BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clara Hätzlerin

um 1430 - 1476/77

 

 

Das Liederbuch

 

Bl. 319v-320r (I, 92)

 

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Der winter hat mit seiner kelt

Vns fräden vil zerstöret;

Alles das, was wol gestelt,

Das hat er vns erfröret.

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Die plümlen vnd den grönen clee,

Röslen, Veyol vnd die giligen,

Die machet val der kalte schnee,

Er will sy gantz vertiligen.

 

Er zwinget vns die vögelein,

10

Die in dem wald erclingen,

Das sy nit mügen fro gesein,

Man hört sy selten singen.

Wie wol der winter machet val

Die plümlin all gemaine

15

Vnd verstört der vogel schal,

Daruff acht ich gar claine!

 

Das ich mit der verainet wär,

Die ich in hertzen trage,

Der winter macht mir claine schwär!

20

Fürwavr ich eüch das sage.

Mein trauren, das solt vrlaub havn,

Mein fräd solt sich wol meren,

Wann die rain, die wolgetavn

Ir huld tet zu mir kern.

 

25

Mein sach, die wurd noch alle gůt,

Nem mich die rain ze synne,

Mein hertz müst tragen frischen můt

Vnd müst in fräden prynnen.

Yedoch hoff ich ze irer gütt,

30

Sy lasz mich huld erwerben,

Vnd tröst mir senenden mein gemüt

Vnd lasz mich nit verderben.

 

Des ich ir ymmer dancken sol

Fürwavr zu aller stunde,

35

Die schön, die zart die hilfft mir wol

Mit irem roten munde.

Doch hatt sy mir gegeben

Ain trost in sölicher masse:

Die weil sy hab das leben,

40

So wöll sy mich nit lassen!

 

Tůt sy das, so ist für wavr

Mein vnmůt gantz verschwunden

Vnd wurd zu disem newen Jar

Von laid gentzlich e‹m›punden.