BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Christoph Gottsched

1700 - 1766

 

Der Biedermann

 

1727

 

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Erstes Blatt 1727. den 1. May.

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LUCANUS.

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- - Hi mores, haec duri immota Catonis

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Secta fuit, servare modum, finemque tenere

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Naturamque sequi patriaeque impendere vitam

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Nec sibi, sec toti genitum se credere mundo.

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IHr seyd es etliche Jahre her gewohnt, liebe Landes=Leute, daß ihr wöchentlich ein

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paar moralische Blätter durchleset, und die vernünftigen Betrachtungen, so

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darinnen vorkommen, zu eurem Nutzen anwendet. Diese eure Gewohnheit

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verdient in der That kein geringes Lob, und ich würde kein Bedencken tragen,

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dasselbe ausführlich zu erzehlen: wenn es nöthig wäre, eure Gemüther durch künstlich=ersonnene

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Bewegungs=Gründe ferner dazu anzufeuren. Eine so löbliche Beschäfftigung zeuget

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von eurer ernstlichen Begierde, womit ihr nach Vollkommenheit und Glückseeligkeit strebet.

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Wer seinen Verstand von der Natur des Guten und Bösen mehr und mehr zu unterrichten

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suchet, der arbeitet auch unvermerckt an der Besserung seines Willens. Es ist nicht

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möglich, daß dieser das Gute lieben oder darnach streben kan, wenn jener es nicht zuvor kennet.

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Es ist nicht möglich, daß man das Laster hassen und vermeiden kan, wenn man es noch

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nicht in seiner natürlichen Blöße gesehen und sein abscheuliches Wesen wahrgenommen. Zu

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beyden Gattungen des Erkenntnisses haben die Verfasser unsrer bisherigen Wochen=Schrifften

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ihren Lesern zu verhelfen gesuchet. Man hat bey ihnen allezeit, entweder die

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Tugend unter einem angenehmen, oder das Laster unter einem scheußlichen Bilde, abgeschildert

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gesehen. Sie haben die Thaten der Menschen mit der gesunden Vernunfft und

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den natürlichen Gesetzen zusammen gehalten. Sie haben die Schlupfwinckel des menschlichen

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Hertzens durchsuchet, die lieblichen Abwege, die zum Verderben führen, verdächtig

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gemacht, und den dornigten Steg zur Glückseeligkeit zu bähnen gesucht. Wie ist es möglich,

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dergleichen Schrifften ohne alle Erbauung zu lesen? Und wer kan sichs einbilden, daß

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die Arbeit ihrer Urheber, gantz vergebens gewesen seyn sollte?

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Es ist zu bedauren, wertheste Leser, daß verschiedene von diesen lehrreichen Blättern

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allbereits aufgehöret haben; und das diejenigen Viertelstunden, die ihr sonst wöchentlich

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darauf verwandt, nunmehro andern unedlern Zeitkürtzungen aufgeopfert werden sollen.

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Ists nicht so? Es wünschet sich mancher, daß die heutigen Sittenlehrer noch itzo ihre angenehme

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Lehrart fortsetzen, und uns nach und nach mit neuen Betrachtungen über das Thun

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und Lassen der Menschen unterhalten möchten. Ich weiß, daß viele, die vor einiger Zeit geschlossenen

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Schrifften wiederum von Anfang zu lesen angefangen; und mich versichert haben,

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daß sie dieselben mit eben dem Vergnügen wiederholen können, womit sie dieselben zu

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allererst erblicket hatten. Und dieses Verfahren ist in der That zu billigen. Man wird freylich

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von demjenigen, was man vor zwey oder drey Jahren gelesen, nicht alles im Gedächtnisse

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behalten haben. Die Zeit hat ohne Zweifel das meiste davon aus dem Gemüthe vertilget,

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und der Vergessenheit überantwortet. Folglich wird auch bey der Wiederholung einer

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alten Schrifft, uns manches noch neu vorkommen: und manches andre, was man noch

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nicht vergessen hatte, sich um desto tiefer ins Gedächtnis prägen. Ich will nicht erwehnen,

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daß ein vieles, welches uns zum erstenmahl dunckel zu seyn geschienen; weit verständlicher

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und deutlicher zu werden pfleget, wenn es zum andernmahle gelesen wird: Zumahl bey solchen

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Lesern, die des Nachdenckens im Anfange noch nicht gewohnt gewesen, und erstlich nach

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und nach einen höhern Grad der Aufmercksamkeit erlanget haben. Dem ungeachtet, hat

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doch das Neue einen gewissen Vorzug vor dem Alten. Es reitzet die Begierde zu wissen,

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allezeit kräfftiger als dasjenige, davon man schon einmahl gesättiget worden. Und dergestalt

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könnte es euch, wertheste Landsleute, wohl nicht unangenehm fallen; wenn sich jemand

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fände, der in die Fußstapfen, dererjenigen treten möchte, die mit ihren Blättern vor weniger

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Zeit Abschied genommen haben: Wenn er nur eben so gesunde Begriffe von allen Dingen,

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eben so redliche Absichten, und eben dieselbe leichte, deutliche und angenehme Lehr=Art

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hätte.

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Ich kan es nicht leugnen, liebste Leser, daß ich schon vor einiger Zeit einen Trieb bey

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mir gefunden, bey der einsamen und ruhigen Lebens=Art, die ich führe, meinem Gebrüder,

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das ist demjenigen Theile des menschlichen Geschlechtes, der mit mir einerley Muttersprache

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hat, auf solche Weise zu dienen. Allein da ich dergleichen Arbeit in so guten Händen sahe,

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gab ich selbst einen Schüler ab; bereitete mich aber mehr und mehr, wenn meine Vorgänger

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ihrer Arbeit müde werden sollten, ihnen, nach der Fähigkeit so mir von der gütigen

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Natur ertheilet worden, so gut als möglich nachzufolgen. Diesem Vorsatze ein Gnügen zu

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thun, mache ich hiemit den Anfang, denen die ein Belieben tragen, wöchentlich was moralisches

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zu lesen, eine neue Sittenschrifft mitzutheilen. Neu ist sie, nicht nach den Grundsätzen,

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wornach man sie abhandeln wird; sondern im Absehen auf den blossen Nahmen, und

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auf die Art des Vortrages. Ich bin ein Liebhaber des Alten, weil ich nichts älters finde als

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die gesunde Vernunfft, Unschuld und Tugend. Ja der Nahme selbst ist bloß als die Uberschrifft

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eines moralischen Werckes, an sich selbst aber kein neues und unerhörtes, sondern ein

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uhraltes und recht eigentliches deutsches Kern=Wort. Unsre alte ehrliche Vorfahren suchten

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sich in dem Nahmen eines Biedermannes keine geringe Ehre, und wusten auch einen

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andern nicht nachdrücklicher zu loben, als wenn sie ihn einen redlichen und aufrichtigen Biedermann

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nenneten. Diese Beywörter geben genugsam zu verstehen, was sie durch diese

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Benennung anzeigen wollen. Man findet in alten Büchern noch das einzelne Wort Bieder.

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Z. E. in dem Sächsischen LandR. im 1. B. 98. Art. heisset es die Sache bleibet bürglich,

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und der Beklagte bleibet bieder: Imgleichen, wird unrichtig und unbieder.

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Alle Umstände geben es, daß es seiner eigentlichen Bedeutung nach, so viel als ehrlich,

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redlich, gerecht und billig seyn, zu verstehen gebe. Will man also den Nachdruck dieses

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Worts in andern Sprachen haben, so nehme man das Griechische ἀνὴρ δίκαιος, das Lateinische

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Vir honestus, das Frantzösische Un homme de bien, und das Englische A good

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Man zusammen. Alles dieses wird nichts mehr, vielleicht aber wohl noch weniger bedeuten,

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als das deutsche Kern=Wort, ein Biedermann.

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Meine Leser werden mich hiebey von dem Laster der Prahlerey selbst los sprechen, wenn

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ich ihnen sagen werde, daß dieses kein künstlich ausgedachter; sondern mein eigentlicher ererbter

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Geschlechts=Nahme sey. Ich stamme aus Schlesien her, wo meine Vorfahren schon

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vor mehr als hundert Jahren, diesen Nahmen geführet. Der berühmte Poet Opitz hat in

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das andere Buch seiner Poetischen Wälder ein Gedichte auf Herrn Gottfried Biedermanns

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und Jungfer Annen Reginen Sandeckin Hochzeit eingerücket, und dieser

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Gottfried Biedermann ist mein Großvater gewesen; wie mir mein seeliger Vater zu sagen

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pflegte, wenn er mich von meinen Voreltern und den guten Eigenschafften derselben unterrichtete.

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Ich kan wohl sagen, daß dieser mein Vater, den Nahmen mit der That geführet,

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ja auch allen Fleiß angewandt, daß er mir durch eine gute Auferziehung einen Trieb einpflantzen

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möchte, mich desselben, durch ein wohlanständiges Verhalten recht würdig zu machen.

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Doch weiß ich nicht, ob mir sein löbliches Exempel; oder die schöne Bedeutung dieses

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Nahmens ein stärckerer Sporn zur Vernunfft und Tugend gewesen. Durch diese Entdeckung

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meines wahrhafften Nahmens habe ich also die Frage: Wer ich sey? einiger maßen

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beantwortet; welche man sonder Zweifel alsofort wird gethan haben, so bald man dieses

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Blatt erblicket hat. Ich heisse nehmlich Biedermann, und bemühe michs auch in der That

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zu seyn. Kennen mich unter meinen künfftigen Lesern sehr wenige; so ist es kein Wunder.

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Ich wohne in keiner volckreichen Stadt, sondern auf dem Lande. Ein kleines Gut, welches

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sich mein Vater in Meißen angeschaffet, ist mein beständiger Aufenthalt. Ausser meinen

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nächsten Nachbarn weiß niemand von mir, und ich selbst würde ausser ihnen niemanden kennen,

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wenn ich nicht zuweilen in das nah gelegne      =       =       die Krone der Sächsischen

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Städte, meiner Geschäffte halber kommen müste. So viel kan ich itzo von meinen Umständen

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entdecken. Mit der Zeit werde ich mehr Gelegenheit finden meine Lebensart, meinen

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Zeitvertreib, meine Freunde und Gemüths=Neigungen ausführlicher zu beschreiben.

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Ich halte es vor nöthiger, meinen Lesern gleich zu Anfange dieser Blätter, einen moralischen

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Character von mir zu machen. Ich halte mich vor einen glückseeligen Unterthan in dem

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Reiche des grossen Urhebers der gantzen Natur. Das Weltgebäude dünckt mich ein eintziges

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Land zu seyn, welches unter dem Scepter dieses vollkommen weisen und gütigen Monarchen

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an allen erwünschten Gütern einen Uberfluß hat. Die Erdkugel ist eine von den

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volckreichesten Städten in diesem weitläuftigen Königreiche. Die vernünfftigen Creaturen

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sind die Einwohner derselben, und ich schätze mich glücklich, daß ich an ihrem Bürger=Rechte

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mit Theil habe. Uberall wo ich meine Augen hinwende, finde ich Gelegenheit, mein

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Gemüthe an der herrlichen Ordnung, ausbündigen Schönheit, und untadelichen Gerechtigkeit

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zu belustigen, die der HErr aller Dinge in seinem weisen Regimente blicken lässet.

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Ich habe es erkennen gelernet, daß er keinen einzigen von seinen Unterthanen hasse; daß er

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vielmehr alles und jedes glücklich zu machen, und zu grösserer Vollkommenheit zu bringen

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suchet. Ich habe es verstehen gelernet, daß die scheinbare Unordnung in der Welt, in der

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That lauter Ordnung sey, und daß auch die unansehnlichsten Dinge eine Schönheit besitzen,

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die uns in Erstaunung setzen würde, wenn wir dieselbe recht einzusehen vermögend wären.

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Ich habe es endlich begreifen gelernet, daß nichts ungerechtes oder unbilliges in demjenigen

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Regimente vorgehe, wo der weiseste und gütigste Regent die Herrschafft führet. Aus allem

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diesem Erkenntnisse ist mir ein besonders vergnügter Zustand erwachsen. Alles was mir

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und andern wiederfähret, scheint mir so gut zu seyn, daß es nicht besser erdacht werden könnte.

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Ich bin also niemahls unglücklich sondern allezeit glücklich, und wenn ich kurtz sagen soll,

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was ich bin; so werde ich antworten; Ein zufriedener Bürger in der Stadt GOttes.

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Diesem meinem Stande zu folge, will ich mich künfftig bemühen, das beste meiner lieben

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Mitbürger zu befördern. Ich finde so viel gutes an einem jeden Menschen, den ich kennen

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lerne, daß ich mich nicht enthalten kan ihn zu lieben. Die Vollkommenheiten so der Schöpfer

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einer jeden vernünfftigen Creatur verliehen hat, belustigen mein Gemüthe, und zwar

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um so viel mehr, je höher der Grad ist, den sie erreichen. Daher sehe ich nichts lieber, als

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wenn sie täglich wachsen und zunehmen: Denn mit ihren Vollkommenheiten wächst auch

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mein Vergnügen. Ich werde mir also künfftig angelegen seyn lassen, alle das Gute, was ich

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an andern finde, abzuschildern, und dadurch eine allgemeine Liebe unter meinen Mitbürgern

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zu erwecken. Ich werde die guten Exempel, die ich entweder in der Historie finde, oder selbst

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gesehen habe, zu dem Ende mit Fleiß erzehlen, damit ich zeige, wie Vernunfft und Tugend

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noch so seltsam unter den Menschen nicht sey, als einige glauben. Ja ich werde auch die Güter

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der Natur, nach ihrer Schönheit und Nutzbarkeit, zu beschreiben bemühet seyn; um die

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Aufmercksamkeit meiner Leser dadurch zu erwecken, und ihnen dadurch das viele Gute, so sie

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in der Welt geniessen, empfindlicher zu machen. Viel bunte Einfälle, und abentheuerliche

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Erfindungen, die offtmahls unerhörten Zauberkünsten gleich sehen, werden meine Leser in

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diesen Blättern nicht antreffen. Ich liebe die Natur, und weiß, daß auch meine Landsleute so

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gesinnet sind als jene Egypter, die Ptolomäus, ein Sohn Lagi, vergebens durch was seltsames

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ergetzen wollte. Er brachte zwey in gantz Egypten unerhörte Dinge mit ins Land, nehmlich

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ein pechschwartzes Bactrianisches Kamehl, und einen zweyfarbigten Menschen, der halb

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weiß und halb schwartz war. Er versammlete seine Landesleute in einem Schauplatze, und

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zeigte ihnen, unter vielen andern merckwürdigen Sachen, zuletzt auch dieses, und meynte,

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daß er sie in eine grosse Verwunderung dadurch setzen würde. Aber es geschah nichts weniger

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als was er vermuthete. Vor dem Kamehle zwar, erschracken sie, und wären fast alle davon

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gelaufen; ob es gleich mit Gold, Purpur und Edelgesteinen geschmücket war. Der

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zweyfarbigte Mensch aber dienete einigen zum Gelächter, andre aber bezeigten vor demselben,

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als vor einem Ungeheuer, einen Abscheu. Indem nun Ptolomäus sahe, daß seine Landesleute

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nichts von solchen Raritäten machen wollten, und lieber was ordentliches, wohl ausgebildetes

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und geschicktes haben möchten: ward er seinen beyden Seltenheiten so gram, daß er das Camehl

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Hungers sterben ließ; den Menschen aber einem Musicanten schenckete, der ihm einmahl ein schönes

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Stücke vorspielete.

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Mit diesen lobenswürdigen Egyptern kan ich meine werthesten Landesleute auch vergleichen.

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Ich weiß, sie lieben was verständliches, ordentliches und vernünfftiges. Sie sehen die Natur vor

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was begreifliches an, und wollen auch daß Scribenten derselben nachfolgen sollen. Ich werde

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mich also diesem guten Geschmacke beqvemen, und ihnen lieber zuweilen die schönen Gedancken

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alter Weltweisen, Redner und Poeten, die entweder gar nicht, oder doch von wenigen gelesen werden,

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mittheilen, als meine Träume oder andre wunderliche Dinge erzehlen. Ich werde auch zur

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Abwechselung aus der alten und neuen Historie die besten Exempel redlicher Biedermänner aussuchen

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und ihre Tugend meinen Lesern als Muster anpreisen. Dem löblichen Frauenzimmer zu

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gefallen soll auch öffters was mit einfließen. Ich gedencke nehmlich diesen Theil des menschlichen

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Geschlechts nicht aus der acht zu lassen; sondern zum wenigsten mein drittes Blatt von solchen

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Dingen abzufassen, die sie mit angehen werden: Wiewohl ich mich an keine gewisse Ordnung zu

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binden verspreche. Sie sind eben sowohl zur Tugend fähig, als wir Männer: Warum sollte man

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ihnen denn nicht eben sowohl darinnen an die Hand gehen, als unserm Geschlechte? Will mir jemand

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in diesem meinem Vorhaben hülfliche Hand leisten; der sey so gut und entwerfe seine Anmerckungen

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schrifftlich, und überschicke sie an Jacob Schustern nach Leipzig. Ich werde mir niemahls

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was fremdes zueignen, sondern mir eine Freude machen, wenn ich werde zeigen können,

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daß viele meiner Mitbürger eine Begierde haben, das Beste des menschlichen Geschlechts zu befördern.

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Ich bin, Wertheste Deutsche Euer dienstbegieriger

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Ernst Wahrlieb Biedermann.