BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Christoph Gottsched

1700 - 1766

 

Der Biedermann

 

1727

 

___________________________________________________

 

 

 
0:1

0:2

___________________________________________________________

 

0:3

Eilfftes Blatt 1727. den 14. Julii.

___________________________________________________________

 

0:4

HOMERUS.

0:5

ψυχὴ δ' ἐκ ῥεθέων πταμένη ἄϊδος δὲ βεβήκει. *)

___________________________________________________________

 

41:1

MEin Philosoph, der junge Philalethes, ist durch Herrn Hofmanns deutsche

41:2

Ubersetzung des Buches Ciceronis von der menschlichen Pflicht, gantz

41:3

eingenommen. Er erfreuet sich, daß man nunmehro ein so schönes Werck

41:4

auch im Deutschen mit Vergnügen lesen kan, und bewundert den Reichthum

41:5

unsrer Muttersprache, sonderlich in der beygefügten trefflichen Lebensbeschreibung

41:6

dieses großen Römers; die ihrer männlichen Schönheit wegen, alle

41:7

bißherige Lebensbeschreibungen, so deutsch verfasset worden, weit übertrifft. Er

41:8

hat sich aber auch durch einen so glücklichen Vorgänger im Ubersetzen, zu einer löblichen

41:9

Nacheiferung anreitzen lassen. Cicero hat ihm so zu reden das Hertz gestohlen; und da er

41:10

sich nach einer kleinen Schrifft desselben umsahe, daran er einen Versuch thun könnte; verfiel

41:11

er auf die Tusculanischen Gespräche dieses berühmten Mannes. Er ist mit dem ersten

41:12

davon fast fertig, und hat mich ersuchet, eine Probe davon in eins meiner Blätter drucken

41:13

zu lassen. Meine Leser werden also wegen der Fortsetzung der neulichen Historie, biß über

41:14

acht Tage in Gedult stehen; weil ich dem eifrigen Ansuchen dieses jungen Menschen nicht

41:15

wiederstehen können. Das gantze Gespräche handelt von der Seelen Unsterblichkeit und

41:16

Verachtung des Todes; und fängt sich mit folgendem Eingange an:

 

41:17

Weil ich sehe, daß sowohl die Rathsversamlungen als die Gerichts=Stube, mir itzo fast nicht

41:18

die geringste zu thun geben: so habe ich auf dein Einrathen, mein Brutus, mich wieder

41:19

zu dem Studiren gewendet. Eigentlich zu reden, habe ich dasselbe zwar niemahls verlassen;

41:20

doch durch andre Verrichtungen ist es zuweilen ein wenig versäumet, ja eine ziemliche Zeit

41:21

gar gehemmet worden. Weil nun die Philosophie dem Menschen eigentlich Unterricht giebt,

41:22

wie er recht leben soll; so bin ich entschlossen, sie in unsrer Muttersprache vorzutragen. Nicht

41:23

zwar, als wenn es dieser göttlichen Wissenschafft an griechischen Büchern oder Lehrern fehlte: sondern

41:24

weil ich wahrgenommen, daß wir im Erfinden glücklicher sind als die Griechen; oder daß

41:25

zum wenigsten ihre Erfindungen unter unsern Händen zur Vollkommenheit gelangen. Unsre

41:26

Sitten und Gebräuche sind besser eingerichtet als die ihrigen, und die Gesetze, so uns von unsern

41:27

Vorfahren hinterlassen worden, sind mit weit größerer Weisheit abgefasset als die Griechischen.

41:28

Was soll ich von der Ehre sagen, die wir uns durch die Waffen erworben, und die wir mehr unsrer

41:29

guten Kriegs=Zucht, als unsrer Tapferkeit zu dancken haben? Was diejenigen Sachen anlanget,

41:30

die man nicht aus Büchern, sondern von Natur lernet: so sind darinnen weder die Griechen, noch

41:31

sonst ein Volck unter der Sonnen, mit uns Römern zu vergleichen. Wo wird man wohl so viel

41:32

Standhafftigkeit, so viel Großmuth, so viel Redlichkeit und so viel Aufrichtigkeit antreffen, als

41:33

bey uns?

41:34

Es ist wahr, Griechenland übertrifft uns in allen Gattungen der Gelehrsamkeit. Und wie

41:35

sollte es uns nicht übertreffen, da wir hierinnen mit ihm um den Vorzug nicht streiten? Die Poeten

42:1

sind bey den Griechen die ersten Gelehrten gewesen. Homerus und Hesiodus sind älter als die Stadt

42:2

Rom, und Archilochus hat zu Zeiten des Romulus gelebt. Wir haben uns erst lange hernach

42:3

auf die Poesie gelegt. Vierhundert und zehn Jahre nach Erbauung der Stadt, als Claudius, ein

42:4

Sohn des blinden Claudius, und Marcus Juditanus das Bürgermeister=Amt verwalteten, führte

42:5

Livius dem Volcke das erste Theatralische Stück auf. Das Jahr darauf ward Ennius gebohren

42:6

Plautus und Rävius sind nicht einmahl so alt als er. Dergestalt ward die Dichtkunst in Italien

42:7

sehr spät aufgenommen. Doch erzehlt Cato in seinen Geschichtbüchern, daß man an Fest=Tagen

42:8

beym Flötenspiele kleine Lieder gesungen, die zum Lobe berühmter Leute gemacht gewesen. Dem

42:9

ungeachtet war die Poesie noch in keinem Ansehen. Cato verweiset es Marco dem Edlen, daß er zeit

42:10

seines währenden Bürgermeister=Amts, Poeten mit sich nach Etolien genommen; und es ist wahr,

42:11

daß Ennius ihn auf dieser Reise begleitet hat. Je weniger man also von der Poesie machte: desto

42:12

weniger liebte man auch die Musen; und daher kam es, daß unsre Poeten, deren Köpfe sonst sinnreich

42:13

genug seyn mochten, so viel Ehre nicht einlegen konnten, als die Griechischen Dichter. Würden

42:14

wir nicht auch unsern Parrhasius und Polycletes aufzuweisen haben, wenn man den Fabius wegen

42:15

seiner Schildereyen gelobet hätte? Die Ehre ist die Säugamme aller Künste. Sie ermuntert die trefflichsten

42:16

Werckmeister, und keine Profeßion, die man verachtet, kommt jemahls zu Vollkommenheit.

42:17

Die Griechen hielten davor, daß ein Mensch, der weder singen noch spielen könnte, ungeschickt

42:18

sey, und nicht zu leben wisse. Epaminondas, der meiner Meynung nach der größte Mann von

42:19

Griechenland gewesen, spielte sehr schön auf der Laute, und Themistocles ward vor einen ungeschickten

42:20

Menschen gehalten, weil er bey einem Gastmahle nicht auf der Leyer spielen wollte: daher

42:21

kommts auch, daß die Griechen soviel berühmte Meister in der Music haben. Ein jeder war begierig

42:22

dasjenige zu lernen, was er ohne Schimpf und Schande nicht entbehren konnte. Ferner haben

42:23

die Griechen die Meßkunst hochgeschätzet. Aber wieviel geschickte Erdmesser haben sie auch

42:24

gehabt? Wir Römer haben davor gehalten, es sey schon genug, wenn wir nur zehlen und messen

42:25

könnten; mehr brauchte man nicht.

42:26

Auf die Beredsamkeit haben wir uns nicht so spät geleget. Anfänglich war sie nichts anders

42:27

als eine natürliche Gabe, wohl zu sprechen. Hierauf kam auch die Wissenschafft dazu: denn die

42:28

Geschichte lehren uns, daß Galba, Scipio und Lälius gelehrte Leute gewesen. Cato, der noch vor

42:29

ihnen gelebt, war dem Studiren sehr ergeben. Nachmahls waren Lepidus, Carbo und die

42:30

Graccher im Ansehen. Nunmehro haben wir eine solche Menge von Rednern, daß, wo ja Griechen=Land

42:31

noch einen Vorzug vor uns hat, derselbe doch nicht sonderlich groß seyn kan.

42:32

Die Philosophie ist biß auf den heutigen Tag versäumet worden, und wir haben keinen lateinischen

42:33

Scribenten der davon handelt. Daher achte ich mich verbunden, davor zu sorgen, damit

42:34

meine müßige Zeit unsern Mitbürgern nicht fruchtloß seyn möge; als welche sonst von meinen

42:35

Aemtern einigen Vortheil genossen. Im übrigen will ich auf diese Arbeit desto mehr Fleiß anwenden;

42:36

weil einige brave Leute, denen es aber an sattsamer Geschicklichkeit gemangelt, mancherley

42:37

schlechte und unförmliche Bücher davon geschrieben haben. Es ist nicht unmöglich, daß ein

42:38

Mensch der wohl dencket, dennoch übel schreibe oder rede. Indessen, wer seine Gedancken, ohne

42:39

eine gewisse Anmuth und Artigkeit zu Papier bringet, der mißbrauchet seiner Zeit und Gelehrsamkeit.

42:40

Man siehts auch wohl, daß sie das Hertz nicht haben, ihre Schrifften sonst jemanden, außer

42:41

ihren guten Freunden, zu zeigen; und niemand nimmt sich die Mühe, dieselben zu lesen, als wer

42:42

sich eben dergleichen Freyheiten in seinen Schrifften nehmen will. Habe ich nun durch meinen

42:43

Fleiß der lateinischen Wohlredenheit einigen Glantz gegeben: was bin ich nicht schuldig der Philosophie

42:44

zu Ehren zu unternehmen, die mich gewisser maßen wohl dencken und wohl reden gelehret

42:45

hat. Wie aber Aristoteles, ein Mann von grossem Verstande und tiefer Gelehrsamkeit, aus Eifersucht

42:46

gegen den berühmten Isocrates, eben so wohl als derselbe, eine Schule vor die Atheniensische

42:47

Jugend eröffnete, und die Wohlredenheit mit der Weißheit verknüpfete: So habe ich auch,

42:48

ohne meinen vormahligen Beschäfftigungen gantz abzusagen, es rathsam befunden, mich in einer

42:49

Wissenschafft zu üben, die dem Verstande weit edlere und reichere Materien verschaffet, als

42:50

die Gerichtshändel. Ich habe allezeit geglaubt, daß die Vollkommenheit der Philosophie darinnen

43:1

bestünde, wenn man die allerschwersten Streitfragen zierlich und ausführlich abhandeln könnte

43:2

Und darauf habe ich mich mit solchem Fleiße und so glücklichem Erfolge beflissen, daß ich mich auch

43:3

unterstanden, nach Art der Griechen meine Schule zu eröffnen.

43:4

Denn, als ich neulich, mein Brutus, nach deiner Abreise, mit etlichen guten

43:5

Freunden zu Tusculum war, versuchte ich hierinnen meine Kräffte, und ließ diese Abhandlungen

43:6

auf diejenigen Reden erfolgen, die ich sonst vor Gericht gehalten; woselbst ich mich länger, als sonst

43:7

jemand gethan, habe hören lassen. Ich bat also meine Freunde, mir eine beliebige Frage vorzulegen,

43:8

und ich entschied entweder sitzend oder stehend ihre Schwierigkeiten. Unsre Unterredungen

43:9

daureten fünf Tage lang, darum habe ich sie auch in fünf Tractate eingetheilet. Ubrigens war

43:10

dieses die Einrichtung unsrer Gespräche. Ein jeder redete so lange als er wollte, alsdann antwortete

43:11

ich. Das ist die alte Socratische Manier, sich zu unterreden; denn dieses hielte der erwehnte

43:12

Philosoph vor die beste Manier das Wahrscheinliche zu untersuchen. Um dir aber unsre Gespräche

43:13

desto verständlicher zu machen, will ich sie dir nicht erzehlen, sondern gantz hersetzen. Dieses

43:14

ist der Anfang:

43:15

Atticus. Der Tod scheint mir was Böses zu seyn. Cicero. Meynest du vor die Todten,

43:16

oder vor die, so noch sterben sollen? Att. Vor alle beyde. Cic. Ist er was Böses, so wird er

43:17

gewiß ein sehr elendes Ding seyn? Att. Ohne Zweifel. Cic. So muß man denn sagen, daß sowohl

43:18

diejenigen, die diesen Weg schon einmahl gegangen, als diejenigen, so ihn noch gehen sollen,

43:19

recht elende und unglückliche Leute sind. Att. Das ist eben meine Meynung. Cic. So ist denn

43:20

alle Welt unglücklich? Att. Gantz recht. Cic. Willst du dir also nicht selbst wiedersprechen, so

43:21

must du behaupten, daß alle Menschen, die schon gebohren worden, und noch jemahls sollen gebohren

43:22

werden, nicht nur unglücklich sind, sondern es auch allezeit bleiben werden. Wolltest

43:23

du sagen, daß nur diejenigen unglücklich wären, die noch sterben sollten: so würden gewiß alle

43:24

Lebendige unglücklich seyn; denn sie müssen alle sterben: Aber so würde doch der Tod ihrem Unglücke

43:25

ein Ende machen. Da aber die Todten selbst unglücklich seyn sollen; so hat unser Elend gar kein

43:26

Ende. Auch diejenigen, so vor hundert tausend Jahren gestorben, sind unglücklich; oder vielmehr

43:27

alles, was jemahls das Licht erblicket hat, ist höchst elend daran. Att. Das ist meine Meynung, ich

43:28

gestehe es. Cic. Sage mir doch, fürchtest du dich vor dem dreyköpfigten Cerberus, dem schrecklichen

43:29

Thürhüter der Höllen; vor dem Geräusche des Cocytus, vor der Furt des Acherons; vor

43:30

dem biß an den Hals im Wasser stehenden und doch vor Durst verschmachtenden Tantalus; oder

43:31

vor dem Sisyphus, der einen großen Stein unaufhörlich Berg auf weltzet; der ihm aber allezeit

43:32

wieder in die Arme fällt? Solltest du dich nicht etwa vor dem Minos und Rhadamanth, den unerbittlichen

43:33

Richtern scheuen, vor welchen auch die Beredsamkeit des Crassus und Antonius dir

43:34

nichts helfen würde? Demosthenes selbst, (denn wie diese grausame Richter, gebohrne Griechen

43:35

sind, so würde man ja Griechisch mit ihnen reden müssen). Demosthenes selbst, würde dir nichts

43:36

nütze seyn. Du würdest deine Sache selbst ausführen müssen, und zwar vor einer großen Menge

43:37

Zuhörer. Siehe, das ist vielleicht die Quelle deiner Furcht, und die Ursache, warum du

43:38

den Tod vor ein ewiges Elend ansiehest. Att. Meynst du denn daß ich so einfältig bin, alle diese

43:39

Thorheiten zu glauben? Cic. Wie? glaubest du das alles nicht? Att. In Wahrheit, ich glaube

43:40

es nicht. Cic. Das ist mir sehr leid. Att. Warum leid? Cic. Weil ich glaube, daß ich dabey

43:41

die schönste Gelegenheit hätte meine Beredsamkeit hören zu lassen. Att. Ich glaube es wohl. In

43:42

der That, wer sollte in diesem Falle nicht beredt seyn? Was ist leichter, als alle die Ungeheuer zu

43:43

vernichten, die von den Poeten und Mahlern ausgehecket worden? Cic. Indessen haben doch viele

43:44

Weltweisen, wieder die Eitelkeit dieser Fabeln, Bücher geschrieben. Att. Sie haben ihre Zeit sehr

43:45

schlecht angewandt; denn wer ist so lächerlich, daß er sich durch dergleichen Zeug erschrecken lässet?

43:46

Cic. Giebt es also keine Unglückselige in der Höllen; so ist ja nach dem Tode niemand mehr

43:47

verhanden? Att. Ich bin mit dir eins. Cic. Wo sind denn die Unglückseligen? du würdest besser

43:48

thun, wenn du den Cerberus glaubtest, als daß du mir solche übelzusammenhangende Sachen

43:49

sagst. Att. Wie? Cic. Du sagst, daß diejenigen, die nicht mehr verhanden sind, dennoch verhanden

43:50

sind. Wo hast du deinen Verstand? denn wenn du sagst, daß dieser Mensch unglücklich

44:1

ist; so sagst du ja, daß einer der nicht mehr ist, dennoch sey. Att. So viel Verstand habe ich wohl

44:2

noch, daß ich nicht solch Zeug reden werde. Cic. Was sagst du denn? Att. Ich sage zum Exempel,

44:3

daß Crassus unglücklich ist, weil er durch seinen Tod so viel Geld und Gut verlohren; daß

44:4

Pompejus unglücklich ist, weil er soviel Ehre verlohren; Kurtz, daß alle, die das Leben verlohren

44:5

haben, unglücklich sind. Cic. Du kommst immer wieder auf das vorige; denn wer unglücklich

44:6

seyn soll, muß ja noch verhanden seyn: und den Augenblick sagtest du, die Todten wären nicht

44:7

mehr. Sind sie nicht mehr, so sind sie nichts: und folglich sind sie nicht unglückselig. Att. Ich

44:8

glaube, daß ich mich nicht recht erkläret habe: denn ich halte das vor ein groß Ubel, wenn man nichts

44:9

mehr ist, nachdem man etwas gewesen ist. Cic. Wie? Ist denn das ein grösser Ubel, als wenn

44:10

man niemahls gewesen ist? Dergestalt werden diejenigen, so noch nicht gebohren sind, allbereit

44:11

unglückselig seyn; und wir selbst, wo wir nach dem Tode unglücklich sind, so müssen wir schon vor

44:12

unsrer Geburt unglücklich gewesen seyn. Meines theils kan ich mich auf dieses Unglück nicht besinnen:

44:13

hast du ein besser Gedächtnis als ich, so sage mir das Deinige von den damahligen Zeiten.

44:14

Att. Du spottest meiner. Ich nenne die Kinder nicht unglücklich, die noch sollen gebohren werden;

44:15

ich sage nur daß die Todten unglücklich sind. Cic. So sagst du ja, daß sie noch verhanden sind.

44:16

Att. Gerade das Wiederspiel. Ich sage, sie sind unglücklich, weil sie gewesen sind, und nicht mehr

44:17

sind. Cic. Begreifest du denn nicht, daß du dir wiedersprichst? denn was ist einander mehr zuwieder,

44:18

als wenn man sagt, dasjenige, was nicht mehr ist, sey nicht nur unglücklich, sondern sey

44:19

auch noch wircklich verhanden?

44:20

Wenn du zum Capuer=Thore herausgehest, und die Grabmahle der Collatiner, Scipionen,

44:21

Servilier und Meteller siehest, glaubst du denn wircklich, daß diese Leute insgesamt unglücklich

44:22

sind? Att. Weil du mir nur das Wort auffängest, so will ich nicht mehr sagen, daß sie unglücklich

44:23

seyn; ich will sie nur unglücklich nennen; weil sie nicht mehr sind. Cic. Du sagst also nicht mehr,

44:24

daß Crassus unglücklich ist; du sagst nur: Unglücklicher Crassus! Att. Ja. Cic. Aber alles

44:25

was du sagest, muß entweder wahr oder falsch seyn. Hast du deine Vernunftlehre vergessen? und

44:26

erinnerst du dich nicht mehr, daß ein jeder Satz entweder was bejahen oder verneinen müsse? Wenn

44:27

du also sagst, Unglückseliger Crassus! so sagst du entweder Crassus ist unglücklich, so daß man

44:28

von der Wahrheit und Falschheit dieses Satzes urtheilen kan; oder du sagst gantz und gar nichts?

44:29

Att. Ey nun, meinethalben; die Todten sollen nicht unglücklich seyn. Denn du hast mich gezwungen,

44:30

zu gestehen, daß dasjenige, was nicht mehr ist, nicht unglücklich seyn könne. Allein was uns

44:31

Lebendige anbetrifft; sage mir, ist die Nothwendigkeit zu sterben nicht ein Unglück? Denn was

44:32

kan man vor Lust im Leben geniessen, wenn diese unvermeidliche Pflicht uns alle Augenblick im Sinne

44:33

lieget? Cic. Begreifest du wohl, von wie vielem Ubel uns dieser Gedancke befreyet? Att. Wie

44:34

das? Cic. Wären die Todten so unglücklich als die Lebendigen; so hätte unser Elend kein Ende.

44:35

Aber ich sehe ein Ziel vor mir; erreiche ich dasselbe, so habe ich gar nichts mehr zu fürchten. Indessen

44:36

scheinest du mir dem Epicharmus beyzupflichten; einem verständigen und tiefsinnigen

44:37

Manne; Er war auch aus Sicilien gebürtig. Att. Ich soll ihm beypflichten? Ich weiß von dem

44:38

Manne nicht das geringste. Cic. Ich will dirs erklären, wenn ich nur kan: denn du weist wohl,

44:39

daß es meine Art nicht ist, mein Lateinisches ins Griechische, oder das Griechische ins Lateinische

44:40

zu mengen. Att. Sehr wohl, aber was sagt Epicharmus? Cic. Todt zu seyn, davor fürchte ich

44:41

mich wenig; aber zu sterben, davor fürchte ich mich.

 

44:42

Soviel kan ich von dieser Ubersetzung dießmahl mittheilen. Wie sie gerathen

44:43

sey, davon mögen verständige Leser urtheilen. Was indessen die Meynungen Ciceronis

44:44

anlanget; so dienet zu wissen, daß er in dem Verfolge dieses Gespräches, die Unsterblichkeit

44:45

der Seelen, mit sehr guten Gründen behauptet; ob gleich aus

44:46

diesem Anfange mancher schließen sollte, daß er das

44:47

Gegentheil geglaubet hätte.