BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Martin Opitz

1597 - 1639

 

Buch von der Deutschen Poeterey

 

1624

 

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Das IIII. Capitel.

Von der Deutschen Poeterey.

 

VOn dieser Deutschen Poeterey nun zue reden/ sollen wir nicht vermeinen/ das vnser Land vnter so einer rawen vnd vngeschlachten Lufft liege/ das es nicht eben der gleichen zue der Poesie tüchtige ingenia könne tragen/ als jergendt ein anderer ort vnter der Sonnen. Wein vnnd früchte pfleget man zue Loben von dem orte da sie herkommen sein; nicht die gemüter der menschen. Der weise Anacharsis ist in den Scitischen wüsten gebohren worden. Die Vornemsten Griechen sind in Egypten/ Jndien vnd Franckreich gereiset/ die weißheit zue erlernen. Vnd/ vber diß das wir so viel Vorneme Poeten/ so heutiges tages bey vns erzogen worden/ vnter augen können stellen/ erwehnet Tacitus von den Deutschen in dem buche das er von jhnen geschrieben/ das ob wol weder Mann noch Weib vnter jhnen zue seiner zeit den freyen künsten ob zue liegen pflegeten/ faßeten sie doch alles was sie im [C2b] gedächtniß behalten wolten in gewisse reimen vnd getichte. Wie er denn in einem andern orte saget/ das sie viel von des Arminius seinen thaten zue singen pflegeten. Welches sie vieleichte den Frantzosen nachgethan haben/ bey denen/ wie Strabo im fünfften buche anzeiget/ Dreyerley Leute waren/ die man in sonderlichen ehren hielt: Bardi, Vates vnnd Druiden. Die Barden sungen Lobgetichte vnnd waren Poeten; Die Vates opfferten vnd betrachteten die Natur aller dinge; Die Druiden pflegten vber die Natürliche Wissenschafft auch von gueten sitten zue vnterrichten. Welches auch Marcellinus im fünfften buche bekrefftiget: Die Barden/ saget er/ haben berümbter männer ritterliche thaten mit heroischen Versen beschrieben/ vnd mit füßen melodien zue der leyer gesungen. Vnd Lucanus im ersten buche des bürgerlichen Krieges:

 

Vos quoque qui fortes animas belloque peremptas

Laudibus in longum vates demittitis aeuum,

Plurima securi fudistis carmina Bardi.

 

Das ich der meinung bin/ die Deutschen haben eben dieses im gebrauche gehabt/ bestetiget mich/ vber das was Tacitus meldet/ auch der alten Cimbrer oder Dänen ebenmäßiger gebrauch/ die von jhren Helden schöne vnd geistreiche Lieder ertichtet haben/ deren nicht wenig von alten jahren her in Dennemarck noch verhanden sind/ vnd von vielen gesungen werden. So ist auch Hiarnes bey jhnen einig vnnd alleine deßentwegen zum Königreiche kommen/ weil er dem vorigen Könige zue ehren ein solch grabgetichte gemacht/ das vor allen andern den preiß behalten. [C3a]

Vnd vber diß/ sind doch eines vngenannten Freyherrens von Wengen/ Juncker Winßbeckens/ Reinmars von Zweter/ der ein Pfältzischer vom Adel vnd bey Keyser Friedrichen dem ersten vnd Heinrichen dem sechsten auffgewartet hatt/ Marners auch eines Edelmannes/ Meister Sigeherrens/ vnd anderer sachen noch verhanden/ die manchen stattlichen Lateinischen Poeten an erfindung vnd ziehr der reden beschämen. Jch wil nur auß dem Walter von der Vogelweide/ Keyser Philipses geheimen rahte/ den Goldast anzeucht/ einen einigen ort setzen; darauß leichtlich wird zue sehen sein/ wie hoch sich selbige vorneme Männer/ vngeachtet jhrer adelichen ankunfft vnd standes/ der Poeterey angemaßet:

 

Nun sende vns Vater vnd Suhn den rechten Geist heraben/

Das wir mit deiner süssen füchte ein dürres hertze erlaben.

Vnkristenlichen dingen ist al al dui kristenheit so vol/

Swa kristentum ze siechhus lit da tut man jhm nicht wol.

Jhn dürstet sehre

Nach der lehre

Als er von Rome was gewon/

Der jhn da schancte

Vnd jhn da trancte

Als é da wurde er varende von.

Swas im da leides je gewar

Das kam von Symonis gar.

Vnd ist er da so fründebar

Das er engetar [C3b]

Nicht sin schaden genügen.

Kristentum vnd Kristenheit

Der disü zwei zusamne s{u}eit

Gelih lanc/ gelih breit/

Lieb vnd leit

Der wolte auch das wir trügen

Jn kriste Kristenliches leben

Sit er vns vf eine gegeben

So suln wir vns nicht scheiden/ &c.

 

Das nun von langer zeit her dergleichen zue vben in vergessen gestellt ist worden/ ist leichtlicher zue beklagen/ als die vrsache hiervon zue geben. Wiewol auch bey den Jtalienern erst Petrarcha die Poeterey in seiner Muttersprache getrieben hat/ vnnd nicht sehr vnlengst Ronsardus; von deme gesaget wird/ das er/ damit er sein Frantzösisches desto besser außwürgen köndte/ mit der Griechen schrifften gantzer zwölff jahr sich vberworffen hate; als von welchen die Poeterey jhre meiste Kunst/ art vnd liebligkeit bekommen. Vnd muß ich nur bey hiesiger gelegenheit ohne schew dieses errinnern/ das ich es für eine verlorene arbeit halte/ un fall sich jemand an vnsere deutsche Poeterey machen wolte/ der/ nebenst dem das er ein Poete von natur sein muß/ in den griechischen vnd Lateinischen büchern nicht wol durchtrieben ist/ vnd von jhnen den rechten grieff erlernet hat; das auch alle die lehren/ welche sonsten zue der Poesie erfodert werden/ vnd ich jetzund kürtzlich berühren wil/ bey jhm nichts verfangen können.