B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Georg Hamann
1730 -1788
     
   


V e r s u c h   e i n e r   S i b y l l e
ü b e r   d i e   E h e


T e x t

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        – – Primo auolso non deficit alter
        Aureus, & simili frondescit virga metallo.
        Ergo alte vestiga oculis & rite repertum
        Carpe manu – – – 1)

Verstopfen Sie nicht, empfindseliges Brautpaar! Ihr für die Zauberkunst der Harmonien2) geöffnetes Ohr, die Stimme einer Sibylle zu hören, die trefflich wahrsagen kann. Wundervoll, wie die Liebe, und geheimnisreich, wie die Ehe, sey mein Unterricht!
     Ich sehe in Ihren zärtlichen, vertraulichen Blicken den kleinen tiefsinnigen Gott der Liebe, der mit sich selbst zu Rath geht, über das Meisterstück seiner Werke, das er beym Ausgange aller Entwürfe, Eroberungen und blinden Ebentheuer im Schilde führt und welches darauf hinausläuft: Laßt uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sey
     Eine Welt von Kleinigkeiten, die es aber nicht in den Augen der Verliebten sind, gehört immer zum voraus dazu, ehe es zur Ausführung jenes göttlichen Einfalls kommt, der ebenso wenigen zu gerathen scheint, als der erste ursprüngliche Versuch dieser Art.3)
     Der Mensch ist vorzüglich ein GOTT der Erde, durch seine Bestimmung der Schöpfer, Selbsterhalter und Immer Vermehrer seines Geschlechts zu seyn. Zwar ist dies Göttliche der ganzen sichtbaren Haushaltung einverleibt, und scheint eine Entwickelung des am Anfange ausgesprochenen Seegens4) zu seyn; doch ist kein einziges unserer Nebengeschöpfe, für einen überlegten und freywilligen Rathschluß oder einen Bund und gesellschaftlichen Vergleich zu dieser Absicht gemacht: so wie keines einer größeren Ausbildung fähiger ist und selbige nöthiger hat als der Mensch.
     Woher kommt es nun, daß wir uns dieser Gleichheit mit GOTT als eines Diebstalls oder Raubes schämen?5) Ist nicht diese Schaam ein heimlicher Schandfleck unserer Natur, und zugleich ein stummer Vorwurf ihres herrlichen allein weisen und hochgelobten Schöpfers? – Ein angeborner, allgemeiner Instinct ist es nicht, wie aus dem Beyspiele der Kinder, Wilden und cynischen Schulen zu ersehen; sondern eine angeerbte Sitte, und alle Sitten und Gebräuche sind bedeutende Zeichen und Merkmale zur Erhaltung urkundlicher Begebenheiten und Fortpflanzung conventueller Gesinnungen eingesetzt.
     Die Ehe ist also ein vermöge eines gefaßten Rathschlusses aufgerichtetes Bündnis, und auf Vernunft und Treue gegründet. Daher ist es Klugheit und Ehrlichkeit, «um der gegenwärtigen Noth willen»6) an einen solchen Rathschluß und Bund gar nicht einmal zu denken. Am allerwenigsten lohnt es der Mühe in einem Staate, wo der Codex7) ein güldener Coloß8) ist, sechzig Ellen hoch und sechs Ellen breit, und die Sanctio aller Gesetze ein glühender Schmelzofen, siebenmal heißer für Seelen von alten Schroot und Korn, in denen kein Falsch ist9).
     Weil der Ehstand der köstliche Grund und Eckstein der ganzen Gesellschaft ist: so offenbart sich der menschenfeindliche Geist unsers Jahrhunderts am allerstärksten in den Ehgesetzen10). Wenn es aber Barmherzigkeit von Seiten der Gesetzgeber ist11), der Verstockung des menschlichen Herzens zu Gefallen, öffentliche Sünden und Laster zu privilegiren: so ist es die höchste Gerechtigkeit von Seiten des Weltrichters, die Schänder seiner Majestät einem paraphysischen12) Misbrauche ihrer eigenen Leiber13) zu übergeben –
     Es würde freylich! nichts wohlthätiger für das menschliche Geschlecht und die bürgerliche Gesellschaft seyn, als jenem Ideal der Heiligkeit für den Ehstand nachzustreben, die der große Erfüller des mosaischen Rechts und der Propheten14) wiederhergestellt und als ein Reichsgesetz des Himmels und seiner neuen Erde auf jenem Berge der Seeligkeiten gepredigt hat: «Wer ein Weib ansieht, ihr zu begehren15), der hat die Ehe mit ihr gebrochen – und wer sich von seinem Weibe scheidet – und wer eine abgescheidete freyet, sind Ehebrecher» – Moses hat nemlich «geboten solche zu steinigen»16) und sein Gesetz konnte nicht wie der Schemen17) unserer Zeitigen Moral und ihrer eiteln Prediger aufgelöst, sondern mußte erfüllt werden, als ein festes prophetisches Wort18)
     «Das Geheimnis ist groß!19) – GOTTES Ebenbild und Ehre, der Mann, und deßen Ehre, das Weib» – Das heißt: Der Mann verhält sich zu GOTT, wie das Weib zum Manne, und wo diese Drey Eins sind, wird «das Weib durch Kinderzeugen selig20), und der Mann des Leibes Heiland.»
     Alle Mysterien des Hymens sind daher dunkle Träume, die sich auf jenen tiefen Schlaf beziehen21), worinn die erste Männin zur Welt kam, als ein beredtes Vorbild für die Mutter aller
Lebendigen
. – –
     Doch mein Versuch soll demjenigen nicht nachbulen, den jener Nordbritte22) mit der spukenden Ziffer23) über mein Geschlecht, und ein gelehrter, witziger Kauz seines Vaterlandes24) über meinen Gegenstand geschrieben haben. Ich bin auch eben so wenig eine gelehrte Vestalin, als ich eine Vettel Baubo25) seyn mag weder à la Grécourt, noch à l'enseigne de Barby26) . – Was ist alle Fruchtbarkeit im Busen und Schooße eurer Allmutter, zum Genuß ihrer Früchte27) und ihres Staubes geborne und verdammte Seelen! Was ist die taube Freude28) eures Geschmacks und der laute Kützel eures Witzes? – Vermummte Traurigkeit und Verzweifelung29), und all euer Gesuch eine Beute des schwarzen, reichen Höllengotts30) , wie die kluge Fabel der Ceres und ihrer Tochter31) erzählt.
     Vielleicht hören Sie, empfindseliges Brautpaar! eben so gern ein kurzes mythisches Mährchen meines eigenen Falls, und wie ich Einem unter Tausenden32), von Taubeneinfalt und Schlangenlist33) die geheime Weisheit einer Sibylle zu verdanken habe – Sein erster Kunstgriff war, sich selbst in meinen Augen abscheulich zu machen34), und hierinn gelung es ihm so gut, daß er sein ganzes Geschlecht mir bald verächtlich und ekelhaft vorkam. Wie wurde ich aber für meine undankbare Eitelkeit und übermüthige Schadenfreude, auf Kosten meines Verführers altklug geworden zu seyn, abgestraft, als der Spiegel seiner Aufrichtigkeit einen Wiederschein auf mein eigenes Herz zurückwarf, und ich darinn die Hemisphäre meines Geschlechts in naturalibus35) zu erkennen anfieng. Durch diesen Feuerstrahl der Selbsterkenntnis36) wurden alle schöne Beywörter kohlschwarz, gleich den Farben, vom Schwamme der Nacht ausgelöscht. – – Ueberführt, daß ein vernünftiges Thier, nach der Analogie des ganzen animalischen Reichs, die rauhe Seite seines Fells von Rechts wegen auswendig tragen sollte, hielt ich nunmehr alle ehrbare, schmachtende, entzückte Liebhaber für Wehrwölfe, kriechende Wiedersacher und geistliche Ungeheuer, die Milch und Honig auf der Spitze der Zunge, aber Gift und Galle in den Schatzkammern37) des Herzens führen.
     Diese Katastrophe meiner ganzen Denkungsart wurde die Grundlage einer Sympathie, die schnell zur Identität ihres Gegenstandes sich erhub. Alle Stärke einer männlichen Seele schien in die meinige überzugehen, unterdeßen durch die Gegenwirkung meiner Leidenschaft seine Seele nichts als kindische und weibische Lüsternheit zu athmen schien. –
     Todter und unfruchtbarer Wohlstand, scheinheiliger Pharisäer unsers Jahrhunderts! Deine moralische und bürgerliche Vorurtheile, und der hohe Geschmack oder Tand ihrer Verdienste ist nichts als ein Caviar des Leviathans, der hoch in den Wellen des Luftkreises38) herrscht – und die Schaamröthe eurer Jungfernschaft, ihr schönen Geister! ist gallicanische Schminke, Kreide und Insectendotter; aber kein adlich angeborner Purpur eines gesunden, vom Himmel geschenkten und belebten Fleisches und Blutes. –
     Ohne ein Schlachtopfer der Unschuld, bleibt das Kleinod und Heiligtum der Keuschheit unbekannt, und der Eingang dieser himmlischen Tugend undurchdringlich –
     Mitten im Weyrauch eines Schlummers sah ich jene Ribbe – und rief voll begeisterter habseliger Zueignung? «Das ist Knochen von meinem Knochen und Fleisch von meinem Fleische39)
     Wie sich ein Gemächte40) mit seinem Ursprung vereinigt, gieng er ein, wo er einst hergekommen war als des Leibes Heiland, und gleich einem treuen Schöpfer in guten Werken schloß er die Lücke der Stätte zu mit Fleisch41), um die älteste Maculatur42) des menschlichen Geschlechts fernerweit zu erfüllen –
     Ja, heute übers Jahr versprech ich Ihnen, gähnendträumendes Brautpaar! das Ende meines Mährchens43), ohne durch ein Postscript44) von Glückwünschen das Wahrzeichen meines Geschlechts zu bemänteln. Sie werden wol à priori errathen, daß mein gantzer Versuch ein Gericht Irrlichter ist, die ich aus dem faulen Graben meiner benachbarten Wiesen gefischt habe.45)
     Wenn ein Schaugericht gefischter Irrlichter, die gleich Abendsternen tantzen, sich wie ein Galimafree46) genießen und verdauen ließe; so wäre meine Muse keine Sibylle, die ihr Medusenbild47) dem Busen einer Minerve weyht!

     – – ni docta comes tenuis sine corpore vitas
     Admoneat volitare caua sub imagine formae.48)