Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
Die Leidendes jungen Werthers
Zweyter Theil
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am 15. Merz.
Ich hab einen Verdruß gehabt, der mich von hier wegtreiben wird, ich knirsche mit den Zähnen! Teufel! Er ist nicht zu ersezzen, und ihr seyd doch allein schuld daran, die ihr mich sporntet und triebt und quältet, mich in einen Posten zu begeben, der nicht nach meinem Sinne war. Nun hab ich's nun habt ihr's. Und daß du nicht wieder sagst: meine überspannten Ideen verdürben alles; so hast du hier lieber Herr, eine Erzäh[130]lung, plan und nett, wie ein Chronikenschreiber das aufzeichnen würde.Der Graf v. C. liebt mich, distingwirt mich, das ist bekannt, das hab ich dir schon hundertmal gesagt. Nun war ich bey ihm zu Tische gestern, eben an dem Tage, da Abends die noble Gesellschaft von Herren und Frauen bey ihm zusammenkommt, an die ich nie gedacht hab, auch mir nie aufgefallen ist, daß wir Subalternen nicht hinein gehören. Gut. Ich speise beym Grafen und nach Tische gehn wir im grossen Saale auf und ab, ich rede mit ihm, mit dem Obrist B. der dazu kommt, und so rükt die Stunde der Gesellschaft heran. Ich denke, Gott weis, an nichts. Da tritt herein die übergnädige Dame von S.. mit Dero Herrn Gemahl und wohl ausgebrüteten Gänslein Tochter mit der flachen Brust und niedlichem Schnürleib, machen en passant ihre hergebrachten hochadligen Augen und Naslöcher, und wie mir die Nation von Herzen zuwider ist, wollt ich eben mich empfehlen, und wartete nur, bis der Graf vom garstigen Gewäsche frey wäre, als eben meine Fräulein B. herein trat, da mir denn das [131] Herz immer ein bißgen aufgeht, wenn ich sie sehe, blieb ich eben, stellte mich hinter ihren Stuhl, und bemerkte erst nach einiger Zeit, daß sie mit weniger Offenheit als sonst, mit einiger Verlegenheit mit mir redte. Das fiel mir auf. Ist sie auch wie all das Volk, dacht ich, hohl sie der Teufel! und war angestochen und wollte gehn, und doch blieb ich, weil ich intriguirt war, das Ding näher zu beleuchten. Ueber dem füllt sich die Gesellschaft. Der Baron F.. mit der ganzen Garderobe von den Krönungszeiten Franz des ersten her, der Hofrath R.. hier aber in qualitate Herr von R.. genannt mit seiner tauben Frau &c. den übel fournirten J. nicht zu vergessen, bey dessen Kleidung, Reste des altfränkischen mit dem neu'st aufgebrachten kontrastiren &c. das kommt all und ich rede mit einigen meiner Bekanntschaft, die alle sehr lakonisch sind, ich dachte – und gab nur auf meine B.. acht. Ich merkte nicht, daß die Weiber am Ende des Saals sich in die Ohren pisperten, daß es auf die Männer zirkulirte, daß Frau von S.. mit dem Grafen redte (das alles hat mir Fräulein B.. nachher erzählt:) biß end[132]lich der Graf auf mich losgieng und mich in ein Fenster nahm. Sie wissen sagt er, unsere wunderbaren Verhältnisse, die Gesellschaft ist unzufrieden, merk ich, sie hier zu sehn, ich wollte nicht um alles – Ihro Excellenz, fiel ich ein, ich bitte tausendmal um Verzeihung, ich hätte eher dran denken sollen, und ich weis, Sie verzeihen mir diese Inkonsequenz, ich wollte schon vorhin mich empfehlen, ein böser Genius hat mich zurük gehalten, sezte ich lächelnd hinzu, indem ich mich neigte. Der Graf drükte meine Hände mit einer Empfindung, die alles sagte. Ich machte der vornehmen Gesellschaft mein Compliment, gieng und sezte mich in ein Cabriolet und fuhr nach M.. dort vom Hügel die Sonne untergehen zu sehen, und dabey in meinem Homer den herrlichen Gesang zu lesen, wie Ulyß von dem treflichen Schweinhirten bewirthet wird. Das war all gut.Des Abends komm ich zurük zu Tische. Es waren noch wenige in der Gaststube, die würfelten auf einer Ekke, hatten das Tischtuch zurük geschlagen. Da kommt der ehrliche A.. hinein, legt seinen Hut nieder, indem er mich ansieht, tritt zu mir [133] und sagt leise: Du hast Verdruß gehabt? – Ich? sagt ich – der Graf hat dich aus der Gesellschaft gewiesen – Hol sie der Teufel, sagt ich, mir war's lieb, daß ich in die freye Luft kam – Gut, sagt er, daß du's auf die leichte Achsel nimmst. Nur verdrießt mich's. Es ist schon überall herum. Da fieng mir das Ding erst an zu wurmen. Alle die zu Tische kamen und mich ansahen, dacht ich die sehen dich darum an! Das fieng an mir böses Blut zu sezzen.Und da man nun heute gar wo ich hintrete mich bedauert, da ich höre, daß meine Neider nun triumphiren und sagen: Da sähe man's, wo's mit den Uebermüthigen hinausgieng, die sich ihres bißgen Kopfs überhüben und glaubten, sich darum über alle Verhältnisse hinaussezzen zu dürfen, und was des Hundegeschwäzzes mehr ist. Da möchte man sich ein Messer in's Herz bohren. Denn man rede von Selbständigkeit was man will, den will ich sehn der dulden kann, daß Schurken über ihn reden, wenn sie eine Prise über ihn haben. Wenn ihr Geschwätz leer ist, ach! da kann man sie leicht lassen. |