BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clara Hätzlerin

um 1430 - 1476/77

 

 

Das Liederbuch

 

Bl. 211v - 214v (I, 71)

 

Originalhandschrift 211v

 

____________________________________________________________

 

 

 

Von tisch zucht

 

Seyd vns got gesamet hatt,

So merck ain mensch frů vnd spatt

Vnd hör ler von der tisch zucht,

Wann speis ist ye ain edel frucht,

5

Sy wirt pillich geeret

Vnd mit züchten verzeret.

Damit heb wir das an:

Es sey fraw oder man,

Wer nit wölt sitzen schamrott,

10

Der schaff vor, was Im sey not.

Beschneiden die Negel schon,

Dannocht solt nit ze tisch gavn,

Die hennd solt du zwahen Ee.

Sprich dann das Benedicite,

15

Oder das pater noster schlecht;

Das ist gůt vnd gerecht.

Vor erbern zwach dich nicht.

Ist dann, das es also geschicht,

Das du nit zwäheln hast ze hannd,

20

So wüsch sy nit an dein gewandt,,

Du solt sy selber trucknen lavn.

Bitt dann, als ich geweiset havn,

Das dich got wöll behütten

Vor vnraine durch sein güte.

25

Nyemant sol ze tisch sitzen,

Es haisz dann der wirt mit witzen.

Der wirt sol setzen sein Gest,

Nyemant waiß, wer da ist der pest.

Wann man nach zucht wolt leben,

30

Frumen, erbern solt man geben

Den vorgang vnd oben haben.

So ist man ietz überladen

Mit den, die leben nach der welt,

Die da haben gůt vnd gellt,

35

Sy sein verlaymbt, oder nicht.

Wirt, sich selbs in die geschicht,

Ob übermůt dauon geschäch,

Das man dir nit vngelimpffs iäch.

Ain wirt sol auch versorget sein

40

Mit tranck, pier, wasser vnd wein.

Was den gesten gefall wol,

Das selb man resch haben sol.

Vff den tisch setz auch nit

Einschenck geschyrre, das ist sitt.

45

Die trinckuas füllen da stavn,

Vnd sol man eingeschencket havn,

So man die ersten richt her nymbt,

Wann es der zucht auch wol zymbt,

Das man nit trinck vor der speis.

50

Der ist auch nit vnweis,

Wer des protz ysset nicht,

Bis er die ersten richt an sicht.

Es ist auch ain rechte zucht,

Das man nicht eß nach der flucht

55

Ze baiden packen, das stavtt wol.

Vff den haubt man nichtz haben sol;

Halt dein haubt stätt mit gesicht,

Den ruggen wol vffricht.

Du solt dich ye nit schmyegen

60

Vnd vast hin vnd her piegen.

Hütt dich zu aller stund,

Leg baidenthalb nit in den mund,

Als ich vor auch berüret havn.

Noch ains will ich dich wissen lavn,

65

Das ist ain grosse grophait,

Vnd dunckt sich maniges des gemaitt,

Das es nit essen darr nach not

Züchticlich, das ist ain spott.

Wilt du ze hof prott schneiden,

70

So solt du ye vermeiden,

Nit setz das an deine prust,

Nach der krancken weib gelust,

Die darzů zwinget not;

Es wär ain michel spot.

75

Peyß auch ab chainen schnitt,

Da du essen wöllest mit.

Nym destmynder in die hannd,

So vmbgast du wol die schand.

Ain man vor den gesellen sein

80

Nit eß, das ist di lere mein.

Man sol sich darnach wenden,

Das man eß mit baiden hennden.

Sitzt dir ains zu der rechten,

So bis an die clughait gemant,

85

Mit der glinggen yß, das ist clůg,

Oder sunst, als es hab fůg.

Wirt dir das trinckuas kunt,

So wüsch vor deinen mundt.

Du solt den mund ze massen

90

In das trinckuas lassen.

Wann dein gesell dann trincken sol,

So bis vngessen, das stat wol.

Wer sich über die schüsseln habt

Vnd gar unsäuberlichen schnabt,

95

Mit dem mund, als ain schwein,

Der sol by anderm vich sein.

Wer schnaufet wie ein dachs,

Vnd trincket, als er sey ains pachs,

Vnd redet, so er essen sol,

100

Die ding zymen ye nit wol.

Wer in das tischtůch schneytzet sich,

Das stätt nit wol, fürwavr ich sprich.

Ob dir ze schneiden not beschicht,

Leg vinger vff das messer nicht,

105

Laß sy daneben abgavn.

Ob du schnitlach wöllest havn,

So bis clůg vnd weis,

Nit rer über die speis,

Die in der schüssel vor dir statt,

110

Es wär ain grobe mißtatt.

Leg die schnitlein nach geschicht

Neben das teller mit beficht.

Du solt der ze vil nit schneiden

Der prosem gesträtt nit leiden.

115

Der cost solt du auch plausen nicht,

Hebs übers teller mit sitt

Vnd laß sy kalten schon.

Wilt du dann saltz havn,

So nym das nit mit der hannd,

120

Bis an die zucht gemant,

Das du es mit dem Messer nemest

Vnd dein hennde darzu zämest,

Das sy nit vast vmb sich füren.

Vnd laß sy auch nit rüren

125

Dein antlütz oder dein gewandt,

Es wär dann mit der glinggen handt

Vnd doch mit dem myüsten vinger.

Der nächst dabey ist auch ringer

Zu der Ertzney, dann die andern.

130

Du solt von tisch nit wandern,

Es sey dann chafftige not,

Wann es wär ain michel spot.

Ob dem tisch solt du nit cläffig sein,

Wilt du volgen der lere mein.

135

Auch sag ich, das es übel statt,

Wer sein red gar versperret hat.

Red wavr vnd hoflich sach,

Das nit vnlust, noch vngemach

Yemantz dauon beschehen.

140

Du solt nit hin vnd her sehen

Ob dem tisch, das stat wol.

Auch ratt ich, das chaines sol

In ander schüssel sehen,

Der tost kain laster iehen.

145

Du solt der speis bereden nit,

Ob sy nit ist nach deinem sitt.

Wer oben an dem tisch sitzt,

Der pfleg wol der hofwitz,

Wann die wart gavt vff In dar,

150

Das man seiner zucht nymbt war.

Er sol die cost auch greiffen an,

Zum ersten, es wär dann getavn,

Das erber frawen sässen mit Im,

Oder ain man, dem es zym,

155

Die sol er lassen vahen an;

Das ist hübsch vnd wolgetavn.

Auch ainer destmyünder für sich nem,

Ob Im die speis wär widerzäm,

Das er nit möcht geessen wol.

160

Darumb sag ich fürwar er sol

Nitt vil vor Im lassen vinden,

Weder prosem, noch die rinden,

Noch chainer cost sunst vil.

Auch main ich vnd wil,

165

Das du nit in die schüsseln legst,

Was vor dir ist vnd du benegst,

Leg die cost vff dein teller

Vnd mach dem tischtůch nit wöler.

Schneid von der cost nach not,

170

Das du nit werdest ze spot,

Leg das ander hinwider

In die schüsseln nider.

Auch solt du sein gemant,

Zum můs trinck nit, das ist bechannt,

175

Vnd auch nach öpffeln, das stavtt wol,

Doch nach piren man trincken sol.

Du solt vnkewes schlinden nicht,

Vnd hab in dem mund essens nicht,

So du trinckest, das stavt wol.

180

Wann man teller vffheben sol,

So heb dein teller nit,

Bis die erbern nach sitt

Ire teller havnd erhebt

Vnd in die schüsseln gelegt,

185

So leg dann darzů das dein.

Pewt man dir dann den wein,

So tů dich darnach wennden,

Empfach In nit mit zwain hennden.

Doch solt du gemanet sein,

190

Ob tisch pewt nyemant den wein.

Wilt du den geben fürbas,

So solt du auch mercken das:

Pewt In mit der einen hannd,

Vnd bis auch daran gemant:

195

Sitzt man dir zu der rechten seit,

Die selben hannd du vermeid,

Pewt In mit der glinggen dar.

Auch mach ich dir offenbar:

Yß aller cost gemain,

200

Nit von ainer oder zwain.

Wilt du dann ayer essen,

So solt du mit nicht vergessen,

Schneid vor das prot mit sitten,

Ee das ay sey vffgeschnitten,

205

Rür es dann mit ainem prot,

Mit dem Messer prächt es spot.

Nach dem tisch so bis nit las,

Sprich got ze danck das gracias.

Mein schilt vnd helm hangt vnder sich,

210

Mein wavppenrock ist stavb vnd erdt!

Gelebt ich ye in deinem wertt,

Das hat sich nun vercheret gar!

O herr, nym meiner sel war,

Vnd auch dein keüsche můter zart!

215

Jung man, geporen von meiner art,

Laß dir ze sünden nit wesen gavch,

Ir müssent sicher all hernach.