Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
Die Leidendes jungen Werthers
Zweyter Theil
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am 17. Dez.
Was ist das, mein Lieber? Ich erschrekke vor mir selbst! Ist nicht meine Liebe zu ihr die heiligste, reinste, brüderlichste Liebe? Hab ich jemals einen strafbaren Wunsch in meiner Seele [175] gefühlt – ich will nicht betheuren – und nun – Träume! O wie wahr fühlten die Menschen, die so widersprechende Würkungen fremden Mächten zuschrieben. Diese Nacht! Ich zittere, es zu sagen, hielt ich sie in meinen Armen, fest an meinen Busen gedrükt, und dekte ihren lieben lispelnden Mund mit unendlichen Küssen. Mein Auge schwamm in der Trunkenheit des ihrigen. Gott! bin ich strafbar, daß ich auch jezt noch eine Seligkeit fühle, mir diese glühende Freuden mit voller Innigkeit zurük zu rufen, Lotte! Lotte! – Und mit mir ist's aus! Meine Sinnen verwirren sich. Schon acht Tage hab ich keine Besinnungskraft, meine Augen sind voll Thränen. Ich bin nirgends wohl und überall wohl. Ich wünsche nichts, verlange nichts. Mir wärs besser ich gienge. |