BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich von Mügeln

um 1320 - nach 1371

 

 

Sangspruchdichtung

 

Die Göttinger Spruchsammlung

VI. Buch

 

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[Vorrede im Göttinger Cod. philos. 21:]

 

Hie will der meister setzen tzwey vnd sybentzig

lyder zu lobe vnser frauwen. Jn manchen

bluenden spruchen, In tzeichin das sy gelobet

sal werden in allen tzungen der erden, der tzwey

vnd sybentzig sind. Die selben lyder singen sich

auch in dem houedon, da sich die bibel Inne be-

griffen hat.

 

 

110 (1)

 

Was e die meister han

den sprüchen wat gesniten an,

die zeist ich wider unde span

daruß eins nuwes tichtes kleit.

 

des ich uf alde wat,

die nuw min sin geferbet hat,

ufsnide manche slimme nat

mit ungefruter erebeit.

 

wer hoffet, ticht der ersten kunst so eben

sich messen, ferben und so rich geweben,

als es spinn an dem reben

vernunst füntliches sinnes hant?

 

 

111 (2)

 

Des hoffet nicht min list.

ich ferbe, wo verblichen ist

geticht von grober sprüche mist,

und trib der sprüche süche dann.

 

die meister künste gra

nicht achten, ab rethorica

gel, grün rot ferbe ader bla.

des ich in mines tichtes plan

 

durch underscheit mit blünden sprüchen kreie

(als zu den esten blüte fitze meie),

die doch ich wüster leie

uf aldes tichtes anger fant.

 

 

112 (3)

 

Her Salomon der spricht,

es si nuw in der werlde nicht.

ein ieglich ding, das ist beticht

und flüßt uß alder künste bach.

 

des ticht ich sunder wan

recht sam ein gouwisch zimmerman,

der nuwes nicht erfinden kan,

uf aldes ticht ein nuwes dach

 

zu lobe dem, der alle ding gebouwet

hat und ouch den kein wisheit schouwet

und sam der ar genouwet

sich hat in enges herzen want.

 

 

113 (4)

 

O bilder der vernunst,

entwirf in mines herzen runst

der sprüche forme unde kunst,

und mich ein lob entwerfen ler

 

mit der genaden stift.

uß dir sich alle witze rifft.

des nennet dich die ware schrift

idea und die meister her.

 

was wesen hat, das ist entworfen funden

von der vernunst in dines spiegels runden:

der tumm, der arm, gebunden,

der fri, der ho, der sinnes rich.

 

 

114 (5)

 

Sint in dins herzen blat

den himel und der speren rat

und alles, das in wesen gat,

entwarf dins hoen sinnes list,

 

wie es sal ende han,

unwendelich, das understan

mag nieman sunder zwivels wan.

doch mich die hoffenunge frist:

 

din ware schrift, die riset noch erlischet,

sie nicht veralt und ouch sie nimmer frischet

sich: uf genade fischet

min bet in diner güte tich.

 

 

115 (6)

 

Bin ich entworfen nicht

in dinem spiegel zu geticht,

din barmung, her, das wol verslicht,

diner eren hochste malerin.

 

da in des fluches dorn

uns warf der grimme raches zorn,

mit einer meit sie wart geborn

und sach uß dines herzen zinn.

 

die laß uns schriben, malen, vater guter:

sie gibt der sel und sinn des lebens futer.

hilft nicht des heiles muter,

in ruße tumheit ich verblich.

 

 

116 (7)

 

Ach, töt der sünden phlanz,

die mir in mines herzen kranz

blüt stet dem heile min zu schranz!

so wold ich, meit, der wirde din

 

flechten uß sinnes fließ

ein lob mit blünder sprüche ris.

nu hat der argen sünden is

die flamm erfrört (die sinne min),

 

das sich nicht mag erquicken tichtes zunder.

des wecke, meit, der sprüche flamme munder.

der sünden wurze sunder

und rad uß mines herzen gruft.

 

 

117 (8)

 

Mins tichtes stam besnit,

den rifen grober sprüche wit

von im, der mir gewaldig lit

in herzen anger, warer mei.

 

saf und der witze tror

güß, maget, in mins sinnes ror

und slüß mir uf der künste tor,

das ich dir, künsteloser lei,

 

Maria, lob uß blünder zungen webe

und girdig in dins dienstes silen strebe.

uf tichtes mar ich swebe,

das mir indren der gnaden tuft.

 

 

118 (9)

 

Von Wirzburg Konrat baß

polieret hett dins lobes glas,

der aller blünder sprüche was

ein former und ein houbetsmit,

 

wann ich, getichtes twerg,

von Müglin Heinrich, solches werk

florieren mag. der künste berg

mir ist zu ho, ich stüre bit.

 

des reich genaden hant mir ungelerten,

laß mich zusamne kluben die verrerten

sprüche des hochgeerten

getichtes risen sunder guft.

 

 

119 (10)

 

E got der erden kreiß,

luft, engel, mer, die helle freis

mit sinem finger umbereiß,

umbformte aller himel ring,

 

in sines herzen want

din bilde er entworfen fant.

des er in  m i n n e n  füre brant

und sachte durch dich alle ding,

 

du heiles wurz und trostes schepherinne

sich unde blick uß der genaden zinne,

entzünde liecht der minne,

laß uns den vater schouwen an,

 

 

120 (11)

 

der sines spiegels wunn

warf, maget, in dins herzen brunn,

in dem uns sichtig wart die sunn,

die e der sünden wolken barg.

 

du bist die ware rut,

die Jesse durch sin herze wut

und trechtig wart von geistes brut,

der küscheit unvermeilter sarg;

 

du bist der busch, den Moises in flamme

sach unverschart, du ware gotes amme:

des fluches nacht verdamme

und trib der sünden nebel dann,

 

 

121 (12)

 

uß unsers herzen swell

des alden fluches rinde schel.

die phorte, die Ezechiel

versperret sach (iedoch der künig

 

gieng kreftig uß und in),

des magetums und der küsche schrin,

er ewig hieß versperret sin.

sus wart der alde grise nig

 

von einem wort und siner gotheit lempel

zu opher trug in dines herzen tempel.

der reinikeit exempel,

beschilt uns uf des todes ban.

 

 

122 (13)

 

Kein liecht die sterne han

recht sam der spiegel sunder wan.

ir liecht muß uß dem brunne gan

der sunnen, spricht der meister list.

 

sus diner küscheit blum

ein liecht gibt allem magetum:

als in dem spiegel liechtes rom

erschint, sus du inschinig bist.

 

gib liecht der selen oug und sinne sterne,

du urhab, wallnder glanz und liechtes kerne.

der hochsten salden erne

trag, freud, in trübes herzen ror.

 

 

123 (14)

 

Meit, hochster freuden zell,

du bist hern Gedeonis fel,

das tou des himels fuchte snel

und trucken ließ das ganze lant:

 

das zeichen frides was.

da sus wart diner brüste faß

von touw des hochsten geistes naß,

da wart des heiles liecht enbrant

 

dem menschen der da lag in todes rigel

versigelt mit der flammen ingesigel.

in unsers herzen tigel

güß trostes bach und frides tror.

 

 

124 (15)

 

Du blünder salden hag,

kein zung din lob berißen mag,

sint in dins herzen grüfte lag

der himel und der engel brot.

 

des du genennet bist

gelübdes ark. laß sünden mist,

der in uns grünet alle frist,

ußkeren diner güte phot.

 

du blündes ris Aronis und sin gerte,

dins zwiges frucht der helle siechen nerte,

und fluches tam verscherte

des lebenden heils durchgendes tor.

 

 

125 (16)

 

Uß Jacob brinnder stern,

der erge finster unde kern

uß herzen git: dins liechtes gern

die swebenden uf des jamers mer.

 

e die sirene arg

sie senken in des todes sarg,

in sende der genaden bark

und sie uß kummers banden scher.

 

du bist der hoffelosen marner eine,

die an des alden fluches agetsteine

haften; die hastu, reine,

gelöset von des felsen kraft.

 

 

126 (17)

 

Meit, des gelübdes gert,

in straßen zwelfe wart geschert

das mer von dir; du hast ernert

die diet von Pharaonis joch.

 

da din der quarz enphant

uß siner kel er flüte sant

dem volke, Israhel genant,

und leschten durstes flammen gach.

 

uß unsers herzen stein der buße flüte

trib, maget, mit der hochsten gnaden güte.

inphlanz der tugent blüte

dem herzen, das nach gnaden stafft.

 

 

127 (18)

 

Du bist die tavel her:

der gotheit finger ane ser

der zen gebot und rechtes ler

entwarf in diner brüste phad.

 

des rechtes widerpart

von in in Oreb wart verschart.

des sich din alder friedel zart

stalt jung in dines herzen blat.

 

hilf, das er uns in gruft der sele klimme

und felz in sie rechts und der tugent gimme.

du bist des louwen stimme,

die iren welfen leben schafft.

 

 

128 (19)

 

Du bist das milde blut

des pellicanus, das in flut

durch gotes brüste phorte wut

und leben gab den kücheln sin.

 

das mit der flamme spund

verspündet lag in jamers grund,

das nem du uß des todes slund

und güßt im nuwes leben in.

 

rinn, trostes bach, in unsers herzen falden,

e wir in sünden roste, damph veralden.

glut barmung laß nicht kalden,

sint wir dich eine rufen an.

 

 

129 (20)

 

Du brunn und heiles mar,

in dem des himels adelar

sich jungt und sin gefider gar

(und bleib doch in der ersten art),

 

uß diner wat er sneit

im wat und ließ doch sunder leit

die wat und diner küsche kleit,

wie er von dir gekleidet wart.

 

blick in den spiegel, maget, diner truwe

und kleid uns mit der tugent wete nuwe.

straß zu des himels buwe

an dich kein ouge finden kan.

 

 

130 (21)

 

Meit, blünder salden stam,

dem alden fenix wol anzam,

das er in diner küsche flamm

smelzte das hoe alder sin.

 

doch sunder mannes stür

entzündet wart des heiles für.

des nam sin edelie tür

sins knechtes forme sunder pin.

 

o reine meit, in unsers herzen tigel

drück unde smelz der tugende ingesigel,

e uns des fluches igel

für bündig in des todes schrann.

 

 

131 (22)

 

Unsers heils jegerin,

das eingehürne uß der zinn

des himels hat erjaget din minn,

und fienge es mit der küsche strick.

 

da solcher witze bach

floß uß dins reinen herzen dach,

da stunt der grimme helle trach

in ruwe und in todes rick.

 

des liebte dich din alder friedel schone

und gab durch minne brüte dir zu lone

von sternen zwelf ein krone,

uß der lücht aller tugende stein.

 

 

132 (23)

 

Grüne der jaspis ist,

das blut er stellt und gibet trist

vor trügen und vor leides mist.

die grüne anefang bedüt.

 

anfang geloube nam

und grünet uß dins herzen stamm.

des fluches fluß und leides scham

du hast verstellt und ußgerüt.

 

des stunt der jaspis vorn in der kron, grüne,

und gab dich gein des trachen drouwe küne,

der tugende gimme süne

dem vater din, du maget rein.

 

 

133 (24)

 

Der safir ist gefar

recht sam der luter himel klar,

der liechten glanz gibt sunder spar,

wann das in slet der sunnen glast.

 

ouch stürt er ougen swach.

da got in dines herzen bach

den safir diner küscheit sach,

da nam sins zornes ouge rast.

 

er wold in in den sims dins kranzes felzen

und glas der güt unbruchlich daruf smelzen.

durch dine minn verhelzen

er wolde fort der sinen kein.

 

 

134 (25)

 

Des calcidonis kraft

sin kleine stückel an sich rafft

und sie mit erster art besafft,

wie klein das sie gemüllet sin.

 

der ziende minne stein

ouch uß der krone sweife schein:

da sünden hant uns trette klein,

da zoch die ware minne din

 

an sich und gab uns kraft und die nature

der ersten art. wann unsers heiles mure

was von des fluches schure

zerfallen und zerzerret gar.

 

 

135 (26)

 

Über alles rises blat

der smaragt riche grüne hat.

er grünet luft, die umb in gat

und blumen, die verfalbet sint.

 

die gimme sunder schranz

erschein uß diner wirde kranz,

du bist des gründen heiles phlanz,

uf der man frucht des lebens fint.

 

laß grünen frucht uf unsers herzens rise

der tugent, meit, das icht der alde grise

uns von dem anger wise,

uf dem die engel suchen nar.

 

 

136 (27)

 

Der edelstein crisolt

gibt fürsten sinem trager holt

und ist geferbet sam das golt

und liechte funken uß im lat.

 

der hochsten wisheit schruf

in diner diadema stuf

er felzte, den in milde ruf

der sterne sweif bewiset hat.

 

er zierte dich mit siner wisheit erze,

da er den sun uß dines herzen kerze

dort in des fluches swerze

ließ lüchten der verhofften schar.

 

 

137 (28)

 

Abeston - mir ist kunt -

wann das die gimme wirt entzunt,

so mag sie fort in keiner stund

verleschen wint noch wages art.

 

in diner krone rand

die gimm entzunte gotes hant,

das sie in geistes füre brant

und sider nie verleschet wart.

 

du bist der stein, des tugent lischet nimmer:

die flamme güß in unsers herzen wimmer

- verbrenn des fluches zimmer - ,

das e inbant der sünden hant.

 

 

138 (29)

 

Von der naturen list

der crisopat geferbet ist

als golt in purpur. leides mist

und sorg er rüt uß herzen tal.

 

da nu der sünden rut

den menschen treib in sorgen flut,

din küsch in gotes brüste wut

und wold verdemphen fluches swal.

 

der gotheit golt mit diner küscheit röte

sich flacht (doch sunder der naturen nöte):

von solches heils gelöte

der mensch entran uß leides bant.

 

 

139 (30)

 

Achates, swarz gefar

und wiß gestriemt, die gimme klar

ouch lüchtet in der steine schar

dins kranzes, hochgelobte meit.

 

der stein gedanke arg

vertribet uß des mutes sarg

und machet das gesichte stark

und sterbet gift und sie verjeit.

 

g e d a n k e  rein in gruft des mutes rere,

der sünden gift in herzen grunde tere.

der sele ougen sere

an diner gimme stüre fant.

 

 

140 (31)

 

In diner kron gerist

stunt violfar der amatist.

vor trunkenheit er menschen frist

und gibet munder die vernunst.

 

da wir uß sünden kar

trunken des grimmen todes mar,

dich amatisten, meit, zu nar

uns gab des hochsten gotes gunst.

 

wir sliefen trunken in der sünden twalme,

da wecktestu uns mit der gnaden galme.

des hochsten frides palme,

laß uns in dinem schaten stan.

 

 

141 (32)

 

Über alle gimme tür

karfunkel lüchtet sam das für

des nachtes unde gibet stür

den ougen, die in blicken an.

 

o meit, der tugent phlanz,

du blünde rose sunder schranz,

den stein got satzt in dinen kranz

und treib des fluches swerze dann.

 

da dir sins adels gimme wart gesendet,

uns leides nacht in freuden tag gewendet

wart. zungen blat nicht endet

din lob noch umbereifen kan.

 

 

142 (33)

 

Topasion der hat

die kraft, das er nicht wallen lat

das wasser, das in glüte stat,

wie grimme si der flammen guft.

 

der wallnde gotes haß

gestunt in sines herzen faß,

da nu des geistes gimme was

gesenkt in dines herzen gruft.

 

topasion hat farbe aller steine

in golt getrint. sus hastu sunder meine

form aller tugent eine,

du himels stig und heiles ban.

 

 

143 (34)

 

Da mit der tugende dach

din adel got gekrenzet sach,

sin güte zornes kluse brach

und klam in dines herzen want.

 

das schuf der agetstein

der demut, den du, maget rein,

in dinem kranze trüge ein:

der zoch in an sich unde bant.

 

des wart der mensche los uß jamers ise,

da gotes kint blut uß diner brüste rise.

dich, heiles ast, ich prise,

uß dem uns sproß des lebens frucht.

 

 

144 (35)

 

Dir lob min zunge blat,

sint got dich mit der sunnen hat

gewet und diner füße phad

den manden satzte sunder schrank.

 

er sach dich wandels fri,

des sant er diner edeli

zu lon den dritten uß der dri,

der uß dins herzen brunne trank

 

des lebens seim von eines wortes gruße

und wusch uns von des ersten fluches ruße:

joch immer tragender buße

geringet wart und leides sucht.

 

 

145 (36)

 

Du blünder salden boum,

din ho erschein des küniges troum

Assirie: dins firstes soum

ab aller speren rundel sach.

 

fisch, vogel, mensche, tier,

gesacht uß elementen vier,

die han zu dinem schaten gir,

wann du bist der genaden dach.

 

mit diner güte ris uns, meit, bedache,

din barmung oug über uns verweisten wache.

uns slint der helle trache,

wo uns nicht schilt din ware zucht.

 

 

146 (37)

 

Da in der ruwe tal

der mensche trank des todes gall

und mochte durch den ersten fal

nicht klimmen uf der freuden berg,

 

für barmung got entzunt.

des sucht er der genaden funt,

wie das er uß des fluches grund

uns brechte, siner hende werk.

er macht uß dir, o meit, der himel leiter;

an dir wir klimmen uß des fluches eiter.

her Jacob sach dich heiter

in sime troume sunder wan.

 

 

147 (38)

 

Da in des todes faß

der schenke Pharaonis saß,

sin troum ersach in großer maß

ein trub, uß der trank Pharao

 

und leschte durstes flamm.

du bist die trube, gotes amm,

der win uß diner brüste stamm

durst zornes lescht und fluches dro.

 

da got den win trank in dins herzen presse,

da leschte er den brant der alden hesse.

e er unser vergesse

in klamm, für uns din güte man.

 

 

148 (39)

 

Wann der naturen goum

bespinnet nu den mandelboum

mit loub und siner este soum,

des norden heft sich von uns wit.

 

du heiles mandelris,

da mit des geistes blüte wiß

dich zeichent Gabrielis fliß,

da net dins trostes summerzit.

 

'fiat din wort' den former aller dinge

schephet und drang uß gotes herzen ringe.

mir frucht genaden bringe

und trib des fluches norden dann.

 

 

149 (40)

 

Der alden slangen dro

din frucht verleschte, zeder ho,

der uf dem berge Libano

der wolken achsel hat bedacht.

 

was riset durch sin mal

von dinen esten hin zutal,

das fellet endelosen fal

in immer tragendes leides schacht.

 

o reine meit, zu diner tugende reben

uns bint, laß sünden schur uns widerstreben,

e das wir uns ergeben

und fallen in des jamers grunt.

 

 

150 (41)

 

Der cypreß hat die art

von der naturen gunst gelart,

das er mit sime dunste schart,

entzünt den trachen und den unk.

 

du reine gotes kron,

du bist der cypreß uf Sion,

da got entzunt dins herzen span

mit sines hochsten geistes funk.

 

der tugent dunst der sünden gift erstecke

und minne f l a m m  i n  h e r z e n  rore wecke,

genade schult bedecke,

du hochster salden erster funt.

 

 

151 (42)

 

Des oleiboumes frucht

gegossen in der wunden slucht,

die senftet smerzen unde sucht,

wie hart das tier verseret si.

 

da uß dins herzen kann

in unser sele wunden ran

der barmung öl, der mensch began

sich quicken und wart todes fri.

 

das schuf genaden balsam und sin salben:

der ließ uns nicht in leides fule falben.

über alle wurz der alben

du heilest menschen sünde wunt.

 

 

152 (43)

 

Der lorberboum, der hat

die art, das er nicht fallen lat

in keiner zit sins rises blat,

sin öl swent alle kalde sucht.

 

du blündes heiles ris,

diner eren loub fellt keiner wis,

das öl verswent der sünden is

gepresset uß dins herzen frucht;

 

das güß in unser angeborne wunden,

die von dem ersten slag zu allen stunden

sten offen, ungebunden

und an dich ungeheilet sint.

 

 

153 (44)

 

Was zu dem figenstamm

man bint, das macht sin tugent zam.

sin saf verlescht der gifte flamm

und junget, wer sich damit smirt.

 

got, allem sinen wilt,

gebunden an dins herzen schilt

sich zemen ließ in menschen bild.

ouch jungte sich des himels wirt:

 

da er sich wusch mit diner blüte saffe,

jung wart gefar des hochsten trones phaffe.

den selben, meit, uns schaffe

und zu genaden aste bint.

 

 

154 (45)

 

Art hat der winstock rein:

sin saf ufspelt den quader ein

und wurzet in den herten stein;

sin blut die slangen ouch verjeit.

 

saf und genaden merz

laß spalden die versteinten herz

und güß in unser wunden smerz

der tugende tror, du klare meit.

 

trib sünden unk uß unser brüste wimmer,

das von des todes bisse fulet immer.

laß in genaden zimmer

uns wonen, din verweisten kint.

 

 

155 (46)

 

Genaden für ufrich,

laß witze flamm enphengen sich.

ich ere wie ich lobe dich,

- du swebst über lobes zimmer wit -

 

doch ticht ich als der gouch,

der meien früte garret ouch.

sus strouw ich miner stimme rouch

in lob dir, heiles sumerzit.

 

du bist das liecht vernunst, das got erzunte,

da er sich in dins herzen kluse spunte.

bach diner tugent grunte

nie sinnes maß noch lobes sprieß.

 

 

156 (47)

 

Wer aller witze schrin

verslossen in das herze min

und daruß schüsse sam der Rin

in sturme aller künste bach,

 

und ab der witze tou

sich breit in dines lobes ou,

doch wer dir, aller himel frou,

die münze mines lobes swach:

 

menschliche kunst  g e s a c h e t  i s t  von dingen,

das sie dins lobes stam nicht mag beringen.

des saltu, meit, indringen

mir tummen der genaden fließ.

 

 

157 (48)

 

O meit, du bist der se,

des wag der engel weget e,

(wer in den quam, der wart von we

enbunden und von süche bann)

 

in den ich gerne stafft.

nu roubet sünde mich der kraft

der tugent, das ich siecher haft

und in den tich nicht kumen kan.

 

des send genaden boten mir kranken welfe,

der in den se mir sünden lamen helfe.

der lob von schuld ich gelfe,

die hoffer in süch nie verließ.

 

 

158 (49)

 

Zu staden diser schrift

der segel mines tichtes schifft.

da Eva schephte todes gift

und trenkte menschen künne gar,

 

der hochste got, der sneit

uß diner forme formen kleit,

der aller formen spiegel treit,

und want uß dines herzen mar.

 

der alle sache sachet, tirmet, schicket

und über den first des hochsten himels blicket,

der wart für uns gezwicket

verwundet an des rises ast.

 

 

159 (50)

 

Das Seth der engel gab,

das leben, sich ließ des todes stab

da leiten in des fleisches grab,

das Joseph hett gemachet im.

 

als dich der schruf innam,

brunn lebens, urhab unde stam,

sus wasch uß unser sünden slam

und unser sel zu grabe nim.

 

als Jonas in dem fisch, sus in der erde

dri tage was din sun, du maget werde,

der uß der flammen herde

rette der grimmen witze gast.

 

 

160 (51)

 

Darnach sin tugent wut

mit Adam uß des todes flut

und brach den rigel, geisel, rut

des fluches und des leides tam,

 

und uß des jamers mur

uf cherubines flügel fur,

den e besloß dins herzen snur,

meit, muter, tochter, gotes amm.

 

des ich dir lobes zimmer pinsel, tirme

und mit der farbe blünder sprüche firme.

genaden schilt, uns schirme

und lesch ab sines zornes frast.

 

 

161 (52)

 

Wann er uns künftig ist

und gibet den gerechten rist

und wirfet aller sünden mist

in immer wallnder flammen zorn

 

- die alle ding verslint,

die schult in iren tigel bint -,

er fürbaß nicht genaden fint,

wen da verschart der rache sporn.

 

so mache, meit, sins zornes bürde linde

und schel von uns swerz und der erge rinde,

e uns die flamme slinde,

die tror keins betes leschet me.

 

 

162 (53)

 

Wer mag uns raten baß,

sint dines reines herzen glas

des hochsten gotes spiegel was,

in dem er erst sin forme sach,

 

die e was nie gesen.

die lerer hör ich alle jen,

wie das gerichte si geschen

in ougen blick. des, muter, wach

 

und kum zu stür den kinden din in ziten,

das wir icht werden von der rechten siten

gespalden unde schriten

in immer tragendes leides se,

 

 

163 (54)

 

uß dem du fort nicht macht

gehelfen. muter, das betracht,

das durch uns got dich hat gesacht,

der sus din hett bedürfet nicht.

 

du rettst das erbe din

von schult. uß solcher witze schrin

sint wir die erste sache sin,

die dir din wirde hat geticht,

 

des ticht uns freud als wir dir han getichtet,

das wir icht sten in leides bant gerichtet,

da leit in leit sich flichtet

und blüt uß jamers stamme we.

 

 

164 (55)

 

O muter, mir vergib,

das ich dich zele zu gesipp

mir armen stoube und gestieb

und züne dich in die natur

 

miner art: ich  s ü n d e n  wurm,

meit, gruntfest und gelouben turm,

ich ile vor des todes sturm

durch schirm in der genaden mur.

 

des kan ich form noch betes ordenunge,

sint das gespannen an der angest runge

das blat ist miner zunge:

tror forcht das liecht der witze blent.

 

 

165 (56)

 

Wasch ab, du trostes fließ,

der forchte ruß und leides mies.

der in dins herzen brunn sich ließ

und formte sich nach diner art,

 

des wille ist  d i n  will,

din gir ist siner girde zil.

des im uß frostes grüfte stil

des zornes flamm, du maget zart,

 

wann er zu jüngst sitzt uf der wolken glanze

mit nagel, sper, krüz und des dornes kranze

und von der sünden schranze

der barmung ouge immer went.

 

 

166 (57)

 

So wirt genaden mar

von zornes brunst verderret gar,

wann got jeit die verdammten schar

in immer wallnder flammen se.

 

wer in des fluches lach

und in des grimmen todes bach

getriben wirt durch bruches sach,

des ist vergessen immer me.

 

o keiserin der engel, menschen stüre,

das icht din sun an im sin marter türe

verlies, wann er mit füre,

was uf dem centrum ist, verswent.

 

 

167 (58)

 

Got, über der tugent berg,

sich nimet der genaden werk:

die ander tugent sam getwerg

gein barmung dines herzen sint.

 

da ganz der tugent schar

Noe in grimmer flüte mar

ließ sweben, alles trostes bar,

sie rette tier, mensch, vogel, rint.

 

ouch in Kaldea uß des füres flamme

Abram sie half, Jonas uß fisches wamme,

Loth uß des swefels slamme,

der Sodomam verzerte gar.

 

 

168 (59)

 

Ouch uß des swertes mund

din barmung Isaak gesunt

nam und lost uß des todes bund

hern Joseph in Egypten land,

 

Susannen, Ninive

(wie Jonas hett geprediget e,

sie sold verslinden fluches se,

iedoch din wort in widerwant).

 

sie lost uß glünden oven Ananias,

hern Mizahel und ouch hern Azarias.

sie zuckt Enoch, Elias

uß sünden flut und leides mar.

 

 

169 (60)

 

Ouch durch das rote mer

sie furt der Israhelen her

uß Pharaonis joche swer

und uß dem klamm von Babilon.

 

groß uß dins herzen kann

die barmung diner güte ran.

da nu die Juden von Aman

des todes beiten sunder wan,

 

mit Hester sie die diet uß angest rette.

da Holofernes sie besessen hette,

mit Judith sie vertrette

ir not und half der kranken schar.

 

 

170 (61)

 

O got Emanuel

da nu zerstöret hette Bel

in Persia her Daniel

und von dem künig geworfen was

 

für siben louwen groß,

din barmung, her, in machte los

und sine finde gar besloß

versigelt in des todes faß.

 

von Golias hern David half ir milde,

dem künig Assirie von rindes bilde.

sie dackt mit irem schilde

vor Gabaon hern Josue.

 

 

171 (62)

 

Da Pharo sterben hieß

die kint, din barmung nicht verließ

hern Moises, den in den fließ

sin vater jung warf sunder hab.

 

da erst geboren lag

Cyrus geworfen in den hag,

din barmung in dem walde phlag

des kindes und im spise gab.

 

von Lidia da Cresus wold sin ende

genomen han in grimmer flammen wende,

dem künige si ir hende

reicht unde zuckt uß glüte fle.

 

 

172 (63)

 

Sus diner güte trift

ich spür in aller hande schrift:

uß kummers bande wie gerifft

die heiden, juden, cristen sin,

 

die sunder zwivels wan

trost ein an dir gesuchet han.

den hastu der genaden ban

gezeiget und die helfe din.

 

des ich dir lob, kraft, ere, wirde krie,

einfaldig got, doch in personen drie:

uß todes klamm uns frie,

als du hast die genanten e.

 

 

173 (64)

 

Brunst diner barmung alt

bran ie in diner tugent wald.

flamm diner güt ist nie erkalt

noch lischt von keiner sünde frost.

 

sie ist der tugende amm,

zu stür die den betrübten quam

und sie uß leides banden nam

und von in wusch der sorgen rost.

 

die rad uß herzen tigel gift der sünde

und uns in minne glüte dir gefründe,

e uns des todes ünde

verslinde und des jamers flut.

 

 

174 (65)

 

Sint barmung iren mast

ie bant zu dines herzen ast

und du genaden segel hast

gehengt in diner güte schif

 

(das schif Maria ist,

der mast das krüz, der segel Crist),

du ein des heiles marner bist.

des uns uß kummers banden riff.

 

gedenke, das du treist der menscheit muder

und nim zu henden der genaden ruder,

trib die sirenen fuder

des fluches mit der tugende rut.

 

 

175 (66)

 

M e i t , aller güt inguß,

hab ich nicht blünder sprüch influß

geleitet sam her Tullius

in dines hoen lobes tich,

 

der sines tichtes blat

mit farben sechzig geblumet hat

und das gefilde hat besat

rethorice, der künste rich,

 

so nim den willen für die meisterschefte:

sint das min gir erzeiget hat sin krefte,

riß uß dins zornes hefte

und schirm uns vor der helle glut.

 

 

176 (67)

 

Diß buch, das heißt der tum,

in dem der blünden sprüche blum

man fint gestrout in lobes rum

der hochsten himels keiserin,

 

die gotes ein genas

und spist uß ires herzen faß.

des sie ein tum der tugende was

und unsers heiles bilderin,

 

als uns tut kunt die schrift und Isaias,

Ezechiel, David und Jeremias

und ouch her Zacharias,

her Daniel und Balaam.

 

 

177 (68)

 

Von der getichtet hie

ich han und weiß doch leider, wie!

den himel, mer und erde nie

mit irem zirkel han besweift

 

nach der naturen art,

den hastu, maget, der tugent gart,

von einem worte sunder schart

mit dines herzen snur bereift.

 

des tichtes maß nicht reicht dins lobes größe:

du bist  g e n a d e n  schif und trostes flöße,

mit der uß todes röße

und fluches lach der mensche swam.

 

 

178 (69)

 

Dich zung vollobet nicht -

was meister blünder sprüche flicht

und zünt in dines lobes ticht,

die sint recht sam eins zwiges blat

 

gein Caucasus dem berg -

o meit, des nim diß kranke werk:

bi tichtes risen ein getwerg

ich bin und folg doch irem phad,

 

wie mir zu wite sint der künste trite.

des bis mir swachen tichter, muter, mite,

das ich mit lobes schrite

din huld erile, gotes amm.

 

 

179 (70)

 

Wer aller künste zins,

schatz wisheit, richtum alles sinns

verrunet in mins herzen flins,

versigelt mit der witze wachs,

 

und wer ein ieglich troph

des meres an der wolken schoph

gezünet, dines lobes zoph

volflechte nicht irs sinnes flachs.

 

din wird über alles lobes berge sweimet,

die zungen blat durchgoumet noch durchseimet:

saffs was sie künste heimet,

doch falbet sie dem lobe din.

 

 

180 (71)

 

O meit, des nim vergut,

was uß mins kranken tichtes rut

frucht lobes sprüßt. diner eren blut

keins tichtes schrank hat nie begart.

 

uß not und sorgen phul

uf ruw und der genaden stul

uns hilf, du bist der tugent schul,

in der got barmung hat gelart.

 

din minne brach des brinnden zornes kluse,

des wacht din lob in alles herzen huse.

schilt vor des tüvels gruse,

durch bruch die hie verweiset sin.

 

 

181 (72)

 

In glas der güte sich,

meit, und leides flammen rich

min herschaft, eldern unde mich

und alle, die dem glouben bi

 

mit ganzen truwen stan

und zuflucht zu dir, muter, han.

die leit uf der genaden ban

und sie uß sorgen banden fri.

 

der angest glut lesch und der sünden brende

mit ruwe tror und mit der buße hende.

verlich ein reines ende

und schirm uns vor der helle pin.