BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Paul Gerhardt

1607 - 1676

 

Sogenanntes «Testament»

Paul Gerhardts

für seinen Sohn

 

Frühjahr 1676

 

Text:

Das deutsche evangelische Kirchenlied

des 17. Jahrhunderts, 6 Bände

Hrsg.: A. Fischer/W. Tümpel,

Gütersloh 1904-1916/Hildesheim 1964

 

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Nachdem ich nunmehr das 70. Jahr meines Alters erreichet, auch dabey die fröhliche Hoffnung habe, daß mein lieber frommer Gott mich in kurzem aus dieser Welt erlösen und in ein besseres Leben führen werde, als ich bisher auf Erden gehabt habe, so danke ich ihm zuvörderst für alle seine Güte und Treue, die er mir von meiner Mutter Leib an bis auf jetzige Stunde an Leib und Seele und an allem, was er mir gegeben, erwiesen hat.

Daneben bitte ich ihn von Grund meines Hertzens, er wolle mir, wenn mein Stündlein kommt, eine fröhliche Abfahrt verleihen, meine Seele in seine väterlichen Hände nehmen und dem Leibe eine sanfte Ruhe in der Erde bis zu dem lieben jüngsten Tage bescheren, da ich mit allen Meinigen, die vor mir gewesen und auch künftig nach mir bleiben möchten, wieder erwachen und meinen lieben Herrn Jesum Christum, an welchen ich bisher gegläubet und ihn doch nie gesehen habe, von Angesicht zu Angesicht schauen werde.

Meinem ein[z]igen hinterlassenen Sohn überlasse ich von irdischen Gütern wenig, dabei aber einen ehrlichen Namen, dessen er sich sonderlich nicht wird zu schämen haben. Es weiß mein Sohn, daß ich ihn von seiner zarten Kindheit an dem Herrn meinem Gott zu eigen gegeben, daß er ein Diener und Prediger seines heiligen Wortes werden soll. Dabey soll er nun bleiben und sich daran nicht kehren, daß er nur wenige gute Tage dabey haben möchte, denn da weiß der liebe Gott schon Rath zu und kann das äußerliche Trübsal mit innerlicher Herzens-Lust und Freudigkeit des Geistes genugsam ersetzen.

Die heilige Theologiam studire in reinen Schulen und auf unverfälschten Universitäten und hüte dich ja vor Syncretisten, denn die suchen das Zeitliche und sind weder Gott noch Menschen treu. In deinem gemeinen Leben folge nicht böser Gesellschaft, sondern dem Willen und Befehl deines Gottes. Insonderheit 1. thue nichts Böses in der Hoffnung, es werde heimlich bleiben, denn es wird nichts so klein gesponnen, es kommt an die Sonnen. 2. Außer deinem Amte und Berufe erzürne dich nicht. Merkst du denn, daß der Zorn dich erhitzet habe, so schweige stockstill und rede nicht eher ein Wort, bis du erstlich die zehn Gebote und den christlichen Glauben bei dir ausgebetet hast. 3. Der fleischlichen Lüste schäme dich, und wenn du dermaleinst zu solchen Jahren kommst, daß du heirathen kannst, so heirathe mit Gott und gutem Rath frommer, getreuer und verständiger Leute. 4. Thue Leuten Gutes, ob sie dir es gleich nicht zu vergelten haben, denn was Menschen nicht vergelten können, das hat der Schöpfer Himmels und der Erden längst vergolten, da er dich erschaffen hat, da er dir seinen lieben Sohn geschenket hat und da er dich in der heiligen Taufe zu seinem Kinde und Erben auf- und angenommen hat. 5. Den Geiz fleuch als die Hölle, laß dir genügen an dem, was du mit Ehren und gutem Gewissen erworben hast, ob es gleich nicht allzuviel ist. Bescheret dir aber der liebe Gott ein Mehres, so bitte ihn, daß er dich vor dem leidigen Mißbrauche des zeitlichen Gutes bewahren wolle.

Summa: bete fleißig, studire was Ehrliches, lebe friedlich, diene redlich und bleibe in deinem Glauben und Bekennen beständig, so wirst du einmal auch sterben und von dieser Welt scheiden willig, fröhlich und seeliglich. Amen.