B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Ludwig Christoph Heinrich Hölty
1748 - 1776
     
   


G e d i c h t e   d e s   J a h r e s   1 7 7 0

Textgrundlage:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty
Sämtliche Werke.
Herausgegeben von Wilhelm Michel
Weimar 1914


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Narciß und Echo (1770)
Stax (1770)
An einen Knaben (1770)
Der May (1770)
Auf den Tod Sr. Exzellenz des Herrn Premierministers, Gerlach Adolph von Münchhausen (1770)


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        Narciß und Echo,
      eine Romanze.


Das Fräulein Echo sah einmal
      Den Ahnherrn der Narcißen,
Der manches Jungfernherzgen stahl,
      In grünen Finsternißen,
5 Sich einer Badequelle nahn.
      Stracks schielten Ihro Gnaden,
Als sie den schönen Jüngling sahn,
      Nach seinen vollen Waden.

Der sechzehn Ahnen Dunst verschwand
10       Gemach aus ihrem Hirne,
Sie bot ihm buhlerisch die Hand,
      Wie eine Bürgerdirne.
Narciß dreht ihr den Rücken zu,
      Und schreit ihr in die Ohren:
15 Mamsellchen, laß sie mich in Ruh,
      Sie hat hier nichts verlohren.

Drauf schlich das Fräulein in den Wald,
      Ihr Leben zu verweinen,
Sie starb, und ihre Stimme hallt
20       Noch itzt in unsern Hainen.
Doch soll sie, wie die Rede geht,
      Eh sie im Herrn entschlafen,
Die Götter haben angefleht,
      Den Jüngling zu bestrafen.

25 Der letzte Seufzer ward erfüllt.
      Er sah in einer Quelle,
Die silbern rann, sein eigen Bild,
      Und liebt' es auf der Stelle.
Am Ufer lag er, wie behext,
30       Und floß in Klagen über.
Sein Pfarrer las ihm oft den Text,
      Mit vielem Ernst, darüber.

Was halfs? Narciß, der Starrkopf, blieb
      Bey seinen sieben Sinnen,
35 Und lief, wie ein verjagter Dieb,
      Sein Gucken zu beginnen,
Sobald die liebe Sonne schien,
      Zum Spiegel seiner Quelle,
Und sah, bedeckt vom Baldachin
40       Des Hains, in eine Stelle.

Er machte, wenn er nahe war,
      Verliebte Reverenze,
Bot dem Phantom Geschenke dar,
      Bald Sträußer, und bald Kränze.
45 Er reichte seiner Abgöttin
      Einst eine Purpurrose.
Sie hielt ihm auch ein Röschen hin,
      Und lächelte, die Lose.

Sein Röschen fiel ihm in den Bach,
50       Ich weiß nicht, wie's gekommen,
Stracks fiel das andre Röschen nach,
      Doch kams nicht angeschwommen.
Er gab dem Bache Kuß auf Kuß.
      So liebt' er, wie Poeten,
55 Ein Ideal, fern vom Genuß
      Und den Realitäten.

Drauf macht' er, im Gehirn verrückt,
      Das Ding noch immer bunter,
Und sprang, nachdem er gnug geguckt,
60       Husch, in den Bach hinunter.
Sein Name lebt, wie Doctor Duns
      In dicken Folianten,
In einem Blümchen unter uns,
      Das Gärtner nach ihm nannten.
 

      Stax.
      Nach dem Martial.


Corinnen denkt Herr Stax, Corinnen,
      Denn weiter denkt er nichts,
Vom Morgen an, bis zum Beginnen
      Des Mondenlichts.
5 Als er einmahl vor einer Weile
      An seinen Vater schrieb,
Schloß er den Brief mit dieser Zeile,
      Behalte mich, Corinna, lieb.
 

      An einen Knaben.

Wohl dir, dem noch der bleiche Mund
      Der Amme Lieder singt,
Den noch der kleine Schlummergott
      In Schwanenarme schlingt.

5 Wohl dir, dein kleiner Busen kennt
      Den Flitterprunk der Welt,
Und Amorn nicht, den losen Gott,
      Der schlaue Netze stellt.

Doch bald entfliegt, mit Adlerflug,
10       Die süße, goldne Zeit,
Die Tag und Nacht der sanfte Schlaf
      Mit Mohnlaub überstreut.

Dann plagt ein mürrischer Pedant
      Dein Köpfchen mit Latein,
15 So sehr Mamachen auf ihn schmählt,
      Bis in die Nacht hinein.

Du fluchst dem ehrlichen Terenz
      Noch oft in seiner Gruft,
Wenn er von deinem Steckenpferd
20       Dich in die Schule ruft.

Du wünschest oft, wenn Cicero
      Dein süßes Spiel verrückt,
O hätt er doch, der böse Mann,
      Das Tagslicht nie erblickt.

25 Ruh sanft, so lange dir das Lied
      Der Amme noch erschallt,
Die süße Morgendämmerung
      Der Kindheit fliehet bald.
 

      Der May.

Der junge May erscheint, und streuet Gold,
      Und Azur in die Lüfte,
Das Thal, besät mit Frühlingsblumen, zollt
      Den Zephyrn wieder Düfte.

5 Nun schlinget sich der Bach, vom kalten Band
      Des Eises loßgebunden,
Die Flur hinab, den sammetweichen Rand
      Mit Kränzen rund umwunden.

In jedem Wellchen schwimmt Aurorens Bild,
10       Wenn sie den Tag erwecket,
Den ganzen Ost in ihren Purpur hüllt,
      Den Berg mit Gold bedecket.

Nun sinket Dämmerung und grüne Nacht
      Von jedem Wipfel nieder,
15 Nun wirbeln, wenn der Abendstern erwacht,
      Der Nachtigallen Lieder.

Nun hüpft die Ruh, dort, wo das Quellchen schwätzt,
      Im aetherblauen Kleide,
Mit ihrer Schwester, die der Erdball schätzt,
20       Am Arme, mit der Freude.

Sie fliehn die Stadt, den goldenen Pallast,
      Und seine Marmorsäale
Die Tafeln, die der weise Comus haßt,
      Die schäumenden Pocäle.

25 Sie tanzen durch die Blümchen ihren Reihn,
      Von Westen sanft gekühlet,
Und um den Schäfer, der im Buchenhayn
      Auf seiner Flöte spielet.

O dreymahl glücklich, wer an ihren Arm
30       Geschlungen, durch die Flächen,
Voll Heerden, irrt, in Thälern, die kein Harm
      Beschleichet, an den Bächen.

Sein Geist ist ruhig, wie der Sommersee,
      Um den ein Wäldchen nicket,
35 Wenn Luna von des Himmels blauer Höh
      Auf ihn herunterblicket.
 

      Auf den Tod
      Sr. Exzellenz des Herrn Premierministers,
      Gerlach Adolph von Münchhausen.


Welch eine Wolke, die kein Sonnenstral durchblinkt,
      Hängt sich um jedes Aug?
Wem fließt die Zähre, die auf jeder Wange steht,
      Der Trauer Heroldin?

5 Dem edeln Greise, dem das Looß des Todes fiel,
      Münchhausen - Rinnt herab
Auf seine Urne, wie der Thau vom Rosenstrauch,
      Er ist der Thränen werth!

Er, deßen Seele nie der Tugend sich verschloß,
10       Der wie ein Genius,
Auf diese Erdwelt kam, Glück um sich auszustreun,
      Verdienste zu erhöhn.

Er, der mit Wachsamkeit im Blick, am Ruder saß,
      Des Landes Wohlfarth wog,
15 Den Flor der Städte hob, und Wonn' und Ueberfluß
      Auf die Gefilde rief.

Er, dem der Schlummer oft vom Augenliede wich,
      Wenn Er um Mitternacht,
Die Seele auf das Wohl der Menschheit heftete,
20       Und manchen Plan entwarf.

Er, der die Musen an die Leine winkte, Er,
      Der, wie Georg gebot,
Mit Rosen ihren Pfad bestreute, manchen Kranz
      Um ihre Scheiteln wand.

25 Ihr Enkel, dankt es Ihm! Traur Ihn Georgia,
      Du, seine Lieblingin,
Und rolle einen Schleyr um dein gesenktes Haupt,
      Er starb, dein Vater starb:

Beständig dachte Er dein Wohl, bis sich sein Geist
30       Vom Staube loßwand, und
Auf Engelschwingen durch der Sterne goldne Reyhn
      Zum Sitz der Gottheit flog.

Da erndtet Er die Frucht der großen Tugenden!
      Die Sterne unter sich,
35 Schaut Er in eine Welt, die Er beseeligte,
      Mit heiterm Blick herab.

Die Nachwelt ehret Ihn, stellt Ihn zum Muster auf,
      Pflantzt sein Gedächtniß fort,
Der Nachruhm schreibt sein Lob, mit goldner Flammenschrift,
40       Ans Thor der Ewigkeit.

Augusta liebet Ihn, gräbt sein ehrwürdig Bild
      In ihren Busen, wirft
Oft einen feuchten Blick, in jene Tage hin,
      Da Er ihr Schutzfreund war. -

45 Oft klagt noch eine Leyr, in Trauerton gestimmt,
      Um seine Urne, oft
Durchfliegt sein Ruhm, vermischt mit Harfenklang, den Hayn,
      Und jeder Wipfel horcht.