notwendigen Bestimmung der Weltbegebenheiten durch ihre Ursache, aber, wie es sich gebührt, durch Gründe a priori zu erweisen. Kann er dies nicht (Stillschweigen aber ist Bekenntnis) so muß er einräumen: daß, da Metaphysik ohne apodiktische Gewißheit der Sätze dieser Art ganz und gar nichts ist, die Möglichkeit oder Unmöglichkeit derselben vor allen Dingen zuerst in einer Kri[214]tik der reinen Vernunft ausgemacht werden müsse, mithin ist er verbunden, entweder zu gestehen, daß meine Grundsätze der Kritik richtig sind, oder ihre Ungültigkeit zu beweisen. Da ich aber schon zum voraus sehe, daß, so unbesorgt er sich auch bisher auf die Gewißheit seiner Grundsätze verlassen hat, dennoch, da es auf eine strenge Probe ankommt, er in dem ganzen Umfange der Metaphysik auch nicht einen einzigen auffinden werde, mit dem er dreust auftreten könne, so will ich ihm die vorteilhafteste Bedingung bewilligen, die man nur in einem Wettstreite erwarten kann, nämlich ihm das onus probandi abnehmen, und es mir auflegen lassen.

      Er findet nämlich in diesen Prolegomenen, und in meiner Kritik S. 426-461 acht Sätze, deren zwei und zwei immer einander widerstreiten, jeder aber notwendig zur Metaphysik gehört, die ihn entweder annehmen oder widerlegen muß, (wiewohl kein einziger derselben ist, der nicht zu seiner Zeit von irgend einem Philosophen wäre angenommen worden). Nun hat er die Freiheit, sich einen von diesen acht Sätzen nach Wohlgefallen auszusuchen, und ihn ohne Beweis, den ich ihm schenke, anzunehmen; aber nur einen (denn ihm wird Zeitverspillerung ebensowenig dienlich sein wie mir) und als denn meinen Beweis des Gegensatzes anzugreifen. Kann ich nun diesen gleichwohl retten, und auf solche Art [215] zeigen, daß nach Grundsätzen, die jede dogmatische Metaphysik notwendig anerkennen muß, das Gegenteil des von ihm adoptierten Satzes gerade ebenso klar bewiesen werden könne, so ist dadurch ausgemacht, daß in der Metaphysik ein Erbfehler liege, der nicht erklärt, vielweniger gehoben werden kann, als wenn man bis zu ihrem Geburtsort, der reinen Vernunft selbst, hinaufsteigt, und so muß meine Kritik entweder angenommen, oder an ihrer Statt eine bessere gesetzt, sie also wenigstens studiert werden; welches das einzige ist, das ich jetzt nur verlange. Kann ich dagegen meinen Beweis nicht retten, so steht ein synthetischer Satz a priori aus dogmatischen Grundsätzen auf der Seite meines Gegners fest, meine Beschuldigung der gemeinen Metaphysik war darum ungerecht, und ich erbiete mich, seinen Tadel meiner Kritik (obgleich das lange noch nicht die Folge sein dürfte,) vor rechtmäßig zu erkennen. Hiezu aber würde es, dünkt mich, nötig sein,  a u s  d e m  I n k o g n i t o  z u  t r e t e n,  weil ich nicht absehe, wie es sonst zu verhüten wäre, daß ich nicht, statt einer Aufgabe von ungenannten und doch unberufenen Gegnern, mit mehreren beehrt oder bestürmt würde.

[216]

Vorschlag zu einer Untersuchung der Kritik,
auf welche das Urteil folgen kann


      Ich bin dem gelehrten Publikum auch vor das Stillschweigen verbunden, womit es eine geraume Zeit hindurch meine Kritik beehrt hat; denn dieses beweiset doch einen Aufschub des Urteils, und also einige Vermutung, daß in einem Werke, was alle gewohnte Wege verläßt und einen neuen einschlägt, in den man sich nicht sofort finden kann, doch vielleicht etwas liegen möge, wodurch ein wichtiger, aber jetzt abgestorbener Zweig menschlicher Erkenntnisse neues Leben und Fruchtbarkeit bekommen könne, mithin eine Behutsamkeit, durch kein übereiltes Urteil den noch zarten Propfreis abzubrechen und zu zerstören. Eine Probe eines aus solchen Gründen verspäteten Urteils kommt mir nur eben jetzt in der Gothaischen gelehrten Zeitung vor Augen, dessen Gründlichkeit (ohne mein hiebei verdächtiges Lob in Betracht zu ziehen) aus einer faßlichen und unverfälschten Vorstellung eines zu den ersten Prinzipien meines Werks gehörigen Stücks jeder Leser von selbst wahrnehmen wird.

      Und nun schlage ich vor, da ein weitläuftig Gebäude unmöglich durch einen flüchtigen Überschlag sofort [217] im Ganzen beurteilt werden kann, es von seiner Grundlage an, Stück vor Stück zu prüfen, und hiebei gegenwärtige Prolegomena als einen allgemeinen Abriß zu brauchen, mit welchem denn gelegentlich das Werk selbst verglichen werden könnte. Dieses Ansinnen, wenn es nichts weiter, als meine Einbildung von Wichtigkeit, die die Eitelkeit gewöhnlichermaßen allen eigenen Produkten leihet, zum Grunde hätte, wäre unbescheiden, und verdiente mit Unwillen abgewiesen zu werden. Nun aber stehen die Sachen der ganzen spekulativen Philosophie so, daß sie auf dem Punkte sind, völlig zu erlöschen, obgleich die menschliche Vernunft an ihnen mit nie erlöschender Neigung hängt, die nur darum weil sie unaufhörlich getäuscht wird, es jetzt, obgleich vergeblich, versucht, sich in Gleichgültigkeit zu verwandeln.

      In unserm denkenden Zeitalter läßt sich nicht vermuten, daß nicht viele verdiente Männer jede gute Veranlassung benutzen sollten, zu dem gemeinschaftlichen Interesse der sich immer mehr aufklärenden Vernunft mit zu arbeiten, wenn sich nur einige Hoffnung zeigt, dadurch zum Zweck zu gelangen. Mathematik, Naturwissenschaft, Gesetze, Künste, selbst Moral etc. füllen die Seele noch nicht gänzlich aus; es bleibt immer noch ein Raum in ihr übrig, der vor die bloße reine und spekulative Vernunft abgestochen ist, und dessen Leere uns zwingt, in [218] Fratzen oder Tändelwerk, oder auch Schwärmerei, dem Scheine nach Beschäftigung und Unterhaltung, im Grunde aber nur Zerstreuung zu suchen, um den beschwerlichen Ruf der Vernunft zu übertäuben, die ihrer Bestimmung gemäß etwas verlangt, was sie vor sich selbst befriedige, und nicht bloß zum Behuf anderer Absichten, oder zum Interesse der Neigungen in Geschäftigkeit versetze. Daher hat eine Betrachtung, die sich bloß mit diesem Umfange der vor sich selbst bestehenden Vernunft beschäftigt, darum, weil eben in demselben alle andere Kenntnisse, sogar Zwecke zusammenstoßen, und sich in ein Ganzes vereinigen müssen, wie ich mit Grunde vermute, vor jedermann, der es nur versucht hat, seine Begriffe so zu erweitern, einen großen Reiz und, ich darf wohl sagen, einen größeren, als jedes andere theoretische Wissen, welches man gegen jenes nicht leichtlich eintauschen würde.

      Ich schlage aber darum diese Prolegomena zum Plane und Leitfaden der Untersuchung vor, und nicht das Werk selbst, weil ich mit diesem zwar, was den Inhalt, die Ordnung und Lehrart und die Sorgfalt betrifft, die auf jeden Satz gewandt worden, um ihn genau zu wägen und zu prüfen, ehe ich ihn hinstellete, auch noch jetzt ganz wohl zufrieden bin, (denn es haben Jahre dazu gehört, mich nicht allein von dem Ganzen, sondern bisweilen auch nur von einem einzigen Satze in Ansehung [219] seiner Quellen völlig zu befriedigen,) aber mit meinem Vortrage in einigen Abschnitten der Elementarlehre, z. B. der Deduktion der Verstandesbegriffe, oder dem von den Paralogismen d. r. V., nicht völlig zufrieden bin, weil eine gewisse Weitläuftigkeit in denselben die Deutlichkeit hindert, an deren Statt man das, was hier die Prolegomenen in Ansehung dieser Abschnitte sagen, zum Grunde der Prüfung legen kann.

      Man rühmt von den Deutschen, daß, wozu Beharrlichkeit und anhaltender Fleiß erforderlich sind, sie es darin weiter als andere Völker bringen können. Wenn diese Meinung gegründet ist, so zeigt sich hier nun eine Gelegenheit, ein Geschäfte, an dessen glücklichem Ausgange kaum zu zweifeln ist, und woran alle denkende Menschen gleichen Anteil nehmen, welches doch bisher nicht gelungen war, zur Vollendung zu bringen, und jene vorteilhafte Meinung zu bestätigen; vornehmlich, da die Wissenschaft, welche es betrifft, von so besonderer Art ist, daß sie auf einmal zu ihrer ganzen Vollständigkeit und in denjenigen  b e h a r r l i c h e n  Z u s t a n d  gebracht werden kann, da sie nicht im mindesten weiter gebracht, und durch spätere Entdeckung weder vermehrt, noch auch nur verändert werden kann, (den Ausputz durch hin und wieder vergrößerte Deutlichkeit oder angehängten Nutzen in allerlei Absicht rechne ich hieher nicht), ein Vor[220]teil, den keine andere Wissenschaft hat, noch haben kann, weil keine ein so völlig isoliertes, von andern unabhängiges und mit ihnen unvermengtes Erkenntnisvermögen betrifft. Auch scheint dieser meiner Zumutung der jetzige Zeitpunkt nicht ungünstig zu sein, da man jetzt in Teutschland fast nicht weiß, womit man sich, außer den sogenannten nützlichen Wissenschaften noch sonst beschäftigen könne, so daß es doch nicht bloßes Spiel, sondern zugleich Geschäfte sei, wodurch ein bleibender Zweck erreicht wird.

      Wie die Bemühungen der Gelehrten zu einem solchen Zweck vereinigt werden könnten, dazu die Mittel zu ersinnen, muß ich andern überlassen. Indessen ist meine Meinung nicht, irgend jemanden eine bloße Befolgung meiner Sätze zuzumuten, oder mir auch nur mit der Hoffnung derselben zu schmeicheln, sondern, es mögen sich, wie es zutrifft, Angriffe, Wiederholungen, Einschränkungen, oder auch Bestätigung, Ergänzung und Erweiterung, dabei zutragen, wenn die Sache nur von Grund aus untersucht wird, so kann es jetzt nicht mehr fehlen, daß nicht ein Lehrgebäude, wenngleich nicht das meinige, dadurch zu Stande komme, was ein Vermächtnis vor die Nachkommenschaft werden kann, davor sie Ursache haben wird, dankbar zu sein.

      Was, wenn man nur allererst mit den Grundsätzen der Kritik in Richtigkeit ist, vor eine Metaphysik, ihr [221] zu Folge, könne erwartet werden und wie diese keinesweges dadurch, daß man ihr die falsche Federn abgezogen, armselig und zu einer nur kleinen Figur herabgesetzt erscheinen dürfe, sondern in anderer Absicht reichlich und anständig ausgestattet erscheinen könne, würde hier zu zeigen zu weitläuftig sein; allein andere große Nutzen, die eine solche Reform nach sich ziehen würde, fallen sofort in die Augen. Die gemeine Metaphysik schaffte dadurch doch schon Nutzen, daß sie die Elementarbegriffe des reinen Verstandes aufsuchte, um sie durch Zergliederung deutlich und durch Erklärungen bestimmt zu machen. Dadurch ward sie eine Kultur vor die Vernunft, wohin diese sich auch nachher zu wenden gut finden möchte. Allein das war auch alles Gute, was sie tat. Denn dieses ihr Verdienst vernichtete sie dadurch wieder, daß sie durch waghalsige Behauptungen den Eigendünkel, durch subtile Ausflüchte und Beschönigung der Sophisterei, und durch die Leichtigkeit, über die schwersten Aufgaben mit ein wenig Schulweisheit wegzukommen, die Seichtigkeit begünstigte, welche desto verführerischer ist, je mehr sie einerseits etwas von der Sprache der Wissenschaft, andererseits von der Popularität anzunehmen die Wahl hat und dadurch allen alles, in der Tat aber überall nichts ist. Durch Kritik dagegen wird unserem Urteil der Maßstab zugeteilt, wodurch Wissen von Scheinwissen mit Sicherheit unterschieden werden kann, und diese grün[222]det dadurch, daß sie in der Metaphysik in ihre volle Ausübung gebracht wird, eine Denkungsart, die ihren wohltätigen Einfluß nachher auf jeden andern Vernunftgebrauch erstreckt und zuerst den wahren philosophischen Geist einflößt. Aber auch der Dienst, den sie der Theologie leistet, indem sie solche von dem Urteil der dogmatischen Spekulation unabhängig macht und sie eben dadurch wider alle Angriffe solcher Gegner völlig in Sicherheit stellt, ist gewiß nicht gering zu schätzen. Denn gemeine Metaphysik, ob sie gleich jener viel Vorschub verhieß, konnte doch dieses Versprechen nachher nicht erfüllen, und hatte noch überdem dadurch, daß sie spekulative Dogmatik zu ihrem Beistand aufgeboten, nichts anders getan, als Feinde wider sich selbst zu bewaffnen. Schwärmerei, die in einem aufgeklärten Zeitalter nicht aufkommen kann, als nur wenn sie sich hinter einer Schulmetaphysik verbirgt, unter deren Schutz sie es wagen darf, gleichsam mit Vernunft zu rasen, wird durch kritische Philosophie aus diesem ihrem letzten Schlupfwinkel vertrieben, und über das alles kann es doch einem Lehrer der Metaphysik nicht anders als wichtig sein, einmal mit allgemeiner Beistimmung sagen zu können, daß, was er vorträgt, nun endlich auch  W i s s e n s c h a f t  sei, und dadurch dem gemeinen Wesen wirklicher Nutzen geleistet werde.


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  1)

Bei Leibe nicht der  h ö h e r e.  Hohe Türme, und die ihnen ähnliche metaphysisch-große Männer, um welche beide gemeiniglich viel Wind ist, sind nicht vor mich. Mein Platz ist das fruchtbare  B a t h o s  der Erfahrung, und das Wort transzendental, dessen so vielfältig von mir angezeigte Bedeutung vom Rezensenten nicht einmal gefaßt worden, (so flüchtig hat er alles angesehen)
bedeutet nicht etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, sondern, was vor ihr (a priori) zwar vorhergeht, aber doch zu nichts mehrerem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis möglich zu machen. Wenn diese Begriffe die Erfahrung überschreiten, dann heißet ihr Gebrauch transzendent, welcher von dem immanenten, d. i. auf Erfahrung eingeschränkten Gebrauch unterschieden wird. Allen Mißdeutungen dieser Art ist in dem Werke hinreichend vorgebeugt worden: allein der Rezensent fand seinen Vorteil bei Mißdeutungen.

  2)

Der eigentliche Idealismus hat jederzeit eine schwärmerische Absicht, und kann auch keine andre haben, der meinige aber ist lediglich dazu, um die Möglichkeit unserer Erkenntnis a priori von Gegenständen der Erfahrung zu begreifen, welches ein Problem ist, das bisher noch nicht aufgelöset, ja nicht einmal aufgeworfen worden. Dadurch fällt nun der ganze schwärmerische Idealism, der immer (wie auch schon aus dem Plato zu ersehen) aus unseren Erkenntnissen a priori (selbst derer der Geometrie) auf eine andere, (nämlich intellektuelle) Anschauung als die der Sinne schloß, weil man sich gar nicht einfallen ließ, daß Sinne auch a priori anschauen sollten.

  3)

Der Rezensent schlägt sich mehrenteils mit seinem eigenen Schatten. Wenn ich die Wahrheit der Erfahrung dem Traum entgegensetze, so denkt er gar nicht daran, daß hier nur von dem bekannten somnio obiective sumto der Wolffischen Philosophie die Rede sei; der bloß formal ist, und wobei es auf den Unterschied des Schlafens und Wachens gar nicht angesehen ist, und in einer Transzendentalphilosophie auch nicht gesehen werden kann. Übrigens nennt er meine Deduktion der Kategorien und die Tafel der Verstandesgrundsätze: «gemein bekannte Grundsätze der Logik und Ontologie auf idealistische Art ausgedrückt.» Der Leser darf nur darüber diese Prolegomenen nachsehen, um sich zu überzeugen, daß ein elenderes und selbst historisch unrichtigeres Urteil gar nicht könne gefället werden.
 
 
 
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