Martin Opitz
1597 - 1639
Buch von der Deutschen Poeterey
1624
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Das V. Capitel.Von der zuegehör der Deutschen Poesie/vnd erstlich von der invention oder erfindung/vnd Disposition oder abtheilung der dingevon denen wir schreiben wollen.
WEil die Poesie/ wie auch die Rednerkunst/ in dinge vnd worte abgetheilet wird; als wollen wir erstlich von erfindung vnd eintheilung der dinge/ nachmals von der zuebereitung vnd ziehr der worte/ vnnd endtlich vom maße der sylben/ Verse/ reimen/ vnnd vnterschiedener art der carminum vnd getichte reden.Die erfindung der dinge ist nichts anders als eine sinnreiche faßung aller sachen die wir vns einbilden können/ der Himlischen vnd jrrdischen/ die Leben haben vnd nicht haben/ welche ein Poete jhm zue beschreiben vnd herfür zue bringen vornimpt: darvon in seiner Jdea Scaliger außfürlich berichtet. An dieser erfindung henget stracks die abtheilung/ welche bestehet in einer füglichen vnd artigen ordnung der erfundenen sachen. Hier mußen wir vns besinnen/ in was für einem genere carminis vnd art der getichte (weil ein jegliches seine besondere zuegehör hat) wir zue schreiben willens sein.Ein Heroisch getichte (das gemeiniglich weitleufftig ist/ vnd von hohem wesen redet) soll man stracks von seinem innhalte vnd der Proposition anheben; wie Virgilius in den büchern vom Ackerbawe thut:
Quid faciat laetas segetes, quo sidere terramVertere, Maecenas, vlmisque adiungere vitesConueniat; quae cura boum, qui cultus habendoSit pecori, atque apibus quanta experientia parcis,Hinc canere incipiam.
Vnd ich (wiewol ich mich schäme/ das ich in mangel anderer [C4b] deutschen exempel mich meiner eigenen gebrauchen soll/ weil mir meine wenigkeit vnd vnvermögen wol bewust ist) in dem ersten buche der noch vnaußgemachten Trostgetichte in Wiederwertigkeit des Krieges:
Des schweren Krieges last den Deutschland jetzt empfindet/Vnd das Gott nicht vmbsonst so hefftig angezündetDen eifer seiner macht/ auch wo in solcher peinTrost her zue holen ist/ soll mein getichte sein.
Nachmals haben die heiden jhre Götter angeruffen/ das sie jhnen zue vollbringung des werckes beystehen wollen: denen wir Christen nicht allein folgen/ sondern auch an frömigkeit billich sollen vberlegen sein. Virgilius spricht weiter an gedachten orte:
Vos, o clarißima mundiLumina, labentem coelo quae ducitis annum,Liber, & alma Ceres, &c.
Vnd ich:
Diß hab ich mir anjetzt zue schreiben fürgenommen.Jch bitte wollest mir geneigt zue hülffe kommenDu höchster trost der welt/ du zueversicht in not/Du Geist von GOtt gesandt/ ia selber wahrer GOtt.
Gieb meiner Zungen doch mit deiner glut zue brennen/Regiere meine faust/ vnd laß mich glücklich rennenDurch diese wüste bahn/ durch dieses newe feldt/Darauff noch keiner hat für mir den fuß gestelt.
Wiewol etliche auch stracks zue erste die anruffung setzen. Als Lucretius: [D1a]
Aeneadum genetrix, hominum diuumque voluptas,Alma Venus, &c.
Vnd Wilhelm von Sallust in seiner andern woche:
Grand Dieu, qui de ce Tout m'as fait voir la naissance,Descouure son berceau, monstre-moy son enfance.Pourmeine mon esprit par les fleuris destoursDes vergers doux-flairans, où serpentoit le coursDe quatre viues eaux: conte-moy quelle offenceBannit des deux Edens Adam, & sa semence.
Gott/ der du mich der welt geburt hast sehen lassen/Laß mich nun jhre wieg vnd kindheit jetzt auch fassen/Vnd meinen Geist vnd sinn sich in dem kreiß' ergehnDer gärte vol geruchs/ hier wo vier flüsse schön'Hinrauschen mitten durch: erzehl vmb was für sachenSich Adam vnd sein sam'auß Eden muste machen.
Doch ist/ wie hier zue sehen/ in der anruffung allzeit die proposition zuegleich begrieffen. Auff dieses folget gemeiniglich die dedication; wie Virgilius seine Georgica dem Keiser Augustus zuegeschrieben. Jtem die vrsache/ warumb man eben dieses werck vor sich genommen: wie im dritten buche vom Ackerbawe zue sehen:
Cetera, quae vacuas tenuissent carmina mentes,Omnia jam vulgata; vnd wie folget.
Dem ich in den Trostgetichten auch habe nachkommen wollen:
Das ander ist bekandt. wer hat doch nicht geschrieben [D1b]Von Venus eitelkeit/ vnd von dem schnöden lieben/Der blinden jugendt lust? wer hat noch nie gehörtWie der Poeten volck die grossen Herren ehrt/Erhebt sie an die lufft/ vnd weiß herauß zue streiche{n}Was besser schweigens werth/ lest seine Feder reiche{n}Wo Menschen tapfferkeit noch niemals hin gelangt/Macht also das die welt mit blossen lügen prangt?Wer hat zue vor auch nicht von riesen hören sagen/Die Waldt vnd Berg zuegleich auff einen orth getragen/Zue stürtzen Jupitern mit aller seiner macht/Vnnd was des wesens mehr? nun ich bin auch bedachtZue sehen ob ich mich kan auß dem staube schwinge{n}/Vnd von der dicken schar des armen volckes dringenSo an der erden klebt. ich bin begierde vollZue schreiben wie man sich im creutz' auch frewen soll/Sein Meister seiner selbst. ich wil die neun Göttinnen/Die nie auff vnser deutsch noch haben reden könne{n}/Sampt jhrem Helicon mit dieser meiner handtVersetzen allhieher in vnser Vaterlandt.Vieleichte werden noch die bahn so ich gebrochen/Geschicktere dann ich nach mir zue bessern suchen/ [D2a]Wann dieser harte krieg wird werden hingelegt/Vnd die gewündschte rhue zue Land vnd Meer gehegt.
Das getichte vnd die erzehlung selber belangend/ nimpt sie es nicht so genawe wie die Historien/ die sich an die zeit vnd alle vmbstende nothwendig binden mußen/ vnnd wiederholet auch nicht/ wie Horatius erwehnet/ den Troianischen krieg von der Helenen vnd jhrer brüder geburt an: lest viel außen was sich nicht hin schicken wil/ vnd setzet viel das zwar hingehöret/ aber newe vnd vnverhoffet ist/ vntermenget allerley fabeln/ historien/ Kriegeskünste/ schlachten/ rahtschläge/ sturm/ wetter/ vnd was sonsten zue erweckung der verwunderung in den gemütern von nöthen ist; alles mit solcher ordnung/ als wann sich eines auff das andere selber allso gebe/ vnnd vngesucht in das buch keme. Gleichwol aber soll man sich in dieser freyheit zue tichten vorsehen/ das man nicht der zeiten vergeße/ vnd in jhrer warheit irre. Wiewol es Virgilius/ da er vorgegeben/ Eneas vnd Dido hetten zue einer zeit gelebet/ da doch Dido hundert jahr zuevor gewesen/ dem Keyser vnd Römischen volcke/ durch welches die stadt Carthago bezwungen worden/ zue liebe gethan/ damitt er gleichsam von den bösen flüchen der Dido einen anfang der feindschafft zwischen diesen zweyen mächtigen völckern machte. Ob aber bey vns Deutschen so bald jemand kommen möchte/ der sich eines volkommenen Heroischen werckes vnterstehen werde/ stehe ich sehr im zweifel/ vnnd bin nur der gedancken/ es sey leichtlicher zue wündschen als zue hoffen.Die Tragedie ist an der maiestet dem Heroischen getichte gemeße/ ohne das sie selten leidet/ das man geringen standes personen vnd schlechte sachen einführe: weil sie nur von Königlichem willen/ Todtschlägen/ verzweiffelungen/ Kinder- vnd Vätermörden/ brande/ blutschanden/ kriege vnd auffruhr/ klagen/ [D2b] heulen/ seuffzen vnd dergleichen handelt. Von derer zugehör schreibet vornemlich Aristoteles/ vnd etwas weitleufftiger Daniel Heinsius; die man lesen kan.Die Comedie bestehet in schlechtem wesen vnnd personen: redet von hochzeiten/ gastgeboten/ spielen/ betrug vnd schalckheit der knechte/ ruhmrätigen Landtsknechten/ buhlersachen/ leichtfertigkeit der jugend/ geitze des alters/ kupplerey vnd solchen sachen/ die täglich vnter gemeinen Leuten vorlauffen. Haben derowegen die/ welche heutiges tages Comedien geschrieben/ weit geirret/ die Keyser vnd Potentaten eingeführet weil solches den regeln der Comedien schnurstracks zuewieder laufft.Zue einer Satyra gehören zwey dinge: die lehre von gueten sitten vnd ehrbaren wandel/ vnd höffliche reden vnd schertzworte. Jhr vornemstes aber vnd gleichsam als die seele ist/ die harte verweisung der laster vnd anmahnung zue der tugend: welches zue vollbringen sie mit allerley stachligen vnd spitzfindigen reden/ wie mit scharffen pfeilen/ vmb sich scheußt. Vnd haben alle Satyrische scribenten zum gebrauche/ das sie vngeschewet sich vor feinde aller laster angeben/ vnd jhrer besten freunde ja jhrer selbst auch nicht verschonen/ damit sie nur andere bestechen mögen: wie es denn alle drey Horatius/ Juuenalis vnnd Persius meisterlich an den tag gegeben.Das Epigramma setze ich darumb zue der Satyra/ weil die Satyra ein lang Epigramma/ vnd das Epigramma eine kurtze Satyra ist: denn die kürtze ist seine eigenschafft/ vnd die spitzfindigkeit gleichsam seine seele vnd gestallt; die sonderlich an dem ende erscheinet/ das allezeit anders als wir verhoffet hetten gefallen soll: in welchem auch die spitzfindigkeit vornemlich bestehet. Wiewol aber das Epigramma aller sachen vnnd wörter fähig ist/ soll es doch lieber in Venerischem wesen/ vberschrifften der begräbniße vnd gebäwe/ Lobe vornemer Männer vnd Frawen/ kurtzweiligen schertzreden vnnd anderem/ es sey was [D3a] es wolle/ bestehen/ als in spöttlicher hönerey vnd auffruck anderer leute laster vnd gebrechen. Denn es ist eine anzeigung eines vnverschämten sicheren gemütes/ einen jetwedern/ wie vnvernünfftige thiere thun/ ohne vnterscheidt anlauffen.Die Eclogen oder Hirtenlieder reden von schaffen/ geißen/ seewerck/ erndten/ erdgewächsen/ fischereyen vnnd anderem feldwesen; vnd pflegen alles worvon sie reden/ als von Liebe/ heyrathen/ absterben/ buhlschafften/ festtagen vnnd sonsten auff jhre bäwrische vnd einfältige art vor zue bringen.Jn den Elegien hatt man erstlich nur trawrige sachen/ nachmals auch buhlergeschäffte/ klagen der verliebten/ wündschung des todes/ brieffe/ verlangen nach den abwesenden/ erzehlung seines eigenen Lebens vnnd dergleichen geschrieben; wie dann die meister derselben/ Ouidius/ Propertius/ Tibullus/ Sannazar/ Secundus/ Lotichius vnd andere außweisen.Das ich der Echo oder des Wiederruffes zue ende der wörter gedencke/ thue ich erstlich dem Dousa zue ehren/ welcher mit etlichen solchen getichten gemacht hat/ das wir etwas darvon halten; wiewol das so Secundus geschrieben (wie alle andere seine sachen) auch sehr artlich ist: darnach aber/ weil ich sehe/ das sie bey den Frantzosen gleichfalls im gebrauche sein; bey denen man sich ersehen kan. So sind jhrer auch zwey in meinen deutschen Poematis/ die vnlengst zue Straßburg auß gegangen/ zue finden. Welchen buches halben/ das zum theil vor etlichen jahren von mir selber'/ zum theil in meinem abwesen von andern vngeordnet vnd vnvbersehen zuesammen gelesen ist worden/ ich alle die bitte denen es zue gesichte kommen ist/ sie wollen die vielfältigen mängel vnd irrungen so darinnen sich befinden/ beydes meiner jugend/ (angesehen das viel darunter ist/ welches ich/ da ich noch fast ein knabe gewesen/ geschrieben habe) vnnd dann denen zuerechnen/ die auß keiner bösen meinung meinen gueten namen dadurch zue erweitern bedacht gewesen [D3b] sein. Jch verheiße hiermitt/ ehestes alle das jenige/ was ich von dergleichen sachen bey handen habe/ in gewiße bücher ab zue theilen/ vnd zue rettung meines gerüchtes/ welches wegen voriger vbereileten edition sich mercklich verletzt befindet/ durch offentlichen druck jederman gemeine zue machen.Hymni oder Lobgesänge waren vorzeiten/ die sie jhren Göttern vor dem altare zue singen pflagen/ vnd wir vnserem GOtt singen sollen. Dergleichen ist der lobgesang den Heinsius vnserem erlöser/ vnd der den ich auff die Christnacht geschrieben habe. Wiewol sie auch zuezeiten was anders loben; wie bey dem Ronsard ist der Hymnus der Gerechtigkeit/ Der Geister/ des Himmels/ der Sternen/ der Philosophie/ der vier Jahreszeiten/ des Goldes/ &c.Sylven oder wälder sind nicht allein nur solche carmina/ die auß geschwinder anregung vnnd hitze ohne arbeit von der hand weg gemacht werden/ von denen Quintilianus im dritten Capitel des zehenden buches saget: Diuersum est huic eorum vitium, qui primùm discurrere per materiam stylo quàm velocissimo volunt, & sequentes calorem atque impetum ex tempore scribunt: Hoc syluam vocant; vnd wie an den schönen syluis die Statius geschrieben zue sehen ist/ welche er in der Epistel für dem ersten buche nennet libellos qui subito calore & quadam festinandi voluptate ipsi fluxerant: sondern/ wie jhr name selber anzeiget/ der vom gleichniß eines Waldes/ in dem vieler art vnd sorten Bäwme zue finden sindt/ genommen ist/ sie begreiffen auch allerley geistliche vnnd weltliche getichte/ als da sind Hochzeit- vnd Geburtlieder/ Glückwündtschungen nach außgestandener kranckheit/ item auff reisen/ oder auff die zuerückkunfft von denselben/ vnd dergleichen.Die Lyrica oder getichte die man zur Music sonderlich gebrauchen kan/ erfodern zueföderst ein freyes lustiges gemüte/ vnd wollen mit schönen sprüchen vnnd lehren häuffig geziehret [D4a] sein: wieder der andern Carminum gebrauch/ da man sonderliche masse wegen der sententze halten muß; damit nicht der gantze Cörper vnserer rede nur lauter augen zue haben scheine/ weil er auch der andern glieder nicht entberen kan. Jhren inhalt betreffendt/ saget Horatius:
Musa dedit fidibus diuos, puerosque deorum,Et pugilem victorem, & equum certamine, primum,Et iuuenum curas, & libera vina referre.
Er wil so viel zue verstehen geben/ das sie alles was in ein kurtz getichte kan gebracht werden beschreiben können; buhlerey/ täntze/ banckete/ schöne Menscher/ Gärte/ Weinberge/ lob der mässigkeit/ nichtigkeit des todes/ &c. Sonderlich aber vermahnung zue der fröligkeit: welchen inhalts ich meiner Oden eine/ zue beschliessung dieses Capitels/ setzen wil:
Ode.Jch empfinde fast ein grawenDas ich/ Plato/ für vnd fürBin gesessen vber dir;Es ist zeit hienauß zue schawen/Vnd sich bey den frischen quellenJn dem grünen zue ergehn/Wo die schönen Blumen stehn/Vnd die Fischer netze stellen.Worzue dienet das studieren/Als zue lauter vngemach?Vnter dessen laufft die BachVnsers lebens das wir führen/Ehe wir es innen werden/ [D4b]Auff jhr letztes ende hin;Dann kömpt (ohne geist vnd sinn)Dieses alles in die erden.Hola/ Junger/ geh' vnd frageWo der beste trunck mag sein;Nim den Krug/ vnd fülle Wein.Alles trawren leidt vnd klage/Wie wir Menschen täglich habenEh' vns Clotho fortgerafftWil ich in den süssen safftDen die traube giebt vergraben.Kauffe gleichfals auch melonen/Vnd vergiß des Zuckers nicht;Schawe nur das nichts gebricht.Jener mag der heller schonen/Der bey seinem Gold vnd SchätzenTolle sich zue krencken pflegtVnd nicht satt zue bette legt;Jch wil weil ich kan mich letzen.Bitte meine guete BrüderAuff die music vnd ein glaßNichts schickt/ dünckt mich/ nicht sich baßAls guet tranck vnd guete Lieder.Laß ich gleich nicht viel zue erben/Ey so hab' ich edlen Wein;Wil mit andern lustig sein/Muß ich gleich alleine sterben. [E1a] |